Nervengiftanschlag in Salisbury–erst einmal die Fakten in Ruhe klären
Ein russischer Doppelagent, der für die Briten gearbeitet hat, ist mit seiner Tochter und einem Polizisten, der mit ihnen in Kontakt kam, Opfer einer Nervengiftattacke geworden. Dies ist nicht der erste Fall dieser Art, wenn man an die Poloniumgiftattacke auf den russischen Exagenten Litwinenko zurückdenkt, hinter der auch Rußland vermutet wurde.Nun sollen auch weitere Todesfälle russischer Dissidenten in Großbritannien nachträglich untersucht werden. Es ist klar, dass in einem solchen Falle klare Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssten. Die Sache wurde jetzt auch Gegenstand einer UNO-Weltsicherheitsratssitzung, sowie die Trump-USA, die NATO und Merkel-Deutschland sich hinter Theresa May stellten und ihre Version ungeprüft teilen.
Im Gegensatz zu Trump und Merkel, die Theresa May einen Freibrief ausstellten bezüglich der Beschuldigung Russlands, bzw. Putins, ohne dafür jeglichen Beweis erbringen zu müssen, hat die französische Macron-Regierung den Namen Russlands nicht einmal erwähnt und sagte, es sei beim derzeitigen Stand der Kenntnisse zu früh zu entscheiden, welche Aktionen zu treffen seien.
Dazu Regierungssprecher Griveaux: „Wir machen keine Phantasie-Politik. Wenn die Details klar sind, dann wird die Zeit kommen zu entscheiden, welche Maßnahmen zu treffen sein werden!“
Als Außenstehender sollte man erst einmal darauf drängen, dass die Fakten in Ruhe geklärt werden, bevor man sich zu vorschnellen Reaktionen hinreissen lässt.
So ist zu lesen:
„Die Darstellung der britischen Regierung strotzt vor Widersprüchen und ist durch nichts belegt. Sie basiert allein auf der Analyse der Biowaffenforschungsanlage und Produktionsstätte für Massenvernichtungswaffen Porton Down, die nur 16 km von Salisbury entfernt liegt. Diese hatte zunächst angegeben, das Gift sei ein Nervengas wie Sarin oder VX gewesen, mittlerweile behauptet sie jedoch, es handele sich um einen Kampfstoff eines „in Russland entwickelten Typs“ namens Nowitschok.
Der ehemalige britische Botschafter und Schriftsteller Craig Murray erklärte, die Formulierung „in Russland entwickelt“ sei mit Bedacht gewählt worden. Er berief sich auf eine Quelle in der britischen Regierung, die bestätigte: „Die Wissenschaftler in Porton Down können nicht feststellen, dass das Nervengas in Russland entwickelt wurde, und ärgerten sich, dass sie zu dieser Aussage gedrängt wurden.“
Die britische Regierung hat weder Russland noch irgendeinem anderen Land Proben des Giftes zur Verfügung gestellt. Selbst wenn man ihre Darstellung übernehmen würde, wäre es kein Beweis dafür, dass Russland den Anschlag dirigiert hat. Die Chemikalie wurde zu Zeiten der Sowjetunion entwickelt. Es gibt keinen Beweis dafür, dass Russland sie produziert hat. Genauso gut könnte sie in London, Langley oder einem der Staaten der ehemaligen Sowjetunion hergestellt worden sein, mit denen Russland mittlerweile verfeindet ist.“
http://www.wsws.org/de/articles/2018/03/19/skri-m19.html
Dass Putin als alter KGB-Geheimdienstmann und Autokrat politischen Mord für legitim hält und auch dahinter stecken kann ist unbestreitbar. Nehmen wir einmal an, Putin stände hinter den Anschlägen–was könnten seine Motive sein?. Zum einen besagte Wahlen trotz Fußball-WM, um sich als starken Mann vor dem russichen Volk zu inszenieren, der dem Westen trotzt. Zum zweiten zu zeigen, dass Verräter bestraft werden. Fraglich aber, warum er dies dann so umständlich mit Kampfstoffen inszenieren sollte und nicht auf konventionelle Mordmethoden zurückgreift. Was das dritte Motiv näherlegen würde, dass er dem Westen zeigen wollte, dass er diesen selbst mit chemischen Kampfstoffen wie Assad in Syrien ungestraft angreifen kann, ohne dass dieser sich wehren kann. Zugleich einmal die Reaktionsfähigkeit des Westens und der NATO bezüglich chemischer, Hacker- und sonstiger Angriffe und Provokationen auszutesten, wie abwehrbereit und einig dieser ist und wie schnell er reagiert oder nicht.
