Liberal – links – kommunistisch

Liberal – links – kommunistisch

Es gibt Fragen, die eine Krise des Gegenstandes voraussetzen. Die Frage, was links sei und welche Aufgabe die Linke heute habe, gehört dazu. Gefordert ist damit ja in der Regel nicht eine Definition, mit deren Hilfe man einige Phänomene der politischen Meinungsbildung ordnen möchte; vielmehr wird so der Wunsch ausgedrückt, die Linke möge doch anders sein, als sie ist. Das gilt für Veranstaltungen wie die der Münchener Zeitung »Widerspruch«, die sich als »Arbeit am Begriff« verstehen, insofern ständig normative, nicht nur deskriptive Bestimmungen eingefordert werden.

Die banale Antwort ist: links ist das, was sich als links versteht. Wie bei den Begriffen der »Kunst« oder der »Philosophie« ist diese Bestimmung unbefriedigend. Ebenso unbefriedigend sind aber in allen drei Fällen Kriterien, die solche ausschließen, die sich selbst für Linke, Künstler oder Philosophen halten. Das Etikett wird gerne zugestanden, gibt es doch praktische Schranken: den akademischen Stellenmarkt und den finanziellen Erfolg, die den Begriff vornehm unberührt lassen. Insofern die Linke politisch ist, würde es nahe liegen, den Unterschied zwischen dem was sich für links hält und dem was als links relevant ist, durch den praktischen Erfolg, also bei Wahlen oder als Massenorganisation festzumachen. Freilich ist eben diese parlamentarische Demokratie, zumindest als alleinges Erfolgskriterium, in der Linken umstritten. Zudem weist linke Politik notwendig über das Individuum hinaus, so dass zumindest die Möglichkeit zugelassen werden muss, dass ein genuin linke Position in einer nicht-linken Organisation oder einem nicht zwangsläufig linken Umfeld statt findet.

Beim Münchener Kongress »Was ist links heute?« wurden vier Prinzipien angeboten. Max Brym machte sich das Marx-Zitat zu eigen, wonach alle Verhältnisse umzustürzen seien, »in denen der Mensch ein unterdrücktes, beleidigtes, erniedrigtes und verlassenes Wesen ist«; Frieder Otto Wolf verlangte eine »normative Orientierung auf Befreiung« von bestimmten Herrschaftsverhältnissen; und Karl Reitter verstand unter »Linkssein« die Formkritik. Allein Norbert Trenkle konzentrierte sich darauf, den gegenwärtigen Kapitalismus zu charakterisieren und die sich daraus ergebenden Aufgaben für eine emanipatorische Linke anzudeuten; dass die Begriffe der »Linken« und der »Emanzipation« dabei vorausgesetzt wurden, ist kein Zufall, denn historisch wurden diese Begriffe selten rein positiv bestimmt, sndern vor allem kritisch.

In der Tat stehen moderne Definitionen in Widerspruch zu einem historischen Selbstverständnis, das politische Ortsbestimmung vor allem als Ausdruck von und Parteinahme für Interessen verstand. Bekanntlich hat Marx mit Hilfe der Neuen Rheinischen Zeitung den äußersten linken Flügel in der Frankfurter Nationalversammlung unterstützen, vorwärts treiben und kritisieren wollen. (Vgl. MEW 5/443; MEW 21/18) Dieser linke linke Flügel vertrat die Interessen des liberalen Bürgertums und die Neue Rheinische Zeitung behauptete, die Interessen des Proletariats zu vertreten (Vgl. MEW 7/117). Während heute zumindest alltagssprachlich »extrem« und »radikal« als politische Adjektive synonym verwendet werden und den Geruch des Unvernünftigen, Utopischen, Zu-weit-gehenden haben, wurden jene Demokraten allein deswegen zum »äußersten« Extrem, weil sie die Interessen des Bürgertums uneingeschränkt vertraten, also keine Kompromisse mit den Interessen den Feudaladels schlossen. Auch die Kommunisten behaupteten nichts anderes als »radikal« zu sein, also die Sache an der Wurzel zu packen – und konnte das etwas anderes heißen, als die Interessen des Proletariats bewusst und entschieden zu vertreten?

