Leitkultur und Islam-wie mich eine grüne AfDwählerin zum Umdenken brachte

Leitkultur und Islam-wie mich eine grüne AfDwählerin zum Umdenken brachte

Der zunehmenden Hysterie über eine vermeintliche Islamisierung Deutschlands und Europas wird nun als neues Gegenkonzept die Verankerung einer Leitkultur gegenübergestellt. Die Faz veröffentlichte dazu eine Allensbachumfrage, die zu folgenden Ergebnissen kam:

„Konsequenterweise fordern auch rund drei Viertel der Deutschen die Durchsetzung einer deutschen Leitkultur: 76 Prozent stimmen der Aussage zu: „Ausländer, die in Deutschland leben, sollten sich an der deutschen Kultur orientieren. Natürlich können sie ihre eigenen Bräuche, Sprache oder Religion pflegen, aber im Konfliktfall sollte die deutsche Kultur Vorrang haben.“ Im Jahr 2000 vertraten nur 61 Prozent diese Position.”

Wie man gehört hat, sind inzwischen auch 50% dser Grünenwähler dieser Ansicht und es ist ja ein Indikator, wenn sich selbst eingefleischte Grüne, die diesen Begriff bisher abgelehnt haben, sich nun Gedanken über die Leitkultur machen.Also GG und Pass reicht den meisten Deutschen nicht zur Integration und zur Leitkultur.Auch die parteipolitische Orientierung spielt keine große Rolle.

„Selbst die Anhänger der Grünen sagen mit einer Mehrheit von 46 zu 34 Prozent, es gebe einen deutschen Nationalcharakter.

Plakative, klischeehafte Antworten

Fragt man nach, was denn diesen Nationalcharakter ausmache, erhält man auffallend plakative, klischeehafte Antworten, vor allem dann, wenn man mit einer sogenannten „offenen Frage“ die spontanen Reaktionen der Befragten ermittelt, sie also bittet, ihre Antworten selbst zu formulieren, statt ihnen vorformulierte Antwortmöglichkeiten vorzulegen. Von denen, die sagten, es gebe einen deutschen Nationalcharakter, verwiesen bei einer solchen Frage 41 Prozent auf Pünktlichkeit, 25 Prozent meinten, Deutsche zeichneten sich durch Ordnungsliebe aus, 24 Prozent nannten Fleiß, 19 Prozent Zuverlässigkeit. Für eine offene Frage sind das bemerkenswert hohe Werte.
Dieses Bild ändert sich nur wenig, wenn man verschiedene Antwortvorgaben schriftlich vorlegt. Auf die Frage, welche von 27 zur Wahl gestellten Eigenschaften „typisch deutsch“ seien, meinten 88 Prozent, Deutsche seien pflichtbewusst, diszipliniert, 82 Prozent bezeichneten sie als ordnungsliebend, 81 Prozent als arbeitsam, fleißig. Dabei fällt auf, dass das Selbstbild der Deutschen im vergangenen Jahrzehnt positiver geworden ist. So hatten 74 Prozent der damals Befragten die Deutschen als pflichtbewusst beschrieben, 73 Prozent als ordnungsliebend und 67 Prozent als arbeitsam. Dagegen ging die Zuschreibung „überheblich, arrogant“ von 36 auf 18 Prozent zurück, „rechthaberisch“ von 36 auf 31 und „pessimistisch“ von 42 auf 30 Prozent. Es ist offensichtlich, dass die Deutschen selbstbewusster geworden sind und sich die nationalen Klischees dabei nicht abgenutzt haben.

