Erdogan-Türkei: Innenpolitische Gleichschaltung und außenpolitische Expansion

Erdogan-Türkei: Innenpolitische Gleichschaltung und außenpolitische Expansion

Nach innen errichtet Erdogan nun seine Diktatur und schaltet alles gleich. Inzwischen werden auch die Kemalisten frontal angegangen, wofür die Machtübernahme über Cumhürriyet steht. Außenpolitisch läuft es jedoch nicht so glatt: Erdogans ursprüngliches Ziel war ein neosmanisches Reich, indem er die sunnitischen Muslimbrüder in Nordafrika und dem Greater Middle East an die Macht bringt und auch militärisch expandiert. Er kündigte einen langen Marsch nach Damaskus, Mekka und Medina, sowie Jerusalem an.Detailiert nachzulesen im Global Review-Artikel „Erdogan und das neoosmanische Reich auf seinem Weg nach Damaskus, Jerusalem und Mekka“:

http://www.global-review.info/2015/06/01/erdogan-und-das-neoosmanische-reich-auf-seinem-weg-nach-jerusalem-und-mekka/

Nach Al Sissis Putsch gegen die Muslimbrüder und dem Eingreifen Russlands zugunsten Assads und gegen die syrischen Muslimbrüder, sowie alle anderen von der Türkei unterstützten islamistischen Mordbrenner  von Ahrar Al-Sham, Jayesh el Islam, Jayesh el Fatah muss er nun seine Pläne ändern und setzt vor allem als Zwischenstufe auf Einflusssphären in Nordsyrien und Nordirak, weswegen er türkische Truppen nach Mossul und Rakka marschieren lässt und diese als Brückenköpfe für seine sunnitisch-islamistischen Milizen etablieren will, wie auch als faktische Einflußzonen seines neoosmanischen Reichs. Taktisch nähert er sich nun Russland an, nachdem die USA in Syrien nicht als zentrale Macht auftreten.

Zum einen sieht man das an der  Wiederannäherung Russlands  an die Erdogantürkei trotz des Abschusses eines russischen Militärflugzeugs durch das türkische Militär, welchen Erdogan damals offen begrüsste. Inzwischen gilt als neueste Version nach dem misslungenem Gegenputsch in der Türkei, dass die Piloten Anhänger der Gülenbewegung waren, die einen Krieg zwischen Russland und der Türkei inszenieren wollten, bei denen Washington als lachender Dritter fungierte.Es sei der besonnenen Weitsicht der Führer Erdogan und Putins zu verdanken, dass ein Krieg verhindert worden sei. Märchen aus 1001 Nacht also, die nun die neue Freundschaft legitimatorisch besiegeln sollen.Neben dem Bau von Atomkrtaftwerken ist nun Turkish Stream geplant, eine Pipeline, die Russlands Gas und Erdöl über die Türkei via Südeuropa in die EU einspeisen soll.Erdogan wiederum ist durch die neue russiche Rückendeckung in seinen neoosmanischen Träumen ermutigt und stellt nun erstmals offen den Friedensvertrag von Lausanne vom 1923 infrage und stellt territoriale Ansprüche gegenüber Griechenland, Teile Bulgariens und des Balkans (nebst Syien und dem Irak). Erdogans Beteilgung an der Mossuloffensive, die vom Irak und den USA strikt abgelehnt und als Verletzung der Souveränität des Iraks kritisiert werden, reihen sich in weitere Forderungen ein:

“Erdogan erhebt nicht nur Anspruch auf Mossul, sondern er hat in den letzten Tagen weitere territoriale Ansprüche formuliert. In dieser Hinsicht hat er auch Westthrakien erwähnt, zu dem heute ein Teil Südbulgariens und Nordgriechenlands gehört.

An der Recep-Tayyip-Erdogan-Universität in der Provinz Rize sagte er am 15. Oktober: „Können wir Mossul sich selbst überlassen? Wir gehören zur Geschichte Mossuls. Und was tun sie nun? Sie haben sich verschworen, Mossul den Menschen von Mossul zu rauben … Die Türkei kann Aleppo nicht den Rücken zuwenden. Die Türkei kann ihre Landsleute in Westthrakien, Zypern, auf der Krim und anderswo nicht im Stich lassen. Wir können Libyen, Ägypten, Bosnien und Afghanistan nicht mit ihren Problemen allein lassen.“

Er fügte hinzu: „Im Nahen Osten und in Afrika findet man einen Teil von uns in jedem Land zwischen Hatay [an der türkisch-syrischen Grenze] und Marokko. Auf diesem ganzen Weg von Thrakien bis Osteuropa findet man Spuren unserer Vorfahren.“

Am Mittwoch erklärte der griechische Präsident Prokopis Pawlopoulos, Erdogans Äußerungen stellten den Vertrag von Lausanne von 1923 in Frage. Mit diesem Vertrag wurde der Konflikt zwischen den Alliierten-Mächten und der Türkei im 1. Weltkrieg endlich beigelegt. Dieser Vertrag besiegelte die Auflösung des Osmanischen Reiches und die koloniale Aufteilung des Nahen Ostens unter Frankreich und Großbritannien, und er legte die aktuelle Grenze zwischen Griechenland und der Türkei fest.