In diesem Falle könnte dieser Anschlag der Testlauf und Versuchsballon für zukünftige Provokationen und Angriffe Putin-Rußlands sein, weswegen eine entschiedene und umgehende Reaktion der NATO und des Westens dann auch nötig wäre. Dennoch sollte Theresa May sich an die rechtsstaatlichen Formalien der Organsation zur Prävention von Chemiewaffen (OPCW) halten und falls sie Ultimaten stellt, den Zeitrahmen auch so bemessen, dass das Gegenüber auch real darauf antworten kann. So hat dies eher den Anschein einer Kampagne, bei der man Russland keine Chance einräumt und die Bevölkerung des Westens mit überhasteten Pawloschen Reflexen übertölpeln will wie einst bei 9-11 oder beim Irakkrieg 2003.
Denn so zu tun als würden westliche Geheimdienste nicht auch zuweilen zu false-flag-Operationen, Desinformation und auch politischem Mord greifen, ist ebenso naiv und sozialkundeunterrichtlich gedacht.Wenn dazu noch der CIA-Chef und nun Außenminister Pompeo heißt und die neue CIA-Chefin Haspel waterboarding-Folterexpertin in einem scharzen Gefängnis in Thailand war, sollte man sich nicht nur über die Skrupellosigkeit Putins erregen.
Man sollte bei Berichten über den Einsatz von Massenvernichtungsmitteln etwas vorsichtig sein, spätestens seit dem Irakkrieg 2003.
Wer es für offensichtlich hält, dass Russland Skripal vergiftet hat, sollte sich an die Anthrax-Anschläge in den USA im Jahr 2001 kurz nach den Anschlägen vom 11. September erinnern. Damals erhielten mehrere US-Regierungsvertreter per Post einen tödlichen Stamm von Milzbranderregern, durch den fünf Menschen getötet und siebzehn weitere infiziert wurden. Auch damals machten die Medien sofort das Land verantwortlich, gegen das sich die Kriegsdrohungen der USA und Großbritannien richteten – den Irak. Die Behauptungen, das irakische Regime würde Massenvernichtungswaffen besitzen und Beziehungen zu Al-Qaida pflegen, erwiesen sich später als Lügen, die Washingtons außenpolitischen Interessen im Vorfeld des Irakkriegs dienten.
Nachdem die USA den Irak überfallen und besetzt hatten und sich herausstellte, dass es dort keine Massenvernichtungswaffen gab, wurde bekannt, dass das Anthrax, das in den Anschlägen verwendet worden war, auf Washingtons eigenes Massenvernichtungswaffenprogramm in Fort Detrick (Maryland) zurückging. Der amerikanische Wissenschaftler Steven Hatfill soll Gerüchten zufolge dafür verantwortlich gewesen sein, doch er wurde nach einer Untersuchung freigesprochen.
Bis heute ist nicht geklärt, wer an der Durchführung der Anthrax-Anschläge beteiligt war. Das FBI machte einen weiteren Wissenschaftler namens Bruce Edwards Ivins für den Anschlag verantwortlich. Dieser hatte 2008 Selbstmord begannen. 2010 beendete das FBI seine Ermittlung, doch wie die amerikanische National Academy of Sciences elf Jahre später herausfand, konnte die US-Regierung nicht ausreichend nachweisen, dass der eingesetzte Anthrax-Erreger von Ivins stammte.
Auch bedeutet ein Kampfstoff russischen Typs ja auch nicht automatisch, dass dieser auch direkt aus Russland stammen muss. Es waren russische Kampfmittelexperten, die es nach dem Zerfall der Sowjetunion auf wunderbare Weise ins UK und die USA verschlagen hatte und denen nachgesagt wurde, direkt an der Entwicklung besagter Nervengifte beteiligt gewesen zu sein. Und einige von ihnen arbeiten in GBs Chemiewaffenlabor Porton Down, das gerademal 10 Kilometer vom Tatort Salisbury entfernt liegt.Es schadet also nichts, wenn man erst einmal in Ruhe klärt, was da eigentlich passiert ist.
Das Ultimatums Mays ist ja offensichtlich so ausgerichtet, dass Russland keine Chance hat, überhaupt auf die Vorwürfe einzugehen. Wie soll man in 24 Stunden nachweisen, was passiert ist? Das setzt ein Schuldeingeständnis vorraus. Natürlich ist Putin eine solche Attacke zuzutrauen, aber eben nicht nur ihm. Trump, May und die hinter ihnen stehenden Sicherheitskreise können auch ein Interesse daran haben, einen Konflikt mit Rußland zu provozieren.
Interessant ist auch die Argumentation,dasss Putins Anschlag darauf abzielt innenpolitische Unterstützung für sich während des Wahlkampfs zu erhalten. Das gleiche könnte man auch von Trump sagen, der gerade vor den Midtermelections steht, in Pennsylvania eine Niederlage erlitten hat, seine vom FBI untersuchten Rußlandkontakte zu kompensieren sucht und auch Theresa May käme eine außenpolitische Krise ganz recht angesichts ihrer unterirdischen Umfragewerte und der Brexitkrise.
