Die Rechte und die soziale Frage

Die Rechte und die soziale Frage

Die Sezession Götz Kubitscheks sieht Gefahr für die AfD und die Rechte seitens Sarah Wagenknechts. Zwar gefallen den Rechten viele mehr nationale Forderungen Wagenknechts, sie sehen aber, dass Wagenknecht durch Fokusierung auf die soziale Frage der AfD beim Klientel der Arbeiter, Arbeitslosen und Prekariserten Stimmen und Zustimmung kosten könnte. In dem Beitrag „Sahra Wagenknechts Freischwimmen gegen Rechts“ schreibt Benedikt Kaiser:

Dabei ist Wagenknecht ohne Zweifel die weitsichtigste Politikerin des Fusionsprodukts aus PDS und WASG.

Sie weiß, daß das Gros der Stammwähler der Linken nicht mehr durch Arbeiter und Prekarisierte, sondern durch die urban-akademische Mittelschicht gestellt wird. Und da dies bereits das Stammklientel von Grünen und SPD ist, will sie nicht nur dort werben, sondern die Linke wieder als dezidiert soziale Alternative für Deutschland positionieren, die sich nicht an Minderheitenfetischen aufreibt und breite Schichten erst verwirrt und danach verprellt, sondern Verteilungsgerechtigkeit, bezahlbaren Wohnraum und Altersvorsorge in den Fokus der politischen Agenda stellt.

Das trifft einen Nerv, das trifft den sozialen Flügel der AfD um Björn Höcke, Alexander Gauland oder auch André Poggenburg. Letzterer forderte gar überspitzt zum Seitenwechsel Wagenknechts auf („Frau Wagenknecht, kommen Sie zur AfD“). Und genau gegen den Flügel, der nicht im Denkgehäuse des Neoliberalismus feststeckt, möchte sie nun einen Schlag führen. (…)

Es gilt, dies nüchtern zu konstatieren und sich Gewißheit darüber zu verschaffen, daß Sahra Wagenknecht viel Richtiges sagt, es aber nicht nötig ist, sie „von rechts“ zu umgarnen, da sie im Zweifelsfall selbst jene Abgrenzungsmechanismen verinnerlicht hat, die auch dann noch greifen, wenn sie eigentlich feststellen müßte, daß mit ihrer Partei all die realpolitischen Konsequenzen, die sich zwangsläufig aus dem ergeben, was sie selbst in Reden ankündigt oder in Büchern niederschreibt, schlicht und ergreifend undenkbar sind, beispielsweise:

Demokratie lebt nur in Räumen, die für Menschen überschaubar sind.

Nicht Bindungslosigkeit, sondern Bindung macht frei, weil nur sie Halt gewährt.

Nötig ist also keine Anbiederung an Wagenknecht und jenen minoritären Teil der Linken, in der ihre Ansichten noch reüssieren. Nötig ist eine eigene soziale Profilschärfung.

Was wir brauchen, ist eine moderne politische Rechte jenseits neoliberaler Denkstrukturen, die beispielsweise in der Lage ist,

  • adäquate Antworten auf die Wohnungsnot in Großstädten zu finden,
  • das stets wachsende, prekär beschäftigte Dienstleistungsproletariat der bundesdeutschen Call-Center-Gesellschaft in Überlegungen zu einer sozialen Wende einzubeziehen,
  • den grassierenden Wahnsinn der Leih- und Zeitarbeit als zu überwindenden Ausbeutungsmechanismus zu entlarven,
  • Konzepte für wohnortnahe Beschäftigungsmöglichkeiten zu entwickeln, um das Familien belastende Auspendeln in die Ballungsräume des Westens zu minimieren – usw. usf.

Während das Beackern dieses Felds vor allem die Aufgabe von parteinahen Personenkreisen ist, etwa im Stadtrat, im Kreis-, Land- oder bald im Bundestag, muß das metapolitische Milieu derweil in der Lage sein,

  • die größeren politökonomischen Zusammenhänge beim Großen Austausch – jenseits von voluntaristischen Annahmen wie „Multikultis machen den Großen Austausch!“ – zu analysieren,
  • die aktuelle Lage des Finanzmarktkapitalismus zu beobachten und mit Partnern im In- und Ausland solidarische und inter-nationale Gegenentwürfe zu entwickeln,
  • inhaltlich fundiert und in der Argumentation schlüssig auf den wesensgemäßen Zusammenhang von regionaler, nationaler, europäischer und sozialer Solidarität in einer „Gemeinschaft füreinander tätiger Subjekte“ (Axel Honneth) hinzuweisen – usw. usf.