Das ist nicht gleichzusetzen mit einer grundsätzlichen Ablehnung gegenüber Einflüssen aus anderen Kulturen, vor allem im Alltag. In einer weiteren Frage wurden den Befragten Karten überreicht, auf denen verschiedene Dinge des Alltagslebens standen, mit der Bitte, die Karten danach zu sortieren, welche dieser Dinge ihrer Ansicht nach „unbedingt“ oder „auch noch“ zu einem Leben in Deutschland gehörten und bei welchen man dies „eher nicht“ oder „gar nicht“ sagen könne. 97 Prozent sagten, dass Weihnachtsmärkte „unbedingt“ oder „auch noch“ zu einem Leben in Deutschland gehörten, 95 Prozent nannten Fußball, 94 Prozent eine große Auswahl von Brot- und Wurstsorten. Aber immerhin 79 Prozent fanden, dass auch Pizzerien zum Leben in Deutschland gehörten, 57 Prozent sagten das Gleiche über Dönerbuden. Fragt man allerdings nach Dingen von größerer kultureller Symbolkraft, fallen die Antworten deutlich anders aus: Dass Moscheen zum Leben in Deutschland dazugehörten, fanden nur 19 Prozent der Befragten.

Es ist erkennbar, dass die Bevölkerung beim Thema Einwanderung hin- und hergerissen ist. Auf der einen Seite haben die Allensbacher Umfragen immer wieder gezeigt, dass viele Deutsche großes Verständnis für die Einwanderer aufbringen. Doch gleichzeitig reicht die Furcht vor dem Verlust der kulturellen Identität weit über den Kreis der AfD-Anhänger hinaus. Das zeigen die Antworten auf die Frage „Wenn immer mehr Einwanderer nach Deutschland kommen, geht dann das, was Deutschland war, allmählich verloren, oder glauben Sie das nicht?“ 53 Prozent sagen heute, sie glaubten, das, was Deutschland ausmache, gehe langsam verloren, nur 30 Prozent widersprechen.”

Was diese Leitkultur ausmachen soll, da wird es vage. Die meisten Antworten beschränken sich auf Verfassungspatriotismus und das Grundgesetz, die Gleichstellung von Mann und Frau, das neue Buch von Henfried Münkler und seiner werten Gattin „Die neuen Deutschen“ ergänzt noch Arbeitsethos, Leistungswille und sonstige Tugenden wie Pünktlichkeit, Ordnungssinn,etc., von denen Oskar Lafontaine ja mal meinte mit diesen Tugenden könne man genauso gut ein Konzentrationslager betreiben, worauf er dafür von Helmut Schmidt kritisiert wurde wegen Wertenihilismus, der diese doch sehr preußischen Tugenden, die zum Deutschsein und seiner Leitkultur zählen würden, infrage stelle.

Für mich das einschneidenste Erlebnis war, dass ich in meiner Stammkneipe eine Grünenanhängerin traf, die jetzt AfD wählt.Ich hatte dieses Wochenende mit einer Marion in meiner Stammkneipe eine interessante Diskussion, die auch über Leitkultur ging.Marion, eine junge, selbständige Frau, unverheiratet und ohne Kinder, ist der Ansicht, dass Integration nicht möglich ist, da die Flüchtlinge aus einem anderen Kulturkreis kommen. Auf das Argument, dass sich Kulkturen und auch vermeintliche Leitkulturen änderten, meinte sie, es sei aber eben eine Frage wohin und in welche Richtung. In Deutschland habe sich die Leitkultur zu mehr postmateriellen Werten, Liberalität, Pluralismus geändert, auch in der Musik seien Rock, Rap und mehr hedonistische Musik dominant geworden gegenüber der deutschen Klassik oder dem deutschen Lied. Die Flüchtlinge aber würden Tiere schächten, Zwangsehen eingehen, mit dem deutschen Macho habe man schon Probleme gehabt, aber nun kämen diese muslimischen Machos, die noch viel schlimmer seien. Sie meinte dann, dass sie keine Lust hätte , dass man die alten Diskussionen wieder führen müsse und die Zeit wieder zurückgestellt werde.Auf die Bemerkung, dass auch die AfD in Sachen Frauenemanzipation die Zeit zurückstellen wolle und vor allem sie als Kinderlose da wieder alte Diskusionen wiederführen müsse, insofern dann überhaupt noch diskutiert würde und nicht ein völkisch-nationales Frauenbild autoritär durchgesetzt würde, reagierte sie wiederum, dass das vom „Eigentlichen“ablenken würde–und das seien die muslimischen Flüchtlinge und der Islam.

