Das ewige Gejammer: Warum geht der Nobelpreis fast nie an Muslime?
In der Kolumne „Zwischentöne“ stellt Lamya Kaddor die Frage, warum es fast nie Muslime bei den Nobelpreisträgern gibt und beantwortet dies mit „dumpfen Kulturchauvinismus“, der an Stammtischen populär ist als Erklärungsmodell und dem der Westen fröhne. Also ein Akt der Diskriminierung, der die poentiell wahre Geistesgröße muslimischer Denker verkenne, wenn sie schon nicht oder fast gar nicht in der Gegenwart exisieren, so aber in der fernen Vergangenheit. Mit der Religion, hier dem Islam habe die Rückständigkeit im Wissenschafts- und Kulturbetrieb nichts zu tun. In früheren Jahrhunderten hätten Muslime in der goldenen Ära des Islams Nobelpreise zu hauf bekommen.O-Ton:
„Warum geht der Nobelpreis fast nie an Muslime?
06.10.2017, 09:19 Uhr | Lamya Kaddor, t-online.de
Bildungsfeindlich soll der Islam sein, heißt es am Stammtisch. Dabei hätten Muslime vor Jahrhunderten sämtliche Nobelpreise abgeräumt, meint t-online.de-Kolumnistin Lamya Kaddor.
Diese Woche ist es wieder so weit. Die Show der Nobelpreis-Verkündungen geht über die Bühne. Wir wissen bereits, dass sich acht US-Forscher, ein Schweizer und zwei Briten neu in die Riege der Spitzenforscher der Menschheit und der Top-Literaten einreihen dürfen. Und wie jedes Jahr werfen am Rande der Prozedur wieder ein paar Neunmalkluge die Frage auf: Warum kriegt eigentlich keiner aus der islamischen Welt einen Nobelpreis? Natürlich nur, um die Antwort gleich hinterherzuschicken: „Weil der Islam bildungsfeindlich ist. Ist doch klar!“
Diese simple „Beweisführung“ eignet sich wunderbar, um eifriges Kopfnicken an Stammtischen zu bewirken und ganz viele Likes in Sozialen Medien zu sammeln. De facto stimmt die Beobachtung ja sogar. Ohne den Friedensnobelpreis sind es seit 1901 gerade mal eine Handvoll, von denen man die Religionszugehörigkeit kennt, was freilich nichts darüber aussagt, ob und wie gläubig diese Menschen sind.
Warum haben die USA einen Vorsprung?
Der wahre Grund für die Beobachtung dürfte derselbe sein, der erklärt, warum Hindus so wenige Nobelpreisträger hervorgebracht haben oder Afrikaner oder Südamerikaner. Mit Religion und Kultur hat das allerdings wenig zu tun, auch wenn es den einen oder anderen Zeitgenossen geben mag, der lieber den ganzen Tag lang im Koran liest oder sich in die Veden vertieft, statt Fachbücher zu studieren.
Man sollte eher fragen, warum die USA bei den Nobelpreisträgern so einen Riesenvorsprung haben? Vielleicht sind US-Amerikaner ja tatsächlich so viel intelligenter als Europäer, Asiaten und andere.
Einst großer Wissensvorsprung
Ich glaube jedoch, es liegt weniger daran, dass eine Geburt in den USA mit der Weitergabe einer besonderen Intelligenz verbunden ist oder eine Einbürgerung den IQ heben würde. Ich glaube, es liegt vor allem daran, dass heute die Wissenschaftslandschaft in den USA so viel effizienter ist als anderswo, zum Beispiel weil die Forschungseinrichtungen finanziell viel besser ausgestattet sind. Das gilt schon im Vergleich zu Europa, und erst recht im Vergleich zur islamischen Welt, die in weiten Teilen in Kriegstrümmern liegt (z.B. Syrien, Irak, Jemen, Libyen, Afghanistan) oder durch politisch und wirtschaftlich schwere Zeiten geht (z.B. Türkei, Ägypten, Tunesien, Pakistan, Bangladesch)
Wenn explizit der Islam so sehr mit fehlender Bildung zu tun hätte, wie manche meinen, wie konnte dann die islamische Welt einst einen so großen Wissensvorsprung in allen Bereichen erzielen, während Europa im finsteren Mittelalter darbte? Wer hätte wohl vor einigen hundert Jahren die meisten Nobelpreise bekommen?