Eine solche Rechte hätte es nicht nötig, auf der linken Seite nach Partnern zu suchen. Sie genügte sich selbst und verkörperte aus eigener Kraft und eigenem Ideenreichtum eine intellektuelle und politische Alternative, die dann wiederum jene vernünftige Restlinke anziehen könnte, die in ihrem Lager an der konzeptlosen Verengung des ideenpolitisch Sag- und Tragbaren leiden, die aufgrund ihrer bloßen analytischen Auffassungsgabe im eigenen Lager angefeindet und als rechtsabweichende „Querfrontler“ diffamiert werden.

Ansonsten gilt es, der Selbstzerfleischung der Linken, die Wagenknecht durch publikumswirksame Schläge gegen rechts nicht aufhalten wird können, keine Selbstzerfleischung der parlamentarischen wie außerparlamentarischen Rechten folgen zu lassen. Dafür ist das Jahr 2017 zu eminent wichtig.“

http://sezession.de/56968/


Von der restlichen Linken hält die Sezession nicht viel–diese entspringe einem saturierten, urbanen Mittelstandsmileu, das Lifestyle-Konsumismus für Kommunismus halte, die System- und die soziale Frage völlig ausblende:

So schreibt Benedikt Kaiser in seinem Beitrag „Linke Gewalt und soziale Inkompetenz“:

“ 1. Die heutige neoliberalisierte Zeitgeistlinke, deren Kern saturierte Studentenkreise darstellen, die ihren linken Lifestyle-Konsumismus mit Kommunismus verwechseln, gefällt sich in ihrer Rolle als Fußtruppe des herrschenden Mainstreams, in ihrer Funktion als in den Konsens der Berliner Republik integrierte, pseudorebellische „Staatsantifa“. Ohne tatsächliche Repression oder Diffamierung, Kritik oder Folgen ihres Tuns erwarten zu müssen, schlägt sie auf eine Minderheit – alles, was rechts ist – ein, und erfährt dabei offene oder klammheimliche Solidarität durch etablierte Medien und Politik. Die Gedanken der herrschenden Klasse sind die herrschenden Gedanken sind die (modifizierten) Gedanken der antifaschistischen Kreise.

2. Der Preis für diese gewährte Rolle als „Tellerlecker der Bourgeoisie“ (Rosa Luxemburg) und seiner willfährigen Satrapen in Medien und Politik ist der Preis, den die postmoderne Linke gerne bezahlt hat. Sie verzichtet auf die Thematisierung der Urprobleme des frühen 21. Jahrhunderts: Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und des Eigentums. Sie verzichtet auf grundsätzliche Opposition zur herrschenden Klasse, auf grundsätzliche Überlegungen zur Rückkehr des Klassenkampfs, auf das grundsätzliche Stellen der „Systemfrage“, auf grundsätzliche Reflexionen bezüglich des großen Ganzen überhaupt. Dafür erhält sie freie Hand bei den „Nebenwidersprüchen“, etwa bei Transgender-Themen – oder eben im „Kampf gegen Rechts“, der keine Gefahren, aber gut dotierte Posten, kein Risiko, aber alimentierte Netzwerkseilschaften kennt. Man ist gerne „Hilfssheriff für Staat und Kapital“ (Susann Witt-Stahl), weil es sich schlichtweg lohnt. Kann die Universität, rechtlich betrachtet, keine Rede von Poggenburg verhindern, macht es eben die Antifa, kann ein Ordnungsamt keine Demo einer unliebsamen Rechtsgruppierung verhindern, blockiert eben die Antifa. Arbeitsteilung à la Bundesrepublik.“