Das Argument, dass 1 Millionen wohl 80 Millionen nichts so einfach aufokrtoyieren können, wie auch etwa die Tatsache, dass Kinderehen nicht geduldet werden und dass Tierschutz ja auch im Westen keine besondere Rolle spiele angesichts Massentierhaltung und Kükenschreddern, ließ sie nicht gelten. Als sie meinte, dass laut Umfragen die meisten Muslime die Scharia vors Grundgesetz stellen würden, fragte ich sie, warum nur 20% der Muslima Kopftuch tragen und 80% nicht, warum die meisten Muslime nicht in eine Moschee gingen, sondern bei ihrer Familie, im Freundeskreis, mit Deutschen oder aber in der Schischabar beim Glücksspielen verweilen? Vor allem die Kinderehen hatten es ihr angetan und als ich meinte, dass dies etwa nur 1200 Fälle wären, die zumal staatlicherseits nicht toleriert werden, meinte sie: Jeder Fall sei ein Fall zuviel–ganz prinzipiell.Auch als ich auf Frauenhäuser verwies, bei denen die Bewohner zumeist deutsche Frauen seien, die von deutschen Männern vergewaltigt oder geschlagen wurden und dass es Zehntausende von Vergewaltigungen durch deutsche Männer gibt, dass hier wohl auch gelten müsse, dass jeder Fall einer zuviewl sei, schon ganz prinzipiell und dass man sich vor lauter Prinzipien einmal die Statistiken ansehhen solle, all dies ließ sie nicht gelten. Das sei Ablenkung und ich solle beim Thema bleiben und das „Eigentliche“sehen–den Islam . Im übrigen wähle sie deswegen jetzt nicht mehr die Grünen, sondern die AfD.

Zudem sei sie für ein Burka- und Burkiniverbot, wobei ich sie fragte, wieviele Vollverschleierte und Burkinschwimmerinnen es denn in Deutschland und Europa gebe, ob sie schon mal selbst eine Vollverschleierte getroffen oder mit ihr geredet habe, was sie verneinte. Es gehe ums Prinzip und um die Leitkultur.Ich war, bis ich die grüne AfD-Wählerin Marion traf auch für ein Burka- und Burkiniverbot. Zuerst fiel mir das Übliche ein: Ausdruck eines repressiven Islamismus, Unterdrückung der Frau.

Aber inzwischen nach dem Gespräch mit dieser Marion fällt mir eben auch folgendes auf:Ein wenig kommt mir die ganze Diskussion konstruiert vor. Deutsche, die zumeist nicht einmal ihren deutschen Nachbarn oder Mitbürger kennen und kennenlernen wollen, äußern plötzlich ein intensives Interesse diese außerirdischen, ihnen völlig fremden Menschen plötzlich intensiv kennenlernen zu wollen.

Ähnlich beim Burkaverbot. Immer das Argument: Wenn man mit einem Menschen reden wolle, dann von Angesicht zu Angesicht. Nun, die meisten sind Burka/Niqabfrei und man käme auch nicht auf die Idee ein gesteigertes Interesse zu haben, wenn man über den Münchner Marienplatz rennt, irgendwen kennenzulernen und ein Kommunikationsbedürfnis zu haben. Plötzlich konstruieren aber viele sonst desinteressierte Menschen ein auffälliges Kennenlern- und Kommunkationsbedürfnis, das dann aber auf Widerstände und Verunmöglichung stösst.

Da ist ein Teil Projektion: Man will mit diesen Fremden eh nichts zu tun haben, wie auch mit den meisten Menschen, tut aber so als würde man bei seiner theoretischen Kennenlernneugier allerortens zurückgewiesen.Bisher har man diese Verschleierten, zumeist Touristinnen ignoriert und toleriert, ja negiert, plötzlich tun viele so, als hätten sie schon immer das Bedürfnis gehabt mit diesen zu kommunizieren und würden da brutalst denkbar zurückgewiesen.Interessant ist auch, dass der Hohepriester des Counterjihad Daniel Pipes sich dafür ausspricht, beim Burkini nicht so ein Gedönse um einen exotischen Badeanzug zu machen, sondern sich auf den entscheidenden Kampf gegen den Islamismus konzentrieren, was mich anfangs etwas erstaunt hat, wie er das trennt.Aber er sieht wohl dass das mehr ein völliger Nebenkriegsschaupltz und eine Nebelkerze ist.

