Vom Gendern und vom Kentern-die Grenzen der Political Correctness

Vom Gendern und vom Kentern-die Grenzen der Political Correctness

Gastautor: Genova

Eigentlich existiert politische Korrektheit nicht. Anders gesagt: Man kann diese Leute ganz gut ignorieren. Oder man konnte es: Der Tagesspiegel berichtet über einen politischen Vorstoß der SPD, der an einen Aprilscherz glauben lässt:

Gendern soll in immer mehr Bezirken Pflicht werden

„Es ist wichtig, dass Sprache jeden einschließt, gerade bei Anträgen“, sagt Jules Rothe, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Mitte. „Nur männliche Wörter zu verwenden, erweckt den Anschein, als betreffe der Antrag nur die männliche Bevölkerung. Das stimmt aber nicht.“ Rothe beantragte mit der Vorsitzenden Martina Matischok-Yesilcimen, dass in der Tagesordnung der BVV Mitte nur Anträge bearbeitet werden, die eine gegenderte, also eine geschlechtsneutrale Sprache nutzen.

Die Partei, die entscheidend dazu beigetragen hat, soziale konnotierte Begriffe semantisch ins Gegenteil zu wenden – Reformen, Reformstau, Leistungsträger, schlanker Staat, Vollkasko-Mentalität oder Jobcenter, um nur ein paar zu nennen – wollen nun also politische Anträge, die nicht in ihrer Gesinnung getippt wurden, nicht diskutieren müssen. Die Partei, die seit mindestens 15 Jahren zeigt, dass ihr semantische Verrohung und Orwellschisierung egal sind, gibt sich nun heroisch (wobei „heroisch“ vermutlich auch Frauen diskriminert).

Diese Leute, die die Barbarisierung der Gesellschaft via neoliberaler Politik immer weiter vorantreiben, wollen – vorläufig im Parlament – all jene politisch mundtot machen, die nicht mit Sternchen und I und ähnlichem reden. Man glaubt es kaum.

Es ist eine Sprache, die eine kleine Gruppe merkwürdiger Leute seit 30 Jahren in der Gesellschaft verankern will. Seit 30 Jahren nimmt die Gesellschaft davon praktisch keine Notiz: Fast niemand redet oder schreibt so. Die Erfolglosigkeit ihres Unterfangens vor Augen, wollen sie nun wenigstens in der kleinen Sphäre der Lokalpolitik ihr lächerliches Verständnis von Sprache per Zwang durchdrücken.

Bislang lief das ja so, dass alle so schreiben und reden, wie sie wollen. Eigentlich ok so. Das ist diesen Leuten aber ein Graus. Leute mit zuviel Sendungsbewusstsein.

In Berliner senatsnahen Meetings reden ein paar ganz Fleißige tatsächlich von „Arbeitnehmenden“ und ähnlichem. Geilomat. Aber egal, solange das niemandem aufgezwungen wird.

Dieses Gendern ist Teil einer pseudolinken Bewegung, die im Kontext des scheinbaren Schutzes von Minderheiten und quasi-religiöser Abbitte daherkommt. Da wird es in manchen US-amerikanischen Mensen schon zum Problem, wenn ein weißer Koch Sushi anbietet – eine böse kulturelle Aneignung. Diese Aneignung zu erzwingen, wie im Falle der Gendersprache, ist allerdings kein Problem, sondern moralisch geboten. Man gehört ja zu den Guten, das steht außer Frage. Wer sich danebenbenimmt – wer das ist, bestimmen die Guten – muss öffentlich und knierutschend Abbitte leisten, dann drückt man ein Auge zu.

Und dieses Gendern ist Teil einer allgemeinen Verwirrung, wie sie in diversen Aspekten zum Tragen kommt. Aus dem Schutz von Schwachen und ihrer Instandsetzung wird Zeigefingermoralismus ohne ernstzunehmden sozialen und gesellschaftlichen Bezug. Ähnliches passiert mit dem genuin linken Begriff des Internationalismus, wenn sich der Neoliberalismus seiner bemächtigt und daraus Globalisierung macht. Pseudo-linke, die keine gesellschaftlichen Vorstellungen mehr haben, sondern das Individuum nur noch religiös verbrämt denken, sind unfähig, der neoliberalen Globalisierung entgegenzutreten. So ist bei manchen dieser Leuten Kritik an TTIP nur Nationalismus.

Es fehlt diesem Denken der gesellschaftliche Bezug, es geht um Dogmen. Vielleicht ist das, um auf die Berliner Lokal-SPD küchenpsychologisch so zu erklären: Diese Leute wissen in stillen Momenten ganz genau, wie scheiße ihre Politik ist. Als so eine Art Wiedergutmachung kümmern sie sich nun ums I. Dass eine ernstzunehmende Linke kaum noch existiert, wundert angesichts solcher Meldungen nicht. Vom Gendern zum Kentern.

Man kann manchmal schon das Gefühl bekommen, dass in Politik nur noch intellektueller Ausschuss landet – auch jenseits der AfD.

https://exportabel.wordpress.com/2017/02/26/19389/#comment-15527

Anderes Beispiel, bei der Politiucal Correctness zur Realsatire wird:

„Warum gehört es sich für einen Linken nicht, „All cops are bastards“ zu brüllen? Dieser für den Demonstrationsalltag hochrelevanten Frage geht in der jüngsten Ausgabe der Frankfurter Uni-Asta-Zeitung ein anonymes Autorenkollektiv der queer-feministischen Antifa nach. Unter der Überschrift „Sexismus in der linksradikalen Szene“ stellen die Verfasser erst mal eines klar: „Selbstverständlich geben Polizist*innen und besonders deren Struktur tagtäglich legitimen Anlass, sie zu beleidigen.“ Zu diesem Zweck allerdings das Wort „Bastard“ zu verwenden, ist nach Auffassung der Autoren politisch inkorrekt: Wer sich dieser Bezeichnung für eine „Mischform“ bediene, verteidige damit eine „rassistische und sexistische Ideologie von Reinheit“, die unehelich gezeugte Kinder ebenso stigmatisiere wie die Nachkommen hetero-ethnischer Partnerschaften.

