Von der Aktualität Marxens

Von der Aktualität Marxens

Gastautor: Genova

„Die Deutsche Bahn wird 2018 einen ihrer neuen ICE-Züge “Karl-Marx“ nennen, er setzte sich beim aufwendigen Vergabeprozess unter anderem gegen “Helmut Kohl“ und “Helmut Schmidt“ durch.“

schreibt Holger Gertz in der Süddeutschen Zeitung (30.12.) in einem Seite-3-Stück über den “Superstar“ Marx, der “selten so populär“ gewesen sei wie heute. Dieses Jahr strahlt das ZDF zu Marxens 200. Geburtstag sogar ein „Dokudrama“ aus, in dem es „um den Menschen“ Marx gehen soll. Man muss Schlimmstes befürchten.

Ich lese von der angeblichen Popularität des bärtigen Herrn in einem Staats-ICE, für den ich für eine Strecke von 550 Kilometer den „Normalpreis“ von 116 Euro bezahlt habe, den ich um die Hälfte vergünstigen kann, wenn ich eine Jahresmitgliedschaft bei der Bahn eingehe, für die ich 255 Euro bezahlen muss, trendy „Bahncard 50“ genannt. Oder ich buche im Voraus ein Ticket, dessen Vorausbuchungsfrist die Bahn gerade von drei auf sechs Monate verlängert hat. Die deutsche Krämerseele wird es freuen, der Bahn das Geld ein halbes Jahr im Voraus überweisen zu dürfen. All das ist normal.

„Noch“ schreibt Gertz in der Süddeutschen weiter, „hat das kapitalistische System allerdings auf jede Irritation eine routinierte Antwort“. Die Antwort ist: Gegen Naturgesetze darf und kann man nicht verstoßen, beispielsweise gegen steigende Mieten. Exakt diese routinierte Antwort gibt nicht „System,“, sondern, unter anderen, die Süddeutsche. Die Widersprüche sind total und damit aufgehoben. Gertzens „noch“ ist eine rhetorische Figur oder auch nur eine Spielerei, gut für ein Grinsen in der Kantine. Kohl und Schmidt wären ehrlicher, aber auch spießiger, und das will man ja auf keinen Fall sein. Marx bringt aufmerksamkeitsökonomisch einfach mehr.

Marx ist in Deutschland populär im Feuilleton der Süddeutschen, in Berlin-Mitte, in Brecht-Seminaren, Castorf-Inszenierungen und anderen schöngeistigen und mittlerweile völlig harmlosen Veranstaltungen. Man gibt sich gerne liberal und toleriert Kot auf der Bühne und den Revolutionsaufruf vorm Katheder. Man fordert das sogar. Man hat den Muff der Fünziger endültig abgelegt, aber nur äußerlich, formal, und ansonsten nichts gecheckt. Marx ist vielleicht noch populär in einem angenehmen Land wie Griechenland. Dort gibt es eine kommunistische Gewerkschaft, die kurzerhand das Arbeitsministerium besetzt und die Arbeitsministerin stellt. Im devoten Deppenstaat Deutschland naturgemäß undenkbar. Um den Geisteszustand dieses Landes und seiner Journalisten zu erfassen, genügen die ersten sieben Minuten dieses Spiegel-online-Podcasts. Es offenbart sich die totale Bewusstlosigkeit – begrifflich wie ideologisch. Es ist das Niveau einer Samstagabendunterhaltungsshow.

Selbst Konservative wie Schäuble oder SPD-Drohnen wie Nahles zitieren Marx bei BDI- und BdA-Veranstaltungen.Freilich nicht seine Krisentheorie oder Klassenkampf, sondern die Stellen über die „ehernen Gesetze der Ökonomie“und die Tendenz zur Globalisierung und die Herstellung des Weltmarktes. Internationalismus meint dann Globalismus und Anpassung des Standort Deutschlands an die Zwänge des Weltmarkts und der Produktivkräfte/Technologie oder nun eben die Digitalisierung. Kein Wunder, dass Globalisierungskritik dann nicht mehr von Attac, sondern vom wirtschaftsnationalistischen „America first“-Trump betrieben wird.

In Wahrheit ist die deutsche Liberalität eine totale Degression und systemische Anpassung an den Gott der Ökonomie, der nicht sichtbar, aber wirkungsvoll ist. In Wahrheit ist Marx mausetot und jeder, der ihm eine ernstzunehmende Relevanz vermitteln wollte, wird vom Staatsschutz oder der SPD oder der Linkspartei oder den Wirtschaftsjournalisten der Süddeutschen oder den neuen Nazis – was ökonomisch alles die gleiche menschenverachtende Soße ist – in die psychische und vermutlich auch physische Mangel genommen.

Gerne im ICE Karl Marx oder Alice Weidel, demnächst bei Ihrer Bahn.

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