Dass gerade diese AfD die von ihr so propagierten Werte von postmateriellen Werten, Liberalität, Pluralismus infrage stellten interessierte sie nicht. Dass die AfD ein frauenunterdrückendes, konservatives Weltbild hat, für einen Polizei- und Überwachungsstaat, sowie eine autoritäre Diktatur ist, für Atomkraft und gegen die Energiewende, den menschengemaxchten Klimawandel leugnet, mehr Co 2 in der Atmosphäre gutheißt, Steuererleichterungen für Reiche will, die Privatisierung des Sozialstaats und der Arbeitslosenversicherung fordert, all das wird einfach verdrängt., Der Islam sei die Hauptgefahr für die Demokratie und deutsche Leitkultur und nicht die AfD, die sie zur Verteidigung dieser Leitkultur von Frauenrechten, Tierschutz und direkter Demokratie wähle. Man wählt die Diktatur, um Freiheiten verteidigen zu wollen.Eine sehr selektive Wahrnehmung der AfD, die diese als Freiheitsbewahrer ansieht.

Im dem Gespräch unterhielt ich mich mit Marion auch über Hitler und das 3. Reich. Dieses lehnte sie klar ab, sie fragte sich auch, wie die Leute damals so etwas wählen konnten. Wahrscheinlich hätten sie nicht gewusst, was sie wählen. Zudem sei Hitler ja Österreicher und kjein Deutscher gewesen.Als ich dann die AfD mit der NSDAP verglich, blockte sie aber vehement ab. Dies sei nicht vergleichbar und die AfD keine neue NSDAP. Ich glaube, viele Deutsche haben trotz Geschichtsunterricht und Aufarbeitung immer noch zu sehr den schreienden Hitler, die Massen- und SA-Aufmärsche im Sinn, weswegen die heute anders auftretende AfD eher als harmolos und nicht vergleichbar wahrgenommen wird.Auch dürfte die Hoffnung mitspielen, dass es so schlimm wie bei Hitler heute gar nicht mehr kommen könnte, da er nicht zu toppen sei.Jedenfalls verfangen Nazivergleiche bei vielen AfD- Wählern einfach nicht.

Klar ist die AfD keine neue NSDAP, noch eine neue NPD, aber eben eine Sammlungsbeckenpartei, die eine autoritäre Diktatur errichten will.Sie können sich nicht einmal eine autoritäre Diktatur vorstellen, zumal sich ja viele auf die Forderung der AfD berufen, dass sie direkte Demokratie mittels Volksentscheiden wolle, die ja die Nationalsozialisten während der Weimarer Republik so extensiv gegen die Demokratie nutzten.Sie wollen da nur eine neue Schweiz sehen und nicht die Forderung von Extremisten durch Volksentscheide die Demokratie zu beseitigen, wie dies in Khomeini-Iran, Orbanungarn, Putinrussland, Lukatschenkoweißrußland, PiS-Polen, Erdogan-Türkei, Morsi-Ägypten mittels Wahlen und Volksentscheiden geschehen ist.

Ein Freund, der in der Gedächtnisstätte Dachau arbeitet, teilte mir auch den Grund mit: Die meiste Nazivergangenheitsaufarbeitung sei vor allem personalisiert an einigen Nazigrössen wie Hitler, Göring, Goebels aufgemacht worden, wie auch die zahlreichen Dokumentationen von Guido Knopp oder ntv oder n24, aber eben nie an der Ideologie des Nationalismus, des Antisemitismus, den breite Bevölkerungsgruppen weit über diese Führer und ihre NSDAP hatten. Ideologiekritik blieb auf der Linken wie auch bei Demokraten ein vernachlässigtes Thema–einfacher war es ein paar Superschurken für all diese Menschheitsverbrechen schuldig zu sprechen und das gute Volk, das diese gewählt hatte außen vor zu lassen, aber eben nicht die allgemein verbreitete Ideologie des Nationalismus. . Man sieht sehr schnell, dass diese vermeintliche nationalistische Leitkultur wieder belebbar ist, Frauke Petry geht dies ja nicht weit genug und sie fordert inzwischen wieder eine positive Verwendung des Begriffs „völkisch“. Wer fürs Volk sei, könne auch nichts gegen das Völkische haben–es sei denn er ist ein Volksverräter.

