Muslimisches Andalusien–der Mythos vom progressiven, liberalen Islam

Muslimisches Andalusien–der Mythos vom progressiven, liberalen Islam

Die Existenz des geschichtlichen muslimischen Andalusiens wird oft beschworen, um den Mythos eines progressiven, liberalen Islam zu konstruieren, der als multikulturelle Islamform der Moderne und als Protoform eines Euroislam dienen könnte. Prof. Johannes Thomas hat bei „Inarah“ einen ausführlichen Artikel über den Mythos Andalusien verfasst, in dem er die Hypothese vertritt, dass der andalusische Islam eine nichtsunnitische Islamform ohne grössere Mohammedreferenzen gewesen sei und daher für den heutigen Islam keine Vorbildfunktion haben könne, da es eigentlich unislamisch war.

Der Autor begeht aber auch einige kulturrassistische Fehler: Im unteren Abschnitt gibt sich der Verfasser schon besondere Mühe, die Araber kulturrassistisch in die Tonne zu kloppen. Was ist falsch daran, römische Bewässerungstechnik übernommen und weiterentwickelt zu haben? Was ist falsch daran, spätantike Architektur übernommen zu haben?  Dann waren die Römer ja alle primitiv, weil sie griechische Erkenntnisse zur Physik übernommen haben.Das nennt man Wissenschaftstransfer und diesselben Maßstäbe sollte man auch bei Muslimen setzen, insofern man nicht Wirtschaftsspionage und Technologieraub von geistigem Eigentum ala Japan, China oder Deutschland zu Zeiten der Industrialisierung unterstellt.

Doch umgekehrt bedeutet Wissenstransfer ja noch nicht eigene wissenschaftliche und kulturelle Leistung, ist es ja mehr ein Kopieren und Nachahmen, denn eigene originelle Weiterentwicklung oder aber Innovation. Zumal sich eben auch die Frage stellt, was es denn als davon unabhängige eigene Entwicklungen und Erfindungen im muslimischen Andalusien gegeben haben soll. Davon hört man auffälligerweise sehr wenig. Das meist zitierte Beispiel für eine vermeintliche Hochkultur ist die Al Hambra in Granada. Ich habe sie auch mal besucht und empfand sie als schönes Bauwerk. Doch dies ist eine rein subjektive Wertung, die auch aufgrund der Exotik und dem Anderssein zu europäischen Bauwerken, die man ja inflationär und bis zur Überdosis des Übderdrusses schon kennt, so wahrgenommen wird. Es ist ein rein subjektives ästhetisches Geschmacksurteil und genauso gibt es Leute, die die Al Hambra aus ebenso guten Gründen nicht als Bauwerk einer Hochkultur sehen, sondern als ideenloses, einfallloses, stupides, kitschiges, manieristisches Nachäffen des schon immer existierenden maurischen Baustils ohne jegliche Neuerung. Zudem eben ein Bauwerk noch nicht alles über die dann existierende Gesellschaft, ihr politisches, wirtschaftliches, wissenschaftliches und kulturelles System aussagt, man höchstens da Korrelationen und nicht einmal Kausalitäten mutmaßen kann, die aber ebenso spekulativ ausfallen.

Doch dies ist nicht der zentrale Kern des Artikels. Der Artikel ist gespickt mit historischen Details, die man erst einmal überprüfen muss. Die Pointe des Artikels kommt hingegen nach den ellenlangen Ausführungen am Ende. So behauptet der Autor dass es DEN Islam gar nicht so gegeben hat, dass in Andalusien mehrere islamische Strömungen herrschten, die sich teilweise gar nicht auf den sich auf Mohammed berufenden sunnitischen Islam beriefen, weswegen Andalusien unter der heutigen herrschenden sunnitischen Mohammedanbetung eben nicht als Vorbild für Multikulti gelten kann. Andalusien ist demzufolge nicht als Multikultivorbild zu sehen, weil DER Islam so schlimm war,sondern weil dort eine nichtsunnitische Lesweise des Islams vorherrschte, die heute gar nicht dominant und relevant ist.

