Kambodscha: Pol Pot und der Agrarkommunismus

Kambodscha: Pol Pot und der Agrarkommunismus

Bei den vielen Dokumentationen und Werken über Pol Pot und die Roten Khmer fiel mir immer wieder auf, wie wenig es Schriftliches ihrer Seite über sich selbst gibt. Während Lenin, Mao, Stalin, Ho Chi Minh, ja selbst Castro als Vielschreiber bezeichnet werden können, die deutsche Linke lange und oft aus ihren gesammelten Werken oder Maobibeln zitieren konnte, ist über PolPot und die Roten Khmer scheinbar nicht viel Schriftliches erhalten oder aber zumindestens nicht veröffentlicht worden.Als ich 1992 in Kambodscha war, konnte ich trotz intensiver Recherche keine Texte von Pol Pot oder seine Handlangern erhalten. Es schien kaum Zitierfähiges und Gedrucktes zu geben. Über Umwege stiess ich dann über das Archiv des Kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) auf eine Doktorarbeit von Pol Pots rechter Hand Khieu Samphan, die er während seiner französischen Studentenzeit verfasst hatte—sehr zum Gefallen seines Professors und die in einer KBW-Zeitung in voller Länge veröffentlicht wurde. Doch auch wenn man sich diese Schrift durchliest, wird zwar die kambodschanische Wirtschaft als Kolonialwirtschaft geschildert, aber keineswegs klar, welchen Ausweg der Autor denn zu gedenken nimmt.Während man in China oder der Sowjetunion die Werke Mao Tsetungs oder Stalins lesen und  rezitieren können musste, sie quasi Allgemeinwissen waren, scheint es dies in Kambodscha nicht gegeben zu haben.Es gab zwar einen Personenkult um Pol Pot, aber schriftliche Werke von ihm scheinen dabei nie eine Rolle gespielt zu haben. Auch in der damaligen westlichen Linken finden sich zwar immer ellenlange Zitate von Mao, Stalin, Castro, Ho Chi Minh, aber eben –mit Ausnahme von 3 KBW-Artikeln- nie von Pol Pot. Man kann Vermutungen anstellen, warum dies so war. Vielleicht liegt dies auch in der Logik des Roten Khmer-Antiintellektualismus- und Agrarkommunismus, der lesende Menschen als schon quasi bürgerlich-bourgoise und damit reaktionäre Klasse sah, die man ausrotten musste. In Pol Pot-Kambodscha wurden ja auch Menschen ermordet, weil sie Brillen trugen und somit als Lesende und Gebildete, damit als potentielle Feinde angesehen wurden.

Pol Pots gesammelte Werke, eine Maobibel auf kambodschanisch oder aber eine Art „Mein Kampf“ scheint es nicht gegeben zu haben. Dabei hielten die Roten Khmer all ihre Verhöre in ihren Konzentrationslagern pedantisch fest, sind auch innerparteiische Dokumente erhalten. Aber von Pol Pot und seiner KPK scheinen bis heute noch kaum interne Briefwechsel, Erklärungen oder Dokumente vorzuliegen. Ob dies nun an der Geheimhaltung der Angkar lag oder diese allesamt vernichtet wurden, ist nicht zu klären. Auffällig ist jedoch, dass bisher noch kein Dokumentarfilm, linke Kenner der damaligen Szene oder die Vertreter des Internationalen Gerichtshofes derartige Dokumente zitiert haben. Es ist schon seltsam, dass es von Pol Pot und seinem engeren Umkreis von der französischen Zeit bis heute keinerlei schriftliche Zeugnisse geben soll. Oder werden sie einfach nicht ausgewertet und verbleiben Dokumentationen lieber an der gruseligen Oberfläche der Roten Khmer, die sich sensationslüsternd mehr an den Grausamkeiten des Pol-Pot-Regimes ergötzt ?