Die muslimische Welt war weltweit führend
Vielleicht ja der Mathematiker Khawarizmi wegen seiner Ausführungen zur Algebra. Oder sein Kollege al-Battani wegen seiner Arbeiten zur Trigonometrie, zur Planetenberechnung oder zur bis auf zwei Minuten exakten Bestimmung des Sonnenjahres.
Al-Biruni böte sich vielleicht an wegen seiner nahezu exakten Berechnung des Erdradius oder der Erfindung des Pyknometers, mit dessen Hilfe bis heute die Dichte von Flüssigkeiten und Pulvern ermittelt wird.
Auch der berühmte Mediziner Ibn Sina wäre gewiss nicht leer ausgegangen. Ebenso der große Naturwissenschaftler Ibn al-Haytham, der maßgebliche Wegbereiter der Optik und Erfinder der Lupe.
Das erste Astrolab
Oder der Konstrukteur al-Jazari, Vordenker der Kybernetik und Pionier der Zeitmessung. Oder al-Fazari, dem der Bau des ersten Astrolabs in der islamischen Welt zugeschrieben wird.
Heiße Anwärter wären sicher auch der Geograf al-Idrisi mit seiner Weltbeschreibung und der dazugehörigen Karte („Tabula Rogeriana“) gewesen sowie der Botaniker al-Baitar für seine systematische Darstellung von mehr als 1.000 Heilpflanzen und Rezepturen.
In den Fokus würde sich vermutlich auch der osmanische Erfinder Taqi al-Din drängen, von dem im 16. Jahrhundert die Beschreibung einer Dampfmaschine überliefert ist; lange bevor sie in Europa entdeckt und zum Motor der Industrialisierung wurde.
Dumpfer Kulturchauvinismus
Diese Liste der potenziellen muslimischen Nobelpreiskandidaten aus der islamischen Welt ließe sich beliebig verlängern. Die „klugen“ Hinweise auf die geringe Zahl muslimischer Laureaten wird damit freilich nicht gestoppt. Denn letztlich geht es dabei wohl doch nur um einen dumpfen Kulturchauvinismus. Wir im Westen sind eben einfach die klügeren und wertvolleren Menschen im Vergleich zur restlichen Welt.
Wie meinte jüngst eine ehemalige Parteivorsitzende, sie wolle sich künftig „für einen europäischen Kulturpatriotismus stark machen.“ Mir fällt dazu nur ein berühmtes Zitat des großen deutschen Philosophen Theodor Adorno ein. Der hatte schon in den 1950er Jahren festgestellt: „Nicht selten verwandelt sich der faschistische Nationalismus in einen gesamteuropäischen Chauvinismus… Das vornehme Wort Kultur tritt anstelle des verpönten Ausdrucks Rasse, bleibt aber ein bloßes Deckbild für den brutalen Herrschaftsanspruch.““
Was Lamyar Kador als „dumpfen Kulturchauvinismus“ der Stammtische geißelt, gar als islamophob, erklärt nicht, warum es die muslimischen Länder bisher nicht wie die einstigen Agrargesellschaften, 3-Weltländer und heute asiatischen Tiger wie China, Vietnam, Südkorea, Japan trotz zweitem Weltkrieg, Atombomben, zerstörerischen Bürgerkriegen, Korea- und Vietnamkrieg, Kulturevolution und zum Teil Kommunismus oder rückständigsten Staatskonfuzianismus es geschafft haben, blühende Ökonomien auf dem Sprung zu Hochtechnologieländer zu werden, während die ganzen Ölmonarchien und panarabischen Sozialisten samt ihren Nachfolgern nie eine eine einigermaßen Ökonomie samt Wissenschaftsbetrieb auf die Beine gestellt haben, obgleich sie dazu die Resourcen gehabt hätten. Dass dies eben sehr viel mit Wirtschaftspolitik, Bildungspolitik- und Bevölkerungspolitik zu tun hat verschweigt sie, um die krudesten chauvinistisch-biologistischen IQ-Vorurteile zu zitieren, um diese dann auch zu widerlegen.
