Atom-Supermacht Europa?

Atom-Supermacht Europa?

Das Schwanken der Trump-USA in Sicherheitsfragen, die Ankündigung, dass die USA Verbündete nur noch verteidigen würden, wenn sie die in der NATO beschlossene Benchmark von 2% des BSP als Verteidungshaushalt einhalten würden, hat innerhalb der EU zu einer Diskussion geführt, ob sich Europa nicht militärisch selbständiger aufstellen solle. SPIEGEL und FAZ haben schon die Option einer deutschen Nuklearmacht in die Diskussion gebracht, Roderich Kiesewetter (CDU) sprach sich sogar für eine europäische Atommacht aus und nun ist zu lesen:

„Kaczynski in der F.A.Z. „Eine Atom-Supermacht Europa würde ich begrüßen“

Jaroslaw Kaczynski  denkt laut über die atomare Aufrüstung der europäischen Union. Der Vorsitzende der nationalkonservativen polnischen Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), sagte im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, er begrüße die Idee einer atomaren „Supermacht“ Europa. Mit Blick auf die wachsenden Spannungen zwischen West und Ost müsste man allerdings dafür „zu gewaltigen Ausgaben bereit sein“, und das sehe er nicht, so Kaczynski gegenüber der F.A.Z. „Eine eigene Atommacht müsste mit Russland mithalten können.““

http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/polen-kaczynski-macht-werbung-fuer-angela-merkel-14859897.html

Alles nur eine Kostenfrage? Zuerst wäre ja einmal Konsens herzustellen, wie sich eine derartige europäische Atommacht zur NATO und den USA aufstellt. Dann wäre eine integrierte Militärstruktur von Nöten mit einem zentralen Oberkommando und dann stellt sich auch die Frage, wer denn im Ernstfalle die Verfügungsgewalt über diese Atomwaffen hätte und wo sie in welcher Größenordnung aufgestellt und stationiert würden. Dann wäre die Frage, wer die wichtigen Komponenten herstellt–von Atomsprengköpfen über Kommunikationssystem (militärische Nutzung des Gallileo-Satellitensystems?) bis Trägersystemen (Militärversion der Arianne?), zumal eben auch die Frage ist, ob denn die USA oder Rußland ein Interesse an solch einer eigenständigen Superatommacht Europa hätten und dies überhaupt zuliessen. Zumal eben auch noch der Atomwaffensperrvertrag gilt, der eine solche Aufrüstung untersagt.

Derartige Bestrebungen hatte es schon unter Adenauer/Strauß gegeben, die immer versuchten an deutsche Atomwaffen zu gelangen. Franz Josef Strauß versuchte sich schon in den 60er Jahren an der Errichtung einer europäischen Atommacht, wurde da aber europäischerseits von Großbritannien und Frankreich ausgebremst, die nicht einsahen ihre Atomwaffenpotentiale mit den Deutschen und Europäern zu teilen, ja vielleicht auch noch unter deutschen Oberbefehl zu stellen. Der damalige SPIEGEL-Herausgeber Rudolf Augstein war der entschiedenste Gegner einer deutschen Atombewaffnung und von Franz Josef Strauß- von daher ist es eine Ironie der Geschichte, das nun der SPIEGEL in seinen Leitartikeln plötzlich für eine deutsche Atombewaffnung plädiert. Es zeigt aber auch, dass die militärische Aufrüstung inzwischen von fast allen Teilen der deutschen Eliten gedacht wird und nun als gemeinsame Notwendigkeit gesehen wird.

Eine solche europäische Atommacht müsste erst einmal ohne Großbritannien gedacht werden und würde sich für eine absehbare Zeit erst einmal auf die Force de Frappe Frankreichs stützen. Während des Irakkriegs, als die Bush jr.-Administration, allen voran Rumsfeld Europa in das alte und neue Europa angesichts der Coalition of the willing einteilte, bot die französische Verteidigungsministerin Michelle Alliot-Marie Deutschland damals den atomaren Schutzschild Frankreichs an, was aber von den deutschen Transatlantikern abgelehnt wurde und ungehört blieb.

Im jetzigen Präsidentschaftswahlkampf tritt der unabhängige proeuropäische Präsidentschaftskandidat Macron für eine stärkere europäische militärische Integration unter französischer Vorherrschat ein, da Frankreich über eine vollständige Militärarchitektur verfüge, wobei unklar bleibt, wie weit diese Integration ginge–ob bis zu einer EU-Armee oder gar einer europäischen Atommacht. Das bleibt ungewiss und hängt auch von der Bereitschaft der anderen Europäer ab, sich einem französisch dominierten Militärbündnis anschliessen zu wollen, zumal es auch noch die NATO gibt. Die andere Präsidentschaftskandidatin, die antieuropäische Marine Le Pen möchte aus der EU und der NATO austreten, machte bisher auch keine Avancen die Force de Frappe einem europäischen Oberkommando unterstellen zu wollen. Eine europäische Atomsupermacht wäre bei ihrem Wahlsieg also auf Treibsand gebaut, da Frankreich die EU verlassen würde. Dann blieben nur noch die Nichtnuklearmächte Deutschland, Polen, Italien, Portugal, Spanien und die kleineren Länder, die ohne strategische Tiefe, kaum Nukelartechnologie und fehlender gemeinsamer Rüstungsindustrie, zumal bei weniger ökonomischen Resourcen eine derartige Herkulesaufgabe stemmen müssten, was es sehr unwahrscheinlich macht. Zumal sich auch die Frage stellt, selbst wenn es zu einer europäischen Atommacht käme, ob Frankreich bereit wäre für Riga oder Warschau Paris zu opfern oder ob der Atomschutz durch eine außereuropäische, externe Atommacht wie den USA nicht glaubwürdiger wäre.

Gut möglich, dass nur die gute alte NATO bleibt oder aber bei einem Zerfall der EU dann die nationalen Atombewaffnungsoptionen vermehrt ins Spiel kommen.Zumal Atomwaffen zwar zentral sind, aber bei heutigen Hybridkriegen die Cyberwar- und Weltraumkriegsführung  fast noch zentraler wird und Europa in diesen Bereichen auch nicht auf der vielzitierten Augenhöhe mit den USA, China oder Rußland mithalten kann.

 

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