Die Akademisierung von Chinas Führungsschicht: Wenn Gelehrte China regieren

Die Akademisierung von Chinas Führungsschicht: Wenn Gelehrte China regieren

Bei der Rekrutierung der politischen Führungsgarnitur Chinas zeichnet sich ein neuer Trend ab. Waren die Mitglieder der  Generation der politischen Führungsschicht unter Mao und Deng mehr „bildungsferne“ , aber eben desto loyalere Revolutionsveteranen, Parteisoldaten und Militärs (z.B. die berühmten 10 Generäle), die  Generationen unter den Präsidenten/Ministerpräsidenten Jiang Zemin/Li Peng, Hu Jintao/ Wenjaibao dann Technokraten mit einem Studienabschluss in Naturwissenschaften wie Maschinenbau, Geologie (Wen Jiabao) Elektroingieneurswesen (Jiang Zemin), Hydroelektikingieneurswesen (Hu Jintao, Li Peng), so versucht nun Xi Jinping Ökonomen, Geistes- und Gesellschaftswissenschaftler und andere Naturwissenschaftler aus dem Bereich der neuen Industrien (IT, Luft- und Raumfahrt) zu rekrutieren, dabei gleich auch leibhaftige Universitätspräsidenten.  Das mag auch an dem eigenen akademischen Hintergrund Chinas jetziger Führer liegen: Präsident Xi Jinping selber hat zwar an der Qinghua-Universität ähnlich wie seine Vorgänger Chemieingenieurswissenschaften studiert, dann aber ein Studium der Rechtswissenschaften angeschlossen und auch marxistische Philosophie studiert. Sein Ministerpräsident Li Keqiang studierte Wirtschaftswissenschaften.

Das wirkt sich dann auch im Stil aus: Verwandte Hu Jintao eher trockene Daten, Statistiken und Zahlenkolonen in seinen Reden, so zeichnet sich Xi Jinping mehr durch eine blumige Sprache mit Literaturzitaten und Metaphern aus, wobei Xi auch soziale Medien, Comics und Videos nutzt, um die jüngere Generation anzusprechen. Ebenso bezeichnend ist, dass der Student der marxistischen Philosophie Xi Jinping neokonfuzianische Strömungen zurückdrängte, wieder mehr die Betonung auf den Marxismus legte, vor allem auf den historischen Materialismus, der der KP China eine historischen Mission verleihen soll, kurz: sich als Geisteswissenschaftler auch eigene Gedanken um die ideologische Ausrichtung der Partei macht, die er seiner Ansicht nach durch eine historische Mission des „friedlichen Aufstiegs“ zur kommenden Weltmacht innen- wie auch außenpolitisch als Erfüllung des „chinesischen Traums“ in Anlehnung an den „Amerikanischen Traum“ legitimiert sieht, der die mehr semikonfuzianische Vorstellung Hu Jintaos von der „harmonischen Gesellschaft“komplementieren, wenn nicht gar ablösen soll.

Zumal eben auch angesichts von Dengs „Reichwerden“-Materialismus, der Sinnleere, dem moralischen Zerfall, Korruptionserscheinungen und dem Aufkommen der Falungong, die zeiweise auf 100 Millionen Anhänger, also mehr als die 65 Millionen Mitglieder der KP China kam und nach ihrem Verbot noch über ein starkes Untergrundsnetz an harten Kadern verfügt, sich als Vertreter der chinesischen Kultur, Moral und als eigentlicher Sinnstifter Chinas präsentierte, die Stimmen in der KP China lauter wurden, die ein kommunistisch-sinnstiftendes Gegenangebot einforderten. In diesen Kontext wurde Xi Jinping als geisteswissenschaftlicher  Student der marxistischen Philosophie gewählt, der den kapitalistischen „chinesischen Traum“ auf Grundlage des kommunistischen historischen Materialismus formulierte.

