Es lebe die Volksgesundheit-zwischen Zeitgeistspleen und Kostenfaktor

Es lebe die Volksgesundheit-zwischen Zeitgeistspleen und Kostenfaktor

Ja, es gab noch eine Zeit, wo man schlemmern, saufen, rauchen, kopulieren konnte, wie man wollte, dem Hedonismus freie Bahn gegeben wurde.Diese Freiräume scheinen nun immer mehr beschnitten zu werden. Man merkt dies an konkreten Beispielen. Ich selbst bin Raucher seit dem 12. Lebensjahr und bisher stiess man da auf keine Einschränkungen. Doch neuerdings gibt es Rauchverbot in Lokalen und öffentlichen Räumen, wie auch Firmen, wird man von anderen Menschen wegen einer Zigarette oder einem Weißbier als Aussätziger behandelt, ja auch scheel angesehen und nun gibt es seit Beginn des Monats jene nette Abschreckungsbilder auf jeder Zigarettenschachtel. Die Bilder setzen dabei auf zwei Überzeugungsstränge. Zum einen, wie der Raucher anderen und Dritten schadet—man sieht Verwandte, die um ein Kranken- und ein Sterbebett herum sitzen oder Babys mit Schnuller, in dem eine Zigarette eingebaut ist oder ein Baby, das den rauchenden Vater, der es auf dem Arm hat zurückstösst und am Hals würgt. Zum zweiten die Schockbilder der eigenen Betroffenheit—rausoperierte Kehlköpfe mit Luftröhrenschnitt, Zungenkrebs, blutigem Auswurf, Raucherbeine,geschwärzte Raucherlungen, etc.

Nun möchte ich nicht behaupten, dass Rauchen gesundheitsfördernd ist, es ist durchaus schädlich. Aber ist es das allein? Mit derselben Berechtigung könnte man auf Coca Colaflaschen oder Puddingbecher abgefaulte Diabetikerbeine , übergewichtige Menschen, auf Fleischprodukte im Cholesterinschock befindliche Komapatienten bringen, ja jedes Nahrungs- und Genussmittel so auf seine gesundheitsschädlichen Nachfolgen plakatieren.Irgendwie findet sich irgendwas immer.Man könnte auch an Autos wegen ihrer Abgase in Großstädten Bilder von Lungenkarinomen anbringen.

Die Rezipienten reagieren damit unter anderem mit Verdrängung. Man kauft sich Etuis und Lederhüllen, um die Bilder abzudecken und man macht auch Witze darüber, die jeder Raucher drauf hat. Sei es der kommende Atomkrieg, die Umweltkatastrophe, die es sowieso egal machten, wie man lebt oder den vielzitierten Helmut Schmidt, der als Kettenraucher krebsfrei immerhin das 90. Lebensjahr überschritt. Zudem gibt es mehr als genug Beispiele von gesundlebenden Menschen, die ebenso krank wurden, Krebs bekamen, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erlitten. Zwar statistisch weniger, aber eben immer noch signifikant und auch ein gesundes Leben ist keine Garantie gegen ein verfrühtes Ableben oder eine Verelendung.

Oft wird auch mit Kostengründen argumentiert. Ein Kranker kostet der Volksgesundheit horrende Summen, deswegen müsse man gesund leben. Die nicht so gesund Lebenden argumentieren wiederum ebenso mit Kostenargumenten, nämlich, dass man früher versterbe und dem Staat und der Gesellschaft da lange Renten- und Pflegezahlungen erspare. Jedenfalls sind wir beim wesentlichen Punkt der Volksgesundheit, nämlich, dass sie als Kostenfaktor begriffen wird. Und hier kommen wir eben wieder in die Abhängigkeit vom Wirtschaftssystem.

Während es den Nachkriegsboom gab, so endete dieser doch spätestens mit der Asienkrise als erster Krise der Globalisierung, dann der Dotcomkrise und nun eben der Finanzkrise 2008, die auch nicht die letzte Krise sein wird. Das Wirtschaftssystem sorgt dafür, dass die Verteilungsspielräume und die Generosität und Liberalität bezüglich gewisser Lebensstile aus Kostengründen dramatisch eingeschränkt werden muss. Während dem Nachkriegsboom erlebt man die Fresswelle, in den 50er und 60er Jahren schlemmerte man, rauchte man, soff man, wie man auch immer beim Internationalen Frühschoppen von Werner Höfer beobachten konnte. Fettleibigkeit, Trinkfestigkeit, Rauchen gehörten da zum guten Ton.

