Zivilschutz: Fondue im Atomkrieg

Zivilschutz: Fondue im Atomkrieg

Die Lancierung des neuen Zivilschutzberichts der Bundesregierung während dem laufenden Wahlkampf, der die Sicherheit als herausragendes Thema hat, wird von Grünen und Linken gleichermassen als „Panikmache“, „Schüren und Instrumentalisierung von Ängsten“kritisiert. Betrachte ich die meisten Reaktionen der Deutschen, auch in meinem Umfeld, so ist eher Heiterkeit, Unverständnis, Ungläubigkeit, Zweifeln am Verstand oder den Motiven der Bundesregierung, schwarzer Humor, Belustigtsein die verbreitertere Reaktion. Auf Facebook kursieren Bilder von mit Bier vollgefüllten Kühlschränken und dem Kommentar: „Das reicht für 100 Tage!“. Von massenhaften Hamsterkäufen trotz der Zivilschutzeinkaufslisten, die einige Verschwörungstheoretiker als intelligentes Marketing einer Nahrungsmittellobby interpretieren, hat man auch noch nichts gehört. So ernst wird das Ganze momentan nicht genommen. Dabei ist die Sache nicht so ernst, wie es viele Verschwörungsseiten im Internet ausmalen, die neben apokalyptischen Worstcaseuntergangsszenarien reichlich Werbung für Edelmetall, ABC-Schutzanzüge, NATO-Dosenkost, Mad-Max-mäßigen SUVs, Waffen und Zivilschutzbunker schalten und sich auch damit finanzieren, aber auch weniger lustig als das heitere Gemüt der meisten Deutschen, das die Realitäten zu verdrängen sucht, vermuten lässt.

Allgemein hatte der Zivilschutz in Deutschland nie eine grössere Bedeutung. Wurde im Kalten Krieg zwar mehr Gewicht darauf gelegt, so war die Einstellung doch eher, dass ein Krieg ohnehin ein Atomkrieg sein würde, dann alles aus und ohnehin egal wäre und die Überlebenden die Toten beneiden würden. Während der Kubakrise wusste ohnehin niemand wohin er flüchten sollte, sondern man betrank sich lieber, um den letzten Stunden noch eine erfreuliche Seite abzugewinnen.Bewusst wurde mir das immer wieder, wenn ich als junger Mann die Schweiz besuchte. Im Hause unserer Gastfamilie hatte man einen Zivilschutzbunker wie fast in jedem Schweizer Haus, da dies gesetzlich vorgeschrieben war als Zivilschutzgesetz, meine Gastgeber führten mich als Touristenattraktion durch selbigen und so konnte ich die dicken Stahltüren und Vorratslager bewundern, die einem eine recht romantische Vorstellung vom Krisenfall hinterliessen. Neben Dosen und eingemachter Marmelade, wurde auch Raklet gehortet: Denn im Atomkrieg wollte man es sich gemütlich machen beim Käsefondue bei Kerzenlicht und rund um einen Gaskocher, der ein kuscheliges, volksgemeinschaftliches Lagerfeuer symbolisieren sollte, da man auf das gemeinschaftliche Hauptritual der Alpgenossen auch in Krisenzeiten nicht verzichten wollte. Der Sohn des Hauses hatte sein Zimmer mit Sweetpostern bestückt neben denen ein Örlikonsturmgewehr griffbereit für alle Fälle und ganz selbstverständlich in der Ecke stand, das jeder Wehrpflichtige nach Hause mitnehmen durfte. Im Bücherregal das Standardwerk des Schweizer Militärs Hans Dach „Totaler Widerstand“–ein Guerillahandbuch, das auf den Erfahrungen der US-Guerillakriegsführung der US-amerikaner auf den Philipinen gegen Japan aufbaute und diese Schweizer Verhältnissen angepasst hatte. Auf Einladung der Schweizer Armee besuchte ich dann noch die weitläufigen Bergtunnelsysteme in den Alpen, die einem wahrhaften Labyrinth glichen und meine Gegenüber meinten, das wir Bayern auch zur Alpenfestung umrüsten sollten, falls der Russe käme.Zuletzt wurde mir auch noch eine Brieftaubenbrigade gezeigt, die für den Fall des Ausfalls der Kommunikationssystme einsatzbereit gehalten wurde.Auf Alphörner schien man als Kommunikationsmittel inzwischen jedoch zu verzichten.Also: Zivilschutz at its best!