Die Pointe des Textes ist die sehr fragliche, bestenfalls oberflächliche religiöse Kontinuität zwischen den Mauren, Sarazenen und den heutigen islamischen Hauptsekten.
Die moslemischen Herrscher von Al Andalus DEM Islam zuzurechnen ist also ein wesentlicher Denkfehler bzw. eine erwünschte Wissenslücke bei den modernen Moslems.
Gemessen an heutigen Maßstäben hätte jeder, der den andalusischen Moslems zuzurechnen wäre, als Häretiker auf dem Schafott landen müssen. Damit wären aber (bzw. SIND) die Ansprüche, die die Umma auf ihre vorgeblichen alten Besitzungen in Spanien erhebt, nichtig.

Der Islam hat 5 Säulen, u.a. das Bekenntnis zu Allah und seinem Propheten Mohammed. Darauf geht der Autor nicht ein, insofern man den andalusischen Islam noch Islam nennen möchte–das ist ein Widerspruch. Aber der Autor verweist auf einen nichtssunnitischen Islam, der keine Mohammedreferenz aufweist–hier stellt sich die Frage, ob man das dann noch Islam sieht, als Häresie oder als eben nichtsunnitsche Islamform. Das ist der Kern des Artikels. Ist es kein Islam, dann ist es eben auch kein muslimisches Andalusien, sondern….??? Ist es Häresie, dann können sich die heutigen Mainstreammuhammedisten nicht auf Andalusien als Vorbild berufen, noch irgendwelche Ansprüche jeglicher Art artikulieren. Ist es eine nichtsunnitische Form des Islam ohne Muhammedverehrung, fragt sich auch, ob man das noch als Islam sieht oder eben an verschiedene Arten des Islams glaubt, die eben auch moderat sein könnten, aber heutezutage eben vom Mainstreamislam verdrängt sind und dominiert werden, es sie zwar mal geschichtlich gab, aber sie für die Gegenwart keine Rolle spielen, da der heutige Islam sie wiederum als Häresie auffassen würde. Welche Lesart denn nun?

Verteidiger des Mythos vom muslimischen Andalusien weisen darauf hin, dass es scheinbar nicht zu blutigen Konflikten zwischen den Religionsgemeinschaften gekommen wäre, da sich in den Aufzeichnungen nichts darüber findet und zumal eher von einer wirtschaftlichen Blütezeit gesprochen wird, die bei religiösen Konflikten gar nicht so existieren hätte können. Selbst wenn man dies als gegeben ansehe, so sollte man doch auch sehen, dass die unterworfenen Christen und Juden als Dhimmies existierten, die dem Gut- oder Böswillen der andalusischen Muslime ausgesetzt waren, wie auch zahlreiche Philosophen, Geisteswissenschaftler, Wissenschafter und Intellektuelle der damaligen Zeit auswanderten. Ganz so harmonisch, liberal und weltoffen kann das muslimsiche Andalusien also auch nicht gewesen sein–höchstens wenn man die Judenverfolgungen der dann stattfindenden christlichen Reconquista als Vergleichsmaßstab und nicht heutige Begriffe von Liberalität nimmt. Dass el Andalus-Fans die Tatsache, dass man wegen seiner Religion nicht gleich ermordet wird, schon als Ausdruck profunder Liberalität und großartiger Weltoffenheit wahrnehmen wollen und nicht als das kleinere Übel, zeigt doch schon den sehr relativen Begriff von Liberalität, der bei diesem Mythos in Anschlag gebracht wird, zumal sich dann eben auch fragt, ob man diese Islamform als Vorbild für die heutige säkulare Gesellschaft ansehen will. Ebenso kannte der Islam nicht wie das Christentum die Trennung in Kaiser und Papst, eine Vorform der Trennung von Staat und Religion in 2 Sphären, auch wenn sie damals noch eng zusammenhingen, sondern eben nur den Kalifen, den Sultan, den Emir, der zugleich weltlicher und geistlicher Führer war. Bestenfalls wäre ein modernes Andalusien dann eine islamofaschistische, autoritäre Diktatur ala Erdogan oder Muslimbrüder–kann also nicht als Vorbild dienen.