Das erste Umdenken kam mit den Hippies und den 68ern, die den dickbäuchigen, trinkenden und fressenden Spießer als Feindbild hatten, dem aber kein gesundheitlichorientiertes Gegenprogramm gegenüberstellten, sondern eben nur die Schlankheit, Langhaarigkeit, das Kiffen und psychodelisch-exzessiven Drogenkonsum als Gegenposition brachten,wobei auch immer noch viel geraucht und gesoffen wurde.Der Unterschied der 68er und der Hippies zu den Nachkriegsspießern war auch die sexuelle Revolution, die das allseitige Kopulieren zum Modetrend machte. “Wer einmal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment”. Das war zwar eine Neuerung zu den bis dahin spießigen Beate-Uhse-Shops, doch freundeten sich auch das konservative Bürgertum mit diesen Ideen partiell an, wofür dann Gunther Sachs als Playboy des Establishments stand.. Der exzessive Lebenstil wurde auch unter den Hippies und 68ern  in der Boomrepublik nicht infrage gestellt, sondern eben nur modernisiert und verbreitert.

In den 70er Jahren gab es zwar schon die Trimmdichwelle infolge der Vergabe der Olympischen Spiele nach Deutschland, aber der erste wesentliche Wandel kam schon in den 70er Jahren mit der Ökobewegung, die gesundes Essen und esoterische Gesundheit propagierte. Landkommunen mit biologischen Selbstanbau kamen in Mode. In unserer Stadt gab es einen Biobauernhof, der hier stilbildend war und nur gesundes, natürlich-biologische Nahrungsmittel produzierte.Einher ging die Alternativmedizinwelle, die neben TCM, Homöopathie, reichlich esoterischem Aberglauben bis hin zum Schamanismus, Naturheilkunde so alles im Angebot hatte.  Apperate- und Schulmedizin waren out, Heilpraktiker, die ihre Zulassung mittels eines Wochenendkurses und einigen Kenntnissen des deutschen Seuchengesetzes erlangten, wurden in.In den 80er Jahren wirkte sich dies auch auf mein eigenes Umfeld aus.

So wurde ich eingeladen, eine Woche auf einer Biokommune bei Regensburg zu verbringen. Auffällig war, dass schon beim Frühstück die Wahl der Nahrungsmittel und ihre Auswirkungen auf die Gesundheit für Grundsatzdebatten sorgten. Hierbei ging es sehr dogmatisch zu, da am Frühstückstisch auch eine Rohkostfraktion anwesend war, die fanatisch darauf bestand, dass man Gemüse und Karotten nicht kochte, da die Vitamine verloren gingen und lauter abscheuliche gesundheitliche Folgen zu erwarten seien. Dabei zerstritt man sich lautstark und jedes gemeinsame Essen wurde zur Tortur, da hier ein recht fundamentalistischer Prinzipenstreit tobte, der recht aggressiv ausgestragen wurde—wahrscheinlich haben diese Leute noch nie gehört, dass Stress auch ungesund sein kann. Jedenfalls verliess ich nach 3 Tagen die Landkommune, da mir die ewigen Streitereien über Nahrungsmittelaufbnahme und Gesundheit gehörig aufs Gemüt schlugen.

Ein anderer Vertreter dieser Richtung war unsere Nachbarsfamilie. Hier war der Tagesablauf und der Ernährungsplan streng reglementiert. Beim Essen hatte man zu schweigen und mit Vollkornschnitten, Müsli und schwabbeligen, neutral schmeckenden Tofu vorlieb zu nehmen, wobei immer auffällig betont wurde, dass dies gesund sei und gut schmecke. Vielleicht ersteres, mir schmeckte nichts davon. Im Hintergrund erklangen sphärische Klänge esoterischer Musik oder aber Walgesänge, die uns eins mit dem Flow des Wassers machen sollten. Der Hausherr residierte mit geschlossenen Augen schweigend im Lotussitz, die Fingerspitzen nach oben, um vermeintlich kosmische Energie aufzusaugen. Nach dem Essen ging es Joggen, wobei ich nur teilnahm, da die hübsche Nachbarstochter mir mit ihrer einladenden Figur immer vorweg rannte.Ein hübscher Ausblick, der die Anstrengung etwas vergessen machte.Aber auch dies war nur eine gewisse Zeit erträglich.

Neben der gesund- und ernährungsbewussten Ökobewegung kam es zumal in den 80er Jahren zu einer zweiten, parallelen Bewegung..Mit Arnold Schwarzeneggers „Conan, der Barbar“, mit Hanoi-Jane Fondas Aerobicvideos wurde die erste Bodybuilding- und Fitnesswelle eingeleitet, wenngleich der Bundeskanzler immer noch ein saumagenschlemmernder, weintrinkender, gemütlicher Dicker namens Kohl war.