Dass die Bildungsfeindlichkeit des real existierenden Islam eben fatale Auswirkungen auf Wissenschaftsbetrieb, Frauenbildung/gleichberechtigung und Bevölkerungsexplosion hat verschweigt sie und will sie nicht wahrhaben. Auch dass sich Religion und Wissenschaft nicht gerade ergänzen, ja ersteres letzteres immer wieder bremste und somit auch der Islam, negiert sie. Auch dass sich die meisten muslimischen Staaten durch geistige Enge, religiöse Vorurteile und Fanatsismus, sturem Lesen und Zitieren von Koransuren statt Lektüre aufklärerischer oder wissenschaftlicher Literatur auszeichnen übergeht sie. All das hat nichts mit dem Islam zu tun. Dass die islamistische Partei Erdogans, die AKP jetzt Darwins Evolutionslehre in den Schulen vom Lehrplan nimmt und dafür Dschihhad als Lehrfach installiert, zeigt doch sehr klar, dass dies etwas mit dem Islam zu tun hat.
Als Gegenargument kommt das Gejammer über die angeblich goldene Ära des Islam, als die Wissenschaft, Handel und Philosophie unter diesem noch geblüht hätten und dieses Zeitalter als Hochkultur romantisiert wird. Nun sollte man feststellen, dass damals bestenfalls die Grundrechenarten und etwas Astronomie schon als Gipfel der Wissenschaft galt, womit man heute keinen Blumentopf mehr gewinnen kann, geschweige es denn für die Programmierung von Computern mit Algorithmen, Berechnungen von astrophysikalischen Modellen oder anderen Grundlagen der Wissenschaft reichen würde. Nehmen wir einmal an vor zig Jahrhunderten hätte es muslische Nobelpreise gegeben, so erklärt Kaddor eben nicht die Tatsache, dass es seit Vergabe des Nobelpreises in der Neuzeit und der Vergangenheit kaum wissenschaftliche oder literarische Nobelpreise gab und gibt. Insofern wissenschaftliche Forschung in muslimischen Ländern betrieben und gefördert wird, so wie im kommunistischen Nordkorea um an Waffentechnologie und Massenvernichtungswaffen zu kommen, die expansionistischen Zielen und zumeist nicht zivilen Zwecken dienen–allen voran der islamistische Iran, das muslimische Pakistan oder das wahhabistische Saudiarabien, das selbst hierzu noch unfähig ist und Masseneinkäufer von US-Rüstungstechnologie ist.Zudem eben auch kaum in Grundlagenforschung, sondern ganz verengt in anwendungsbezogene, zumeist rüstungstechnologische Forschung investiert wird. Zudem sollte man noch unterscheiden zwischen wissenschaftlicher Aufklärung und politischer Aufklärung. Es gibt durchaus muslimische Länder, die nicht umhinkommen, sich auch wissenschaftlichen Erkenntnissen zu öffnen, über naturwissenschaftliche Universitäten verfügen, um technologisch irgendwie mit den Hitechnationen der entwickelten Welt mithalten zu können. Im geisteswissenschaftlichen Sektor aber herrscht regressive Enge und erst recht ist in den meisten muslimischen Ländern nicht von einer politischen Aufklärung zu sprechen, was sich auch daran zeigt, dass die einzig demokratischen muslimischen Staaten Türkei, Pakistan und Indonesien oder die relativ aufgeklärte Monarchie Marokkos inzwischen auch Islamisierungserscheinungen aufweisen und die meisten muslimischen Länder Despotien und Diktaturen sind.
Zudem Wissenschaftlichkeit auch nicht vor Totalitarismus bewahrt. Denn auch Wissenschaftler oder politische Interpreten wissenschaftlicher Erkenntnisse müssen nicht zwangsläufig einem liberalen, demokratischen Weltbild anhängen, sondern der Mediziner kann die menschliche Gesellschaft als biologischen Organismus begreifen, dessen politische Opposition dann ein Krebsgeschwür oder Virus ist, den es zu entfernen ginge, der Kybernetiker kann dysfunktionale Subsystem ausmachen, die eliminiert gehören oder der Maschinenbauer geht von der Gesellschaft als einer Maschine aus, dessen Rädchen total funktionieren müssen, um höchste Leistungen und Drehzahlen zu erhalten, wie auch der Astrophysiker oder Ökologen dann doch wieder an göttliche Wesen oder Mutter Erde glauben kann oder aber den Mensch als unwesentlichen, unwichtigen Teil einer kosmologischen höheren Ordnung sieht, bei Muslimen und Islamisten dann eben als Teil der Weltenordnung Gottes, Allahs.
