Prof. Dr. Engelen-Kefer: „Dreisäulenmodell“ der Alterssicherung ist gescheitert

Prof. Dr. Engelen-Kefer: „Dreisäulenmodell“ der Alterssicherung ist gescheitert

Stellungnahme von Prof. Dr. Ursula Engelen-Kefer während der Anhörung des Deutschen Bundestages, Ausschuss für Arbeit und Soziales

23.Januar 2017

Zu den Vorlagen

a)Unterrichtung durch die Bundesregierung zum Rentenversicherungsbericht 2016 sowie dem Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2016 und Alterssicherungsbericht 2016 (BT-Drs. 18/10570)

b)Unterrichtung durch die Bundesregierung, Ergänzender Bericht zum Rentenversicherungsbericht 2016 sowie dem Gutachten des Sozialbeirats zum Rentenversicherungsbericht 2016 und zum Alterssicherungsbericht 2016 (BT- DRS. 18/10571)

c)Antrag des Abgeordneten Matthias W. Birkwald u.a. und der Fraktion Die Linke, Zeit für einen Kurswechsel-Rentenniveau deutlich anheben (BT-Drs. 18/10471)

d)Antrag des Abgeordneten Matthias W. Birkwald u.a., und der Fraktion Die Linke,  Die Riesterrente in die gesetzliche Rentenversicherung überführen (BT-DRS. 18/8610)

e)Antrag des Abgeordneten Markus Kurth u.a., und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Für eine faire und transparente private Altersvorsorge und ein stabiles Drei-Säulen-System (BT-DRS.18/7371)

Auf Grundlage der Vorlagen a) bis e) für die öffentliche Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages gebe ich folgende Stellungnahme ab:

Wie die Bundesregierung in ihrem Rentenversicherungsbericht 2016 feststellt, wird „die gesetzliche Rente zukünftig nicht ausreichen“…“um den Lebensstandard des Erwerbslebens im Alter fortzusetzen.“ Die Schlussfolgerung, dass der erworbene Lebensstandard nur erhalten bleiben“ kann, “wenn die finanziellen Spielräume des Alterseinkünftegesetzes und die staatliche Förderung genutzt werden, um eine zusätzliche Vorsorge aufzubauen“, teile ich nicht.

Begründung:

(1) Festgestellt wird in dem Rentenversicherungsbericht 2016 ein Abfall des Sicherungsniveaus der gesetzlichen Altersrenten netto vor Steuern von derzeit 48 Prozent auf 47 Prozent 2024 und 44,5 Prozent 2030. Damit erfolgt bereits jetzt ein starker Rückgang des Rentenniveaus von 53 Prozent im Jahr 2000, der in den nächsten Jahren erheblich ansteigen wird. Ausschlaggebend hierfür sind die Kürzungsfaktoren in der gesetzlichen Rentenversicherung seit den Riester Reformen 2001 (Riester Faktor, Nacholfaktor, Nachhaltigkeitsfaktor). Darüber hinaus erfolgten bereits in den vergangenen 15 Jahren erhebliche Kaufkraftverluste bei den Renten.

(2) Verschärft wird die Kürzung bei den Altersrenten weiterhin durch die pauschale Anhebung der Altersgrenzen für den Übergang aus dem Erwerbsleben in die Altersrente ab 2012 von 65 auf 67 Jahre. Wie Untersuchungen und Erfahrungen zeigen, liegen weder die gesundheitlichen Voraussetzungen noch die Arbeitsmarktbedingungen dafür vor. Für die große Mehrheit der Rentner bedeutet die Anhebung des Rentenalters eine Kürzung ihrer Altersrenten bis an ihr Lebensende von 3,5 Prozent pro Jahr des vorzeitigen Übergangs in die Rente.

(3) Gleichzeitig erfolgt ein negativer kumulativer Effekt beim Sicherungsniveau der Renten mit der Ausweitung von prekärer Beschäftigung sowie Niedriglöhnen durch einen Teil der Hartz Gesetze, insbesondere Hartz IV sowie die Deregulierung im Arbeits- und Sozialrecht. Betroffen sind in Deutschland etwa ein Fünftel aller abhängig Beschäftigten und in zunehmendem Maße auch Selbständige. Geradezu skandalös ist die Armutsfalle bei Arbeit und im Alter durch die Explosion der Minijobs auf inzwischen über 7 Millionen. Dies gilt zu über zwei Drittel für Frauen und dabei in besonders starkem Maße für Alleinerziehende. Wie längerfristige Prognosen des BMAS feststellen, wird das Sicherungsniveau der gesetzlichen Altersrenten bis 2045 weiter drastisch auf 41,5 Prozent absinken. Damit wird sich das Risiko der Armutsrenten weiter erheblich verschärfen.