Pawlopoulos sagte: „Diese Reden des türkischen Präsidenten Erdogan stellen selbst in der freundlichsten Interpretation leider direkt oder indirekt den Vertrag von Lausanne in Frage. Sie bedrohen die griechisch-türkischen Beziehungen und die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei.“”

http://www.wsws.org/de/articles/2016/10/22/moss-o22.html

Nun wäre ein Krieg zwischen der Türkei und Griechenland nicht in Putins Interesse, zumal die linke Syrizaregierung in Griechenland ja eher moskaufreundlich ist, aber es bleibt abzuwarten, wie Putins Interessen bei einer proamerikanischen konservativen Neo Democracia- Regierung aussehen würde. Und ein Krieg zwischen 2 NATOpartnern würde die westliche Allianz wie schon im Falle Zyperns kalt erwischen und in die wohl tiefste existenzielle Krise seit der NATO-Gründung stürzen, was durchaus in Putins Interesse sein könnte.

Erdogans Rede an der Universität von Rize, in der er territoriale Gebietsansprüche nicht nur im Nahen Osten, sondern auch gegenüber Griechenland und Teilen des Balkans, u.a. Bulgarien erhebt, zeigen dies. Bezeichnend war, dass der griechische Präsident dies als Infragestellung des Vertrags von Lausanne 1923 sah. Heute saßen wir in unserem Stammcafe zusammen mit einem deutsch-türkischen Erdogananhänger, der einen immer recht gut darüber informiert, wie die aktuelle Erdoganpropaganda aussieht. Neuester Stand der Erdoganpropaganda: Von 1919 – 1923 gehörten die Erdölgebiete des Nordiraks noch im Rahmen des Versailer Vertrags zur Türkei, ab 1923 wurden sie für 100 Jahre an GB und F abgetreten,  2023 seien die 100 Jahre aber vorbei, weswegen diese Gebiete wieder zur Türkei zurückgehen müssten. Nun weiß ich nicht, ob das völkerrechtlich stimmt, wage es auch zu bezweifeln, aber die Erdoganfans sehen dies als Legitimation für zukünftige Gebietsexpansionen an. Interessant, dass nun türkische Truppen nach Mossul und nun auch nach Rakka marschieren.Zur innenpolitischen Gleichschaltung, scheint nun die außenpolitische Expansion der Erdogantürkei zu kommen.

Damals war Erdogans Ziel die Herstellung eines neoosmanischen Reichs mit Marsch auf Damaskus, Mekka und Jerusalem. Nach dem Eingreifen Russlands ist dieses langfristige Ziel nun infrage gestellt, weswegen er sich vorerst auf territoriale Veränderungen in Nordsyrien und Nordirak beschränken wird.Oder er wendet sich Griechenland und dem Balkan zu.

In diese Richtung gehen neueste Erklärungen von Erdogan:

„In den 1950er Jahren erklärte die Türkei in Bezug auf Zypern einseitig, dass der Vertrag von Lausanne hinfällig werde, wenn sich am Status Zyperns etwas ändere. Großbritannien hatte zuvor als Reaktion auf griechische Unabhängigkeitsbestrebungen der seinerzeit britisch beherrschten Insel erklärt, dass Zypern auch eine Angelegenheit der Türkei sei.

Im Rahmen eines Treffens mit Gemeindevorstehern am 29.09.2016 in Ankara stellte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan den Vertrag von Lausanne aus dem Jahre 1923 erneut in Frage. Er sprach von „unfairen Bestimmungen“ und einer „Niederlage der Türkei“. Als Beispiel nannte er die griechischen Ägäis-Inseln, die in „Rufweite“ der Türkei liegen. Es gäbe noch immer einen „Kampf darum, was ein Festlandsockel“ sei, „und welche Grenzen wir auf dem Land und in der Luft haben“, so der türkische Staatschef. „Diejenigen, die sich damals an den Verhandlungstisch setzten“, so monierte er, „seien den realen Umständen nicht gerecht geworden“.

