Unterschichten-TV ersetzt Sozialarbeiter

Unterschichten-TV ersetzt Sozialarbeiter

Sie zählen inzwischen Legionen: Die TV-Serien in RTL 2, Sat1 und RTL, bei denen Schuldenberater prekariäre Unterschichtler entschulden, Ernährungsberater dem Hartz4-ler sein Bier, Chips und Fernsehen streichen, Supernannys Kinder-Eltern-Konflikte innerhalb von Assifamilien eingrenzen, TV- 1-Euro-Volksanwältinnen wie Danny Lowinski medial  1-Eurojobbern und den sozial Gestrauchelten  zu sozialer Gerechtigkeit verhelfen, Räumtrupps Messis die Wohnung ausmisten, Journalisten Mietnomaden bei der Begleichung ihrer ausstehenden Miete helfen wollen, Arbeitslosen bei der Jobsuche helfen oder übergewichtige menschliche Fleischtonnen mit dem Kran aus dem Bett hieven. Diese Serien scheinen eine sehr gute Quote zu haben, vor allem unter der deutschen Unterschicht, die sich hier die Illusion abholt, ihr würde geholfen. Sieht man sich die sozialen Kürzungen an, so werden ja gerade Sozialarbeiter und ähnliche Berufsgruppen staatlicherseits massiv gekürzt, sind die Berater der Jobcenter und Arbeitsagenturen nicht einmal mehr telefonisch zu erreichen und ächzten die Schuldenberatungen unter der immer mehr anwachsenden Zahl der Fälle. Wie Michael Naumann, Kulturstaatssekretär unter der SPD-Grünen-Regierung selbstkritisch in der FAZ feststellt:

Zehn Prozent der Haushalte mit den höchsten Einnahmen haben inzwischen elfmal so viel Geld wie die zehn Prozent am unteren Ende der Gesellschaftsskala. Drastischer gesagt: Zehn Prozent der Deutschen verfügen über 56 Prozent des privaten Eigentums. Fast die Hälfte der Bevölkerung besitzt indes nur über zwei Prozent der Vermögenswerte. Inflationsbereinigt stagniert das deutsche Durchschnittseinkommen der Mittelschicht seit fast drei Jahrzehnten. In Frankreich und im restlichen Westeuropa stiegen die Nettoeinkommen hingegen Jahr für Jahr. Der Euro machte es möglich. In der Bundesrepublik wurde man oben reicher, in der Mitte bescheidener und unten ärmer.

http://www.faz.net/artikel/C30717/krise-des-buergertums-auch-die-linken-haben-nichts-geahnt-30492603.html

In dieses reale Vakkum von Sozialabbau, Einkommensschere und Kürzung von Sozialarbeitern stossen nun die Fernsehprogramme der Privatsender, die suggerieren hier werde geholfen. Dazu ist ein Teil der Programme „scripted reality“, also von Schauspielern gespielt. Der andere Teil zahlt sozial benachteiligten Familien dafür, dass sie sich durch die multimedialen Gassen öffentlich lächerlich machen können und als Negativbeispiele vorgeführt werden. Doch diesen Serien geht es auch darum, hier auch dem Rest der Bevölkerung zu zeigen, was für Ekelpakete und Assis sozial benachteiligte Menschen sind: Arbeitsfaul, alkoholabhängig, übergewichtig, häßlich. Man soll sich so richtig den Ekel und die Abscheu vor diesen Menschen holen. Zu jeder Sozialkürzungsrunde tauchen dann auch noch solche Kampagnen gegen Viagra-beziehende Sozialhilfeempfänger wie Florida-Rolf oder den bekennenden Arbeitsunwilligen Dübel auf, die den Sozialneid nach unten gegen Hartz-4-Empfänger anstacheln sollen. Während die öffentlich-rechtlichen sich dieser Gruppe gar nicht annehmen in ihren Programmen und sie verschweigen, stürzt sich das private Unterschichtenfernsehen hier wonnig darauf und deckt diese Marktlücke ab. Es hat den Anschein, dass das staatliche Fernsehen nur noch die Mittelschichten bedient, während die Privatsender beim Unterschichtenfernsehen schon quasi das Monopol haben.Während sich Ethikkommissionen berechtigterweise über Sendungen wie Big Brother, Dschungelcamp und Die Alm echauffieren, bleibt  die Darstellung sozial benachteiligter Menschen in den Privatmedien auffällig unkritisiert.Mit der von Merkel angekündigten Agenda 2020 dürften weitere Kürzungen im Bereich der Sozialarbeit zu erwarten sein—die Privatmedien werden es danken und diese Lücke weiter medial bedienen.

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