(4) Ich vertrete somit die Auffassung: Das sog. „Dreisäulenmodell“ der Alterssicherung ist gescheitert. Erforderlich ist ein Kurswechsel in der Rentenpolitik. Zielrichtung muss die Wiederherstellung der gesetzlichen paritätisch finanzierten Alterssicherung sein, die maßgeblich den Lebensstandard im Alter absichert. Dazu müssen die Kürzungsfaktoren (Riester-, Nachhol- und Nachhaltigkeitsfaktor) aus der Rentenformel gestrichen werden. Darüber hinaus ist die Riester Treppe nach unten nicht nur anzuhalten, sondern wieder stufenweise nach oben zu gehen. Erforderlich ist ein Sicherungsniveau der Altersrenten netto vor Steuern von mindestens 53 Prozent (wie vor den Riester Reformen im Jahr 2000). Dies ist bereits ein Abfall gegenüber dem Netto-Einkommen während der aktiven Erwerbsphase, aber kann noch als maßgebliche Sicherung des Lebensstandards im Alter angesehen werden.

(5) Die zusätzliche kapitalgedeckte Altersvorsorge kann niemals ein Ausgleich für die ausfallende gesetzliche Altersrente sein. Der für immer mehr Rentner existenzbedrohende Trugschluss der Riester Reformen besteht darin, dass in die Rentenformel die Fiktion aufgenommen wurde, dass alle Rentner 4 Prozent vom Brutto für eine kapitalgedeckte Altersrente zusätzlich zu ihren Beiträgen für die gesetzliche Altersrente aufwenden. Dies wurde nach jetzt 15 Jahren nur von einem kleineren Teil der Rentner vorgenommen. Für die überwiegende Mehrheit der Rentner wurden mithin die Berechnungsgrundlagen für die gesetzliche Altersrente ohne einen finanziellen Ausgleich gekürzt. Auch hat dies weitere soziale Ungerechtigkeiten geschaffen. Eine zusätzliche kapitalgedeckte Alterssicherung können sich Arbeitnehmer im unteren Einkommensbereich, Arbeitslose, Familien, Frauen, Alleinerziehende trotz staatlicher Förderung nicht leisten. Entsprechend machen die kapitalgedeckten Zusatzrenten nur einen verschwindend geringen Anteil an den Altersrenten aus.

Zudem werden die Riesterrenten auf die Grundsicherung im Alter angerechnet. Nach den Finanzkrisen seit 2007 und den Niedrig- bzw. Nullzinsen verlieren kapitalgedeckte Alterssicherungsanlagen außerdem immer mehr an Bedeutung. Hinzu kommen die Intransparenz, sowie vor allem auch überdurchschnittlich hohe Verwaltungskosten, was auch nach jahrzehntelanger Kritik der Verbraucherverbände immer noch nicht behoben wurde.

(6) Besonders negativ ist der mit den Riester Reformen erfolgte Einbruch in die paritätische Finanzierung. Mit dem gesetzlichen Beitragsdeckel wurden die Beitragssätze festgeschrieben: auf 20 Prozent 2020 und 22 Prozent 2030. Als Äquivalent wurde der Abfall des Sicherungsniveaus der Altersrenten ebenfalls begrenzt- auf 46 Prozent 2020 und 43 Prozent 2030- mithin für viele Rentner auf ein Niveau nahe an der Grundsicherung, wenn nicht sogar darunter. Die kapitalgedeckten Zusatzrenten, mit denen der Abfall des gesetzlichen Rentenniveaus ausgeglichen werden sollte, müssen von den Arbeitnehmern allein gezahlt werden.

Dies ist ein weiterer Grund für den dringenden Kurswechsel in der Rentenpolitik. Die gesetzliche Altersrente als maßgebliche Sicherung des Lebensstandards muss wieder paritätisch aus Beiträgen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert werden. Der Abschluss ergänzender kapitalgedeckter Altersvorsorge muss auf Freiwilligkeit basieren und darf nicht durch den Abfall der gesetzlichen Alterssicherung erzwungen werden.

(7) Wenig überzeugend sind die Standard- Argumente, infolge der Demographie sei die gesetzliche Rentenversicherung als maßgebliche Sicherung des Lebensstandards im Alter nicht zu finanzieren. Die strukturelle, d.h. erzwungene Ergänzung durch kapitalgedeckte Zusatzversorgung sei daher alternativlos. Alternativlos mag dies für die private Versicherungsbranche sein, aber nicht für die Arbeitnehmer. Es entsteht der Eindruck: Die seit Jahrzehnten anhaltenden demographischen Veränderungen infolge des Rückgangs der Geburtenrate einerseits und der Erhöhung der Lebenserwartung andererseits werden ständig neu erfunden, um den Übergang zu kapitalgedeckten Alterssicherungssystemen zu begründen. Dabei wird so getan, als ob nicht auch kapitalgedeckte Alterssicherungssysteme von den demographischen Veränderungen beeinflusst werden. Ausgeblendet wird, dass sie darüber hinaus noch das erhebliche Risiko der Entwicklung auf den Kapitalmärkten sowie der privaten Finanzbranche tragen. Den Vorschlag in dem Antrag der Faktion Bündnis 90/Die Grünen „Für eine faire und transparente private Altersvorsorge und ein stabiles Drei-Säulen-Modell- – vor allem die Einrichtung eines Deutschlands Fonds für eine kapitalgedeckte Altersvorsorge – kann ich daher nicht teilen.