https://de.wikipedia.org/wiki/Vertrag_von_Lausanne

Die Frage ist, welche Hebel der Westen gegenüber der Türkei eigentlich überhaupt hat und inwieweit die überhaupt wirkungsmächtig sind.Eigentlich existieren da als Handlungsoptionen nur Wirtschaftssanktionen und die Beendigung der EU- Mitgliedsverhandlungen. Letzteres dürfte Erdogan nicht schrecken, ja wäre ihm wohl sogar willkommen. Wirtschaftssanktionen wiederum könnten die Türkei vermehrt in die Arme Russlands und Chinas treiben, weswegen man da neben Geschäftsverlusten da wohl zögerlich ist, wie Erdogan auch mit der Kündigung des Türkeideals antworten kann. Beendigung der NATO-Mitgliedschaft scheint auch nicht erwogen zu werden, insofern dies rechtlich überhaupt möglich wäre. Zumal auch auffällig ist, dass der Westen samt seinen Medien gar nicht auf die militärische Expanison der Erdogantürkei in Nordsyrien und Nordirak reagiert, bzw. diese offen kritisiert.Die Unterstützung der PKK dürfte wohl westlicherseits nicht erwogen werden, da sie sowohl in den USA wie auch in der EU als Terrororganisation gilt und dies eine offene Kriegserklärung seitens des Westens wäre, die nicht nur von Erdogan so aufgefasst würde, sondern auch von den säkularen Kemalisten. Da die USA im Wahlkampf verstrickt sind und die EU unwillig ist, scharf zu reagieren, hat Erdogan freie Hand.

Wie Trump zu Erdogan steht, ist bisher völlig offen. Trump dürften aber Menschenrechte, Demokratie und das Verschieben von Staatsgrenzen und das Einhalten von internationalen Verträgen nicht sonderlich interessieren, zumal er auch ein Faible für starke Männer hat.Unter Clinton dürfte eine härtere Gangart gegenüber der Türkei zu erwarten sein–oder vielleicht auch nicht, da die USA möglicherweise die Türkei um jeden Preis in der NATO und der Anti-IS-Koalition halten wollen. Fraglich aber ob die USA die Entstehung von türkischen Klientelstaaten zuschauen würden–in Syrien würden sie dies vielleicht dulden, da sich dies gegen Assad richtet. Im Irak weniger, da dies die Auflösung des Iraks bedeuten würde, das Syces-Picot-Abkommen und den Lausaner Vertrag von 1923 infrage stellen könnte. Denn dies könnte das Ende der Nachkriegsordnung und der vereinbarten Grenzziehungen im Nahen Osten wie aber auch in Europa bedeuten.

Interessant ist auch, wie die irakischen Nicht-PKK-Kurden um Barsani und Talibani reagieren. Während sie noch einverstanden schienen mit türkischen Truppen um Mosul und diese eher als willkommene Unterstützung gegen den IS betrachteten, so haben sie nun offen gegen die Festnahme der HDP-Führung in der Türkei protestiert. Um einen Klientelstaat im Nordirak zu errichten, bräuchte Erdogan einen kurdischen Kollaborateur, da die arabisch-sunnitischen Milizen, die die Türkei unterstützt nicht ausreichend wären. Inwieweit sich ein solcher findet oder ob er dann doch auf Barsani zurückgreifen muss oder ob er den Nordirak einfach militärisch besetzen würde, womit er sich die Feindschaft des Restiraks, Irans sowie eine einige Kurdenfront gegen die Türkei von nordirakischen bis PKK-Kurden zuziehen würde ist die Frage–so selbstmörderisch dürfte Erdogan auch nicht sein. Vielleicht eine Föderation mit dem kurdischen Nordirak, mit ökonomischen Anreizen (ala osmanisches Reich) und Militärbasen als Gegenleistung. In Syrien dürfte solch ein Klientelstaat schwieriger zu erreichen sein, da in Nordsyrien die PKK-nahe YPG die dominante Kraft unter den Kurden ist. Dort müsste er sich auf arabisch-sunnitische Islamistenmilizen stützen und auf Gruppen wie Ahrar Al-Sham, Jayesh el Fatah und Jayesh el-Islam. Aber ob Iran, Irak und Assad-Syrien solche Klientelstaaten akzeptieren würden, ist da auch die Frage.Mittel- und langfristig könnte sich hier auch eine neue Konfrontation zwischen der Türkei und schiitischem Restirak, Iran und Assadsyrien ergeben, bei denen die USA und Russland vielleicht gezwungen sind zu intervenieren oder mittels dieser Kräfte einen Stellvertreterkrieg zu führen.

Interessant, dass sich alle Welt wegen mangelnder Demokratie an den Beispielen Putin, Xi Jinping oder Erdogan ereifert, ja vielleicht auch bei Trump, aber das Thema Revision der Nachkriegsordnung und ihrer Grenzen da gar nicht im Zentrum steht.Hier soll die gesamte Nachkriegsweltordnung infrage gestellt werden, außenpolitisch, multipolare Weltordnung und man macht sich nur Gedanken über geschmäcklicherische Fragen der Innenpolitik. Dabei geht eben innenpolitische Zentralisierung und Gleichschaltung mit außenpolitischer Expansion zusammen.Interessant, dass die Wochenendausgabe der SZ das erste deutsche Organ war, das auf Erdogans Infragestellung des Syces-Picot-Abkommens und des Lausanner Vertrags überhaupt mal einging.Aber es wurde auch nur erwähnt und die weiteren Folgen überhaupt nicht durchdacht.

 

 

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