Carl und Bertha (Benz): Deutsche Nostalgie nach den Gründerzeiten

Carl und Bertha (Benz): Deutsche Nostalgie nach den Gründerzeiten

Gestern lief im ARD „Carl und Bertha“–die Geschichte des Autoerfinders Carl Benz und seiner Ehefrau Bertha. Dabei lag die Betonung auf der Liebe zwischen Carl und Bertha, die so gross ist, dass sie auch in stürmischen Zeiten durchhalten, als der Glaube die grosse Erfindung zu machen und das Projekt zu realisieren schon nachlässt und unter Beschuss von allen Seiten liegt. Verwandte, die abraten, der Sohn, der den Vater als selbstsüchtigen Spinner tituliert, die Nachbarn und Bekannten, die das Paar nur belächeln, Investoren, die abspringen, die Widrigkeiten von Patentstreitigkeiten und der Konkurrenz, streckenweise Armut, etc. — doch Carl hält durch, da Bertha ihm eine Stütze ist.  Als er schon selbst nicht mehr daran glaubt, dass ein Motorwagen funktionstüchtig ist und ihm ein Investor die Überlassung der Patentschrift ultimativ zum Unterschreiben vorlegt, siegt der Glaube an und die Liebe zu Bertha, die in eigener Initiative mit den Söhnen mit dem klapprigen Motorwagen aufgebrochen ist, um den langen Marsch/die lange Fahrt nach Pforzheim zu wagen und diese dann–Happy End–in 12 ,5 Stunden schafft. Eine gelungene Werbeaktion und Produktpräsentation- und demonstration, die dem Motorwagen gesamtgesellschaftlich zum Durchbruch verhilft.

Dieser Film, der Ursula von der Leyen und Peter Hahnes Drehbuch entsprungen sein könnte, betont die Werte des Glaubens, der Familie und des Unternehmer- und Erfindertums . Und was wiederum Alice Schwarzer gefallen würde: Starke Frauen machen Geschichte! Nicht nur Männer. Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke Frau. Ein sehr wertekonservativer Film, der auch nicht „Die Benz“oder „Daimler-Benz“ heisst und eine typische Familiensaga der Macht erzählt, sondern eher eine Lovestory von eher ohnmächtigen Protagonisten, die dann gut und erfolgreich ausgeht, da die Liebe und der Glaube siegt und Berge verrückt. Nur: Wieviele solcher Erfinder oder vermeintlicher Erfinder es wohl gab, bei denen die Geschichte anders ausgegangen ist. Davon erzählt kein Fernsehfilm. Nur die erfolgreichen Erfinder werden erwähnt und damit gibt es selektiv nur Happy-Ends. Nach „Die Krupps“ nun also ein neues Stück erfolgreicher deutscher Industriegeschichte. Man darf schon gespannt sein, wer als nächster Industriellenclan verfilmt wird. Jedenfalls scheint eine gewisse Nostalgie nach den guten alten Erfinder- und Gründerzeiten zu bestehen, als der rheinische Kapitalismus noch erfolgreich und Deutschland in der Aufschwungphase und noch keine Wirtschaftsmacht China in Sicht war.Wieviele Carl und Berthas es wohl heute gibt in der zunehmenden Single- und Alleinerziehendengesellschaft? Die Frage ist auch: Gab es nicht genug eigenbrödlerische Singles unter den Forschern und Erfindern, die gerade ohne Familie und Lebenspartnerin zu enormen wissenschaftlcihen Leistungen kamen, da sie keine Doppelbelastung hatten? Z.B. Einstein–bei ihm hat man noch nie etwas darüber gelsen, dass eine Partnerschaftsbeziehung wesentliches zu seiner Relativitätstheorie beigetragen hätte. Ob man also Erfindergeist und Familienwerte so untrennbar miteinander filmisch verbindet, zeigt wohl eher, dass Carl und Bertha ein mehr familienpolitischer Film ist, der meint die alte Konstellation von konservativen Familienwerten, Liebe und Glauben mit Erfindungsreichtum gleichsetzen zu können. Die Frage ist, ob dies in unserer heutigen Gesellschaft so reproduzierbar ist, was die Hoffnung aller wertkonservativen Menschen ist. Motto: Zurück zu den alten Werten und Deutschland wird innovationsfähig und löst die demographische Lücke. Heutezutage dürften die meisten Erfinder und Forscher zumal sozial besser gestellt und gesellschaftlich angesehener sein und im schlimmsten Fall Hartz-4 empfangen–im Gegensatz zu den Erfindern der Jahrhundertwende, wo dies wohl eher eine reale Existenzfrage war. Dennoch ist Carl und Bertha ein positiver Film, da er nicht eine dieser US-amerikanischen Serien ist, bei denen es 5 Tote in den ersten 2 Minuten braucht, um als überhaupt spannend wahrgenommen zu werden und auch versucht positive Vorbilder und Leitbilder zu entwerfen. Es ist interessant, dass auf ARTE die BBC-Dokumentation „Helden der Wissenschaft“ gesendet wurde. Es scheint eine neuere Tendenz zu geben, Erfindern und Wissenschaftlern wieder mehr gesellschaftlichen Stellenwert zu geben, was zu befürworten wäre.

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