Pol Pot und der Trump der Architektur im Westen-Städte nur für „“the most economically potent and most productive users who serve us most effectively”
Pol Pot wollte die Städte als Zentren von Intellektualität und dekadenten Reichtums auslöschen und die Stadtbevölkerung in militärisch-egalitäre Landwirtschaftskommunen umsiedeln, die Städte entvölkern, um den kommunistischen edlen Wilden ala Rousseau auf dem Lande zu züchten. Neoliberale sozialdarwinistische Pol Pots in der Architektenszene des Westens wollen nun den entgegengesetzten Weg gehen und die Städte von sozial schwachen und bildungsfernen Schichten und Klassen entvölkern, diese vertreiben und die Städte so zu wahren Zentren von einer Oberklassenelite der Exzellenz machen. Dazu zwei Artikel vom Gastautor Genova:
„Der Trump der Architektur“ (1)
[Disclaimer: Ungeduldige Leser mögen mit dem letzten Satz beginnen.]
Die Stadtforscherin Elke Krasny setzte sich vor vier Jahren in einem Artikel für arch+ mit Architektur und Ökonomie aus linker Perspektive auseinander. Sie beschrieb einerseits Neoliberalismus als Fortsetzung des Imperialismus, als eine „Kombination von Land Grabbing, Plantagenlogik, Ausbeutung der Ressourcen und Investitionen in eine Infrastruktur, die dies ermöglicht.“ Das „architektonische Äquivalent zum globalen Neoliberalismus ist die spektakuläre Zeichenhaftigkeit und ubiquitäre Verbreitung der so genannten Starchitekture.“
Krasnys Meinung nach hat aktuelle Architektur in diesem Kontext viel mit Spektakel und mit Spekulation zu tun und sie benennt konkret den Dekonstruktivismus:
„Durch die Überwindung von traditionell herleitbaren Sinnverhaftungen schwingt sich die Architektur zum Zeichen auf, das Orte zu markieren weiß, ohne sich dialogisch auf die örtlichen Voraussetzungen einzulassen. Im kritischen Blick zurück zeigt sich, wie die optische Destabilisierung, die dem Dekonstruktivismus in der Architekturtheorie zugeschrieben wurde, sich bestens eignete, den kulturellen Mehrwert anschaulich zu verkörpern und in steigende Besucherzahlen zu übersetzen. Die Freilegung der Widersprüche, von der das philosophische Projekt des Dekonstruktivismus ausgegangen war, verfestigte sich in der Architektur zur permanenten, widerspruchslos erscheinenden Feier des Spekakulären.“(aus: arch+ 211 (2013), S. 26)
Der letzte Satz bringt es wohl ganz gut auf den Punkt. Die Freilegung der Widersprüche war ursprünglich auf ein kritisches Verhalten hin gemünzt. Thematisierung von Widersprüchen, damit mit denen etwas passiert. Eine Perspektive, die die eigene Begrenztheit thematisierte, die Vielfalt des Realen, das deshalb als Reales nicht eindeutig bestimmbar ist. Das Zulassen und Aushalten von Widersprüchen, von Differenz, von anderen Perspektiven, im Wortsinn.
All das hat sich in der dekonstruktivistischen Architektur ins Gegenteil verwandelt. Die Destabilisierung wurde ein reines Oberflächenphänomen, das via Aufmerksamkeitsökonomie zum banalen Instrument des Standortvorteils wurde. Die Destabilisierung wurde zur totalen Stabilisierung.
Bei dem Architekten Frank Gehry kann man das schön sehen. In seiner dekonstruktivistischen Anfangszeit in den 1970er Jahren suchte er noch eine Sprache des Unvollendeten, des Provisorischen, des fast schon Anstößigen, beispielsweise in seinem Haus für Architekten (seinem eigenen Wohnhaus) in Santa Monica, Kalifornien:
Gehry umrahmte ein traditionelles existierendes Haus mit einem Neubau und verwendete dafür Materialien wie Holz, Draht, Glas, Metall, Wellblech, Beton und mehr in einer einzigen Fassade. Er schaffte so ein immer wiederkehrendes apruptes Abbrechen von gewohnten Sichtweisen. Es entstand eine Dynamik, die permanent scheint. Gut vorstellbar, dass man auch nach hundertfachem Betrachten des Hauses Neues findet, eigentlich erscheint das Haus bei jedem Betrachten neu. Es wirkt architektonisch instabil und so sucht der Betrachter bei jedem Betrachten von Neuem das Stabile in der Architektur. Die findet er nur partiell.
Gehry hat hier ein scheinbar unfertiges Provisorium erstellt, das sich in großem Kontrast zu dem älteren Haus befindet. Dazu kommt, dass Gehry nach eigener Aussage die billigsten Baumaterialien benutzt hat, die er in Baumärkten finden konnte. Die ließ er zudem unbehandelt. Es ging nicht um Vollkommenheit und Endgültigkeit, sondern um das Zulassen von Widersprüchen und Unsicherheiten, ohne Scham. Das traditionelle Haus wird in diese Unsicherheit einbezogen, Statusdenken ins Wanken gebracht. Das traditionelle Haus wird Teil der neuen Perspektive und seiner alten Sicherheit und seiner alten Privilegien beraubt.
