Ist die Gülenbewegung islamistisch oder eine Alternative zu Erdogan?

Ist die Gülenbewegung islamistisch oder eine Alternative zu Erdogan?

Auch bei der von Erdogan nun verfolgten Gülenbewegung handelt es sich um Islamisten. Der Unterschied zwischen Erdogan und Gülen ist, dass Erdogan mittels einer Massenpartei ganz wie die Muslimbrüder eine islamistische Diktatur errichten will, während Gülen in seinen Bildungseinrichtungen Eliten ausbilden will, die den Staat , die Wirtschaft und die Gesellschaft in Schlüsselpositionen infiltrieren und dann gleichschalten will, also eher das Konzept des Marsches durch die Institutionen vertritt.Erdogan förderte in der Anfangszeit auch Gülen und Gülens Leute waren sehr eifrig demokratische Oppositionelle mittels ihrer Netzwerke bei Polizei und Justizsystem im Sinne von Erdogan zu verfolgen. Aber nun sind Erdogan und Gülen so verfeindet wie Hitler und SA-Röhm und da der eine in dem anderen einen Konkurrenten bei Machtfragen in Sachen Errichtung eines islamistischen Staates sieht, versucht Erdogan den anfänglichen Verbündeten nun auszuschalten. Das macht aus Gülen aufgrund seiner Opposition zu Erdogan aber nochzu keinem säkularen Demokraten, wie auch Röhm aufgrund seiner Opposition zu Hitler oder Trotzki in seiner Opposition zu Stalin keine Demokraten wurden. Gülen und seine Bewegung sind genauso Islamisten wie Erdogan und seine AKP, sie unterscheiden sich nur in der Taktik, nicht aber bei der Strategie und dem Ziel der Errichtung einer islamistischen Dikatur.

Dazu schrieb mir ein vermeintlicher Islamkenner:

„Die Gülenbewegung stand und steht für eine moderat nationalkonservative und moderat islamistische Politik, moderat autoritär vermutlich auch, vor allem aber eng an die USA und Europa bzw. den Westen angelehnt, kompromissbereit mit den liberalen und säkularen Kräften.

Gülen hätte mit Erdogan zusammen gern eine soft islamistische, soft autoritäre, soft nationalistische Politik verfolgt, als enger Verbündeter des Westens, durchaus mit Interesse an einer Aufnahme in die EU, und insofern auch stark kompromissbereit, soweit das für eine solche Aufnahme nötig wäre.

Erdogan hat sich um 2011 für einen anderen Kurs entschieden, einen radikalen, einen, der auf seine Alleinherrschaft und auf die Trennung vom Westen angelegt war. Drum kam es zum Bruch mit Gülen.

Der kommt der Türkei teurer zu stehen, als das den meisten bewusst ist. Ich schätze mal, dass die Hälfte von denjenigen konservativen Muslimen, die einige Kompetenz in Administration und Wirtschaft aufbringen, Gülen-Leute oder gülen-nah waren. Das ist mir immer wieder aufgefallen: dass diese Gülen-Leute für türkische Verhältnisse erstaunlich sachkompetent sind, und dass sie vergleichsweise effizient zu arbeiten und zu organisieren in der Lage sind. Diese Hälfte der konservativen Muslim-Elite in der Türkei ist nun verloren.

Dazu kommt, dass ja auch der säkular-liberale Teil der Türken verloren geht. Der ist zahlenmäßig geringer, aber doch wirtschaftlich und kulturell von hohem Wert für die Türkei gewesen.

Alles in allem ein fataler Substanzverlust für die Türkei. Der wird sich noch dramatisch zeigen. (Sowas braucht immer einige Zeit, bis es offenbar wird.) Die Türkei wird weit zurückfallen in allem, wozu man echte Leistung braucht.

(Ich möchte da noch an zwei weitere Negativentwicklungen erinnern: Die zunehmend religiöse Ausrichtung des Schulsystems reduziert die Qualität; die Steigerung der Korruption vermehrt das Gift in Wirtschaft und Administration und reduziert die Qualität. Das kommt zur Lähmung eines Teils der Bevölkerung und zum brain drain hinzu.)“

Das halte ich mal wieder für eine der üblichen islamophilen Schönsichten. Vielleicht wäre eine islamistische Gülendikatur prowestlicher (wie z.B. Saudiarabien oder Katar), aber genauso wie die Muslimbruderschaft will Gülen eben einen autoritären Führerstaat mit sich als dem unkritisierbaren und alleinigen Führer–genauso wie Erdogan. Nur eben nicht mittels Massenpartei, sondern durch einen schleichende Infiltrierung des Staates. Man hat ja auch schopn sehen können, wie Gülen damals zusammen mit Erdogan gegen kritische und demokratische Richter, Journalisten, Staatsanwälte, Parteimitglieder demokratischer und säkularer Parteien vorgegangen ist.

