Rezension Hermannus Pfeifer: Seemacht Deutschland

Rezension Hermannus Pfeifer: Seemacht Deutschland

Hermannus Pfeifer: Seemacht Deutschland—Die Hanse, Kaiser Wilhelm II und der neue Maritime Komplex

 

Das Buch von Hermannus Pfeifer gibt einen guten historischen Überblick über die Hanse, die Flottenpolitik von Wilhelm II und die neuere Bedeutung der Seefahrt für Deutschland angesichts der Globalisierung und des exponential steigenden Volumens des Außenhandels, der vor allem Seehandel ist.Dennoch hat das Buch einige schwere Mängel.

 

Maritimer Komplex, Militärisch-Industrieller Komplex und andere „Komplexe“—die gute alte Stamokaptheorie in neuem Gewande

„Der Maritime Komplex in unserer Zeit weist weit über den klassischen militärisch-industriellen Komplex hinaus, vor dessen politischem Einfluss in den sechziger Jahren der US-Präsident Dwight D. Eisenhower eindringlich warnte. Das macht ihn möglicherweise friedlicher, aber auch politisch und gesellschaftlich einflussreicher“. (S.198)

„Zweimal in seiner Geschichte war „Deutschland“ eine Seemacht, während der Hanse-Epoche und während der Herrschaft von Kaiser Wilhelm II. Heute ist Deutschland zum dritten Mal eine Seemacht.In allen drei Fällen haben Akteure ein dichtes formelles und informelles Netz aus Beziehungen von Institutionen und Menschen genknüpft, das über die unmittelbare Seefahrt weit hinausreicht und dem jeweiligen Maritimen Komplex gesamtgesellschaftliche Bedeutung verschaffte und verschafft. Zeitweilig hatte und hat dieser Komplex sogar eine Führungsrolle in Gesellschaft und Politik inne“ (S.197).

Das Buch von Hermannus Pfeiffer liest sich so ähnlich wie die Stamokaptheorie in modernisierter Form (staatsmonopolitsicher Kapitalismus—die Theorie nach der das Monopolkapital den Staat lenkt). Erstens wird so getan, als bestünden die früheren Netzwerke und Beziehungsgeflechte nicht weiter, sondern  seien total neu und hätten sich erst wieder neuertags zu einem „Komplex“ verschworen. Zweitens wird so getan, als ob ein militärisch-industrieller Komplex, den es nun zum dritten Mal zur See ziehe, den Rest Deutschlands, der EU und der Welt in neues Verderben ziehe. Das liest sich wie die gute alte Stamokaptheorie, die zumal die Bedeutung des eigenen Landes linkspatriotisch überschätzt und überhöht, nur , dass das Monopolkapital nun durch einen Komplex ersetzt wird, der alles vermeintlich beherrscht. Ob nun Atomindustriekomplex, Chemieindustriekomplex, Bauindustriekomplex, Gentechnologiekomplex—für Neo-Stamokapler sind lauter Komplexe am unheilvollen Wirken, die den angeblich hilflosen Staat und die Politik samt Bevölkerung übervorteilen, die Staatsmacht zu sich verschieben und letztendlich kommandieren—unverhältnismäßig und überproportional oder halt total—unklar bleibt der Massstab, zu dem sie dies können sollen. So konstruiert auch hier Hermannus Pfeiffer einen neuen „Maritimen Komplex“—dieser habe den Staat und die Politik übertölpelt, die scheinbar gar keine eigenen Interessen haben.Immer erscheint die Politik und der Staat als hilfloses Objekt, das nur von den Interessen des Maritimen Komplexes geleitet wird, nicht aber umgekehrt, dass der Maritme Komplex Ausdruck staatlichen Interesses ist, das man dann eben analysieren müsste. So liest man:

„Das Primat der (Regierungs-)Politik wurde trotz Bundestagszustimmung faktisch den pragmatischen Interessen des Militärs und dem Profitstreben der Manager geopfert“(S.176) Oder:

„Der Bund wurde über den Tisch gezogen“(S.180)

Gleichzeitig muss er aber eingestehen, dass vor allem „industriepolitische Gründe“ eine Rolle gespielt haben:

„Für den horrenden Preis der deutschen Marathon-Fregatte sprechen zwei industriepolitische Gründe. Zunächst dürfte der Aufschlag ein Dankeschön an Thyssen-Krupp gewesen sein, für die Schaffung eines deutschen Werftgiganten unter seinem Konzerndach. Daneben wird das technologische Know-How in Deutschland gesichert und so Thyssen-Krupp Marine Systems für die anstehende Konsolidierung der europäischen Werftenindustrie gestärkt“.(S.182).