Für eine deutsche Leitkultur ala AfD stehen zumindestens nicht solche deutschen Denker wie Goethe, Schiller, Brecht, Beethoven, Nietzsche, Kant zur Verfügung, die sich eher als Weltbürger sahen und kosmopolitisch–schon angefangen beim Ost- West-Divan oder anderen Stücken wie Beethonens Neunter, in der alle Menschen Brüder werden und die auch als Wiedervereinigungs- und Europahymne dient oder Nietzsches Antinationalismus, der ihn ja von den Nationalisten seiner Zeit und auch dem Antisemiten Richard Wagner, der das Nationale musikalisch ins Mythisch-Religiöse erhöhte und Hitler so gut gefiel, trennte. Bei der AfD gelten Menschenwürde, Pluralismus, Toleranz, Kosmopolitismus, Weltoffenheit nichts, man möchte eine deutsche Leitkultur, die den anderen Deutschen ihre autoritären monokulturellen Vorstellungen aufoktroyiert.

Man möchte eine autoritäre Diktatur mit einem deutschen Kulturministerium, das allen anderen Deutschen verbindlich eine Leitkultur aus vorliberaler und autoritärer Zeit aufzwingt. Das letzte Mal, als solch eine Leitkultur den Deutschen aufgezwungen wurde, gab es Bücherverbrennungen und die Gleichschaltung der Kultur–ähnlich auch wie im Kommunismus der allseits verbindliche sozialistische Realismus.Wer immer den Begriff deutsche Leitkultur in den Mund nimmt, sollte sich im klaren sein, dass dies bei der AfD eine zutiefst reaktionäre und gleichschaltende Forderung ist.

Und die Hauptgefahr für Pluralismus, Toleranz und Menschenwürde geht nicht von den 20% zumeist gut integrierten Deutschen mit Migrationshintergrund und der 1 Million Flüchtlinge aus, sondern von der möglichen Radikalisierung der deutschen Mitte, die demgegenüber 80 Millionen Deutsche umfasst und selbst ehemalige Grüne AfD wählen lässt.Es erinnert mich auch an Emmanuel Todds neuestes Buch „Wer ist Charlie?“, in dem er die These aufstellt, dass viele ehemalige Demokraten heute aufgrund ihrer Islamophobie einen neuen Rassismus entwickelt haben, der sie unter Berfuung auf freiheitiche Werte  ins rechtsradikale Lager treibt.Wie eben eine ehemalige Grünenwählerin, die jetzt AfD wählt.

Unlängst meinte ein Kommentator zum Umgang mit der Leitkultur:

“Es wird Zeit, dass wir in die Offensive gehen.
Die ERSTE Forderung an die Xenophoben ist: DEFINIERT uns gefälligst, worin die deutsche Leitkultur eurer Meinung nach besteht!
Die ZWEITE Forderung an die Xenophoben ist: BENENNT DIE MITTEL, die ihr zur Durchsetzung solcher leitkultureller Formen anwenden wollt!
Beides werden sie tunlichst zu vermeiden suchen.
Sie müssen immer so tun, als ob doch klar wäre, worin “unsere” (monokulturelle?!) Leitkultur bestünde.”

Gute Methode. Man sollte es sich nicht schwieriger machen als es ist. Der nackte Kaiser wird sich natürlich um die Definition von Begriff und Mittel drüclen, bzw. nur Burka- und Burkiniverbot nennen können, aber er wird dann so tun, als ob ohnehin klar wäre, worüber man spricht und behaupten, wenn man das nicht wüsste und lange erklären müsste, dass der Fragesteller wohl selbst Probleme mit der Leitkultur habe und wohl kein echter Deutscher sein könne.