Der Autor verweist auch darauf, dass die historischen Dokumente zu Andalusien weitgehendst späteren Ursprungs sind und vermutet, dass ihre detailreichen Schilderungen von der Goldenen Ära des Islams zu Großteil legendenschaffende Märchenerzählungen und Mythenbildungen phantasiebegabter Orientalen und ornamentale Ausschmückungen ala Märchen aus 1000 und 1 Nacht sind. Selbiges sieht er aber auch bei identitären Reconquista-Ideologen und ihrem rechtsradikalen Karl Martell-Mythos.Ebenso stellt er die Hypothese infrage, hätten die andalusischen Muslime ganz Europa beherrscht, die Renaissance Jahrhunderte früher eingesetzt hätte. Das ist wohl auch etwas wishful thinking begnadeter islamophiler Orientalisten, zumal fiktive Geschichtsschreibung immer zu einem erhelichen Maße spekulativ ist und oft als Projektionsfläche eigener schon vorhandener Weltanschauungen dient, in diesem Falle vom Mythos des fortschrittlichen, progressiven, liberalen Islam.

 

 

 

Was heißt „muslimisches Spanien“?

Beispiele für die Notwendigkeit einer Entmythologisierung
und die Möglichkeiten einer Neudeutung

Die Geschichte Spaniens, vor allem die islamischen Eroberungen, die nachfolgenden Reichbildungen und das Zusammenleben der drei monotheistischen Religionen (convivenzia) werden meist ohne kritische Quellenuntersuchung recht mythologisch und idealisiert dargestellt. Prof. Thomas geht den damaligen Ereignissen und Zusammenhängen, z.B. der Idealisierung der Bedingungen für die Philosophie, nach und analysiert sie.

1. Ideologisch-politische Vorurteile

Ideologisch-politische Vorurteile prägen seit jeher die Beschäftigung mit al-Andalus. Erwähnt seien einleitend nur einige charakteristische Trends in der Beurteilung der Schlacht von Tours und Poitiers (732), bei der fränkische Truppen unter Befehl des fränkischen Hausmeiers Karl (seither „Martell“, der Hammer, genannt) ein Sarazenenheer besiegten. Die Schlacht selbst markiert nach Ansicht vieler heutiger Historiker lediglich eine Episode innerhalb der langen Reihe von Einfällen der Sarazenen ins südliche Gallien, die auch danach weiter gingen. Aber das ist der Relativierung zu viel. Immerhin verzichten die Sarazenen ab dieser Niederlage darauf, im südlichen Gallien und insbesondere in der Narbonnensis durch Beutezüge und Plünderungen ihre Schatzkammern zu füllen. Vielmehr suchen sie, wie zuvor schon in Spanien, durch Verträge mit lokalen Machthabern ihren Einfluss und ihre Steuereinkünfte nun auch hier dauerhaft zu sichern. Dabei sind die Herren der südfranzösischen Städte in aller Regel Bischöfe, die offenbar keinerlei Vorbehalte religiöser Art gegenüber solchen Bündnissen hegen. Die meisten dieser Bischofssitze werden später von den fränkischen Eroberern in Schutt und Asche gelegt. Auch werden sie von ihnen nicht wieder als Bischofssitze eingerichtet und ausgestattet. Man lässt sie also für ihre Bündnisse in eindrucksvoller Weise büßen. Die Einwohner Narbonnes, die sich ebenfalls lange gegen die Eroberung durch die fränkischen Brüder in Christo gewehrt hatten, töten und vertreiben schließlich die Sarazenen und öffnen den Franken die Stadttore. Das aber geschieht erst, nachdem die Franken ihnen und ihrem Bischof die gleichen Privilegien zugestanden hatten wie zuvor die Sarazenen, nämlich die Beibehaltung des westgotischen Rechts und ein Drittel aller Steuereinnahmen, eine für die Franken im Übrigen ganz ungewöhnliche Bevorzugung eines Bischofssitzes. Bei den Auseinandersetzungen zwischen Sarazenen und den Bewohnern Galliens war es also nicht um Fragen der Religion oder Konfession und auch nicht um solche der ethnischen Zugehörigkeit gegangen.