Doch nicht nur industriepolitische Interessen werden bedient, ja auch nationale Interessen:

„In der Bundesrepublik haben sich Industrie und Staat, Reedereien und Gewerkschaften, Finanzdienstleister und Flotte, Wissenschaftler und Ministerien zu einem Maritimen Komplex verbunden. Damit folgen sie ihren eigenen egoistischen Interessen, aber auch einer Vorstellung von nationalen Interessen im Zeitalter der modernen Globalisierung“ (S197).

Ja, Hermannus Pfeiffer kommt schließlich dann auch wieder zu der Aussage, dass der Maritime Komplex ein „zukunftsfähiges Modell für Europa“sein könnte (S.198).

Also ein langer und widersprüchlicher Weg: Von egoistischen Partikularinteressen, dämonischen Maritimen Komplex, der die Politik lenke hin zur Entdeckung der Verwirklichung von Industriepolitik im besten Sinne sowie, nationaler und dann sogar europäischer Interessen, die dann aber wieder doch der Staat formuliert.

Warum dieser Maritime Komplex, der weit über den  Militärisch-Industriellen Komplex der USA hinausweisen soll, „möglicherweise friedlicher, aber auch politisch und gesellschaftlich einflussreicher „ sein soll, bleibt völlig unbegründet und unklar.Er relativeiert jedenfalls erst einmal seine eigene Warnung vor der möglichen Kriegsgefahr des „Maritimen Komplexes“. Teile seines Buches lesen sich auch wie eine theoretrische Abhandlung über Staat und Globalisierung und er sieht im Maritimen Komplex auch genau das Gegenteil zum Washington Consensus (Privatisierung und Deregulierung), nämlich gelungene staatliche Industriepolitik, ja eben ein „zukunftsfähiges Modell für Europa“ (S.198), vergleichbar mit der Luft- und Raumfahrtindustrie (Stichwort: Airbus), in welcher er aber scheinbar keinen „Komplex“ wittert (Denn zuviele Komplexe, die den Staat angeblich dominieren, führen ja gerade zur Widerlegung der zuvor apostrophierten Dominanz immer eines Komplexes—man könnte ja dasselbe Buch auch von einem Luft- und Raumfahrtkomplex handeln lassen—wieviel Prozent der Erde und des Meeres sind von Luft umgeben?- und den vermeintlich Maritimen Komplex unter diesem Aspekt sehen—das würde aber dem Buch seine Dramaturgie und seine Aussage rauben). In dieser Amivalenz der Bewertung des „Maritimen Komplexes“ zwischen gelungener Antiglobalisierung in der Globalisierung/erfolgreicher nationaler Industriepolitik und einem Vorbild für Europa und dem Mahnen vor etwaigen kriegerischen Folgen verbleibt sein Buch sehr unkonkret und schwankend zwischen Apologie und Warnen.

Deutschland—eine Seemacht?

Erst einmal werden einfache Fakten summeriert,um die Bedeutung“des Meeres“klarzustellen.

„70% der Welt ist Wasser, 80 Prozent der Welt lebt nur wenige Hunderte Meilen vom Meer entfernt und 90% unseres Handels führt über das Meer“ (S.192)

Anders als der Geopolitker Mac Kinder, der als Anti-Mahan  (Mahan war ein US-Geopolitiker, der die Bedeutung des Meeres verabsolutierte) landmäßig und auf Kontinentaleuropa fixiert strategisch formulierte:

„Who controlls Europe, controlls the heartland. Who controls the heartland, controls Eurasia.Who controls Eurasia, controls the world”

Wenn man “das Land” als potentielles Handels- und Kriegsgebiet ausklammert, bleibt ja auch folgerichtig und voll intelligent „das Meer“. Da „das Land“ als Haupttransportweg ausscheidet (mit Ausnahme wohl von Pipeline-Strategen, die genau umgekehrt argumentieren, Geoökonomen und Landarmeemilitärs)und einige wesentliche Seepassagen zur Sicherung verbleiben. Wohl auch suggestiv naheliegend, wie auch Energieressourcen aus Tiefsee und See.Das Problem bei diesen Kategorien ist, dass sie durch ihre Ausschliesslichkeit die Bedeutung der anderen Medien (Land, Meer, Luft- und Weltraum, Cyberspace) herabsetzen und ein sehr simplifiziertes Bild liefern, sowie die Interaktionen zwischen den verschiedenen Bereichen ausblendet.

