Immobilienspekulation und Wohnnotdemos: Franz Josef Strauß, der Verfassungsfeind

Immobilienspekulation und Wohnnotdemos: Franz Josef Strauß, der Verfassungsfeind

Gastautor: Genova

Franz Josef Strauß war ein verfassungsfeindlicher Sozialist. Könnte man zumindest meinen, wenn man sich einen Ausschnitt seiner Rede auf dem Parteitag der CSU 1970 in Nürnberg anschaut. Zur Bodenfrage sagte er:

„Die Grundstückspreise in der Bundesrepublik Deutschland steigen in einem Maße, dass es nicht zu verantworten ist, diese Gewinne unversteuert in die Taschen einiger fließen zu lassen. So hat zum Beispiel die Stadt München von 1957 bis 1967 für etwa 650 Millionen DM Grundstückie erworben. Wenn sie diese Grundstücke alle im Jahre 1957 zusammengekauft hätte, … hätte sie nur 148 Millionen DM bezahlt. Eine halbe Milliarde ist damit aufgrund der öffentlichen Leistungen – Erschließungsaufwendungen – von einen wenigen verdient worden, und das auch noch steuerfrei.“

Lustigerweise wurde Strauß in Materialien zum SPD-Parteitag 1972 in Hannover zitiert.

Ein Auszug aus einer Gesetzesvorlage des Deutschen Bundestages zur Änderung des Bundesbaugesetzes aus der 7. Wahlperiode (also zwischen 1972 und 1976) bringt die Absurdidät kapitalistischer Bodenbewirtschaftung noch deutlicher zum Ausdruck:

Am Rande von München wurde 1951 ein Grundstück als Schafweide benutzt und zu einem Quadratmeterpreis von 0,50 DM veräußert. Im Jahr 1962 erließ die Stadt einen Bebauungsplan, der die Schafweide als Bauland auswies. Der Preis betrug daraufhin 30 DM pro Quadratmeter. In der Folgezeigt erschloss die Stadt das Gelände weiter, das Grundstück wurde bebaut. Der Quadratmeter wurde 1971 zu einiem Preis von 450 DM gehandelt. Der Wert des Grunstücks stieg damit innerhalb von 20 Jahren um das 900fache. Ohne Berücksichtigung der Erschließungsbeiträge bedeutet diese bei einer Fläche von etwa 20 ha eine Wertsteigerung der Fläche von 100.000 DM auf 90 Millionen DM.

Man könnte ausrechnen – vielleicht hat das auch schon jemand gemacht – wie extrem das Vermögen via Bodenpreise, also komplett leistungslos – in den vergangenen fünfzig oder siebzig Jahren in Deutschland gestiegen ist. Zig Milliarden oder hunderte von Milliarden Euro wurden so von der einen auf die andere Seite geschaufelt. Im Sozialstaat Deutschland natürlich legal.

Die damals auch in der SPD fortschrittlich geführten Bodenwertdiskussionen, unter anderem tonangebend von Hans Jochen Vogel, versickerten augenscheinlich wirkungslos, wenn man sich die Bodenpreise heute im Raum München und anderswo ansieht.

Für effektiven Kapitalismus ist die Verwertung von Boden nur schwerlich verzichtbar. Die Rendite ist einfach zu lukrativ, als dass die Politik daran ernsthaft etwas ändern könnte. Und je fortgeschrittener der Kapitalismus, desto schwieriger ist eine Umkehr, weil die Renditequellen eher rarer werden. Man muss ran an Boden, Licht, Luft, Sonne.

Es ist bezeichnend, dass in der heutigen Gentrifzierungsdebatte nur die Justierung einiger weniger Stellschrauben in Augenschein genommen wird. Vorkaufsrecht von Kommunen, bestimmte Belegungsquoten, Mietpreisbremsen. Ein Politiker, der heute so argumentieren würde wie Strauß damals, würde vermutlich vom Verfassungsschutz beobachtet – gerade weil er das Grundgesetz in Form von Artikel 15 Ernst nehmen würde.

Es gilt quasi das ungeschriebene Gesetz, nachdem das Grundgesetz kapitalkonform sein muss. Sind es Teile davon nicht, werden sie als verfassungsfeindlich behandelt. Marktgerechte Demokratie nannte Merkel das einmal. Wobei man von Markt nicht reden sollte. Dieser Bodenmarkt existiert exakt in dem Maße, in dem ich ein paar Laib Brot einer hungernden Menge mit völlig unterschiedlichen Vermögensverhältnissen feilbiete. Es ist ein Markt, wie ihn sich die kapitalistische Logik wünscht, und eben deshalb keiner.