Man wurde auf Gehry aufmerksam und diese Aufmerksamkeit hat Gehry wohl gefallen. Was er später unter dem Label Dekonstruktivismus baute, hat mit dem Beschriebenen nichts mehr gemeinsam. Gehry hat sich von einem Architekten in eine Marke, ein brand verwandelt. Er baut Gebäude, deren wichtigste Eigenschaft es ist, schon von Weitem und auf den ersten Blick als „Gehry“ erkannt zu werden. Dazu gehört die scheinbar dynamisch geschwungene Form und die Vermeidung rechter Winkel. Das war´s auch schon. Sein „Martha“ in Herford zeigt, dass selbst ordinärer Industrieziegel verbaut wird, solange das Gebäude formal noch ein Gehry ist. Sein Museum in Bilbao erzeugte einen unerhörten Aufmerksamkeitseffekt. Das Konzept des Stadtmarketing via solitärer Architektur war geboren. Bilbao hat das ökonomisch sicher gutgetan und das Museum dort ist architektonisch sehenswert. Vielleicht könnte man es auch als den Anfang vom Ende beschreiben: Nach Bilbao wurde alles gleich, es setzte eine künstlerische, architektonische Entwertung ein, analog zur ökonomischen Aufwertung der betreffenden Stadt, der Bilbao-Effekt.
Das Bilbao-Museum zeigt darüber hinaus das Problem einer Architektur, die sich zu wichtig nimmt. Der Inhalt des Museums spielt keine Rolle, er interessiert nicht. Man kauft sich eine Eintrittskarte, um sich das Innere der Architektur anzuschauen, nicht die Kunst. Wahrscheinlich ist das Bilbao-Museum das einzige der Welt, das sich die Mehrzahl der Besucher nur von außen anschaut. Dieses Verhalten könnte man als Leistung des Architekten beschreiben oder als sein objektives Todesurteil. Er tötet die Nutzung des Gebäudes um den Preis der Aufmerksamkeit, der Eitelkeit, des Gewinns. Das Louis-Vutton-Museum in Paris ist vielleicht der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung. Interessant auch, dass Gehry selbst gerne behauptet, 98 Prozent der aktuellen Architektur sei „reine Scheiße“. Er gehört natürlich zu der Minderheit.
Seine drei Gebäude im Medienhafen in Düsseldorf passen ins Bild. Es geht hier um einen alten Hafen, der heute zeitgemäße Branchen wie PR und Werbung beherbergt. Aufsehenerregende Architektur ist da ganz praktisch und schlicht ein wesentlicher Teil von Stadtmarketing. Die drei Gehrys leben ausschließlich von der Zeichenhaftigkeit, von dem Bewusstsein, dass da ein Star etwas hinterlassen hat. Ein Händeabdruck von Michael Jackson im Asphalt oder ein Gehry am Wasser, eigentlich egal.
Gehry ist Show. Der einstmals fortschrittliche Ansatz dekonstruktivistischer Architektur wurde paradoxerweise ins sein Gegenteil verkehrt: schnelle Konsumierbarkeit, indem man eine Jahrmarktdynamik baut. Eine riesige PR-Maschine hilft dabei. Schnelle Wiedererkennbarkeit statt Komplexität. Komplexität als Oberflächenphänomen, das sich von der scheinbar langweiligen Moderne durch allerlei Gags absetzt. Es geht nicht mehr um die Freilegung von Widersprüchen, um das dekonstruieren von Konstruktion, ums offenlegen und verhandeln, sondern um die Hülle als Schein, als Verblendung. Wir haben hier, analog zur Entwicklung der Kleidung und des Essens, ein anything goes, das keine Individualität und keine Widerständigkeit signalisiert, sondern plumpe Konsumierbarkeit. So wie geschmacklich anonymisiertes und nivelliertes Sushi- oder Thaifood an jeder Straßenecke angeboten wird, so steht ein Gehry herum. Aus dem einstmals interessierten und neugierigen Blick aufs Andere, aufs Fremde, ist kapitalverwertungsfreundliche Banalisierung geworden.
Es gilt einzig die Logik der Rendite, sei es Gehry oder Sushi.
Ob Bilbao oder Herford: Die Städte, ihre Geschichte, interessieren nicht. Es fragt sich, was diese Art von dekonstruktivistischer Architektur eigentlich dekonstruiert? Gehrys jüngere Sachen dekonstruieren nichts, es sind irgendwie organische Hüllen in meist blendenden Materialien, Hauptsache geschwungen. Vielleicht kann man das als Nachfolge von organischer Architektur á la Hugo Häring sehen, aber auch da würde man wohl Häring Unrecht tun.