Viele Leute fragen sich, warum der Zivilschutzbericht gerade jetzt herauskommt. Einige vermuten dahinter Wahlkampftaktik, was auch zum Teil richtig sein dürfte. Aber hier soll eine grundsätzliche Neuorientierung, wenn nicht gar Remilitarisierung der Gesellschaft  abgesehen vom Timing herbeigeführt werden und aus der Sicht der Bundesregierung war es ohnehin längst Zeit, dass der Zivilschutz eine Renaissance erfährt. Denn der letzte Zivilschutzbericht liegt bezeichnenderweise zwei Jahrzehnte zurück und stammt aus dem Jahre 1995, also zu einer Zeit, als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte, eine Konfronation mit Russland, Massenimmigration, Klimawandel und Terrorismus noch nicht so das Thema waren. Ein Datum, das kein Zufall ist.Die Erscheinung des Zivilschutzberichts ist der neuen Weltlage geschuldet, die sich dadurch auszeichnet, dass die Welt heute vom Internet abhängig ist, Kriege, ja selbst Weltkriege nicht mehr ausgeschlossen werden können, dass der Islamismus und die Massenimmigration dazukommen und auch der Klimawandel, der mehr Naturkatastrophen erwarten lässt.

1995 stand das Internet noch in den Anfängen. Als ich damals bei Focus TV arbeitete und als Vorschlag für einen Fernsehbericht einen Artikel der Computerfreakzeitschrift „Wired“über Cyberkriegsführung auf kritische Infrastrukturen brachte, wurde dieser als zu utopisch und irrelevant abgetan. Während der US-Präsident in den 90er Jahren schon eine eigene Kommission zum Schutz kritischer Infrastrukturen gegen Cyberhackerangriffe aufgestellt hatte, war dieses Thema in deutschen Sicherheitskreisen, der Politik und ihren Medien immer noch ein weißer Fleck und völliges Neuland.Allein diesen Vorschlag gemacht zu haben, liess mich in die Ecke eines durchgeknallten, zu phantasievollen Computernerds rücken, der zuviel Illuminati und Sciencefictionromane im Chaos Computerclub gelesen und zuviel den Film 23 gesehen habe. Deutschland und Europa hat einfach die Entwicklungen des Silicon Valleys und der Digitalisierung der Welt um 2 Jahrzehnte verschlafen, sowohl im Sicherheitsbereich, wie auch in der Wirtschaft und wacht jetzt vielleicht auf:

Das Datums des Zivilschutzberichts liegt nämlich in zeitlicher Nähe mit dem neuen Weißbuch, in dem neue Sicherheitsgefahren aufgezeichnet werden, der Gründung des Cyberkommandos der Bundeswehr und der Bundesstelle für Informationssicherheit. Neben einem Krieg ist auch klar, dass Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen, die wohl auch Teil eines solchen Krieges sein würden, jedoch auch von Hackergruppen oder Organsiserter Kriminalität ausgehen können von Stromnetzen und Kraftwerken, Waserversorgungssystemen, Telekommunikation bis Börsen,Industrieproduktion, Transport,Krankenhäusern, Privathaushalten, etc. so ziemlich alles lahmlegen können, dass die Gesellschaft paralysiert wird, der Blackout das kleinste Übel ist und man sich eben auf solch einen Krisenfall einstellen muss. Zwar haben einige Subsysteme inzwischen Intranet, aber insgesamt ist die gesamte Gesellschaft immer noch primär vom Internet abhängig und selbst Intranetze sind nicht so hermetisch autark und abgeschlossen wie vermutet.

Auch der im Weißbuch geforderte Einsatz der Bundeswehr nach innen und die nun wieder aufkommende Diskussion um die Wiedereinführung der Wehrpflicht gehören zu diesem Sicherheitskomplex, der zwar auch der Abwehr des Terrorismus dienen soll, aber eben nicht hauptsächlich.

Neuerdings wird angesichts des Terrorismus und der Flüchtklingskrisen wieder der Einsatz des Militärs im Innern diskutiert. Gerne verwiesen wird auf die mangelnde personale Decke von THW, Hilfsorganisationen, Polizei, manch ein Polizeigewerkschafter fordert auch noch die Aufstockung der personalen Resourcen, aber auch sie gestehen dem Militär für den Fall des Notstandes und der Überbelastung eben eine neue Rolle zu. Zum Anlass von Helmut Schmidts Tod wurde auch immer wieder darauf verwiesen, dass er es war, der den Einsatz der Bundeswehr und verbündeter Militärs während der Hamburger Sturmflut trotz verfassungsrechtlicher Bedenken durchsetzte, was ihm den Ruf des Krisenmanagers und Pragmatikers einbrachte.Helmut Schmidt ist somit der ungewollte Vordenker eines Einsatzes des Militärs, das heute in den USA und vor allem Grossbritannien unter dem Etikett des Sea Level Rise (SLR) verstanden wird–das Militär als die zentrale Krisenorganisation, wenn die steigenden Ozeanspiegel die grössten und meist bevölkerten Hafenstädte und Bevölkerungszentren entlang der Binnenflüsse infolge des Klimawandels fluten werden. Was bei all den Klimagipfeln nicht diskutiert wird, ist, wenn sich der Klimawandel nicht mehr vermeiden lässt, welche Institutionen diesen managen können.Vorrausschauend gedacht bringen sich hier die jeweiligen Militärs selbst in die Diskussion.