Gleichwohl wurde spätestens seit Edward Gibbon, also seit dem 18. und bis weit in das 20. Jahrhundert hinein, im Ergebnis der Schlacht bei Tours und Poitiers vor allem ein welthistorischer Wendepunkt gesehen, nämlich nicht mehr und nicht weniger als eine Rettung des Abendlandes, über die man angesichts der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zustände in den muslimischen Ländern nur dankbar sein konnte. Spiegelbildlich zu dieser noch heute konservativen Kreisen selbstverständlichen Einschätzung versammelten die Gegner des „christlichen Abendlandes“ sich hinter dem Banner einer pro-islamischen Begeisterung und geißelten die Schlacht als katastrophale Schicksalswende Europas. Das antikirchliche Erbe etwa der französischen Revolution führte bei einer Reihe französischer Historiker zu lauten Klagen über den Kulturverfall, der dem Sieg der christlichen Barbaren geschuldet sei, eine Bewertung, die der New Yorker Historiker Levering Lewis noch 2009 von ihnen übernommen und mit Vehemenz vorgetragen hat. Hätten die Muslime gesiegt, so die Meinung dieser christenfeindlichen Ideologen, wäre die Renaissance ein paar Jahrhunderte früher in Europa aufgeblüht, es hätte keine Religionskriege gegeben, wie sie für die Christen charakteristisch gewesen seien usw. Dass es dann aber in Europa in späteren Jahrhunderten so ähnlich hätte aussehen können wie in den arabischen Ländern während der gesamten Neuzeit, kommt diesen Ideologen nicht in den Sinn, oder es wird bewusst verschwiegen. Übrigens reihte sich auch Adolf Hitler seinerzeit in den Chor der Sarazenen-Fans ein und meinte, mit ihnen im Bunde hätten die Germanen viel eher die Weltherrschaft erringen können als mit den verweichlichten Christen.

Heute wird die teilweise in antiwestliche Aggressivität umgemünzte Nostalgie nach den angeblich paradiesischen Verhältnissen im muslimischen Spanien vor allem im arabisch-islamischen Raum gepflegt, und das drückt sich nicht nur in der Beliebtheit andalusischer Städtenamen für die Bezeichnung von Lokalen und Hotels aus. So verlangt Al Qaida, durchaus in Übereinstimmung mit der muslimischen Tradition, nicht mehr oder nicht weniger als die Rückgewinnung der einstmals muslimisch dominierten Gebiete. Und eben das verlangt auch die heute als relativ offen oder liberal gepriesene ägyptische Muslimbruderschaft. Jedenfalls hat sich bis heute niemand dort von entsprechenden Forderungen ihres Gründers distanziert.

Als Modell selbst für das heutige Zusammenleben von Kulturen und Völkern wird al-Andalus ganz ahistorisch von vielen Multikulturalisten und nicht zuletzt auch von der UNESCO gepriesen. Hier seien eine Toleranz und ein fruchtbar friedliches Zusammenleben von Angehörigen verschiedener Religionen und Ethnien praktiziert worden, die für die heutige Zeit Vorbild und Maßstab sein könnten. Vielleicht möchte die UNESCO auf diese Weise – jedenfalls wäre das eine wenigstens halbwegs nachvollziehbare Erklärung – Brücken schlagen zur Bevölkerung islamischer Staaten, in denen ein völlig unrealistisches, verklärtes Bild von den Zuständen in al-Andalus weiterlebt.

Ähnliche ahistorische Fehlurteile werden u.a. von den spanischen Sozialisten verbreitet und gefördert. Zu solchen politisch nicht immer nur unschuldigen Blicken auf die muslimische Vergangenheit der iberischen Halbinsel meint der spanische Arabist Serafín Fanjul, da könne man mit dem gleichen Recht auch die frühere südafrikanische Apartheidspolitik zum Vorbild für das Zusammenleben der Völker erheben.