http://sezession.de/56956/

Sarah Wagenknechts Fokusierung auf soziale Fragen wird hingegen als Gefahr für die Rechte wahrgenommen, vor allem könnte sie Arbeiter, Arbeitslose, Prekarisierte und sozial Schwächere der AfD abspenstig machen. Dass die soziale Frage von der AfD mehr als Tarnanstrich und nicht ernst gemeint ist, die AfD einen starken neoliberalen Flügel hat, zeigt sich auch an der Begeisterung des AfD- Führungsmitglieds Paul Hampel für den konservativen Präsidentschaftskandidaten in Frankreich, Fillon, der ankündigte eine französische Thatcher sein zu wollen und ein neoliberales Programm des Sozialabbaus und der Einschränkung von Arbeiterrechten vorsieht:

 

„Paul Hampel: Fillon zeigt Merkel, wie Christdemokraten sein sollten

Berlin, 24. Januar 2016. Zu den Äußerungen des französischen Präsidentschaftskandidaten Fillon in Berlin erklärt AfD-Bundesvorstandsmitglied Paul Hampel:

„Francois Fillon, der Kandidat der französischen Christdemokraten, zeigt Merkel und der CDU gerade, wie weit sie sich von einer sach- und vernunftorientierten Politik entfernt haben.

In nahezu allen entscheidenden Politikfeldern vertritt der konservative Franzose gegensätzliche Positionen zur deutschen Kanzlerin. Er lehnt Flüchtlingsquoten innerhalb Europas ab, will die EU-Außengrenzen besser überwachen und falls das nicht ausreicht, auch die nationalen Grenzen wieder schützen. Auch steht er sozialpolitisch für konsequente und zukunftsfähige Reformen, welche die deutschen etablierten Parteien nach wie vor scheuen. Außenpolitisch hat er richtig erkannt, dass Merkels Konfrontationskurs mit Russland kontraproduktiv ist.

All das sind Positionen, die auch die AfD seit langem vertritt, in Deutschland dafür aber nach rechts-außen geschoben wird. Merkel täte gut daran, sich vom Profil dieses Konservativen etwas abzuschauen. Leider hat unsere Kanzlerin mit dem französischen Christdemokraten nichts gemein. Sie ist nach wie vor abgehoben, weltfremd und uneinsichtig.

Die Franzosen leben in dem Luxus, gleich mehrere gute Alternativen zu ihrem jetzigen sozialistischen Staatschef zur Wahl zu haben. Aber auch in Deutschland gibt es dieses Jahr endlich eine Alternative zu Merkels sozialistischer Einheitspartei: die Alternative für Deutschland.“

https://www.alternativefuer.de/paul-hampel-fillon-zeigt-merkel-wie-christdemokraten-sein-sollten/

Merkel ist für Hampel schon sozialistisch und nicht genug neoliberal, wie umgekehrt Petry den mit ihr verbündeten Front National auch schon einmal als „zu sozialistisch“bezeichnete, womit sie zeigte, dass die soziale Frage für sie sekundär und nur instrumental ist.

Wie die AfD wirtschaftspolitisch steht, kann man z.B. hier sehen:

„Der DIHK bemängelt die sinkende Zahl von Firmengründungen in Deutschland. Ursache: Die derzeitige Wirtschaftspolitik ist alles andere als Werbung für Unternehmensgründungen, beispielhafte Hemmnisse sind Mindestlohn, Entgeltgleichheitsgesetz und (Über-) Regulierungen bei der Zeitarbeit. […]Deutschland benötigt dringend ein Einwanderungsgesetz und eine Zurückdrängung marktfremder merkel-sozialistischer Marktbürokratisierung.“

afd-fraktion-sachsen.de/presse/pressemitteilungen/firmengruendungen-in-deutschland-ruecklaeufig.html

Die AfD meidet zumeist konkrete Aussagen zur Sozialpolitik, um ihre Wähler nicht zu verjagen.