Es wäre eine durchaus sinnvolle Alternative, wenn die Möglichkeiten der gesetzlichen Rentenversicherung für zusätzliche Altersvorsorge verbessert und ausbaut würde. Eine staatliche Förderung wäre hierbei bedeutend besser angelegt als die milliardenschweren Steuersubventionen für wenig durchsichtige und teilweise auch nicht verlässliche Altersvorsorgeprodukte der privaten Finanzbranche. Zudem bietet die gesetzliche Rentenversicherung neben den Altersrenten wesentliche Zusatzleistungen- insbesondere:  Erwerbsminderungsrenten, Rehabilitation, Hinterbliebenenversorgung.

(8) Darüber hinaus bestehen erhebliche Spielräume für die Finanzierung der Wiederherstellung einer gesetzlichen Rentenversicherung, die den Lebensstandard gerade auch für die zukünftigen Arbeitnehmer- und Rentnergenerationen wieder maßgeblich absichert. Die gute wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht einen niedrigeren Beitragssatz für die Rentenversicherung, als er nach dem Gesetz möglich wäre. Dieser finanzielle Spielraum beträgt derzeit bereits einen Prozentpunkt. Darüber hinaus werden die Riesterrenten über Zulagen und Steuern mit etwa 3,5 Mrd. Euro im Jahr subventioniert- finanzielle Mittel, die sinnvoller zur Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung eingesetzt werden können.

Finanzielle Spielräume würden zusätzlich entstehen durch: die längst überfällige Einführung einer Erwerbstätigenversicherung; die Zahlung von Beiträgen zur Rentenversicherung sowie für die Abschaffung der Zwangsverrentung für Langzeitarbeitslose; die Umwandlung der Minijobs in sozialversicherungspflichtige Vollzeit und Teilzeit;  einen gesetzlichen Mindestlohn von 11,80 Euro, der eine Altersrente über dem Grundrentenniveau ermöglicht; die Wiederherstellung des arbeits- und sozialrechtlichen Schutzes zur Bekämpfung der Missbräuche bei Leiharbeit, befristeter Beschäftigung, Werkverträgen und Schein Selbständigkeiten.

Erforderlich ist ebenfalls eine deutliche Erhöhung des Bundeszuschusses. Mehrere Leistungsbereiche der gesetzlichen Alterssicherung sind wesentliche Aufgaben des sozialen Ausgleichs. Sie sind mithin nicht aus Beitragsmitteln, sondern vom Steuerzahler zu finanzieren. Darüber hinaus reicht der Bundeszuschuss schon heute nicht aus, um die sogenannten versicherungsfremden Leistungen abzudecken und müsste daher zusätzlich um etwa 20 Milliarden Euro erhöht werden. Hierzu bedarf es einer sozial ausgewogenen Steuerreform, die Spitzeneinkommen, große Vermögen und Erbschaften sowie Kapitalerträge höher besteuert.

Erst als Letztes wäre dann zu prüfen, ob zur Finanzierung der Leistungsverbesserungen auch eine Anhebung des Beitragssatzes in der gesetzlichen Rentenversicherung erforderlich wäre. Umfragen zeigen, dass moderate Beitragserhöhungen akzeptiert werden könnten, wenn spürbare Leistungsverbesserungen bei den zukünftigen Renten erfolgen.

(9) Die bisherigen Reformen der Großen Koalition- Mütterrenten und der 63er Regelung- bringen zwar erstmalig nach vielen Jahrzehnten des ständigen Leistungsabbaus wieder Verbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung. Allerdings lösen sie nicht das Grundproblem der drastischen Absenkung des Sicherungsniveaus der Renten vor allem für die zukünftigen Generationen. Zudem führen sie zu weiteren Ungerechtigkeiten: bei den Müttern vor allem infolge der weiterhin bestehenden Nachteile zwischen Ost und West sowie des fehlenden dritten Rentenpunktes; bei der 63er Regelung zwischen den dauerhaft Beschäftigten, vorwiegend Männern mit höheren Einkommen und Altersrenten sowie den Beschäftigten in den unteren Einkommensbereichen und mit unterbrochenen Erwerbsbiographien, dabei viele Frauen.   Vor allem sind die Mütterrenten aus Mitteln der Beitragszahler „fehl“ finanziert. Als gesamtgesellschaftliche Leistungen müssen hierfür Bundessteuern zur Verfügung gestellt werden.

(10) Bedenkenswert scheint mir der Vorschlag in dem Antrag der Fraktion Die Linke, Die Riesterrente in die gesetzliche Rentenversicherung zu überführen. Dabei wären allerdings tragfähige Regelungen zu finden, wie die Interessen derjenigen Betroffenen zu schützen sind, die ihre Riester Verträge erhalten wollen.

 

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