Es gibt auch Islamisten, die ein naturwissenschaftliches Studium absolvierten und trotzdem ein islamofaschistisches Regime anstreben wie z.B. Erbakan und seine Wohlfahrts-/Refahpartei, der an der TU Aachen Maschinenbau studierte, wie auch viele Muslimbrüder und andere Islamisten studierte Mediziner, Architekten, Juristen, Naturwissenschaftler, Ingenieure, etc. waren und sind. Wissenschaftliche Aufklärung, die Absenz der Religion bedeutet noch lange nicht politische Aufklärung, kann auch oftmals das Gegenteil sein. Wissenschaftliche Aufklärung, die aber unter dem Primat der Religion steht ist noch wesentlich regressiver. Bassam Tibi spricht auch von „halber Aufklärung“ im Falle von Entwicklungsdikaturen. Aber bei den meisten muslimischen Ländern steht es mit der wissenschaftlichen Aufklärung auch nicht sonderlich gut, von der politischen und geitsigen schon gar nicht zu sprechen.
Ebenso zeichnet sich der Islam durch gedankliche Enge, Intoleranz und religiöse Doppelmoral aus, was auch dazu führt, dass kaum Literaturnobelpreise aus muslimischen Ländern stammen und wenn sie es würden, dann leben deren Autoren wie Saldam Rushdie mit seinen Satanischen Versen unter Morddrohung und Lebensgefahr mit abschreckender und geistestötender Wirkung auf die Geistes- und Meinungsfreiheit der gesamten muslischen Gesellschaften. Junge muslimische Frauen wie Malala, die Bildung fordern werden von bildungsfreundlichen islamistischen Taliban dafür ins Gesicht geschossen.
Anstatt einmal festzustellen, dass der heutige real existierende Islam eine zutiefst rückständige Religion, zumal mit dem überbordenden Islamismus allerortens ist, verweist sie uns auf eine angeblich glorreiche Vergangenheit und gute alte Zeit. Das ist schlicht reaktionär! Kaddor gefällt sich in der jammernden Glorifiziererin alter vorgeblicher muslimscher Glanzzeiten, klammert aus, dass es religiöse Unterdrückung und Engstrinigkeit auch zu dieser angeblichen Blütezeit gab, die Naturwissenschaften und Philosophie auch damals unter der Scharia existierte und begrenzt wurde und wünscht sich die gute alte Zeit zurück, da sie mit dem heute real exsitiserenden Islam argumentativ zu scheitern droht. Mal wieder die übliche Opferrolle, wonach der wissenschaftlich und politisch fortschrittlichere säkulare Westen allein schuld dran ist, dass der glorreiche Islam und seine muslimische Welt so abgehängt wurden.
Auch scheint es kein Zufall zu sein, dass ehemalige Anhänger von Lamya Kaddor sich dann dem Islamischen Staat anschlossen. Wenn eine vorgeblich liberale Muslimin jungen Muslimen ständig erzählt, sie sollten sich auf die glorreiche Zeit des Islams zurückbesinnen, tun diese das dann auch. Diese Sorte Vergangenheitsverklärung, wie sie es auch bei deutschen Rechtsextremen mit dem Großdeutschen Reich“gibt, ist eben einfach schlicht reaktionär und man braucht sich nicht zu wundern, dass die Leute dann zu Mohammeds Ursprüngen zurückkommen.Back to the future eben! Eine einzige Verleugung und Verweigerung sich mit dem heutigen realen Islam samt Islamismus auseinanderzusetzen und diesen zu kritisieren oder auch einfach als Ursache für gesellschaftlich und geopolitische desaströse Folgen festzustellen.
Freilich ist der Islam und die mit ihm verbundene geistig repressive Kultur nicht der einzige und alleinige Grund für die Rückständigkeit der muslimischen Länder, aber doch ein ganz wichtiger, den man nicht in Abrede stellen sollte. Die mehr säkularen panarabischen Sozialisten von Ghaddaffi bis Saddam Hussein, Nasser bis Assad sorgten auch für geistig enge Despotien, Betonung straker Männer und Führer- und Personenkult, die aber auch als Antwort auf den drohenden Islamismus zu verstehen war, der nach dem Zerfall des Osmanischen Reichs spätestens mit der Gründung der Muslimbruderschaft 1928 im geamten sunnitischen Raum schon wieder auf der Tagesordnung stand, zumal sie eben auch in der sie umgebenden, geerbten islamische Kultur ihre säkularen Reformen versuchen mussten, was eine Modernisierung nicht gerade erleichterte. Ebenfalls ist es auch denkbar, dass der Islam in ferner Zukunft reformiert wird, aber kurz- und mittelfristig ist hier noch keinerlei bedeutende Bewegung zu sehen, eher das Gegenteil einer zunehmenden Islamisierung und Radikailsierung.