Zumal ist ja auffällig, wie sich momentan die Diskussion entwickelt: “Gefühle sind Realität, bei der die Fakten keine Rolle spielen” oder wie AfD-Padzerski sagte: “Perceptions are reality!”. Fakten, objektive Realität, Rationalität zählen nichtz mehr, Leitfaden soll die Emotion, die Intuivität, die Subjektivität, die Ängste und die Wahrnehmung sein. Damit wird an die Gefühlswelt appeliert, die Maßstab für die Politikgestaltung sein solle. Damit wird der Intuition und den Emotionen Priorität eingeräumt und so werden die Leitkulturler sagen, dass man Leitkultur nicht rational, sondern nur intuitiv erfassen könne, als Deutscher diese fühlen könne, der gesunde Menschenverstand, bzw. das gesunde Volksempfinden wüsste, dass es sowas gibt und wenn man dies nicht akzeptiere ein irrationaler Realitätsverweigerer und volksfremder Körper sei.

Die Frage wird auch sein, ob sich die Leitkultuler dann nicht auf Intelektuellen-Bashing als Verteidigungslinie einschießen. Zum einen sagen ja einige Linke von SPD bis Grünen, dass es sowas wie Leitkultur schon gebe, aber eben im Sinne von “Leben und leben lassen”-die viel zitzierte liberalitas bavarica oder der alte Fritz, wonach jeder nach seiner Faison glücklich werden solle, Verfassungspatriotimus/GG- und Gesetzestreue oder eben wie die Münklers in ihrem neuen Buch „Die neuen Deutschen“ der Arbeitsethos.Hier werden CSU und AfD anknüpfen und sagen: Die Linke sagt ja selber, dass es sowas wie die Leitkultur gibt, leugnet also den Begriff nicht oder nur partiell.Dementsprechend gibt es eine Leitkultur und die Frage wäre dann nur noch, was man darunter versteht und wie man die durchsetzen , erhalten oder garantieren will. Zumal es eben auch eine deskriptive und eine normative Leitkultur gibt, eine Leitkultur, für die man eine existierende Realität beschreibt oder eben eine Leitkultur als normatives Leitbild, wie man sie haben , errichten und durchsetzen möchte.

Interessant: Die CSU hat jetzt gemeinsam mit der sächsischen CDU ein Programmpapier zur “Leit- und Rahmenkultur”herausgegeben.

Laut Münchner Merkur sieht die Leitkultur ala CSU/sächsische CDU derfolgt aus:

“Zur Leitkultur gehören nicht nur Werte und Rechtsnormen der demokratischen Grundordnung. “Zu ihr gehören auch Übereinkünfte, die von der Regelung des Alltagslebens bis zur Ausgestaltung der Rolle Deutschlands in Europa und der Welt reichen.” Dazu zählten ein abendländisches Wertefundament, der Gebrauch der deutschen Sprache im öffentlichen Raum und “Stolz auf unsere Nation”.Die schwarz-rot-goldene Fahne und die Nationalhymne seien wichtige Symbole Deutschlands. Mit dem Papier wollen die Verfasser nach eigener Aussage auch den “wertehaltigen Patriotismus” nicht den “Falschen”überlassen. Dies seien Gruppierungen, die Patriotismus in Richtung Nationalismus missverstehen, sagte Johannes Singhammer, Vizepräsident des Deutschen Bundestages.”Wir wollen in einer Zeit des Umbruchs Orientierung geben, weil wir glauben, dass die Menschen das von uns erwarten.”Europas Krise könne überwunden werden auf den Schultern eines sich selbst sicheren Patriotismus ohne die Gefahr einer Renationalisierung. Patriotismus sei gleichzeitig eione Basis für die Integration von Zuwanderern(…) Ob es für Zuwanderer, die sich dieser Leitkultur nicht verschreiben möchten, Konsequenzen geben sollte, wollten die Verfasser nicht konkretisieren.” ( Münchner Merkur v.1. Oktober 2016. S.2).

