20 Jahre Rückkehr Hongkongs zur VR China–Ende der gemeinsamen Erklärung „1 Land, 2 Systeme“?

20 Jahre Rückkehr Hongkongs zur VR China–Ende der gemeinsamen Erklärung „1 Land, 2 Systeme“?

20 Jahre ist es her, dass Großbritannien Hongkong an die VR China zurückgab. Als Thatcher versuchte gegenüber den Chinesen mehr demokratische Rechte durchzusetzen,ansonsten die Rückgabe hinauszuzögern. drohte Deng Xiaoping mit dem Einsatz der Volksberfeiungsarmee. Vor dieser Drohkulisse kam es zum Kompromiß, der sogenannten „Joint Declaration“, der gemeinsamen Erklärung wonach Hongkong eine Sonderverwaltungszone nach dem Prinzip „1 Land, 2 Systeme“ werden würde, das ein „basic law“ habe–diese Regelung sollte bis 2047 gelten. Zwar bestimmt China die Zusammensetzung der Kandidaten des Parlaments, wie auch der Gouverneur prochinesisch ist, doch genossen die Hongkonger verglichen mit China demokratische Zustände mit der Existzenz demokratischer Parteien, gewisser Pressefreiheit, Rule of Law, Demonstrationsfreiheit, u.a.

„Chinas Präsident Xi Jinping sagte im Anschluss in einer Rede in der Messehalle der Stadt, mit der Rückgabe Hongkongs seien «vergangene Erniedrigungen» beendet worden und die komplette Wiedervereinigung Chinas einen großen Schritt näher gerückt. Es sei im Interesse der Hongkonger, das Prinzip «ein Land, zwei Systeme» aufrecht zu erhalten und voll umzusetzen, sagte der Präsident, der auch die Amtseinführung von Hongkongs neuer Regierungschefin Carrie Lam und ihrem Team beaufsichtigte. Xi rief sie dazu auf, die Sicherheit und die «patriotische Erziehung» in der Stadt zu stärken.

Seit dem 1. Juli 1997 gehört Hongkong wieder zu China, wird aber nach dem Grundsatz «ein Land, zwei Systeme» regiert. Diese Vereinbarung sieht eigentlich vor, dass die mehr als sieben Millionen Hongkonger für 50 Jahre bis 2047 «ein hohes Maß an Autonomie» und viele Freiheiten genießen. Doch Beobachter warnen, dass Peking zunehmend versuche, die Kontrolle an sich zu ziehen.

Protestgruppen riefen für den Nachmittag zu einem großen Marsch auf, um für mehr Demokratie und gegen den zunehmenden Einfluss Pekings auf die Wirtschafts- und Finanzmetropole zu demonstrieren.

«Der sichtbare und unsichtbare Einfluss Chinas hat deutlich zugenommen», sagte Kristin Shi-Kupfer vom China-Institut Merics in Berlin. Journalisten würden zunehmend von Selbstzensur und wirtschaftlichem Druck vonseiten zahlungskräftiger Anzeigenkunden aus der Volksrepublik berichten. Akademiker beklagten politische Einflussnahme bei Stellenbesetzungen.

Die «Generation Rückgabe», junge Hongkonger unter 30, habe ein besonders distanziertes Verhältnis zur Volksrepublik. Laut einer Umfrage der University of Hong Kong bezeichneten sich 93,7 Prozent der Befragten als im weitesten Sinne «Hongkonger» und nicht als Chinesen. 1997 waren es noch 68 Prozent. «Viele Hongkonger stehen der Volksrepublik mit wachsender Skepsis gegenüber», so Shi-Kupfer.

Xi Jinping bemühte sich während seines dreitägigen Besuchs kaum, Ängste pekingkritischer Hongkonger zu zerstreuen. Der Staatschef zeigte bei «Inspektionen» von Polizei und einer in Hongkong stationierten Garnison der Volksbefreiungsarmee Stärke. Auch Chinas erster Flugzeugträger «​Liaoning» soll in den nächsten Tagen erstmals in Hongkongs Hafen einlaufen.

