Ägyptens Militär in der Identitätskrise

Ägyptens Militär in der Identitätskrise

Dass Ägyptens Armee sich auf die Seite der bürgerlich-demokratischen Demonstranten als neutraler Mittler gestellt hat, hat jedoch nicht seine Identitätskrise gelöst.Will es ein Motor der Wirtschaftsentwicklung wie die südkoreanischen Militärdiktatoren sein, also eine Entwicklungsdiktatur (weniger wahrscheinlich), will es wie das türkische Militär ein Wächter der sich entwickelnden Demokratie werden (wahrscheinlicher)oder sich vollständig aus Politik und Wirtschaft herausziehen (das grosse Fragezeichen???).Unter Sadat noch eine Grösse von 900 000 Soldaten,wurde das Militär in der Folgezeit von Camp David auf 500 000 zurückgestutzt und ihm ein eigenes Wirtschaftsimperium gegeben.

„Wie groß ist das Wirtschaftsreich der Militärs? Eine Antwort weiß, zumindest öffentlich, niemand. Der Ökonom Paul Sullivan, lange Gelehrter in Kairo und heute an der National Defense University in Washington, schätzt den Anteil der Militär-Wirtschaft am Bruttoinlandsprodukt von umgerechnet 138 Milliarden Euro auf „irgendwo zwischen fünf und 15 Prozent“; Joshua Stacher, ebenfalls mit langjähriger Erfahrung in Kairo und heute an der Kent State University, kalkuliert gar, dass das Militär zwischen einem Drittel und 45 Prozent der Wirtschaft kontrolliert. „Tatsache ist, dass niemand belastbare Daten hat“, gibt Sullivan zu.“ (WELT Februar 2011)

 

Nun stellt sich die Frage: Wozu braucht Ägypten noch eine riesige Armee von 500 000 Mann?Mögliche Kontrahenten wären Libyen, Sudan, Israel, aber es ist unwahrscheinlich, dass es hier zu ernsthaften Konflikten kommt (mit Ausnahme der kurzfristigen Möglichkeit, dass Ägyptens Militär quasi als Befreier der lybischen Opposition ins Ghaddafireich einmarschieren würde –aber hier zögern selbst die NATO und die USA).Es fehlt mittel- und langfristig das äussere Feindbild zur Legitimation. Die Frage nach einer Militärreform wird unausweichlich kommen.Bisher ist das ägyptische Militär prowestlich und hält an Camp David fest.Es wäre aber langfristig auch eine andere Entwicklung möglich. Infolge des Erstarken der Muslimbruderschaft, könnten Teile des ägyptischen Militärs sich gar für eine Art Sudanisierung einsetzen, d.h. eine ägyptische militärische Grossmacht, die Camp David kündigt und sich mit Sudan,Syrien, Iran, Hamas und Hisbollah gegen Israel mit Berufung auf das islamische Erbe zusammenschliesst und aussenpolitisch mehr auf Russland, China und Iran setzt als Kompensation für US-Militärhilfe.Ähnlich wie Militärdiktator Omar Bashir im Sudan als Gehilfen die islamistische Front von Turabi ins Boot nahm, könnte es zu einer Koalition von antiwestlichen ägyptischen Militärs, die von einer Grossrolle und Renaissance Ägyptens träumen mit der Muslimbruderschaft geben, vor allem, da die Muslimbruderschaft auch versucht Zellen innerhalb des Militärs aufzubauen.Pakistan ist ein zweites Beispiel, bei dem es unter dem Militär, speziell unter General Zia-ul Haq zu einer Islamisierung des Landes kam.Und die Türkei als neues Vorbild?

Es wird immer gesagt, die Muslimbruderschaft und/oder Wasat sei AKP-ähnlich.Mal abgesehen davon,ob das stimmt wäre zu fragen: Was will man damit eigentlich sagen?Ist die AKP der Türkei so harmlos und gut für den Westen?Betrachtet man sich die neue „No zero-problem“-Politik Erdogans und Davotoglus, so geriert sich die AKP-Türkei ja gerade als Hybris-macht–wohlgemerkt haben die türkischen Generäle scheinbar nichts dagegen einzuwenden.“No problems“ bedeutet mehr Aggressivität gegen Griechenland und Israel, aber Annäherung an Syrien,Iran, China, Russland, Abwendung von der Nato.

Während des Luftmanövers Anatolian Eagle hat die AKP-Türkei erstmals Israel und „proisrealische“ NATO-Staaten ausgeladen und Chinas Luftwaffe eingeladen. Türkeis und Chinas Luftwaffe flogen gemeinsam über den Bosporus und durften sogar auf Einladung des Irans über iranisches Territorium fliegen.Wie sähe dann die Aussenpolitik einer Ägypten-AKP oder gar der Muslimbruderschaft dann aus?Anbei ein herhorragender Artikel über die Aussenpolitik der AKP-Türkei von Gerd Höhler/Auslandskorrespondent des Handelsblatts.Man kann sich durchaus vorstellen, dass in Zukunft chinesische, russische und iranische Kriegsschiffe und Flugzeuge am Suezkanal kreuzen.

Bemerkenswert ist, dass die neue bürgerliche ägyptische Regierung und Ägyptens Militärrat inzwischen wieder diplomatische Beziehungen zum Iran hergestellt haben und erstmals seit der iranischen Revolution 1979 und Camp David zuliessen, dass iranische Kriegsschiffe den Suezkanal passieren durften.

