Terres des Femmes: Für ein gesetzliches Verbot des Kopftuchs bei Minderjährigen
TERRE DES FEMMES e.V. fordert ein gesetzliches Verbot des sogenannten „Kinderkopftuchs“ im öffentlichen Raum vor allem in Ausbildungsinstitutionen für alle minderjährigen Mädchen.
Für diese Forderung gibt es folgende Gründe:
- Jedes Kind hat das Recht auf Kindheit – laut UN-Kinderrechtkonvention gelten alle Personen unter 18 Jahren als Kinder. Die Verschleierung von Mädchen – ein zunehmendes Phänomen in vielen Schulen aller Altersstufen und bisweilen sogar in Kindergärten – steht allerdings für eine Diskriminierung und Sexualisierung von Minderjährigen. Sie markiert diese als Sexualwesen, als Verführerin, die ihre Reize vor den Männern zu verbergen hat. Dieses patriarchalische Rollenbild des weiblichen Kindes und heranwachsender Mädchen diskriminiert nicht nur sie, sondern auch den Mann als angeblich triebgesteuert und unbeherrscht.
- Die Verschleierung weiblicher Minderjährigen (häufig Hidschāb) steht auch für deren geschlechtsspezifische Diskriminierung: den Mädchen wird aufgrund des „falschen Geschlechts“ weniger Freiheit und Selbstbestimmung zugebilligt als Jungen. Diese Geschlechter-Apartheid und die grundsätzlich damit einhergehenden menschenrechtswidrigen Denk-, Verhaltens- und Erziehungsmuster verstoßen gegen das Recht junger Menschen auf eine gleichgestellte Entwicklung.
- Durch die Verschleierung von Minderjährigen wird ein späteres Tragen des Kopftuchs bereits in der Kindheit vorgeprägt, in der das Zugehörigkeitsbedürfnis zur Familie und sozialen Gruppe besonders stark ist. Als Folge dieser Konditionierung können oder wollen die Mädchen auch später das Kopftuch nicht mehr ablegen. Es ist zum Bestandteil ihrer Identität geworden. Die Bewegungsfreiheit wird eingeschränkt und die Entwicklung eines natürlichen Körperbewusstseins behindert. Die Verschleierung bedeutet nicht nur eine „harmlose“ religiöse Bedeckung des Kopfes, sondern stellt eine physische und psychische Abgrenzung zwischen Innenwelt und Gesamtgesellschaft dar.
- So stellen Eltern ihre verschleierten Töchter außerhalb der Wertegemeinschaft der Gesamtgesellschaft, die auf den allgemeinen Menschenrechten basiert, insbesondere der Gleichberechtigung der Geschlechter. Partizipation an der Lebenswelt Gleichaltriger unabhängig von Geschlecht, kultureller Herkunft und Weltanschauung sowie Chancengleichheit können so nicht gelingen.
- Erziehung sollte eine altersgerechte und selbstbestimmte Persönlichkeits-entwicklung ermöglichen und garantieren, dass Kinder die in der Verfassung verankerten Grundrechte, wie das Recht auf Weltanschauungsfreiheit, ungehindert wahrnehmen und einüben können. Jede Minderjährige unabhängig von ihrer Religion oder Herkunft muss über ihre Rechte aufgeklärt werden, wie ein selbstbestimmtes Leben geführt und verteidigt werden kann. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die etwa von Eltern, Nachbarn, dem sozialen Umfeld und der Schule geleistet werden muss.
- Eltern aus konservativen muslimischen Familien erfahren oft einen immensen sozialen Druck durch das gesellschaftliche Umfeld und/oder die religiösen Autoritäten. Dieser Druck wird häufig an die Mädchen weitergegeben. Das kann einhergehen mit Gewalt und Psychoterror, wie beispielsweise mit dem Scheren des Haares bei Widerstand gegen die Verschleierung oder der Drohung, in die Hölle zu kommen. Ein staatliches Verbot der Verschleierung von Minderjährigen in der Öffentlichkeit und vor allem in den Betreuungsinstitutionen nimmt den Druck von den (Vor-)Schulmädchen, das Kopftuch tragen zu müssen und unterstützt pubertierende junge Frauen, die der Verschleierung kritisch gegenüberstehen.
- Deshalb sind wir der Ansicht, dass das von uns geforderte Verbot bis zum Erreichen der Volljährigkeit gelten sollte, obwohl in Deutschland die Religionsmündigkeit ab 14 Jahren gesetzlich festgelegt ist. Denn auch bei Heranwachsenden besteht eine finanzielle und psychische Abhängigkeit vom Elternhaus weiter, so dass die für eine Distanzierung nötige Eigenständigkeit in der Regel nicht gegeben ist. Zudem unterliegen „Teenager“ einem starken Einfluss und Zugehörigkeitsbedürfnis zu ihrem unmittelbaren sozialen Umfeld – vor allem den „Peergroups“. All diese Faktoren machen eine freie Entscheidung gegen die Verschleierung fast unmöglich. Aus diesem Grund müssen auch Heranwachsende in unserer Gesellschaft vor Gewalt und Funktionalisierung geschützt werden – und vor dem Zwang zu einer vermeintlich religiös gebotenen Kleidung.
- Ein solches Gebot einer allgemein gültigen, bedingungslosen Kopftuchbedeckung gibt es – selbst für geschlechtsreife Frauen – im Islam nicht, obwohl sich konservative und fundamentalistische Strömungen immer wieder darauf berufen. Noch weniger gilt dies für vorpubertierende Mädchen. Deshalb müssen Mädchen und heranwachsende junge Frauen das Recht haben, das Tragen von auffälligen (vermeintlich) religiösen und politisch-ideologischen Symbolen abzulehnen. Hierfür muss ihnen ein gesetzlicher Schutzraum zur Verfügung gestellt werden, in dem sie einen säkularen Gegenentwurf zum konservativ-religiösen Elternhaus und Umfeld kennenlernen und leben können.
- Das inzwischen weit verbreitete Mobbing gegen unverschleierte Mädchen etwa in Schulen, die als Unreine oder Schlampen beschimpft werden, muss strikt verurteilt und sanktioniert werden. Öffentliche Schulen müssen für alle Minderjährigen eine angstfreie Entwicklung ermöglichen und als neutrale staatliche Orte religiöse und ideologische Symbolik vermeiden. Nur so kann der Staat seinen Bildungsauftrag erfüllen, Kindern und Heranwachsenden Aufklärung und Gleichbehandlung angedeihen zu lassen und deren demokratisches Denken zu fördern.
Berlin, den 20. Mai 2017