Maischbergers „Publikumsdiskussion“–Vox populi im öffentlich-rechtlichen Staatsfernsehen

Maischbergers „Publikumsdiskussion“–Vox populi im öffentlich-rechtlichen Staatsfernsehen

Gestern abend wohl auch als Folge des Trumpschocks: Maischberger. Aber nicht das übliche Format: Talkrunde mit hinlänglich bekannten Politikern und Experten unter sich, sondern gemischt-eine „Publikumsdiskussion“. Das Publikum und der Bürger im Zentrum, darunter CSU-Scheuer, SPD-Özuguz und eine Islamwissenschaftlerin, die auch mal zu Worte kommen durften. Am meisten konnten die Zuschauer miteinander diskutieren. Eine sehr interessante Diskussion zum Thema Islam, in der auch Muslime und Flüchtlinge zu Wort kamen. Vorbei die Zeit, als das Publikum nur als Klatschkonserve, Dekoration, ungefragter Zaungast und Staffage den belehrenden Experten untertänig zuhören und schweigend und ungehört beisitzen musste.

Maischberger kennt eben noch die alte BR-Jugenddiskussionssendung „Live aus dem Schlachthof“, die sie in ihrer Jugend  mit Giovanni di Lorenzo (heute ZEIT-Chefredakteur) , Amelie Fried und Schmidtbauer moderierte und bei der man als Jugendlicher politisch mitdiskutieren konnte. Diese Formate wurden gänzlich aus dem Programm gestrichen, nur noch Eliten unter sich. Die Privatsender hatten anfangs auch noch Talkshows oder reißerisch-konfrontative Formate wie „Auf dem heißen Stuhl“, haben sich aber inzwischen völlig entpolitisiert–es sei denn es stehen Wahlen an, dann brachte Stefan Raab auf dem Jugendsender Pro Sieben auch einmal eine Jugendwahlsendung, was aber die absolute Ausnahme von der Regel war.Nach der Medienschelte,Lügenpressevorwürfen, AfD-Wahlsiegen, Forderungen nach mehr direkter Demokratie und mehr Teilnahme von Bürgern scheint man dem Volk nun wieder mehr aufs Maul zu schauen und der Vox Populi wieder Gehör zu verschaffen, damit die „abgehobenen Eliten“und „das Establishment“wieder Bürger- und Volksnähe demonstrieren können. Abzuwarten, ob dies ein Einzelfall bleibt oder nun die Regel wird.Interessant auch wie die FAZ die Sendung bewertet:

„Gelungene Diskussionen sind keine Wohlfühloasen, wo am Ende alle einer Meinung sind. Sie leben vom Austausch von Argumenten und erzeugen damit den Zwang, sich diese auch anzuhören. Selbst wenn sich alle Diskutanten auf eine gemeinsame Faktengrundlage verständigen sollten, erzeugt das keineswegs automatisch einen Konsens. Selbst unumstrittene Tatsachen können unterschiedlich gewichtet und bewertet werden. Daher dienen auch die beliebten Faktenchecks nicht der Konsensbildung, sondern vor allem der Delegitimierung einer Position. Der Redner soll als Lügner enttarnt werden. Nun machte ein langjähriger Beobachter des Fernsehformats Talkshow sicherlich nicht die Erfahrung, dort zumeist über gelungene Diskussionen berichten zu dürfen. Das liegt keineswegs an der Unfähigkeit der Moderatoren, sondern am strategischen Interesse der eingeladenen Diskussionsteilnehmer. Sie haben kein Interesse an der Herstellung eines Konsens, vielmehr an der Profilierung der eigenen Position. Das Ziel ist somit der Dissens als Abgrenzung vom politischen Gegner.

Wohlmeinende Idealisten

Das Publikum kritisiert dann häufig solche Sendungen mit dem Argument des wohlmeinenden Idealisten als ritualisierte Schaukämpfe. Tatsächlich ist damit allerdings zumeist auch nur das Fehlen der eigenen Position gemeint. Eher an akademische Diskurse erinnernde Formate, wie den Phoenix-Runden, fehlt es an der rhetorischen Zuspitzung. Sie funktionierten daher nicht in ARD oder ZDF, weil sie die wohlmeinenden Idealisten schlicht als zu langweilig empfinden. Den Zuschauern fehlt so das, was sie nach der Sendung in ihrer ritualisiert anmutender Kritik am meisten beklagen: Der Dissens. Gestern Abend versuchte es Sandra Maischbeger einmal anders. Sie machte eine „Publikumssendung“ anstatt der sonst üblichen Runde aus Politikern, Interessenvertretern und Experten. Diese gab es zwar auch. So waren die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD) und der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer eingeladen. Es ging um die „Angst vor dem Islam – Alles nur Populismus?“.