„Die internationale Krisenbewältigung werde zukünftig noch stärker auf gemeinsame Aktionen von Heer, Luftwaffe und Marine setzen. Und dabei soll die frei von Landesgrenzen und anderen Hemmnissen operieredne Marine eine Schlüsselrolle spiele. Die See soll zur Basis für zukünftige gemeinsame Operationen der Bundeswehr erschlossen werden. Der neue konzeptionelle Ansatz heißt „Basis See“. Gemeinsam mit den „Landratten“ vom Heer arbeitet die Marineführung hinter verschlossenen Türen an ihrem Projekt „Führen von See“. Die Feuerunterstützung vom Meer aus gewinnt militärstrategisch zunehmende Bedeutung (…)Ihren zweiten Schwerpunkt sieht die Marine künftig im Schutz der Handelswege. Das klingt zunächst keineswegs originell. Aber fortan verteidigt die Marine nicht mehr allein den Ostseeraum und die Deutsche Bucht, sondern will die globalen Handelswege sichern. Da Deutschland hochgradig auf den Aussenhandel und den Import von Rohstoffen angewiesen ist, befindet sich die Nation in einer „maritimen Anhängigkeit“, hebt Marineinspekteur Nolting hervor.Weltweit!“ (S.178).

Warum auch nicht weltweit im Zeitalter der weltweiten Globalisierung? Seekriege scheinen für den Autor weniger ein Problem—hierzu kommt im gesamten Buch nichts. Vor allem stört er sich daran, wenn es um Seeunterstützung für militärische Landoperationen geht, die die schöne Zweiteilung zwischen Land und Meer und die geringe Bedeutung des Landes etwas infrage stellen. Ihn stört im wesentlichen, dass die neuen deutschen Fregatten und Korvetten dazu gerüstet sind küstennahe Städte auszuradieren:

“Die fünf Korvetten werden Ende 2010 erstmals kampfbereit sein. Die schnellen und wendigen-im Marinejargon- „Boote“der Klasse 130 haben es in sich. So verfügen sie über Tarnkappeneigenschaften, sind also für Radar- und Infrarotschirme nahezu unsichtbar. Die Korvetten wurden nicht mehr für die enge und flache Ostsee, sondern für weltweite küstennahe Kampfeinsätze geplant—und von ihnen können erstmals seit 1945 wieder Landziele von See aus beschossen werden. Geschossen wird aber nicht mehr ausschließlich mit vergleichsweise wirkungsarmen Kanonen, sondern mit im Wortsinne gewaltigen Raketen. Marinesoldaten sprechen lieber verharmlosend von Flugkörpern und Lenkwaffen. Die K-130 werden „zur präzisen Bekämpfung von Landzielen befähigt sein“, so die Auskunft der Marine, die kein Geheimnis aus der neuen Qualität ihrer militärischen Möglichkeiten macht.Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt, laut Flottenkommando, direkt an einer Küste, acht von zehn der größten Städte auf der Erde liegen am Meer. Die lenkbaren Raketengeschosse an Bord der Bundeswehr-Korvetten könnten nicht nur „präzise“ treffen, sondern mit ihrer monströsen Feuerstadt diese Großstädte auch zerstören“(S.174/ff)

Der Schwachpunkt des Buches

Wie immer bei Büchern über die angebliche neue Ohn- /Über- /Seemacht Deutschlands sollte man das einordnen.