Aus mehr oder weniger guten Gründen ist heute die Identität von Interesse und politischer Positionierung problematisch geworden. Dass dabei die Einsicht in die eigene materielle Lage erst zu entwickeln ist, stellt dabei kein großes Problem dar. Kaum begründen lässt sich aber, dass allein mit der Kraft des besseren Arguments, diese Einsicht sich zu einer emanzipatorischen Position entwickelt. Vollends fragwürdig ist endlich, ob und inwiefern Linke das ihnen eigene Interesse vertreten. Der Beschädigungen seiner individuellen Existennz inne zu werden, den sozio-ökonomischen Ursachen dieser Beschädigungen nachzusprüren und dann um die Abschaffung der als schlecht erkannten Verhältnisse zu kämpfen, ist sicher eine Möglichkeit »linker« Politik – sie ist aber gewiss nicht die typische.

Dennoch zeigen sich schon an diesem ziemlich einfachen linken Programm fast alle Probleme, die Diskussionen ums richtige Linkssein prägen: Erstens streitet man sich um die adqäuate Bestimmung der relevaten Beschädigungen, sieht von anderen Linken Rassismus, Sexismus, Antisemitismus oder Homophobie nicht ausreichend ernst genommen, verwirft wahrgenommene Beschränkungen kollektiver Identitäten als reaktionär, oder befürchtet neue autoritäre oder gar totalitäre Tendenzen. Zweitens wirft man sich gegenseitig vor – und das ist angesichts der chronischen Theoriefeindschaft der Linken ein leichtes Spiel – die Ursachen der Misere nicht adäquat bestimmt zu haben. Drittens streitet man dann um die Praxis: die Frage was tun? bleibt schließlich legitim, solange die Abschaffung der Beschädigungen nicht gelingt.

All dieser Streit ist wichtig und richtig. Fast alle linken Selbstbestimmungen wollen ihm aus dem Weg gehen, wollen als Prämisse die feste Bestimmung dessen, was links ist. Doch diese Bestimmung ist allenfalls nach jener Auseinandersetzung zu haben. Es ist daher auch kein Zufall, dass die Linken schon in der Erfahrung ihrer Beschädigung getrennte Wege gehen. Vom alltäglichen Rassismus geplagte persons of colour werden über den traditionellen Marxismus die Nase rümpfen; und sie werden nicht zu überzeugen sein, indem man ihnen ausgefeilte polit-ökonomische Analysen vorstellt, die sich ja in der Regel keineswegs auf eine plumpe Nebenwiderspruchs-Theorie reduzieren lassen; sie werden sich zurecht mit dem Kommunismus erst dann anfreunden können, wenn dessen Vertreter ihnen eine zumindest mittelfristige Perspektive der Befreiung zu geben vermögen. Umgekehrt werden diejenigen Kommunisten, die von den identitären Befindlichkeiten, dem antizivilisatorischen Habitus und dem antizionistischen Konsens der abgestoßen sind, nicht dadurch sich mit der (Rest-)Linken versöhnen, dass man ihnen versichert, letztlich gehe es doch um eine allgemeine Emanzipation.

Nun ließe es sich vermuten, dass die entschiedene Differenz im verbindenden Glied der theoretischen Anstrengung läge. Aber die Theoriebildung kann offensichtlich nicht die Linke als solche ausmachen: dafür ist sie zu dünn, zu sporadisch selbst in der Rezeption. Gewiss: Jede Theorie, die Missstände nicht bloß zu zufälligen Fehler erklärt oder in die Natur des Menschen erklärt, kann linke Politik begründen. Solche Begründung kann aber auch in der Erfahrung des Unerträglichen liegen, die dich das Fenster aufreissen lässt, weil dir die Luft zum atmen fehlt. Und sie kann in der verwirklichenden Praxis liegen, die dem einzelnen tatsächlich ein bessereres Leben versprechen kann. Schon lange aber kann eine Begründung seis linker, seis revolutionärer Politik keine große Begeisterung mehr auslösen. Und das ist gut so, weil linke Politik längst Teil dessen geworden ist, was einmal abgeschafft werden sollte. Es gibt nur noch Rosinen zu picken.

Teil 2.

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