Inzwischen gibt es auch die Tendenz, dass sich Bundeswehr und andere Militärs, allen voran das US- und britische Militär als zukünftige Krisenmanager kommen sehen. Bei der Bundeswehr wurden hierzu zwei wesentliche Studien in Auftrag gegeben, die ein Eingreifen der Bundeswehr innenpolitisch- wie auch außenpolitisch begründen. Zum einen die Peak-Oilstudie, die schildert, was geschehen würde wenn unsere ölbasierte Gesellschaft mangels Resourcen erodieren würde: Die Bundeswehr müsste die innere Ordnung wie auch  neue Energiequellen im Ausland sichern. Zum zweiten eine Studie, die eine gesteigerte Rolle der Bundeswehr infolge von Umweltkrisen sieht, vor allem wenn Küstenstädte infolge des steigenden Ozeanspiegels geflutet werden und andere Umweltkrisen Flüchtlingsströme auslösen-so schreibt die Bundeswehrwebseite:

“Die Umweltdimensionen von Sicherheit

Das Dezernat arbeitete von Januar 2010 bis Dezember 2011 an der Studie „Streitkräfte, Fähigkeiten und Technologien im 21. Jahrhundert (SFT 21): Umweltdimensionen von Sicherheit“. Diese besteht aus zwei Teilstudien, zum einen „Peak Oil – Sicherheitspolitische Implikationen knapper Ressourcen“ sowie „Klimafolgen im Kontext: Implikationen für Sicherheit und Stabilität im Nahen Osten und Nordafrika“.

Teilstudie 1: Peak Oil – knappe Ressourcen

Die erste Teilstudie „Peak Oil – Sicherheitspolitische Implikationen knapper Ressourcen“ wurde am 21. Januar 2011 durch das Bundesministerium der Verteidigung genehmigt und freigegeben.
Teilstudie 1: Peak Oil – knappe Ressourcen (PDF, 2,9 MB, 116 Seiten)

Teilstudie 2: Klimafolgen im Kontext

Die zweite Teilstudie „Klimafolgen im Kontext: Implikationen für Sicherheit und Stabilität im Nahen Osten und Nordafrika“ untersucht, inwiefern die Auswirkungen des Klimawandels zukünftig die Stabilität der Länder im MENA-Raum gefährden und welche Implikationen sich aus diesen Destabilisierungspotenzialen für die Sicherheit Deutschlands und seiner Verbündeten ergeben könnten.

Teilstudie 2: Klimafolgen im Kontext (PDF, 4,1 MB, 239 Seiten)

http://www.bundeswehr.de/portal/a/bwde/!ut/p/c4/NYu7DsIwEAT_yBdXGDoiC4kiDU1IGuQkp3DCj-i44IaPxy7YlaaZXRihNLoPrU4oRefhDsNMpymrKS-o3Et29B7fKiMJMj7kiQEj9PVYBnOKKJWCUahwZSeJ1ZZYfDU7czGKFhgabVt9aP7RXzPaS9cZc7TX9gZbCOcfRzH_Jg!!/

Hier noch die Peak-Oil-Studie zum nachlesen:

http://peak-oil.com/download/Peak%20Oil.%20Sicherheitspolitische%20Implikationen%20knapper%20Ressourcen%2011082010.pdf

Es ist keineswegs so, dass nur die Bundeswehr solche Pläne in ihren Schubladen hat, inzwischen bereiten sich auch das US- und das britische Militär auf Massenevakuierungen- und umsiedlungen, logistische und infrastrukturelle Baueinsätze zum Neubau von Städten und Aufrechterhaltung der inneren Ordnung infolge des Steigens der Seespiegel (Sea Level Rise/SLR) vor. China wird hierbei auch der Vorwurf gemacht, dass es sein Militär noch gar nicht auf die Evakierung seiner Küstenstädte konzeptionell vorbereitet und ihm diese Zukunftsaufgabe zugesteht, da Umweltpolitik anders als in westlichen Staaten noch nicht so sehr als Sicherheitspolitik oder unter dem Begriff der „vernetzten Sicherheit“gesehen wird.

Dass zu dieser vernetzten Sicherheit eben auch ein Zivilschutzbericht gehört, sollte einen nicht überraschen.Es zeigt zum einen, dass solche Szenarien für möglich gehalten werden, zum anderen aber auch, dass man sich nun auf solche Fälle wieder konret und real vorbereiten will.

 

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