Aber in den 80er Jahren wurde Fitness, Bodybuilding und Körperkult auch aufgrund der Leni-Riefenstahlmässigen Werbephotographie mit muskulösen Adonisen für die Parfümwerbung zum ersten Vorreiter der Volksgesundheitsbewegung.Der hühnerbrüstige Hippie, der kiffte war urplötzlich out.Diese Bewegung hat sich mit der extensiven Welle von Fitnessstudios imganzen Land inzwischen zum Massenphänomen erweitert.Bodybuilding hat inzwischen zugunsten von Fitness abgenommen und diese wiederum zuguinsten von Wellness, da nun nicht nur der Körper, sondern auch die Seele angesprochen werden soll. Seitdem gibt es kein Fitnessstudio, kein Hotel, dass nicht auch eine Wellnessabteilung hat. Welleness ist zur neuen Religion geworden. Vegetariertum, Vegantertum, Nichtraucherbewegung haben sich seitdem auch ausgebreitet. Man trinkt zudem auch nur noch Mineralwasser, Weißbier gilt da als prekäres und abgründiges Getränk.

Die Loveparade der 90er und 2000er Jahre war dann der Bodykult zur Exzellenz gebracht, wenngleich noch mit psychodelischen Einsprengseln wie Techno und Ecstasy. Aber dann auch immer weniger und es war kein Zufall, dass die Love Parade dann von Berlin nach Duisburg umsiedelte, nachdem ein Fitnessstudiobesitzer diese als sein grosses Massenspektakel unter seine Fittiche bekam.

Nun aber wird auch mittel der staatlichen EU- Stellen und des deutschen Gesundheitsministeriums infolge der Finanzkrise gelenkt eingegriffen und sind die Raucher der erste Angriffspunkt. Zum einen über die Nichtraucherverordnung, die auch als Volksentscheid daher kam, zum anderen über die nun verordeneten Schockbilder auf Zigarettenpackungen, die nicht die letzte Maßnahme, sondern erst der Beginn sein dürften, die Volksgesundheitsbewegung zu verbreitern. Wahrscheinlich kommt als nächstes, dass Krankenkassen Risikobeiträge von gesundheitlich nicht so optimal lebenden Menschen erheben, dass Gesundheitsbänder am Armgelenk und Apps die jeweiligen Gesundheitsdaten an Ärzte und Krankenkassen weitergeben. Werr seione Daten nicht hergibt, macht sich verdächtig, eine Krankheit oder einen ungesunden Lebenswandel zu verheimlcihen. Zumal es auch genug Idioten gibt, die diese Daten freiwillig herausrücken.Auch wird man abwarten müssen, wie sich die Telemedizin auf den Datenschutz auswirkt.Dass man eine Genbestimmung macht und erblich bedingte Krankheiten taxiert und als Risikogruppe ausselektiert.

Vor allem aber bleibt ein Grundwiderspruch: Die Überalterung der Gesellschaft. Schon jetzt werden mindestens die Hälfte der Menschen, die 45 Jahre in die Sozialsystem und Krankenkassen einbezahlten, bestenfalls in Altersarmut und Grundsicherung landen. Wie man dann ihre Pflege bezahlen soll für den Invaliditäts- und Altersfall, bleibt ein Rätsel. Zumal kommen immer weniger Einzahler in die Systeme, so dass man diese bestenfalls durch Einwanderung von Fachkräften, die die meisten Flüchtlinge ja nicht darstellen, kompensieren müsste.

Aber dann kommt auch noch die Digitalsierung und die Industrie 4.0, die eine Rationalisierung und mindestens Abbau von 40% der bekannten Arbeitsplätze bedeuten wird bei ungewisser Aussicht, ob dadurch im gleichen Masse auch neue Arbeitsplätze entstehen.

Der verstorbene Frank Schirrmacher hatte ja einmal die Möglichkeit aktiver Euthanasie staatlicherseits in seinen FAZ-Leitartikeln thematisiert und als Zukunftsberufszweig einen staatlich bestellten Sterbeberater in Aussicht gestellt, der den Kränkeren und Schwächeren nahelegt patriotisch und sanft zu entschlummern—mit staatlicher Hilfe.Eigentlich eine Vision, wie sie auch der Film „Salient Green“oder „Logan´s Run/Flucht in die Zukunft“ schon in den 70er Jahren ausmalte. Und schon bei den Nazis gab es in den Schulbüchern Bilder, in denen eine gesunde deutsche Familie und behinderte Menschen mit der Rechenfrage gegenübergestellt wurde: Wieviele gesunde deutsche Familien kostet ein Behinderter und kranker Mensch? Neben der Tatsache, dass die Gesundheitsbewegung ein etwas ärgerlicher bis amüsanter Zeitgeistspleen ist, bleibt jedoch auch die Tatsache, dass die Volksgesundheit als Kostenfaktor begriffen wird. Der Präsident des deutschen Ärzteverbandes sprach auch schon einmal von „sozialverträglichem Ableben“. Von daher zwischen amüssant und gruselig. Jedenfalls streben alle gesundheitsbewussten Menschen an, „“schlank und gesund sterben“zu können (Udo Pollmer). Das lohnt doch die Mühe.

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