Für Irritationen sorgten derweil am Freitag Aussagen des Pekinger Außenamtssprechers Lu Kang, wonach die gemeinsame sino-britische Erklärung von 1984 «heute nicht mehr relevant und keine bindende Kraft für Chinas Zentralregierung» haben. In dem Papier ist auch geregelt, das Hongkong bis 50 Jahre nach der Übergabe in großen Teilen autonom bleiben soll.

Auf Carrie Lam, der am Samstag ins Amt eingeführten neuen Regierungschefin, kommen schwere Aufgaben zu. Lam muss nicht nur die politische Spaltung der Stadt, sondern auch die Kluft zwischen Arm und Reich verringern. Lam gilt schon jetzt als umstritten, weil sie von einem pekingtreuen Komitee mit nur rund 1200 Mitglieder ins Amt gewählt wurde. Laut Umfragen hätte bei einer freien Wahl, die Peking den Hongkongern schon lange verspricht, ein anderer Kandidat gewonnen. “

http://www.faz.net/agenturmeldungen/dpa/hongkong-begeht-20-jahrestag-der-rueckgabe-an-china-15086144.html

Xis Rede war von Demonstrationen begleitet und Hongkong ist auch zum Zentrum antikommunistischen Widerstands geworden. Neben der Hongkonger Regenschirmbewegung junger Hongkonger, die auf mehr Eigenständigkeit Hongkongs und demokratische Rechte drängen, hat sich nun eine kleine Unabhängigkeitsbewegung herausgebildet, die von den meisten Hongkongern nicht akzeptiert oder unterstützt wird, zumal der letzte britische Gouverneur Chris Patten diese hefgtig kritsierte und meinte, dass die Rückgabe Hongkongs an China Realität und nicht infrage zu stellen sei.. Zumal kommt es seit Jahrzehnten alljährlich zu von Hunderttausenden besuchten Gedenkdemos zum Massaker am Platz des Himmlischen Friedens, die Falungong kann ebenso frei in Hongkong agieren, wie auch der Gewerkschaftsaktivist Han Dongfan von Hongkong aus mit seinem Labour Bulletin Gewerkschaften in Festlandchina und Hongkong zu organiseren versucht und sich etliche Demokratieaktivisten der 89er Bewegung in Hongkong tummeln. Zudem werden in Hongkong  auch vierlei Bücher publiziert, die über koruptte Praktiken von Chinas Elite und Staatsführung sowie pikante Enthüllungen über deren Privat- und Sexleben berichten und von Festlandchinesen gerne gekauft, als Mitbringsel aus Hongkong nach China mitgenommen, gelesen und verbreitet werden.

Hongkong genießt trotz aller bisherigen Zensur- und Einflußversuche Chinas immer noch sehr weitehende Freiheiten. Aus Sicht Pekings viel zu viel Freiheiten und nun soll wohl Schluß mit den Faxen sein. Der VR China scheint es nun genug und Xi warnte auch vor roten Linien, die nicht überschritten werden dürften. Er betonte Pekings Oberhoheit über Hongkong, die nicht zur Disposition stehe. Desweiteren empfahl er der Hongkonger Regierung die Wirtschaft Hongkongs weg von einem primären Finanzzentrum Chinas hin zu einem Technologiezentrum mit Hightech-Industrien zu diversifizieren, zumal die VR China beabsichtigt, Shanghai als das eigentliche Finanzzentrum zu entwickeln und die soziale Frage zu lösen, vor allem die horrenden Mieten und Bodenpreise. Phillipe La Corre von der Brookings Institution resümiert die Entwicklung des Finanzzentrum Hongkongs in den letzten 20 Jahren und sieht es zu einer chinesischen Stadt am Perlflußdelta degradiert, bei dem das eigentliche Zentrum inzwischen das vom Fischerdorf zur Metropole mutierte Shenzhen ist:

„In 1997, I wrote a book in French called “Apres Hong Kong,” outlining three possible futures for the newly formed special administrative region.In the first, Hong Kong would remain an international business center, home to the headquarters of multinational companies.In the second, it would become a regional platform in Asia. The final one saw Hong Kong becoming much more of a Chinese city at the edge of the Pearl River Delta.

