Furcht und Unsicherheit in Ägypten (I)

Furcht und Unsicherheit in Ägypten (I)

Es war ein kurzes Machtvakuum. Nach heftigen Straßenschlachten zog sich die Polizei zurück. Am 28. Januar brannte die Parteizentrale der regierenden NDP. Dann griff das Militär ein. Die Situation eskalierte? Nein. Die Protestanten empfingen das Militär freudig. Fast als Befreier. Was war geschehen? Das Militär, so klärten uns die Medien sogleich auf, genieße in Ägypten großes Ansehen. Mubarak gelte als Herr des Unterdrückungsapparates, das Militär sei hingegen nicht korrumpiert. Oberflächliche Nachforschungen lassen das als fragwürdig erscheinen. Nicht nur bildet das Militär eine privilegierte Kaste und besitzt erhebliche ökonomische Interessen bis hin zur Nahrungsmittelproduktion, es ist auch die Instanz die entscheidet, wer im Staat das Sagen hat. Es gibt niemand anderen, der es an Gewaltmitteln mit ihm aufnehmen kann. Mubarak selbst und prominente Figuren seines Kabinetts waren angesehene Militärs. Wenn es je einen militärisch-politisch-industriellen Komplex gegeben hat, dann diesen. Das Militär scheint – viel mehr noch als die Polizei – die Gewalt zu sein, auf deren Loyalität Mubarak sich unbedingt verlassen kann. Und dennoch glauben die Demonstranten, das Militär sei auf ihrer Seite.

Kein Diktator kommt ohne Anhänger aus. Sein Sturz beschwört daher stets die Gefahr eines Bürgerkriegs. Auch in Ägypten wurden die Sympathisanten mobilisiert. Die Polizei verfügte über bewaffnete Paramilitärs, die *Baltagayyah*, die am 2. Februar erst mit Kamelen, dann mit Steinwürfen, schließlich mit Gewehren den Tahrir-Platz zu stürmen versuchten; Staatsunternehmen schickten angeblich Belegschaften mit Bussen zu Gegendemonstrationen; und vermutlich nicht wenige Bürger, Angestellte und Arbeiter schlossen sich an, weil scheinbar nichts mehr funktionierte, weil angeblich Chaos herrschte. Dennoch kam es nicht zur libysche Lösung. Der Bürgerkrieg blieb aus. Am 2. Februar gab es Zehntausende die für Mubarak demonstrierten – sicher nicht alle von ihnen bezahlte Agenten oder Polizei in Zivil –, aber danach konnten sie auf der Straße nie wieder eine entscheidende Rolle spielen.

Einige Demonstranten sind enttäuscht. Schließlich hat es das Militär – das nicht sich mit den Demonstranten, wohl aber die Demonstranten sich mit ihm solidarisiert hatten – nicht eingegriffen, während die Schergen des Mubarak-Regiems Dutzende von Demonstranten umbrachten. Dennoch ist das Vertrauen ins Militär ungebrochen.

Dieses Ansehen liegt nicht nur daran, dass die Armee nicht die die Schmutzarbeit verrichtet hat; dafür waren andere Sicherheitskräfte zuständig. Es liegt auch daran, dass diese Armee als Heldin im Kampf gegen Israel gilt, über das sie 1973 im Yom-Kippur-Krieg einen Sieg davon getragen haben. (Mit der historischen Wahrheit nimmt es die Heldenverehrung nicht so genau.) Und tatsächlich fanden sich in Diskussionsrunden immer wieder einige, meist ältere Herren, die nun mit leuchtenden Augen für Israel andere Zeiten aufziehen sagen. Aber auch diese Wahrheit ist nicht die Ganze. Denn die Eiferer wurden übergangen und der Rest wollte lieber über Demokratie und Demonstranten sprechen. Und diese Demonstranten waren keineswegs damit beschäftigt, amerikanische und israelische Fahnen zu verbrennen. Auch das war neu.

Aber waren es überhaupt die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz, die Mubaraks Sturz bewirkten. Wenn ja, wie gelang ihnen das? War die Regierung so sehr von Kundgebungen öffentlichen Unmuts beeindruckt? Oder gab es andere Entwicklungen, die nicht gleichermaßen im Blick der Öffentlichkeit standen? Immerhin gab es die organisierten Arbeiter, die am Tag vor Mubaraks Sturz zu einem Generalstreik aufriefen und denen gewerkschaftliche Aktivitäten nach der Machtergreifung des Militärs sogleich verboten wurden.

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