Der Leitkommentator Mike Schier meint dazu:

“Problematisch wird es mit dem Begriff “Patriotismus”, der in dem Papier eine dominante Rolle spielt. Mit dem Stolz”auf uinsere Kultur und unsere Geschichte”dürften selbst viele Deutsche ihre Probleme haben, das Singen der Nationalhymne und schwarz-rot-goldene Fahnen waren bis nzur Fußball-WM 2006 beileibe keine Selbstverständlichkeit. Dies nun von Ausländern einzufordern, geht zu weit.”Haben Orban und seine FIDESZ, Putin und sein Einiges Russlan oder die PiS in Polen überhaupt so ein Leitkulturpapier- oder gesetz oder wird Leitkultur einfach praktiziert und verordnet, ohne diese näher zu definieren, weil man annimmt, dass dies bei der Mehrheit der Bevölkerung Konsens ist? Und in der Erdogantürkei dürfte der Islam und die Scharia Leitkultur werden oder schon sein.Auch interessant dabei, welche Rolle die katholische Kirche dabei in Polen und die rußisch-orthodoxe Kirche bei der Bestimmung der Leitkultur dabei spielt.

Es ist auch die Frage, ob die katholische Kirche eine Leitkultur hat. Zwar besteht da wophl Einigkeit bei Homophobie, Rolle der Familie uind Frau, doch ansonsten ist der Vatikan mehr kosmopolitisch, für Flüchtlinge und Arme, während die polnische katholische Kirche stark nationalistisch, gegen Flüchtlinge, den Islam,etc. ist. Ähnlich die rußisch-orthodoxe Kirche, die ebenso xenophob und nationalistisch orientiert ist. Dem Internationalismus und Kosmopolitismus des Vatikans stehen also der Nationalismus einiger seiner nationalen Kirchen gegenüber. Man konnte diesen Widerspruch auch beim Besuch von Franziskus in Polen sehen. Der Internbationalismus eines Polenpapstes wuirde nioch geduldet, da dieser vor allem den Antikommunismus und den weltweiten Kampf, auch in Solidarnosc- Polen dagegen führte.Aber den Internationalismus eines Franziskus dürfte man nach dem Wegfall des Kommunismus nun anders beurteilen, zumal Franziskus ja auch nicht so russenfeindlich ist wie die PiS.

Natürlich hat die katholische Kirche eine Leitkultur. Die ist aber nicht politisch sondern vornehmlich religiös und besteht aus den vier Pfeilern, apostolische Sukzession, Anerkennung der kirchlichen Überlieferung (traditio) neben den heiligen Schriften als Träger der Offenbarungswahrheiten, Bedeutung der kirchlichen Sakramente und Anerkennung der ökumenischen Konzilien.Wie diese große religiöse Münzen in der kleinen Währung politischer Gebrauchsanweisungen und Beantwortung von Gegenwartsfragen auszuzahlen ist, darüber sind sich die katholischen Funktionäre nicht einig. Deshalb treffen sie sich ja auch mitunter zu Disputierrunden (Konzilien, Bischofskonferenzen, etc.). Dass es diese großen Glaubenswahrheiten aber gibt, macht eben das verbindende Fundament der una sancta ecclesia aus.

Nun ja, was unter katholischer/christlicher Leitkultur verstanden wird ist ja nicht nur zwischen den Theologen und kirchlichen Amtsträgern umstritten. Die CDU und die CSU sind ja neben der nicht mehr exitsierenden Democracia Christiana (DC) Italiens die einzig beiden Parteien weltweit, die sich unter den Konservativen und Rechten noch offen christlich nennen.Bezug genommen wird dabei auf das “christliche Menschenbild” und die “judeo-christliche Kultur”. Wie die aber auszusehen hat, ist zwischen CSU und CDU und auch innerhalb dieser Parteien durchaus unterschiedlich.