For all the attempts to keep Hong Kong as an international hub, 20 years later, it is the final scenario that is taking shape.

The Pearl River Delta region, which used to be Hong Kong’s back garden for manufacturing and production, was recently officially christened the “Guangdong-Hong Kong-Macau Greater Bay Area.” It includes a population of 60 million spread across Guangzhou, the capital of Guangdong Province, the special economic zones of Shenzhen, Zhuhai and Shantou, and several other cities, all connected by bridges, highways, railways, ports and airports.

“Connectivity” might be one of the keywords of China’s discourse but all the infrastructure built over the past few years in neighboring cities has only helped to dilute Hong Kong further into a vast economic zone where it is no longer the center.

There are now as many Fortune 500 companies headquartered in Shenzhen as in Hong Kong. Even Hong Kong’s tycoons do not have the kind of special relationships they used to have with the senior leadership in Beijing since there is much competition for influence with business leaders from within mainland China. In 1996, Lu Ping, director of China’s Hong Kong affairs office, insisted, “Shanghai would continue to be socialist while Hong Kong would remain capitalist.” Who can believe that this is still the case, with Shanghai looking to emerge as Asia’s top financial center?

It is possible, as pro-Beijing advocates would argue, that the Bay region has several centers, of which Hong Kong is one. But to anybody who has visited Shenzhen recently, it is hard not to see it as the area’s core city. The sleepy fishing village of the 1970s has become one of China’s megacities and high-tech hubs. (…)

As China speeds up its implementation of the Belt and Road Initiative, Hong Kong is trying hard to stay in the game. It has offered to build and host treasury headquarters for the Asian Infrastructure Investment Bank. Hong Kong has hosted several Belt and Road forums, too. But it remains on the margins and overly focused on service industries rather than infrastructure.

Hong Kong’s harbor may still be one of the busiest in the world at No. 5 in container volumes, but with the help of investments by tycoon Li Ka-shing’s conglomerate CK Hutchison Holding Shanghai and Shenzhen now rank first and third in the world.

Again, the mainland has overshot the former colony. Meanwhile, the main financial institutions in charge of financing or co-financing the Belt and Road are all Beijing-based: the AIIB, the Silk Road Fund, the China Development Bank and the China Export-Import Bank.“

Kurz: Hongkong hat für das inzwischen gigantisch gewachsene China nicht mehr die alte Rolle, die es früher einmal hatte, weswegen es auf Hongkonger Befindlichkeiten nicht mehr solch grosse Rücksicht nehmen muss wie zuvor.Die KP China bemisst die Rolle Hongkongs anhand harter Fakten seiner Rolle innerhalb der VR China, der Weltwirtschaft und zugleich der internationalen Kräfteverhältnisse, also inwieweit die USA, GB, die EU Hongkong zu schützen bereit und fähig sind. Man fragt sich, was die Designer der Joint Declaration eigentlich im Sinne hatten. Davon auszugehen, dass die VR China demokratische Liberalität und Rule of law bis 2046 bestehen lassen würde, verkennt erstens den dikatorischen Charakter der VR Und KP China, kann sich also folgerichtig nur unter der Annahme vollzogen haben, dass China weiterhin eine Mittelmacht bleiben werde, Hongkong das Finanzzentrum Asiens bleiben würde und der Westen als Garantiemacht für diesen internationalen Vertrag so einig und mächtig bleiben würde, dass China da sich an die Spielregeln bis 2046 halte,-all das war schon eine sehr gewagte Prognose der Leute, die diese gemeinsame Erklärung entwarfen. Eine zum einen sehr illusorische Annahme und zum zweiten etwas Metaphysik und Idealismus, dass China sich jenseits aller realer Kräfteverhältnisse an das rule of law, die internationalen Verträge und liberaler Demokratie halten würde, ja vielleicht dies auch auf Festlandchina quasi abstrahlen würde.

