Afghanistan als zukünftiger Talibanstaat?

Afghanistan als zukünftiger Talibanstaat?

Der Truppenrückzug der NATO aus Afghanistan steht unmittelbar in den nächsten Jahren bevor, die Afghanisierung der afghanischen Sicherheitskräfte ist auf den Weg geleitet. Fraglich bleibt jedoch, ob die afghanische Armee selbst als Stabliltätsfaktor dienen kann, inwieweit Karsai sie überhaupt unter Kontrolle hat, ob nicht wieder Stammesfehden und ethnische Spaltungen innerhalb der afghanischen Armee Fuss fassen, inwieweit sie nicht schon von den Taliban infiltriert ist—kurz: ob sie nicht denselben Schicksalsweg gehen wird wie die südvietnamesische Armee nach der Vietnamisierung unter Nixon oder wie die nationalchinesische Armee unter Tschiangkaitschek, nachdem die USA diesen zu einer kurzen Koalitionsregierung mit Mao Zetung nötigte. Innerhalb des westlichen Sicherheitsestablishment ist man zudem geteilter Meinung, ob man die afghanische Armee mit Waffen ausrüsten sollte oder mangels fragwürdiger Stabilität der afghanischen Armee nicht eher lokale Milzen, die man dann über die Vertretung der Stammesfürsten, die Loya Jirga koordiniert. Zudem haben die Stammesfürsten und die Loja Jirga ohnehin in Afghanistan mehr zu sagen als das Kabuler Parlament, in dem es noch nicht einmal richtige nationale Parteien gibt. Wie man sich auch entscheidet: Die Taliban werden sich als national einigende Kraft als Alternative anbieten. Momentan hat die Taliban umgeschaltet auf mehr zivile Aufbauarbeit und Agitation unter der Bevölkerung. Offene Gefechte geht sie nicht ein, bestenfalls nutzt sie Selbstmordkommandos, die inzwischen schon innerhalb des militärischen Hauptquartiers ihre Bomben hochgehen lassen oder aber eben die offensichtlichen Zerfalls- und Fäulnisprozesse einer zutiefst demoraliserten „Besatzer“armee zu nutzen wie Photos von auf Talibankämpfer urinierenden US-GIS, angeblichen Koranverbrennungen und die Nachricht von dem US-Amokläufer, um die Stimmung innerhalb der Bevölkerung für sich zu gewinnen und mittels Demonstrationen gegen die „Besatzer“aufzuheizen. Selbst Karzai ist gezwungen öffentlich die USA zur Entschuldigung aufzurufen, um vor seinen Landsleuten nicht als Marionette dazustehen. Zeitgleich hofft man im Westen sogenannt moderate Kräfte der Taliban herausbrechen zu können und in eine Koalition mit Karsai zu bringen.Das Treffen zwischen Karsai, Pakistans Ministerpräsident und Irans Ahmadinehdschad war ein Zeichen dafür, dass Iran und Pakistan auf eine Stärkung Karzais setzen, um eine Pipeline von Iran über Afghanistan nach Pakistan bauen zu können.Insofern wäre es denkbar, dass Pakistans Geheimdients ISI mässigend auf die Taliban einwirkt und versucht hier zu einer gütlichen Kompromissösung mit Karzai zu kommen.Man darf sich aber davon auch nicht zuviel erwarten: Die Taliban wollen immer noch die ganze Macht über Afghanistan und einen islamistischen Staat.Dass sie taktisch auf pakistanischen Druck eingehen, bedeutet eben noch nicht, dass sie ihr langfristiges Ziel der totalen Machtübernahme aufgegeben hätten—ebensowenig wie Mao Zetung die Machtübernahme über ganz China trotz kurzfristiger Koalitionsregierung mit den Nationalisten.

Die Abrechnung mit der Karzairegierung durch die Taliban wird kommen, sobald die ausländischen Truppen abgezogen sind und die afghanische Armee sich allerdings afghaniseren wird.Von daher sollte man sich einmal fragen, wie der Westen mit einem Taliban-Afganistan nach verlorenem Krieg umgehen sollte.Zum einen wird Afghanistan mehr ein Staat werden, bei dem Iran, Indien, Pakistan und China selbst mehr um Einfluss in Afghanistan kämpfen werden, um das westliche Machtvakuum nach dem Abzug zu schliessen.Zumal keinerlei westliche Investoren in Sicht sind, ergiben sich nur asiatische Investoren, die versuchen müssen stabile Investitionsbedingungen für ihre Projekte in und mittels Afghanistan herzustellen: China hat mit seiner Investition von 1 Mrd. Euro in die Kupfermine von Aynak, Indien mit seiner 13 Mrd.Euroinvestition in ein Kupferbergwerk nahe Kabuls schon erste Ansprüche angemeldet. Desweiteren kommen Pipelineprojekte wie TAPI (Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Indien) oder eben die Pipeline von Iran über Afghanistan nach Pakistan dazu.

Die Frage wird sein, ob eine Talibanregierung zukünftig nicht wieder als Terrornest für ausländische Kämpfer dienen wird, zweitens nicht versucht innerhalb Pakistans islamistische Kräfte zu unterstützen, drittens seine alten Konflikte mit dem Iran, die 2001 schon zu einer Mobilisierung der iranischen Armee gegen die Talibanregierung geführt hätten,beizulegen und viertens die geplanten Grossprojekte, die die eigene Wirtschaft fördern könnten, zu unterstützen.China, Iran und Pakistan dürften daran interessiert sein, dass sich diese vier Punkte von einer zukünftigen Talibanregierung realisiert werden. Sollte es nicht dazu kommen und sich das alte Verhaltensmuster der Taliban wieder einstellen, werden auch diese Staaten versuchen die Taliban abzusetzen, zu spalten oder aber wirklich moderate Talibanfraktionen zu fördern.Der Westen sollte China, Indien , Pakistan und Iran selbst seine eigenen Afghanistanerfahrungen machen lassen. Haben sie Erfolg, ist allen genutzt, ja könnte der Westen dies wieder als Hintertür für die Erringung eigenen Einflusses nehmen. Scheitern sie, wird Afghanistan ein failed state und im Bürgerkrieg versinken—mit allen Auswirkungen auf die benachbarten Staaten und die indischen und chinesischen Investments samt Pipelines.Das ist dann aber ein asiatisches Problem! Lassen wir die Asiaten ihr eigenes Afghanistanabenteuer eingehen—darüber sind ja schon Weltreiche gestolpert—sei es nun die Sowjetunion oder die USA samt NATO ! Wenn sie es denn besser machen, umso besser.

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