Welche Geistesleistungen von den chinesischen Geisteswissenschaftler gefordert werden, verdeutlicht die chinesische Interpretation des Buchs des linken, gesellschaftskritischen US-Autors Arthur Millers “ Tod eines Handlungsreisenden“, das auch in China erhältlich ist, aber völlig anders als im Westen rezipiert und gelesen wird. War Millers Roman eine Kritik am Kapitalismus und am amerikanischen Traum und dessen leeren Versprechungen und Illusionen, so wird dies von Chinas Literaturwissenschaftlern in die diametral entgegengesetzte Version uminterpretiert: Der im Roman an dem amerikanischen Traum gestrauchelte Protagonist Willy Lomann wird als guter und vorbildlicher Familenvater mit hohen Familienwerten dargestellt, der seine Söhne im amerikanischen, sprich: konfuzianischen Geist  und zu ökonomischen Drachen  und willensstarken, erfolgreichen Geschäftsleuten erziehen will. Somit wird „Der Tod eines Handlungsreisenden“ in China als Apologie auf Kapitalismus, Familie und den chinesischen Traum verstanden. Eine sehr pragmatische Literaturinterpretation, die kapitalismuskritische Werke globalisierungskompatibel , systemaffirm und kapitalismuskonform macht. Desweiteren werden Legionen von chinesischen Ökonomen, Politologen und Philosophen angehalten Marxs „Kapital“und die Arbeitswerttheorie den Bedürfnissen einer „sozialistischen Marktwirtschaft mit chinesischen Besonderheiten“ anzupassen, was offiziell auch als „Vertiefung des Marxismus“ bezeichnet wird.

Personell kann man die weitere Akademisierung der chinesischen Führungsschicht auch  an folgenden konkreten Beispielen aufmachen: Im Oktober 2015 wurde Chen Yulu, Präsident der Fudan-Universität zum Vizegouverneur der Chinesischen Volksbank ernannt. Während der letzten 10 Monate wurden weitere 5 Universitätspräsidenten in wichtige politische Positionen in den Ministerien des Staatsrates berufen. Wang Huning, nun Direktor des Zentralen Politikforschungszentums  des Zentralkomitees der KP China gilt sogar als kommender Kandidat des höchsten Beschlussgremiums der KP China, des 7-köpfigen Ständigen Ausschusses des Politbüros.

Dass chinesische Offizielle auch akademische Grade haben ist nichts Neues, aber  bisher hatten sie diese vor allem in Naturwissenschaften und speziell dem Ingenieurswesen oder aber erhielten ihren akademischen Grad erst, nachdem sie schon lange Politiker waren oder studierten neben ihrer eigentlichen Parteikarriere. Viele waren oft nur posthum-Akademiker. Die neue Generation politischer Führer hingegen arbeitet schon lange Zeit und primär im akademischen Betrieb, hat dort Karriere gemacht und bisher nicht in der Partei, gilt als weltoffener und weltgewandter und  hat internationale Verbindungen, ja oft auch ein Auslandsstudium hinter sich.

Die Rekrutierungswelle startete mit der Ernennung des ehemaligen Präsidenten der Qinghuauniversität, Professor Chen Jining zum neuen Umweltschutzminister . Dann folgte Hou Jianguo, Präsident der Universität für Wissenschaft und Technologie, der zum Vizeminister des Technologieministeriums ernannt wurde. Huai Jinpeng, Präsident der der Beihang-Universität wurde Minister für Industrie und Informationstechnologie. Wang Enge, Präsident der Peking-Universität wurde Präsident der Chinesischen Akademie der Wissenschaften.Bezeichnenderweise wird nun auch Xi Jinpings Gattin, die First Lady Chinas, Peng Liyuan, die eigentlich nur durch akademische Grade als Karoke-Sängerin bestach, in den chinesischen Medien neuerdings offiziell als„Professor Peng“bezeichnet,nachdem sie scheinbar als Gegengeschenk zur Gastprofessorin an vier Universitäten erklärt wurde, darunter auch als Rektorin der Kunstakademie der Volksbefreiungsarmee. Kulturalisten und Sinologen werden dies wieder als Bestätigung sehen, welchen hohen Stellenwert Chinesen dem konfuzianischen Bildungsideal einräumen und China als Bildungsnation sehen, die nicht nur in Pisastudien der Welt als Vorbild dienen will.