Desweiteren muss man sehen, dass Trump von Seiten des Pentagons, der Republikaner, der Geheimdienste wie auch der Demokraten auf eine mehr russlandfeindliche Linie gebracht werden soll, da er mehr in China und Nordkorea den Hauptfeind sieht denn in Rußland und Syrien. Seine Russlandkontakte versucht er auf Druck dieser Kräfte temporär immer wieder zu kompensieren durch harte Maßnahmen, um nicht in den Verdacht und das Image eines US-Präsidenten von Putins Gnaden der Marke mandschurischer Kandidat zu kommen.
Dementsprechend hat Trump auf Druck nun Russland neben China in der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie als „revisionistische Großmächte“gebrandmarkt, weswegen sich die USA auf Großmachtkonflikte einstellen müssten. Desweiteren hat er auf Druck und Vorwürfe, Russland habe sich in den Wahlkampf eingemischt und sei für Cyberangriffe auf die USA verantwortlich nun Sanktionen gegen Russland erlassen. Von seiner ursprünglichen im Wahlkampf geäusserten Absicht, sich mit Putin zu treffen und einen „Deal“über die Ukraine und Syrien zu erzielen, sowie den Neuen Kalten Krieg zu beenden, ist nichts mehr geblieben.
Gleichzeitig versucht er verzweifelt die Untersuchungen des FBIs sowie der CIA gegen seine Russlandverbindungen durch Entlassungen zu torpedieren, weswegen sich der Kampf zwischen Trump und den Sicherheitsbehörden zuspitzt. So drohte nun der Ex-CIA-Chef John Brennan Trump angesichts der Entlassung des FBI-Vizes John Mc Cabe:
„Wenn das gesamte Ausmaß Ihrer Bestechlichkeit, moralischen Verkommenheit und politischen Korruption bekannt wird, werden Sie Ihren rechtmäßigen Platz als blamierter Demagoge im Mülleimer der Geschichte einnehmen“, twitterte Brennan, ein ausgewiesener Kritiker Trumps, am Samstag. „Sie mögen Andy McCabe zum Sündenbock machen, aber Sie werden Amerika nicht zerstören….Amerika wird über Sie triumphieren.“
McCabe wurde am Freitag von Justizminister Jeff Sessions entlassen. Trump hat McCabe wiederholt der Unehrlichkeit beschuldigt und dessen Entlassung als „großen Tag“ für die FBI-Mitarbeiter und die Demokratie gelobt. Brennan war während der zweiten Amtszeit von Präsident Barack Obama Direktor des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, verfügt aber immer noch über enge Kontakte zur Intelligence Community und spricht wohl für einen Teil von ihr, die ihn und seine Entourage als Risiko für die nationale Sicherheit sieht.
Und auch der im Mai als FBI-Direktor entlassene James Comey hat sich am Samstag per Twitter direkt an US-Präsident Donald Trump gewandt. „Herr Präsident, das amerikanische Volk wird meine Geschichte sehr bald hören. Und es kann selbst beurteilen, wer ehrenhaft ist und wer nicht“, twitterte Comey. Sein Buch „A Higher Loyalty“ (Eine höhere Loyalität) soll im April erscheinen.
Ebenso auffällig ist nun, dass sich die Demokratische Partei nun Leuten aus dem Pentagon und der Geheimdienste öffnet. Über die Hälfte der demokratischen Kandidaten für die kommenden Midtermelections rekrutieren sich neuerdings aus Reihen des Militärs und der Geheimdienste.
Auch spielt hinein, dass die USA und GB die deutsch-französischen Bestrebungen eine europäische Militärunion unter der Permanent European Security Cooperation (PESCO) neben der NATO aufzubauen mit Skepsis betrachten, wie auch die Außenpolitik Macron-Frankreichs und Gabriel-Deutschlands, das über die Lockerung der Russlandsanktionen nachdenkt, North Stream 2 bauen will und auch eine Wiederannäherung an Moskau sucht. Nicht umsonst hat der US-Kommandierende der NATO ein klares Bekenntnis der Europäer schriftlich gefordert, dass nur die NATO für die kollektive Verteidigung zuständig ist.
Desweiteren wurde Ursula von der Leyen in Aussicht NATO-Generalsekretärin zu werden–ein Manöver, um Deutschland bei der NATO und weniger bei der neuen europäischen Säule einzubinden. Entsprechend hat von der Leyen nun wie Merkel eine harte Linie gegen Rußland aufgrund der Anschläge gefordert, während der abgesetzte Gabriel wie Macron erst einmal die Beweise sehen will und der neue deutsche Außenminister Heiko Maas schon härter als Gabriel gegen Rußland vorgehen will.Ebenso bezeichnend ist, dass die britische Regierung sich bisher weigert, Russland und selbst mit Großbritannien verbündeten Staaten Nervengiftproben zu weiteren Untersuchungen auszuhändigen. Daher sollte man erst einmal abwarten, bis weitere Informationen verfügbar sind.