Nun möchte aber auch der queer-feministisch aufgeschlossene Linke nicht auf die notwendige Beleidigung faschistischer Polizist*innenstrukturen verzichten. Was also tun? „Hurensohn“ respektive „Schlampe“ sind nach Auffassung der Autoren keine brauchbaren „Bastard“-Ersatzvokabeln, weil es sich hierbei ebenfalls um Ausdrücke handele, die bürgerlich-reaktionäre Moralvorstellungen perpetuierten.

Wie wäre es denn mit „Bullenschwein“? Hierzu schweigt das Kollektiv. Aber wir ahnen, dass die vegane Antifa-Fraktion auch dagegen ihr Veto einlegen wird: inakzeptable Herabwürdigung nichthumaner Lebensformen! Bleibt womöglich nur, ganz auf die Beleidigung von Polizisten zu verzichten. Doch bevor eine solch kühne These Eingang in die Asta-Zeitung findet, wird in Frankfurt eher ein bekennender Queerfeminist Polizeipräsiden.“
http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurt/sprachliches-dilemma-die-antifa-und-der-bastard-14880129.html

genova68 schreibt:

Ehrlich gesagt kann ich die Argumentation dieser Antifagruppe nachvollziehen. Bastard, Schlampe oder Hurensohn würde ich auch vermeiden, und zwar aus genau den Gründen, die da angegeben werden.

Jakobiner schreibt:

Schimpfwörter leben davon, dass sie politisch nicht korrekt sind.Wie gesagt: Die Antifagruppen kommen eben genau in den Bereich, wo sie nicht mal mehr zu Beschimpfungen fähig sind.

genova68 schreibt:

„Schimpfwörter leben davon, dass sie politisch nicht korrekt sind.“

Wenn das so wäre, könntest du auch „du Schwuchtel“, „du Jude“, „du Türke“ oder „du Neger“ schimpfen. Das bedeutet nichts anderes, als dass ich diese Gruppen wirklich scheiße finde.

Politische Korrektheit ist eine Kategorie, mit der man besser überhaupt nicht argumentiert. Entweder geht man der SPD-Fraktion Berlin-Mitte oder dem rechten Sektor auf den Leim. Dann lieber Depp oder Arschloch.

Hurensohn oder Schlampe ist mies, weil das keine läppischen Beleidigungen sind, sondern reale Herabsetzungen konkreter Gruppen, die benachteiligt sind. Was ist denn gegen den Sohn einer Hure einzuwenden? Der hat aufgrund repressiver Verhältnisse vermutlich sowieso sein Bündel zu tragen.

Beleidige besser mit „Du Schröder“, „du Höcke“ oder „Du Winterkorn“. Am besten wäre allerdings „Du Ziegert“ (mieser Berliner Immobilienmakler).

Beschimpfungen und Beleidigungen sind schon ok, aber dann bitte den Richtigen instrumentalisieren, sonst trifft es die Falschen. Unterprivilegierte sind die falschen Instrumente, da haben die Antifas schon recht. Ich habe mir die „Schwuchtel“ als Schimpfwort jedenfalls vor längerer Zeit abgewöhnt.

Jakobiner schreibt:

„Beleidige besser mit „Du Schröder“, „du Höcke“ oder „Du Winterkorn“. Am besten wäre allerdings „Du Ziegert“ (mieser Berliner Immobilienmakler).“

Das nenne ich doch mal einen konkreten Vorschlag, Aber ob AfDler einen „Du Höcke“ als Beleidigung empfinden oder ein Seeheimer „Du Schröder“ als Beleidigung auffassen und nicht gar eher als Auszeichnung empfindet, ist da noch dahingestellt. „Schwuchtel“, Jude,etc. geht natürlich nicht.Aber „Bullenschwein“? Die RAF sprach immer von den „Schweinen“ und die Autonomen und ihr schwarzer Block vom „Schweinesystem“.Es gibt ja auch Slogans wie „SS, SA, USK“ oder „Deutsche Polizisten, heißen die Faschisten“–könnte man aber auch als Verharmlosung des Faschismus sehen–alles nicht so einfach.Für mich selbst einfach nicht so das Problem, da ich auf solche Verbalinjurien normalerweise verzichte und die Diskussion sachlich führe.Man denke auch mal an den Satz von Ulrike Meinhof: „Bullen sind Schweine und man darf auf sie schießen“. Wohl die totale Entmenschlichung mit License to kill, wenn man Menschen mit Tieren vergleicht, zumal man auch die Tiere beschimpft und als tötenswert ansieht.. Auch die tierischen Vergleiche würde heute wohl Tierschützer auf die Barrikaden bringen.Was auch noch nicht diskutiert wurde bei all diesen Innen-Formen: Männer und Männerinnen, Frauen und Frauinnen. Arno Schmidt hat da ja mal schon in den 60er Jahren satrisch eine Politikeransprache mit „Liebe Lautsprecher und Lautsprecherinnen“ beginnen lassen.

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