Im offiziellen Dokument „Aktionsplan für den Aufbau der nationalen Partei und der Regierungsführerschaft 2014-2018“ wird die Notwendigkeit betont Führungskräfte aus Staatsunternehmen, Universitäten, Forschungseinrichtungen und anderen öffentlichen Institutionen für die KP China zu rekrutieren. Geplant ist auch der Aufbau und die Förderung von Denkfabriken/Thinktanks, die innovative Impulse in Chinas Reformpolitik setzen, wie sich auch internationales Renomee verschaffen sollen, also Teil einer soft power- Initiative sein sollen, die China auch als akademische und innovative Geistesnation weltweit bekannt machen soll. Man will also auch unkonventionellere, frei denkendere Geister in die Politik holen, die mehr Sachkenntnis mitbringen und auch über den Tellerrand hinausblicken.

Hier aber besteht auch wieder eine Grenze und Beschränkung: Zum einen sollte man sehen, dass viele Ministerien immer noch von alten Apperatschiks besetzt sind, auch das Zentralkomitee und auch wenn es Wang Huning in den 7-köpfigen Ständigen Ausschuss des Politbüros schaffen sollte, also ins höchste Entscheidungsgremium der KP China, er doch immer noch von 6 anderen Parteimitgliedern eingegrenzt wird. Und selbst langgediente Parteimitglieder wie Bo Xilai oder Wang Yang wurden da mit recht brutalen Methoden ferngehalten. Denn die mehr konservative Parteibürokratie mag Quereinsteiger und Querdenker gar nicht, wie umgekehrt die Akademiker sich auch nicht in den Hierarchien und Funktionsweisen der Politik auskennen und hier sehr leicht Grenzen überschreiten können, die sie ihren Posten kosten können. Ex-Qinghua-Universitäts- Präsident Chen Jining, der neue Umweltminister wollte gleich einmal Akzente setzen und nahm es mit den Propagandaslogans der Partei bezüglich eines nachhaltigen, ökologischen Chinas doch zu wörtlich. Als eine chinesische Journalistin einen Bericht über den Smog in Chinas Grossstädten sendete, förderte Chen die Verbreitung des Films auf sozialen Medien, wie er ihn auch ausdrücklich als willkommene Unterstützung für seine geplante Neuorientierung in der Umweltpolitik lobte,  sodass dieser etwa 100 Millionen Zuschauer hatte. Das wiederum ging der KP China zu weit, die befürchtete, dass der gute Professor ungewollt einen veritablenVolksaufstand lostreten könnte, der Film wurde zensiert, die Verbreitung verboten und Chen Jining zurückgepfiffen und scharf kritisiert.Professoren sind eben nicht Politiker und müssen die Beschränkungen erst noch lernen, die ihnen diese neue Funktion einbringt. Denn jegliche erhoffte Innovation stösst eben auch schnell an die Grenzen der Interessen der Parteibürokratie.

Und man kennt dies ja auch aus Deutschland, dass Professoren keine geborenen Politiker sind. Professor Lucke und seine honorige Professorenpartei AfD wurde schnell von rechtspopulistischen und rechtsradikalen Infiltratoren unterwandert und die Akademikerclique schnell herausgedrängt. Oder man denke an die Steuervorschläge eines Professor Kirchhoffs, die die propagandistische Steilvorlage für SPD-Schröder waren, um den Professor als neoliberalen Frankenstein- Professor, der einen gesellschaftlichen Menschenversuch beabsichtige, zu portraitieren . Professoren, die in der Politik etwas werden wollten kannten sich auch im Politikbetrieb nicht aus und waren schneller wieder weg als sie gerufen wurden. Eine Partei ist eben kein akademisches Diskursforum, wo allein die rationalen Sachargumente der Vernunft und des besserern Arguments sich automatisch durchsetzen, obgleich es auch im akademischen Bereich Interessen, Schulen und Cliquenwirtschaft gibt, aber man sich zumindestens an gewisse wissenschaftliche Standards halten muss. Das kennt man also auch in demokratischen Staaten.

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