Der böse Kissinger: Da war auch Licht

Der böse Kissinger: Da war auch Licht

Es gibt jetzt ein neues Buch über Kissinger, das ihn vor allem als Kriegsverbrecher, Fürst der Finsternis aus einem düsteren Reich der Schatten und Unmenschen portraitiert: Kissingers langer Schatten von Greg Grandin (C.H. Beck Verlag, 2016) .

Zugegeben war Kissinger ein Realpolitiker, der keine Skrupel hatte bezüglich Kriegen, Militärdiktaturen, Putschen, Attentaten. Nur: Er war da bei weitem nicht der einzige Politiker, der dieses normale Instrumentarium der Politik draufhatte und dabei keineswegs so herausstechen würde, wäre er nicht Außenminister der größten Weltmacht, der USA gewesen, zumal die Sowjetunion und ihr KGB da noch viel skrupelloser agierten und Frankreich, Großbritannien und viele asiatische und nahöstliche Regime auch nicht ohne waren und sind bei der Wahl ihrer Mittel.Es wird von vielen Kritikern Kissingers immer vergessen, dass er es mit sehr skrupellosen und gewalttätigen Kontrahenten zu tun hatte und die Weltstaatengemeinschaft eben nicht aus pazifistischen Pfadfinderorganisationen besteht, die jeden Tag nur ein gutes Werk verrichten wollen, während nur der böse Henry sie davon abhielt, diese edlen Weltgeister hintertrieb und den täglich anstehenden Weltfrieden als der eigentliche Superschurke verhindert hat.

Auch muss man sehen, dass Kissinger für die Beziehung zwischen China und den USA und für die Chinesen eine wertvolle Rolle spielte. Im BR lief eine Dokumentation,  in der klar wurde, wo China 1976 zu Maos Tod stand. Keiner wusste, wo es hinging. Die Viererbande um Jiang Qing erwägte die Kulturrevolution wiederzubeleben, besuchte Pol Pot in Kambodscha und überlegte öffentlich in der Volkszeitung nun das Geld abzuschaffen und die Städte zu evakuieren. Sie dachte den kambodschanischen genozidalen Weg an. Ohne den Kissinger/Nixonbesuch hätte China kaum eine Perspektive gehabt, aus seiner außenpolitischen Isolation herauszukommen. Deng Xiaoping war dann die Konsequenz dieser Politik Kissingers: Mehr Freiheit als unter Mao, gleichzeitig Wirtschaftsreformen und Annäherung an den Westen. Das war Kissingers historisches Verdienst. Man stelle sich demgegenüber ein Pol-Pot-mässiges und isoliertes China vor. Das sind die Geschichten, die in dem Kissinger-bashenden Buch nicht geschrieben werden. Kissinger wird dementsprechend auch in China mehr geschätzt als in der westlichen Hemisphäre.Hunderte Millionen Chinesen, die einen erheblichen Teil der Menschheit ausmachen,  wissen, was sie ihm zu verdanken haben. Heute wird Kissinger nach der nun abgeebbten Chinaeuphorie eher im Rückblick der Vorwurf gemacht, den neuen Hauptrivalen der USA erst hoffähig und stark gemacht und China den Aufstieg zur konkurrierenden Weltmacht ermöglicht zu haben. Damals wurde die Entwicklungsperspektiven des damaligen Entwicklungslands China noch anders gesehen und konnte man das auch noch nicht so vorhersehen.

Desweiteren war es Kissingers Shuttlediplomatie zwischen Israel und den arabischen Staaten, vor allem Ägypten, die zu einem Ende des Yom-Kippurkriegs führten und die Weichen für Camp David, also dem Friedensschluss zwischen Ägypten und Israel stellten. Also, wenn man Kissinger beurteilt, sollte man dies zum einen vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs tun, wie auch seine Aktionen in Indochina, Chile, Osttimor, Angola und Portugal, Spanien, sowie bei der Ermordung Aldo Moros in Italien , um das „historische Bündnis“ zwischen Italiens Christdemokraten und der eurokommunistischen Partei Italiens zu verhindern mit seinen Verdiensten aufwiegen.

Auch war Kissinger ein Unterstützer der Ostpolitik und des KSZE-Prozesses, die solche Gruppen wie Charta, Solidarnosc und alle Menschenrechtsgruppen im Ostblock die Wurzeln schlagen liessen, die dann unter Reagans Konfrontationspolitik mit der Sowjetunion Früchte trugen und für eine friedliche Revolution und Sturz des Kommunismus sorgten statt für einen Weltkrieg.

Kritiker Kissingers in den USA kommen zudem zumeist aus der rechten Ecke, die ihm seine Entspannungspolitik, den „Verrat an Taiwan und Vietnam“vorwerfen, behaupteten, dass er soft on communism gewesen wäre und zumal auch auf seine jüdische Herkunft anspielen und antisemitisch rumhetzen, wie auch seine allseits bekannten Verbindungen zu David Rockefeller, den Bilderbergern, der Chase Manhattan Bank und dem Council on Foreign Relations zu verschwörungstheoretischen Geschichten einer geheimen NWO-UNO-Weltregierung unter einem Schattenweltenherscher Kissinger aufblasen. Kissinger ist da für Linke der Faschist, der unmoralische, menschenverachtende Zyniker der Macht, ein Metternich, Richilleau und Unmensch in einem und für Rechte die jüdisch-liberal-kommunistische Weltverschwörung in persona. Kissinger ist  für diese Kritiker eine Chiffre für das und alles Böse in der Welt  , denn der reale Realpolitiker, der er war.

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