Eine Publikumssendung hat zweifellos den Anspruch der vox populi Gehör zu verschaffen. Frau Maischberger reagiert damit auf die Kritik vor allem an den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Diese, so der häufig gehörte Vorwurf, ließen etwa in ihren Talkshows Außenseiter nicht zu Wort kommen. An dieser Sichtweise ändern wohl selbst die Fakten nichts. So wurden Pegida-Vertreter eingeladen, genauso wie AfD-Politiker. Die Piraten durften sich in ihrer kurzen Blütezeit ebenfalls nicht über fehlende Resonanz beklagen. So nutzten manche Kritiker gerade diese Tatsache, um genau andersherum zu argumentieren. Wie kann man eigentlich solchen Außenseitern soviel Aufmerksamkeit verschaffen? Widerspruchsfreiheit in der eigenen Argumentation ist unter solchen Kritikern keineswegs mehr als Tugend zu werten.

Das alles soll mit einer solchen Publikumssendung verhindert werden. Gestern Abend kam jeder zu Wort. Bürger, die den Islam kritisch sehen, genauso wie junge Musliminnen mit Kopftuch und ein syrischer Flüchtling aus Aleppo. Eine im Jahr 1966 eingewanderte Griechin war zu erleben, die es in diesem Land als Wohltat empfand, aus den Zwängen ihrer griechisch-orthodoxen Gemeinschaft ausgebrochen zu sein. Das sahen die Mitglieder der Erfurter Ahmadiyya-Gemeinde sicherlich anders. Ein Krankenpfleger aus Ludwigsburg berichtete von der Respektlosigkeit junger Muslime gegenüber Kolleginnen auf seiner Station. Die Zuschauer erfuhren etwas von den Schwierigkeiten einer jungen Betriebswirtin bei der Jobsuche, weil sie als Muslimin ein Kopftuch trägt. Ein junger Deutscher aus Berlin, ansonsten an Religion völlig desinteressiert ist, brachte seine Toleranz gegenüber den reaktionärsten Formen des Islam zum Ausdruck. Er vertrat damit das neoliberale Dogma des Laissez-faire. Ob es auch gelten würde, wenn in Berlin-Friedrichshain die reaktionärsten Elemente des Katholizismus das Straßenbild zu bestimmen versuchten? So diskutierte man über die Vollverschleierung und den Bau von Moscheen. Es wurde die Leitkultur diskutiert und welche Bedeutung der Schweinefleisch-Konsum in unserer Gesellschaft haben soll. Vielleicht hätte man über die Thüringer Bratwurst in Verbindung mit dem Moscheebau zu Erfurt diskutieren sollen.

Sturm der Entrüsteten und Empörten

Das wäre wenigstens ein verbindendes Glied in dieser Diskussion gewesen. Es war nämlich eine lose Aneinanderreihung von Statements. Manchmal mit politischen Inhalt, manchmal schilderten die Gäste lediglich ihre Eindrücke. Ansonsten sind die Diskutanten durchaus gezwungen, auf Argumente zu reagieren. Selbst wenn es nur zum mahnenden Hinweis reichen sollte, einen ausreden zu lassen, bis es anschließend in einem dissonanten Chor konkurrierender Stimmen endet. Gestern Abend passierte das nicht. Das lag an der souveränen Gesprächsführung von Frau Maischberger. Der eigentliche Grund war aber woanders zu finden. Es war gar keine Diskussionssendung, sondern eine Bestandsaufnahme deutscher Befindlichkeiten. Immerhin, und das ist nicht hoch genug zu bewerten, trafen hier Menschen aufeinander, die sich sonst nie begegnen. Den jungen Musliminnen wäre es etwa durchaus zu wünschen, sich mit der älteren Griechin auszutauschen. Sie teilen die Migrationserfahrung und leben offensichtlich doch in völlig anderen Welten. Integration hat nämlich wie Demokratie eine Voraussetzung. Den Zwang, sich anderen Perspektiven aussetzen zu müssen. Nur so wird der Dissens für alle erträglich.“

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/tv-kritik/tv-kritik-maischberger-islamdebatte-mit-dem-volk-14531604.html

Im WDR lief nun eine ähnlich strukturierte Sendung „Ihre Meinung“, die von Frau Böttinger moderiert wurde. CDU-Laschet und AfD-Pretzel als Politiker, während die Hauptdiskussion im Publikum erfolgte.Hingegen war Maybrit Illner wieder das gewohnte Format: Politiker und Experten im Zentrum, u.a. Jens Spahn von der CDU, der unvermeidliche rot-grüne Internetnerd Sascha Lobo, ein SPDler, Ex-Haiderberater Stefan Pretzler und eine vermeintliche Vertreterin der Jugend zierte als Alibijugendliche die Runde zierte, wurde jedoch von den Alphatieren in Grund und Boden geredet, insofern sie überhaupt zu Wort kam. Als Publikumsgast wurde dann auch noch eine ehemalige SPDlerin, die nun bei der AfD ist hinzugezogen. Das Publikum durfte dem selbstreferentiellen Talk, ob „wir“jetzt auf das Volk hören sollten  wieder als lauschender und passiver Zaungast und Klatschdekor beiwohnen. Bisher ist die Bilanz recht durchmischt. Abzuwarten, ob sich ARD-Anne Will, ARD-Plasbergs und ZDF-Illner auf das Maischberger- und Böttingerformat der Publikumsdiskussion überhaupt einlassen werden.

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