Helmut Schmidt–die deutsche Madonna

Helmut Schmidt–die deutsche Madonna

Genauso beliebt wie Peter Scholl-Latour ist Helmut Schmidt. Er ist zur Ikone aufgestiegen.Allein 3 Bücher mit und über ihn waren gleichzeitig in der SPIEGEL-Bestsellerliste zu finden und ein viertes über seine Frau Loki.Nun hat er noch ein fünftes Buch über Religion geschrieben und ist auch wieder auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Es hat sich eine Art Anbetung von Helmut Schmidt in der deutschen Öffentlichkeit entwickelt, die man höchstens noch von katholischen Polen und Italienern für ihre Madonna kennt. Ähnlich wie man von Wagnerianern sprach, so spricht man heute von „Schmidtianern“ (SZ). Ja, es ist nicht verfehlt von einem regelrechten Personenkult zu sprechen. Man fragt sich eigentlich weswegen? Weil er so gegen den Antiraucherstrom kämpft, sich davon nicht beeindrucken  läßt und Bücher dementsprechend „Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt“ (Giovanni De Lorenzo) heißen? Die Zigarette steht da ja eher für den weltmännischen, sich zurücklehnenden und nochmals tief-inhalierend-nachdenkenden  großen Denker in der sinnierenden elder-statesman- Pose.Für Kontinuität, die  keine gesundheitspolitischen Mahnfinger und Feinstaub-Hysteriker, wassertrinkenden und nichtrauchenden Zeitgeist anerkennt. Zumindestens ist die Zigarette und Schmidt ein Markenzeichen geworden.

Das allein kann es nicht erklären. Wonach sehnt sich die Republik denn so? Im wesentlichen steht Helmut Schmidt für die alte Deutschmark- BRD, als Deutschland noch keine Truppen ins Ausland schickte und die Wirtschaft gut lief.Es ist gerade diese Nostalgie nach diesen„alten“ guten Zeiten, die ihn so beliebt macht. Dass er einer der grössten Schuldenmacher dieser Republik war, die künftige Generationen zahlen müssen, dass er damals mit dem Spruch brillierte „Besser eine höhere Inflation als mehr Arbeitslose“ wollen da viele seiner Bewunderer schon wieder vergessen haben, insofern sie es jemals wirklich wahrgenommen haben. Schizophren ist es auch, wenn sich Europakritiker auf Schmidt berufen als Vertreter der guten D-Mark-BRD, war er gerade doch ein Begründer des Europäischen Währungsystems, dem Vorgänger des Euro. Helmut Schmidt war auch klarer Befürworter und Initiator des NATO-Doppelbeschlusses. Der mag zwar richtig gewesen sein,aber der Pazifist als der er heute dargestellt wird wegen seiner Ablehnung von deutschen Auslandseinsätzen, war Schmidt niemals. Sollte man auch nicht sein, es dann aber nicht so hinstellen.Zudem war Helmut Schmidt einer der hartnäckigsten Befürworter der Atomkraft und liess die innerparteiischen SPD-und JuSo.reihen diesbezüglich lichten, die dagegen waren,so dass viele zu den Grünen wechselten. Seine neueren Bücher erzählen eben auch nichts Neues. Dass China mächtiger wird und man sich deswegen mit ihm gutstellen soll, ist so die Kernaussage seines Buches über das 21. Jahrhundert—nichts anderes erzählen eigentlich auch mindesten Hunderte andere Bücher, die mit dem Thema China herausgegeben werde. Das ist wohl die unbestrittene Allgemeinaussage ohne weiteren Erkenntnisgewinn. Wie Scholl-Latour sieht er in China vor allem eine konfuzianische Zivilisations- und Kulturmacht—für demokratische Experimente sieht er da keinen Bedarf. Dass auch asiatische Demokratien Konfuzius für sich beanspruchen, übergeht er da immer.“Respekt“ solle der Westen vor China haben, das heißt voreilenden Gehorsam.In seinem Buch „Die neuen Weltmächte“ ist aber auch kein einziger origineller Gedanke zu lesen. Wie Kissinger in „On China“ sieht er vor allem nur China, China und nochmals China. Mehr sagt dieses Buch eigentlich nicht aus. Etwaige strukturelle Defizite von China, etwaige Stärken in Indien mag er dabei überhaupt nicht zu entdecken. Realpolitik at its worst—zumal unter sehr statischen Verlängerungen von gegenwärtigen Zukunftsprognosen– ohne diese einmal zu hinterfragen oder einen irgendwie anderen Gesichtspunkt zu bringen. Völlig einfaltslos und ohne andere Szenarien überhaupt einmal in Betracht zu ziehen, kündet er seine Prophezeihungen vom 21. Jahrhundert. Desweiteren war Helmut Schmidt ein Unterstützer des SPD-Rassisten Sarrazin. Diesen nahm er höchstpersönlich in Schutz, obwohl er sonst immer betont, sich nicht in Tagespolitik einmischen zu wollen.Es verwundert daher auch nicht, dass inzwischen auch der rechtsradikale FPÖ-Chef Strache auf seiner Webseite Helmut Schmidt als seinen beliebtesten Autor und Politiker erwähnt.Inzwischen mischt sich Schmidt auch wieder aktiv in die Kanzlerkanidatendiskussion der SPD ein und unterstützt ganz offen Peer Steinbrück, mit dem er sogar zusammen ein gemeinsames Buch herausgeben will:

Bleibt der, der wohl gekürt werden wird, wenn die Partei auf Nummer sicher gehen möchte: Peer Steinbrück. Er ist im Januar 1947 geboren und wurde politisch wirklich sozialisiert, als Helmut Schmidt regierte. Die Schmidtianer waren in der SPD lange unbeliebt, heute ist das wieder ganz anders. Steinbrück ist außerordentlich pragmatisch und lösungsorientiert, außerdem ist er gebildet und ironisch. Das lässt er gerne alle spüren, was ihm nicht nur in der SPD auch zum Nachteil gereicht.

Steinbrück hat nun so lange mit der Möglichkeit, Kandidat zu werden, kokettiert, dass er jetzt unterm Strich so weit ist, es auch werden zu wollen. Im Herbst wird es einen Publizitätssturm geben, weil er gemeinsam mit Helmut Schmidt ein Schachspiel-Politplauderbuch veröffentlicht, das mutmaßlich dazu beitragen wird, jene heimlichen Hauptzweifel an Steinbrück etwas zu zerstreuen

http://www.sueddeutsche.de/politik/peer-steinbrueck-und-die-aussichten-der-sozialdemokratie-mit-helmut-schmidt-ins-kanzleramt-1.1126290-2

Der ungekrönte SPD-Kaiser hat somit seinen Kronprinzen schon so gut wie inthronisiert, denn gegen Schmidt wird man nicht so einfach Kanzlerkanidat, mit ihm kann man sich aber der Unterstützung einer breiten Öffentlichkeit sicher sein, die ihn geradezu anbetet.Steinbrück badet sich im Glorienschein der deutschen Madonna und hofft so eines Tages nach der Agenda 2010 nun eine Agenda 2020 durchziehen  zu können. Eine Agenda 2020, die eine weitere Ausdehnung des Niedriglohnsektors, Privatisierung, Lohndumping, Sozialabbau, Rentenkürzung, etc. bedeutet–aber vielleicht wird dann Steinbrück eine jener berühmt-berüchtigten“Schweiss- und Tränen-Reden“ halten, wie sie Schmidt einmal von Kohl gefordert hat. Von Schmidt wurde immer gesagt, dass er eigentlich in der falschen Partei wäre. Betrachtet man sich die Entwicklung der SPD, so scheint dies nicht zu stimmen. Und eine Steinbrück-SPD wäre dann eben eine Schmidt-SPD. Mal sehen, ob Schmidt dann immer noch so beliebt sein wird.

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