Die AfD wiederum hat eine Gruppe “Christen in der AfD”, während Gauland meinte, die AfD sei keine christliche, sondern eine deutsche Partei. Petry und Meuthen wiederum faseln von der judeo-christlichen Kultur, wie auch vom christlichen Abendland, das es wie Pegida zu verteidigen gelte.AfD-Gauland äußerte auch, dass er Christentum als deutsche Tradition und Brauchtum sehe, mehr also als Familientradition, weniger als allgemeinverbindlichen Glauben mit Betonung der Nächstenliebe und der Menschenwürde.Er betrachtet dies eher als Folklore, die der deutsche pflegt und irgendwie als Accessoires des Deutschseins dient.

Zum anderen meint die CSU und AfD aber mit Leitkultur nicht etwas Inklusives, Pluralistisches, sondern eher etwas Honogenisierendes und Gleichschaltendes. Sie könnten dies dann so darstellen, dass Leitkultur eine Art National GEFÜHL ist, eine nicht näher definierbare Emotion, die sich intuitiv erschließt, ein gesundes Volksempfinden sei und nur von kopfgesteuerten, gefühlsarmen, übergeistigen Intellektuellen und zerstreuten Professoren in ihrem Elfenbeinturm, die die Erdung zum Volk mangels Bürgernähe verloren habe, zerredet und infrage gestellt wird. Diese Intellektuellen werden dannn als vergeistigte, von der Realität und dem Volk entfremdete, der eigenen Identität entwurzelte egositische Individualisten ohne Gemeinschaftssinn, grenzwertige Eigenbrötler, von der Volksgemeinschaft rückgezogene Eremiten und nicht im Volke angesiedelte Nomaden dargestellt werden, die nicht mehr wüßten, wer sie selbst und „wir“sind.

Es könnte der Slogan aufkommen „Deutschland denkt man nicht nur im Kopf, sondern fühlt und hat es vor allem im Herzen“. Herz ist immer gut. Ein Herz für Kinder, ein Herz für Tiere, „Mein Herz schlägt links“(Oskar Lafontaine), dann eben ein Herz für Deutschland. Wer Deutschland nicht im Herzen hat oder spürt oder fühlt, der hat kein Herz und ist nicht herzensgut. Der hat keine Emotion, kein deutsches Lebensgefühl, kein Nationalgefühl, ist herzlos und kopfgesteuert, was ja oft als negatives Adjektiv angesehen wird. Lieber Herz und Schmerz als gefühlstot und eiskalt analystisch-zersetzend und nüchtern-rational. Leitkultur dann auch im Sinne von Heimatgefühl oder kollektivem Unterbewusstsein, das freudianisch und C.G. jung-archetypisch dem Bewußtsein und der Rationalität entzogen, aber eben subtil und allgemein wirkssam sei. Dadurch würde Deutschsein und Leitkultur zum Lebensgefühl, zum Intuitiven , zum Spirituellen und mythisch-Metaphysischen, ja fast schon Religiösen und Sakralem erhoben.

Ergänzt könnte dies dann werden um eine Debatte um den Nationalstolz. Dazu noch Arthur Schopenhauer über Nationalstolz im Allgemeinen und den deutschen im besonderen:

„Die billigste Art des Stolzes ist hingegen der Nationalstolz. Denn er verrät in dem damit Behafteten den Mangel an individuellen Eigenschaften, auf die er stolz sein könnte, indem er sonst nicht zu dem greifen würde, was er mit so vielen Millionen teilt. Wer bedeutende persönliche Vorzüge besitzt, wird vielmehr die Fehler seiner eigenen Nation, da er sie beständig vor Augen hat, am deutlichsten erkennen. Aber jeder erbärmliche Tropf, der nichts in der Welt hat, darauf er stolz sein könnte, ergreift das letzte Mittel, auf die Nation, der er gerade angehört, stolz zu sein. Hieran erholt er sich und ist nun dankbarlich bereit, alle Fehler und Torheiten, die ihr eigen sind, mit Händen und Füßen zu verteidigen.”

Aber derartige Menschen sind im Volk zahlreich vorhanden und konstituieren es zu einem nicht unerheblichen Teil.Sie dürften auch jene sein, die dann am lautetsten nach einer Leitkultur schreien.

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