„Laut Jahresbericht 2008 der Deutschen Marine finden 75% ihrer Vorhaben im bi- oder multinationalen Rahmen statt“ (S.195). Dh. Heißt der Maritime Komplex und die Bundesmarine sind keineswegs vergleichbar mit dem Flottenprogrammvon  Wilhelm II.Die Bundesmarine bleibt eine relativ kleine Teilstreitkraft von EU und NATO, allein unfähig größere Seegefechte zu bestehen, vielleicht aber imstande von See aus Städte auszulöschen. Aber diese angebliche Feuerkraft bleibt eine Behauptung die nicht näher mittels einer Analyse der Bewaffnung untermauert wird. Man weiss also nicht, ob es sich hier um eine Übertreibung handelt, die der Dramaturgie des Buches geschuldet ist.Zumal müsste man auch erst einmal analysieren, wo Landeseinsätze denkbar sind und sein Paradigma, dass „dem Meer“ oder der Marine eine Schlüsselrolle zukommen etwas relativieren.Es fehlt bei dem Buch zumal eine systematische Übersicht, was es an anderen Containerflotten, Kriegsschiffen und zukünftigen Programmen gibt.Zwar werden immer mal einige Bespiel aus anderen Ländern genannt, aber eben nicht systematisch vergleichend—zum Beispiel mit Hilfe von Statistiken oder Graphiken.Es fehlt eine Einschätzung wie mächtig der angenommene Maritime Komplex und die Bundesmarine sind. Nachdem Hermannus Pfeifer immer wieder dramaturgisch Wilhelm II und den US-Militärisch-Indutsriellen Komplex bemüht, muss er aber selbst eingestehen:

„Trotzdem sollte die wirtschaftliche Bedeutung der Marinrüstung nicht überschätzt werden.Mit einem Volumen von durchschnittlich vielleicht zwei Milliarden Euro pro Jahr macht die maritime Industrie mit Kriegsschiffen kaum mehr Umsatz als mit friedfertigen Segelbooten, Yachten und Surfbrettern.Im langfristigen Mittel entfallen laut Schiffbauverbund VSM ein Fünftel des Werftgeschäfts auf U-Boote, Korvetten und Fregatten.“(S.182).

Und weitere Entwarnung:

„Gleichwohl ist der heutige Maritme Komplex bei weitem nicht so militärlastig wie einst der Flotten-Komplex des Kaisers“.

Zu einer Seemacht gehören nun einmal mehr als eine zivile Containerflotte,die angeblich ein Drittel der Weltcontainerflotte ausmacht und ein paar Fregatten und Korvetten, deren reale Feuerkraft unklar bleibt.

Es fehlt ebenso eine Einschätzung, wo denn deutsche Bundesmarineschiffe global agieren werden.Es gibt nun einmal—vom hohen Meer abgesehen– nur sehr begrenzte Einsatzbereiche (Atlantik, Nordsee, Ostsee, Schwarzmeer, Kaspisches Meer, Mittelmeer, Suezkanal, Persicher Golf, Indischer Ozean, Kap der Guten Hoffnung, Malaka, Süd.und Ostchineisches Meer, Pazifik), die man einmal durchdeklinieren könnte. Zum Beispiel ein Bundesewhreinsatz im Rahmen der NATO am Persischen Golf gegen den Iran oder am Suezkanal. Auch wäre von Interesse in welchen Ländern die angedeuteten Flottenbesuche heute stattfinden und wo (noch) nicht. Ebenso voreilig ist es die US-Präsenz und angeblich neue maritime Hochrüstung der USA zu beschwören. Mag es zwar einen Rückkehr der 4. US-Flotte vor Südamerika geben, so beschweren sich doch American Enterprise Institute und Heritage Foundation ständig darüber, dass Obama und Gates die Flotte vernachlässigen würden, 100 Mrd. Dollar einsparen wollen und die Marine der erste Sparpunkt ist, wie auch die US-Flottenrüstung schon seit fast 2 Jahrzehnten rückläufig ist.Dennoch bleibt die Mahnung von Hermanus Pfeifer vor einem neuen maritimen Wettrüsten nicht falsch, es wäre nur besser zu begründen.Und sicherlich überlegenswert ist: „Die Folge ist ein labiles Ungleichgewicht mehrerer Seemächte.“(S.189).Aber genau zu diesen Punkten, die man vertiefen müsste, bringt das Buch aufgrund seiner Deutschland- und Komplexfixierung kaum etwas, jedenfalls keinen systematischen Überblick. Und mal ehrlich: Wer zittert vor der neuen „Seemacht Deutschland“? Die USA?? England, Frankreich, Spanien ,Italien, China, Indien, Süd-oder gar Nordkorea.Im Gegenteil:NATO und EU wären wahrscheinlich mehr angetan, wenn die deutsche Bundesmarine noch etwas aufrüsten würde.Das Buch ist schon ein wenig Alarmismus, der sich dann immer wieder selbst relativeren muss. Denn wieviele Flugzeugträger, U-Boote, ja Atom-U-Boote etc. hat Deutschland denn? Das Buch gibt hierzu keine Antwort.

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