Die Bodenfrage wurde in den 1970er Jahren also angesprochen, aber schon kurz darauf etablierte sich die neoliberale Sicht auf die Gesellschaft. Und spätestens, als in den 1990er Jahren die Durchdringung des Kapitalismus in jede gesellschaftliche Ritze – euphemistisch Privatisierung genannt-  en vogue war, war das Thema wohl erledigt. Heute gälte man, würde man das Thema überhaupt auf den Tisch bringen, als Staatsfeind.

Franz Josef Strauß hatte seinerzeit Glück, dass damals noch ein vergleichsweise freundliches ökonomisches Klima herrschte. Heute stünde er in seinem eigenen Verfassungsschutzbericht unter der Rubrik „Linksextremismus“.

Verkehrte Welt.

Geht man noch ein paar Schritte zurück, zeigt sich die kapitalistische Logik und ihr Motor vollends: Der Kapitalismus realisierte seine enthemmende Logik zuerst nicht in der beginnenden Industrialisierung, sondern in den enclosures (Einhegungen) in England im 17. Jahrhundert. Allmenden, also seit Ewigkeiten von allen genutztes Land, oftmals Weideland, wurde eingezäunt. Kleinbauern verloren ihre Lebensgrundlage und wurden als proletarische Masse in die Städte gezwungen. Es war eine gewalttätige, in gewissem Sinn architektonische ursprüngliche Akkumulation, eine kapitalistisch bestimmte Raumbildung, deren Auswirkungen wir heute in München und anderswo begutachten können.

Wenn man so will, sind Privatisierungen eine Fortführung der enclosures: Öffentlich verfügbare Bereiche werden kapitalistischer Ausbeutung zugeführt.

Eine verhältnismäßig milde Reaktion auf diese Zustäne wäre die komplette Enteignung des Bodens, sofern er nicht fürs eigene Wohnen genutzt wird. Wollte Politik Ernst genommen werden, müsste exakt dieses in allen Parteiprogrammen stehen. Schaut man sich aber die Parteiprogramme an, erkennt man schon an diesem Aspekt, von wem wir regiert, wie man das freundlicherweise nennt, werden.

Kapitalsoldaten, unabhängig vom Parteinamen.

Die jüngste Ergänzung zum Thema bringt die FAZ:

Frankfurt erlebt eine Explosion der Mieten – viel schneller als von der Politik vorhergesehen. Viele Mieter haben sich darum bereits in den Häuserkampf begeben.

Jo, die Politiker. „Häuserkampf“ ist vermutlich das, was die FAZ darunter versteht.

Nach Berlin kommt es jetzt auch in München zu einer Großdemo „ausspekuliert“ gegen Immobilienspekulation und Wohnungsnot. Vor dem Einzug der Wirte zum Oktoberfest wollen nun die Demonstranten symbolisch ausziehen, um sich als Vertriebene darzustellen.

Der Münchner Merkur vom 9.8.2018 hat den Organisatoren in seinem Münchenteil ein fast ganzseitiges Interview gewährt. Fraglich aber, ob das weitergehende Folgen haben wird: Denn erstens verweisen die Veranstalter auf die Berliner Demo, nach der sich angeblich die verschiedenen Initiativen nicht auf gemeinsame Forderungen einigen konnten,miteinander zerstritten und in einen Kleinkrieg untereinander begeben hätten, so dass eine Verbreiterung und Massenbewegung vorerst gescheitert ist.

Zudem erklären die Demoorganisatoren gegen Ende des Interviews, dass Mieter und Vermieter „im Grunde“ja „gemeinsame Interessen“ hätten. Das erinnert fatal an SPD-Oberbürgermeister a.D. Udes Äußerung, dass Investoren schon das Mieterwohl mitdenken würden.Wohl ein Zeichen, wie weit der Neoliberalismus schon die Hirne verquarkt hat. Verfassungsfeind ala FJS werden diese Initiatoren sicherlich nicht. Das ist ganz im Sinne von Merkels marktkonformer Demokratie.

https://exportabel.wordpress.com/2018/08/09/franz-josef-strauss-der-verfassungsfeind/#comment-17839

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