„Bei für die AfD bislang für Wahlerfolge nicht erforderlichen Themen (das gilt insbesondere für die Wirtschafts- und Sozialpolitik) muss sehr sorgfältig darauf geachtet werden, dass sich die Anhängerschaft der AfD nicht auseinanderdividiert. Während Teile des liberal-konservativen Bürgertums auf der einen und Arbeiter und Arbeitslose auf der anderen Seite bei Themen wie Euro/Europa, Sicherheit, Migration/Islam, Demokratie, nationale Identität oder Genderismus durchaus ähnliche Positionen vertreten, kann es Differenzen bei Fragen wie Steuergerechtigkeit, Rentenhöhe, Krankenkassenbeiträge, Mietbremsen oder Arbeitslosenversicherung geben.“

https://www.tagesschau.de/inland/afd-strategiepapier-101.html

So lehnte die AfD zuerst den Mindestlohn ab, aber hat ihn nun nach Protesten in ihr Parteiprogramm hineingeschrieben.Doch Papier ist geduldig und bei einer Regierungsübernahme gelten solche Wahlversprechen nicht viel, wie auch damals schon die Agenda 2010 unter der rot-grünen Regierung zeigte. Zumal die AfD auch für die Privatiserung der Arbeitslosenversicherung ist und Arbeiter- und Gewerkschaftsrechte beschneiden will. Im Falle des Wohnungsbaus setzt sie sich auch nicht für sozialen Wohnungsbau ein, sondern nur für die Förderung privater Wohnungseigentümerschaft, so als hätten breite Schichten der deutschen Bevölkerung überhaupt Einkommen genug, sich ein eigenes Haus zu kaufen. Die AfD tritt für eine neoliberale und sozialdarwinstische Politik im Interesse ihrer radikalsierten Kleinbürger in Kooperation mit dem Großkapital ein.

Somit ist die soziale Frage für die Rechte nur das, was der Sozialismus für den Nationalsozialismus war: Eine verbale Worthülse, um Teile der Arbeiter und Prekarisierten für sich zu gewinnen, um dann eine assoziale Politik zu ermöglichen. Zumal eben die Frage auch ist, ob jener angebliche „soziale“ AfD-Flügel um Höcke, Gauland und Poggenburg überhaupt an solch intellektuell-elaborierter Sozialpolitik wie der Sezession interessiert ist oder ob ihm nicht einfach nach dem Motto: „Sozial geht nur national“, die soziale Frage gelöst wird, wenn man Hartzler, Arbeitslose, Ausländer und Flüchtlinge als Sozialschmarotzer und Übel aller sozialen Mißstände benennt und gegen diese hetzt, um dann doch wieder für eine nationale Volksgemeinschaft zu plädieren, die dadurch ihren sozialen Zusammenhalt beweist und herstellt, dass sie Ausländer totschlägt, rausschmeißt oder Arbeitslose als Arbeitsfaule- und unwillige in Arbeitslager einweist oder zur Zwangsarbeit abstellt.

Auffällig ist auch, dass sich die AfD und die Rechtsextremen noch gar nicht mit der Digitalsierung und Industrie 4.0 beschäftigt haben, also mit der technologischen Revolution unter kapitailstischen Verwertungsbedingungen, die massenhaft Arbeitsplätze überflüssig machen wird, wenn man nicht entgegenlenkt. Denn derartige Analysen würden dann vielen Anhängern zeigen, dass die meisten Probleme nicht durch die 800 000 Flüchtlinge und/oder die sogenannten Muslime kommen, sondern durch das kapitalistische System und Kapitalismuskritik ist die Sache der bürgerlichen Parteien und vor allem der Rechtsradikalen nicht, es sei denn man naturalisiert sie in Form an der Kritik jüdischen Finanzkapitals oder muslimischer Sozialschmarotzer, die den organischen Volkskörper aussagen.

Das einzige, was die AfD bisher an der Digitalsierung interessiert, ist, dass man dann auch weniger Fachkräfte, sprich Ausländer brauchen würde. Mehr ist da nicht zu vernehmen.Zumal auch geschichtlich betrachtet der sogenannte „sozialrevolutionäre“ SA- Flügel um Röhm letztendlich von Hitler beseitigt und untergeordnet wurde–zugunsten seines Bündnisses mit Großkapital und Reichswehr. Soziale Fragen sind also bei Rechten denkbar schlecht aufgehoben, allein schon aufgrund ihres sozialdarwinistischen Weltbilds, das das Recht des Stärkeren und Reicheren über den Schwächeren und Ärmeren propagiert.

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