Die kapitalistische Logik vereinnahmt sich ideologiefrei alles, solange es nur Rendite verspricht. Ob man das Dekonstruktivismus nennt oder Nationalsozialismus, ist Nebensache. Im Zeitalter der Aufmerksamkeitsökonomie, des Zeichens, der Starkultur ist ein Gehry Mittel zum Zweck und vor allem jemand, der den Verrat an der Sache betreibt. Die optische Destabilisierung, im Haus des Architekten bei jedem Blick spürbar ist, hat sich in Gehrys bekannten Werken zu dem entwickelt, was Krasny eine permanente, widerspruchslos erscheinende Feier des Spektakulären. Das Spektakuläre als fester Teil der Maschine, die das Spektakel nur als domestiziertes, als unter Renditegesichtspunkten kontrolliertes instrumentalisiert.
Es hat halt System. Man sollte sich vielleicht mehr mit Zaha Hadid beschäftigen.
„Der Trump der Architektur“ (1)
„Der Trump der Architektur“ (2)
Der Dekonstruktivismus wollte die Wahrheit hinterfragen. Er wollte das Ganze untergraben. In der Architektur ist das, zumindest was die Stars dieses Genres angeht, in weiten Teilen in die Hose gegangen. Sie sind nun Teil der Wahrheit und des Ganzen, und die ist eine kapitalistische und das ist ein kapitalistisches. Die Logik des Kapitalismus ist ideologiefrei und bemächtigt sich jeder Strategie, die Rendite verspricht. Stararchitektur, die kritisch daherkommt, lässt sich leicht ins Spektakuläre drehen, dem jede Kritik abhanden gekommen ist. Dies haben wir, wie man sagt, in Teil 1 unserer kleinen Serie plausibel dargelegt.
Wie radikal sich der Dekonstruktivismus in den Dienst des Kapitalismus stellen kann, zeigt der deutsche Architekt Patrik Schumacher:
Der 55-Jährige ist nicht irgendwer, sondern seit dem Tod der Gründerin vergangenes Jahr der Chef des Büros Zaha Hadid. Laut Guardian und dezeen will er den sozialen Wohnungsbau auf null herunterfahren, Bauregulierungen weitestgehend abschaffen und sogar Straßen, Plätze und Parks privatisieren. Bemerkenswerterweise sagte er das kürzlich bei einer Konferenz in Berlin. Auch gegen Zweitwohnungen in Metropolen hat er nichts einzuwenden. Seine Begründung:
„I know a lot of people that have second homes in London and I’m so glad they do,“ he continued. „Even if they’re here only for a few weeks and throw some key parties, these are amazing multiplying events.“
Amazing multiplying events, soso. Vermutlich dann, wenn er eingeladen ist. Klingt nach einem Egozentriker.
Genügend Wohnraum will er so schaffen:
„Housing for everyone can only be provided by freely self-regulating and self-motivating market process.“
Der Markt soll es richten. Angesichts der Verhältnisse in London eine mutige Behauptung. Der Neoliberalismus hat die aktuellen Verhältnisse geschaffen, aber egal: Wir erhöhen einfach die Dosis. Es ist völlig klar, dass mehr Markt bei naturgemäß begrenztem Boden zu höheren Preisen führt. Man mag nicht glauben, dass Mister Schumacher so dämlich ist, das nicht zu wissen. Er weiß es sicher.
In die Städte sollen, und hier zeigt Schumacher, was er eigentlich will, nur “the most economically potent and most productive users who serve us most effectively” einziehen. Wobei man erst einmal klären müsste, ob die economically Potentesten auch die sind, die us most effectively nutzen. Wie auch immer, in London sind doch schon lange nur noch die ökonomisch Potentesten in der City. Er trägt Eulen nach Athen.
Wenn gerade keine Party angesagt ist, sitzt Schumacher laut Guardian gerne bei Architekturkonferenzen in der ersten Reihe und bezichtigt die Redner, Teil einer „lefty liberal conspiracy“ zu sein.
Auf Facebook sind die Meinungen über Schumacher deutlich:
Die Engländer scheinen weitaus meinungsfreudiger als die Deutschen zu sein, wenn es um Architektur geht. In Berlin sind solche Auseinandersetzungen undenkbar. Hier macht die sogenannte intellektuelle Elite jeden Wunsch des Kapitals mit und will architektonisch entweder das Schloss oder gar nichts.
Wie auch immer: Von dekonstruktivistischer zu einer zeitgemäß faschistischen Architektur ist es offenbar nicht weit.
Interessant ist auch Schumachers politischer Werdegang: Er bezeichnete sich früher, kein Scherz, als Marxist. Nun jedoch sei er desillusioniert. Vielleicht ist nicht nur der Trump, sondern auch der Jürgen Elsässer der Architektur. Nun liest Schumacher Ludwig von Mieses, Friedrich Hayek und Murray Rothbard. Leute also, für die die FDP eine sozialistische Partei ist.
Was sagte Zaha Hadid zu Schumacher, der seit den 1980er Jahren in Hadids Büro arbeitete? Sie hielt wohl nicht viel von seinen Überlegungen zur Architektur und laut Schumacher war sie Guardian-Leserin, was er keineswegs als Lob versteht. Konnte Schumacher nur durch den plötzlichen Tod Hadids den Laden übernehmen? Hat sie nicht aufgepasst?
Fade out
(Fotos: Facebook und dezeen)