(Ähnliche Szenarien spielt Michael Auslin am Beispiel der AKP-Türkei im Wall Street Journal vom 8.12.2010 in seinem Artikel „A Coming Sino-Turkish Axis?Ankara is turning away from Israel and cozying up to China“ durch–lesbar unter:

http://online.wsj.com/article/SB10001424052748703493504576007383529969542.html)


————————————————————————————-Naher Osten:
Türkische Großmachtträume

Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu sieht sein Land in einer neuen Rolle, der eines „Global Players“. Die Türkei, so erläuterte Davutoglu kürzlich vor Journalisten in Istanbul, sei nicht nur eine Brücke zwischen Ost und West, sie wolle künftig auch eine „Stimme der armen und unterdrückten Nationen des Südens gegen die reichen Länder des Nordens“ sein, ein „Gewissen der Welt“, das „weise Land der Erde“. An Sendungsbewusstsein mangelt es dem türkischen Chefdiplomaten nicht. Aber er ist dabei, sich zu übernehmen.

Heute empfängt Davutoglu im ostanatolischen Erzurum den griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou. Der Athener Premier soll dort vor der Konferenz der türkischen Botschafter sprechen. Außenminister Davutoglu hat seine Missionschefs aus aller Welt in die Heimat beordert. Das Motto der Tagung lautet: „Visionäre Diplomatie – die globale und regionale Ordnung aus Sicht der Türkei“. Seinen Diplomaten will Davutoglu einmal mehr das Credo seiner Politik verkünden: „Null Probleme mit den Nachbarn“.

Davon merken allerdings die Griechen bisher wenig. Wenige Stunden vor Papandreous Abreise nach Erzurum donnerten acht türkische Kampfjets über die griechische Insel Agathonissi. Mit solchen Überflügen unterstreicht die Türkei ihre Gebietsansprüche in der Ägäis. „Null Probleme“, davon ist die Türkei auch im Verhältnis zu Zypern weit entfernt. Sie hält den Norden der Insel seit 1974 besetzt und erkennt die Republik Zypern nicht an, verhandelt aber gleichzeitig mit der EU, der Zypern bereits angehört, über einen Beitritt. Alles andere als problemlos sind auch die Beziehungen zu Jerusalem. Selbst in Ankara beginnen sich manche zu fragen, ob es „weise“ war, die Brücken zu Israel abzubrechen.

Gestützt auf ihre gewachsene wirtschaftliche Stärke, tritt die Türkei international zunehmend selbstbewusst auf. Davutoglu sieht sein Land als Ordnungsmacht, das künftig im Nahen Osten den Ton angibt. Das ist keine geringe Ambition. Denn die Region laboriert wie kaum eine Weltgegend an Rivalitäten, religiösen und ethnischen Konflikten. Überdies trägt die Türkei als Nachfolgerin des Osmanenreiches, das diese Weltgegend jahrhundertelang beherrschte, besondere historische Altlasten. Das erfordert Realitätssinn und Fingerspitzengefühl. Beides lässt die Türkei aber vermissen.

Etwa wenn sie den kürzlich zwischen Israel und Zypern geschlossenen Vertrag über die Aufteilung der Öl- und Gasvorkommen zwischen den Küsten beider Länder kurzerhand für „null und nichtig“ erklärt und im Namen der türkischen Zyprer Ansprüche auf die Bodenschätze anmeldet. Zu Recht heißt es im israelischen Außenministerium, es zeuge von „Chuzpe“, wenn Ankara aus der völkerrechtswidrigen Besetzung Nordzyperns auch noch Rechte auf ein Erdgasfeld vor der Küste Israels ableite.

Im Verhältnis zu Israel steht die türkische Außenpolitik ohnehin vor einem Scherbenhaufen. Noch vor wenigen Jahren war die Türkei der engste Verbündete Israels im Nahen Osten – keine Liebesbeziehung, aber ein Zweckbündnis, das beiden Ländern nützte. Doch der türkische Premier Tayyip Erdogan hat die Brücken abgebrochen. Der politische Hitzkopf Erdogan wirft Israel „Lügen“, „Staatsterror“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vor, hofiert die radikal-islamische Hamas und das Mullah-Regime in Teheran. Seit dem israelischen Angriff auf eine Gaza-Hilfsflotte, bei dem neun Türken getötet wurden, ist das Verhältnis völlig zerrüttet.

Während Erdogan und Davutoglu darauf bestehen, Israel müsse sich bei der Türkei öffentlich entschuldigen, wird immer offensichtlicher, dass der Bruch mit Israel den Interessen Ankaras schadet: Sofort sprangen die Griechen in die Bresche. Das früher distanzierte Verhältnis zwischen Athen und Jerusalem ist besser als je zuvor. Israelische Luftwaffenpiloten trainieren jetzt im griechischen Luftraum, nachdem sie über Anatolien nicht mehr willkommen sind. Und nun plant die Regierung in Jerusalem, Griechenland als Drehscheibe für künftige Flüssiggasexporte nach Westeuropa zu nutzen – eine Rolle, die eigentlich der Türkei zugedacht war.

Erdogan mag die Lobeshymnen, die aus Teheran herüberschallen, genauso genießen wie die Huldigungen, die ihm als Volkshelden auf den Straßen der arabischen Welt zuteil werden. Aber die Türkei gewinnt dadurch nicht wirklich an globalem Gewicht und Ansehen. Mit ihrer von Emotionen und nostalgischen Großmachtträumen getriebenen Außenpolitik isoliert die Regierung in Ankara das Land und gefährdet seine europäische Perspektive. Als die Türkei im vergangenen Juni gemeinsam mit Brasilien im Uno-Sicherheitsrat gegen die verschärften Iran-Sanktionen stimmte, horchte man im Westen auf.

http://www.handelsblatt.com/meinung/kommentar-politik/naher-osten-tuerkische-grossmachttraeume;2725642

Handelsblatt 07.01.2011

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