Darauf meinte der befreundete Islamkenner:

„Du differenzierst hier nicht genug.
Es gibt unterschiedliche Grade des Autoritarismus. Dazu kommt die grundsätzliche Westorientierung der Gülen-Bewegung, die diesem Autoritarismus eine Grenze setzt. Es gab und gibt innerhalb der Gülenbewegung auch starke liberale Tendenzen.

Ein Schwergewicht hatte die Gülen-Bewegung auf die Entmachtung des Tiefen Staats des Militärs gelegt – ganz zum Gefallen von Erdogan. Aber auch ich hab das an sich gut gefunden, obgleich die Methoden dabei nicht rechtsstaatlich einwandfrei waren. Aber Rechtsstaatlichkeit war und ist in der Türkei sowieso ein Fremdwort, das dort nur die kleine liberale Minderheit versteht (20% der Bürger, wenn es hochkommt). Die überwiegende Mehrheit kennt nur den Machtstaat. In diesem Rahmen hat sich dann auch die Gülen-Bewegung bewegt und sich dabei die Hände schmutzig gemacht.

Im Vergleich zu Erdogans brutalem Griff nach der Allmacht und seiner Durchsetzung totalitärer und islamistischer Strukturen zeigt sich ein substanzieller Unterschied zur Gülenbewegung. Ebenso in der Westorientierung Gülens und der “osmanischen” Orientierung Erdogans und der AKP.

Man sollte auch bei seinen Gegnern, bei seinen Feinden genau auf die Unterschiede achten.“

Das sind doch genau diesselben Ammenmärchen, die liberale Islamophile anfangs über Erdogan und die AKP oder die Muslimbrüder verbreitet haben: Die AKP sei mit ihrer EU-Orientierung eine islamische CDU, werde eine muslimische Demokratie etablieren, wolle in die EU und nur den tiefen Staat beseitigen, etwas später musste man dann auf die liberalen Kräfte um Gül etc. rekuriert werden,um diese Fehleinschätzung noch beibehalten zu können. Zumindestens ist unserem Gülenfan ja auch klar, dass es unter Gülen auf eine autoritäre Diktatur herausläuft und nun beginnt wieder der ganze Relativierungsschmarrn: Liberale Tendenzen, Westorientierung, ein wenig weniger autoritär. Man, wacht auf: Gülen ist wie Erdogan ein Feind, ein Islamist und kein Verbündeter für demokratische und säkulare Menschen. Zumal er seine Macht ohne Massenpartei, viel undemokratischer zu etablieren sucht und für einen noch tieferen Staat unter seiner Alleinherrschaft ist. Die Muslimbrüder erzählen diesselben Ammenmärchen wie Gülens Zeitung Zaman, weil sie wissen, dass westliche islamophile Multikultifans ihren verbalen Versprechungen von Demokratie in gnadenlosem Wunschdenken Glauben schenken. Sie haben aber mit Demokratie so diesselbe Beziehung wie die AfD oder Rechtsradikale mit direkter Demokratie oder Volksentscheiden–sich wählen zu lassen,um die Demokratie zu nutzen, damit dies dann die letzten Wahlen sind und man die Demokratie beseitigen kann. Wie dämlich und wenig lernfähig westliche Liberale bezüglich der Islamisten trotz realer Erfahrungswerte sind, zeigt mir das Interview der liberalen ZEIT mit dem tunesischen Muslimbruder und Ennadahchef, in dem dieser wieder das Märchen von den demokratischen Muslimbrüdern erzählt, das die Ennadah eine tunesische CDU sei und für die Trennung von Staat und Religion. Lügen werden nicht wahrer, auch wenn sie wiederholt werden! Oder wenn man in offensichtliche Islamisten sein Wunschdenken von einer muslimischen Demokratie reinprojeziert.

 

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