Pol Pots Agrarkommunismus—Sonderweg zum sowjetischen, vietnamesischen  und chinesischen Modell

Ob Lenin,Stalin. Mao oder Ho Chiminh—alle befassten sie sich in ihren Programmen mit einem alternativem Industrialisierungsprogramm zum Westen, das diesen überholen sollte. Alle sahen einen streng planwirtschaftlichen Weg dahin und sahen im Kapitalismus vor allem den Kolonialismus. Doch es gab schon die ersten Unterschiede: Während die Sowjetunion vor allem Hochtechnolgie und Gross- und Schwerindustrie förderte, sah Maos Industrialisierungsplan vor allem die Massenlinie vor, die mit kleinen Hochöfen in jedem Hinterhof mittels des Grossen Sprungs nach vorn die Stahlproduktion Chinas vorantreiben sollte.Maos Revolution unterschied sich auch von der russischen, da sie vor allem die Bauern im Zentrum hatte. Ho Chiminh versuchte mittels der Kollektivierung der Landwirtschaft und der Förderung der Schwerindustrie ebenso sein Land voranzubringen. Ganz anders wiederum Kambodscha unter Pol Pot: Die erste Massnahme war, die Städte zu entvölkern, die städtische Bevölkerung in Agrarkommunen umzusiedeln und mittels eines riesigen Bewässerungssystems eine Art Agrarkommunismus herzustellen. Weder Lenin noch Stalin noch Mao noch Castro noch Ho Chi Minh wäre jemals auf die Idee gekommen, ihre Grosstädte zugunsten eines Agrarkommunismus zu entvölkern. Zwar ähnelten Pol Pots Agrarkommunen den chinesischen Volkskommunen, doch waren diese auf Ausbeutung der Bevölkerung angelegt—der Nahrungsmittelverbrauch wurde anders als in China völlig reduziert und diese Agrarkommunen glichen militärische  Konzentrationslagern, bei denen das möglichste an Arbeitsleistung aus der Bevölkerung herausgepresst wurde. Eine eiserne Reisschüssel wie in China gab es jedoch nicht.

Die Hungerskatastrophe in China ist mehr dadurch zu erklären, dass die Bauern wegen der eisernen Reisschüssel sich so richtig vollassen und dann die landwirtschaftliche Produktion ausging. Während es in Kambodscha unter Pol Pot eine absolute Hungersration von Anfang an gab. Aus den Menschen sollte das Extremste herausgeholt werden und in ihrem Begriff von Produktivität wollten sich die Khmer Rogue in nichts überbieten lassen. Hungern und maximales Arbeiten fürs Vaterland war die Devise. Ihr Konzept des Agrarkommunismus stellt eben auch den wesentlichen Unterschied zur Sowjetunion, China und Vietnam dar. Der Pol-Pot-Kommunismus wollte eine egalitäre Agrargesellschaft, die sich frei machte von den Zwängen der Grossstädte.Ebenso schien sich Pol Pot sehr reaktionär auf die alte Blütezeit der Angkor-Wat-Kultur Kambodschas zurückzubesinnen, als Kambodscha noch ein mächtiges Reich war und die Menschen scheinbar unverdorben in einer zentralstaatlich gesteuerten hydraulischen Gesellschaft entlang der Bewässerungssysteme des Mekong lebten.Von daher war der Agrarkommunismus der Roten Khmer eine durchwegs reaktionäre Ideologie, die von alten Mythen und Legenden eines prosperierenden Khmer-Reiches zehrte. Die Frage ist bisher ungeklärt: Warum und ab wann entwicklete Pol Pot seine Idee des Agrarkommunismus, die ja vom industriellen Fortschrittsdenken der anderen kommunistischen Parteien sehr offensichtlich abweicht? Entstanden diese Ideen schon in seiner Zeit in Frankreich–vielleicht als Ausfluss der Rousseauschen Idee des edlen Wilden, den er im industriell unberührten, bäuerlichen Naturmenschen sah? Oder als Reaktion mit seinen Erfahrungen mit der kapitalistischen Industriegesellschaft Frankreichs, die ihn vielleicht abstiess ? Oder erst später als Zuspitzung der maoistischen Ideen eines Kommunismus, der auf die Bauernklasse als Hauptsubjekt setzt? Oder waren da eben auch nationalistische Gedanken im Spiel, wonach die Khmer-Kultur in der hydraulischen Agrargesellschaft von Angkor-Wat ihren Höhepunkt hatte? Oder war Pol Pots Aufenthalt in China in den 60ern und Maos Bauernkommunismus samt Volkskommunen das inspirierende Grunderlebnis? Es gibt mit David Chandler , Short und Matthias Böhme mindestens 3 Autoren, die die Deutung des Pol-Pot-Agrarkommunismus als Ausfluss Rouseauscher (und Sartrescher) Ideen teilen:

Pol Pot and his cohorts, many of whom were educated in France and received militant training from the French Communist Party, boasted that they were influenced by Jean Paul Sartre’s doctrine of “necessary violence” and Jean Jacques Rousseau’s charge that the perfect state must “possess men and all their powers.” On the way towards establishing the Marxist paradise, therefore, Pol Pot – whose brother-in-law said: “Pol Pot thought that he was above everyone else on the whole planet … a god on earth” – eliminated Cambodia’s property and business owners and its intellectual class. And faithful to Rousseau’s dictum that “cosmopolitanism” was the rooot of all evil, Pol Pot ordered the depopulation of the nation’s urban centers.

http://www.thecatholicthing.org/columns/2011/cambodias-genocide-and-catholic-slaughter.html

Die Gründe für diese beispiellose Radikalität wurzeln nicht zuletzt in ihrer Ideologie. Sie umfaßte neben dem Marxismus-Leninismus auch eine besondere anthropologische Vision: In einem jeden Mensch, so glaubten die Roten Khmer, schlummere eine egalitäre Haltung, die den Gedanken des Eigentums nicht kenne und mit der sich private Interessen sofort den öffentlichen beugten. Es waren die Ideen des französischen Philosophen Jean Jacques Rousseau (1712–1787), die sie dazu inspirierten. Einige der Führer der „Roten Khmer“ hatten sich mit ihnen vertraut gemacht, als sie in den 1950er Jahren in Frankreich, der einstigen Kolonialmacht studiert hatten – allen voran Pol Pot selbst, der, wenn auch erfolglos, einige Semester Radioelektronik belegt hatte. Um einen neuen Menschen zu „erziehen“, versuchten die Roten Khmer, das abzuschaffen, was nach ihnen für dessen alleinige Korruption verantwortlich war: die moderne Großstadt mit ihrem Bürgertum. Auch darin folgten sie Rousseau, denn dieser pries das ländliche Leben und sah die Stadt als Hort von Laster und Entfremdung an, in der man nicht mehr wagt, „als der zu erscheinen, der man ist“.

http://www.webarchiv-server.de/pin/archiv09/0320090117paz35.htm

 

At the same time, Sâr developed the distinctive ideology which made the CPK very different from all other Marxist-Leninist parties. He mistrusted the working class, relying instead on the poor peasantry whom he saw as the incarnation of Rousseau’s ‘noble savage’ (Short, 2004).

http://www.massviolence.org/Saloth-Sar-Pol-Pot

Weitere Fragen wären:Hatten die Khmer-Rogue so etwas wie eine Wirtschaftstheorie? Hatten sie (5-oder 10-)Jahrespläne, wie dies etwa die Sowjetunion, Nordkorea, China oder Vietnam hatten? Falls ja, wäre ja mal interessant, was sie als Planvorgaben hatten.Gab es überhaupt Sollziele oder war die Devise eher: So hart arbeiten, wie möglich und möglichst viel rausholen? Wer war eigentlich Wirtschaftsminister unter Pol Pot und gab es überhaupt solch einen Posten? Oder war Pol Pots Ökonomie nur auf Subsistenzautarkie angelegt, da Reichtum und ein Mehrprodukt die Leute nur dekadent macht und ideologisch degeneriert ? War Wirtschaftswachstum überhaupt eine Kategorie der Khmer Rogue? Und: Hatte PolPot völkisch-rassistische Elemente in seiner Ideologie, die von einem überlegenen bäuerlichen Khmer-Volk von Blut, Boden und Scholle ausging und Minderheiten wie vietnamesisch- oder chinesischstämmige Kambodschaner oder aber die muslimischen Chams ethnisch ausrotten wollte? All diese Fragen bleiben leider in den bisherigen Publikationen noch offen und wären einmal näher zu untersuchen.

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