Die Infragestellung der Gültigkeit der gemeinsamen Erklärung durch Außenamtssprechers Lu Kang, die von höherer Stelle nicht dementiert wurde, sorgte für sichtliche Irritationen. In BBC baten Hongkonger Demokraten wie Martin Lee ( dessen rechte Hand Si Tuhua ich in den 90er Jahren mal in München kennenlernte und interviewte) Großbritannien um diplomatische Hilfe für Hongkong, damit China seine Versprechungen das „1 Land. 2 Systeme“bis 2047 einhalte. Es handele sich schließlich um einen internationalen Vertrag und daher müsse die internationale Gemeinschaft für dessen Einhaltung einstehen. Wie es aussieht, fühlt sich die Regierung Chinas inzwischen so stark, dass sie diese internationalen Verträge nicht mehr einhalten und austesten will, inwieweit sie dabei gehen kann. Und da Trump auch schon mal so leichtfertig die Ein-China-Politik infrage stellte, sieht sich Peking genauso berechtigt, dies mit der gemeinsamen Erklärung tun zu können.

Unklar ist, inwieweit die USA sich mit den Hongkonger Demokraten solidarisieren würde, die EU ist geschwächt und wie die Garantiemacht Großbritannien infolge des Brexit mehr mit sich selbst beschäftigt, fraglich also, ob da eine starke internationale Reaktion kommen kann, zumal China ja auch im Südchinesischen Meer weiter das internationale Recht auf Freiheit der Meere infrage stellt. Auch wird in Taiwan aufmerksam beobachtet, ob sich China weiterhin an die Formel „1 Land, 2 Systeme“hält, denn diese könnte ja auch für eine mögliche Wiedervereinigung Taiwans mit der VR China eine Folie sein. Wenn China dies infrage stellt, dann werden die meisten Taiwanesen einer Wiedervereinigung noch distanzierter gegenüberstehen als sie dies jetzt schon tun.

Umgekehrt fühlt sich China aber auch durch die Regenbogenbewegung und die alleinige Existenz einer Unabhängigkeitsbewegung in Hongkong herausgefordert, zumal es ähnliche Entwicklungen in Taiwan gibt. Zum einen wurde die in Pekings Sicht als Seperatistin verschriene DDP-Politikerin Cai Yingwen zur neuen Präsidentin gewählt, die den mehr auf Ausgleich mit China bedachten Kurs des KMT-Präsidenten Ma Yingjiu beendigte, zum anderen ist in Taiwan neben der DDP nun eine Bewegung junger Taiwanesen entstanden, die Sonnenblumenbewegung, die ebenso eine distanzierendere Politik gegenüber China und mehr Eigenständigkeit Taiwans forderte–ähnlich wie die Regenbogenbewegung in Hongkong. Diesen aus Sicht Pekings antichinesischen Kräften muss nun ein klares Gegensignal gesetzt werden, vor allem gegenüber der renitenten Generration junger Hongkonger und Taiwanesen, die sich nach dem Geschmacks Pekings antichinesischer als die Elterngeneration verhält. Zumal nun Panama die VR China diplomatisch anerkannt hat und damit den alten Anerkennungsstreit zwischen der VR China und Taiwan wieder in Gang gesetzt hat, zumal die USA jetzt auch Taiwan Waffen im Werte von 1,4 Milliarden US-$ verkaufen wollen. Die Konfliktpunkte Taiwan, Hongkong, Südchinesisches Meer summieren sich als Sicht Pekings und die internationale Konstellation eines geschwächten Westens erscheint da günstig, um Druck auszuüben.

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