Die spanische Geschichtsbetrachtung ist aber noch durch weitere Vorurteilsmuster bestimmt. Noch bis in die jüngste Zeit gab und gibt es Verfechter einer ethnischen Kontinuität der Ibero-Romanen (unter Einschluss der Westgoten, die als Fortführer der christlich-römisch-hispanischen Tradition gesehen wurden). Das Wesen und der Charakter dieses Volkes sei durch Araber und Berber nicht substantiell verändert worden (z. B. Sánchez-Albornoz). Auch gab und gibt es – in jüngerer Zeit vor allem wohl wegen der islamischen Einwanderer – nicht wenige Anhänger der franquistischen Reconquista-Ideologie, die von Franco bemüht worden war, um seinen eigenen Kampf gegen die Republik als Rettung des christlichen Spaniens in der ehrwürdigen Tradition der Mauren-Vertreibung auszugeben. Er versuchte auf diese Weise, sich propagandistisch in die Tradition des Cid zu stellen, der allerdings nach Ausweis selbst des später geschriebenen Cid-Epos noch gar keinen Religionskrieg führte, sondern seine Verbündeten danach auswählte, ob und in welchem Maß sie ihm Reichtum und Machtzuwachs versprachen.

Bei den spanischen Intellektuellen im Exil und nach Franco brach dann als Gegenwendung gegen die Franquisten eine ähnlich unkritische und unhistorische Islambegeisterung aus. Sie motivierte etwa den spanischen Literatur-Nobelpreisträger Juan Goytisolo zu Schriften, in denen er die Wiedereroberung Spaniens durch die nordafrikanischen Muslime als große Hoffnung für sein Land beschwor. Nach den Attentaten von al-Qaida in Spanien ist der utopische Glanz solcher Wunschvorstellungen allerdings matter geworden.

2. Mythen fördernde Geschichtsschreibung zu al-Andalus

Generell gilt für die frühen arabischen Geschichtserzählungen, so Eduardo Manzano Moreno (ein selten kritischer Geist unter den spanischen Historikern), dass sie zwar von jeweils unterschiedlichen Personen und Ereignissen erzählen, aber die von ihnen gezeichnete gesellschaftliche und religiöse Realität stets als gleichförmig und als ganz und gar unveränderlich erscheinen lassen. Überdies gilt für die frühen Geschichtserzählungen allgemein, dass sie nicht so sehr an einer Darstellung dessen, was sich konkret ereignet hat, interessiert sind, sondern an einer Art Heilsgeschichte weben. Im Übrigen liefern sie auch wegen ihrer Widersprüchlichkeit keine solide Basis für die Geschichtsschreibung.

Die beiden frühesten arabischen Berichte sind in Kairo bzw. aufgrund von Legenden, die in Kairo im 9. Jahrhundert kursierten, verfasst worden, und zwar von Ibn abib und von Ibn Abd al-akam. Ibn abib, dessen Ausführungen nur in einem Manuskript aus dem 13. Jahrhundert vorliegen, schreibt mehr Heils- als Ereignisgeschichte und breitet am Ende eine apokalyptische Erzählung aus, die den Untergang Córdobas illustrieren soll. Ibn Abd al-akams Eroberungsgeschichte wiederum fällt durch besonders viele Anleihen bei den Topoi der früheren Eroberungsgeschichten zu Syrien auf, die selbst vielfach biblische Geschichten aufgreifen. Auch von ihm ist kein Manuskript aus dem 9. Jahrhundert bekannt. Einzelne Informationen über die fränkische Eroberung von Narbonne zwingen dazu, die bisher bekannte älteste Niederschrift auf frühestens die 2. Hälfte des 10. Jahrhundert zu datieren. Niemand kann daher genau sagen, was von Kopisten im Laufe der Zeit geändert, ergänzt oder gestrichen worden ist. Gegenüber dem apokalyptischen Ton der von abib erzählten Geschichten fällt bei Ibn Abd al-akam das prophetologische Motiv auf, insbesondere in der Gestalt des Uqba ben Nafi, der als ein 2. Moses geschildert wird (neben anderen biblischen Reminiszenzen: Führung des Volkes in ein gelobtes Land, Trockenfallen des Meeres, Wasser aus einem Stein, Rettung vor Schlangen). Mohammed scheint im Vergleich zu Moses kaum von Bedeutung gewesen zu sein. Er wird erst in einigen Geschichtserzählungen des 11. und 12. Jahrhunderts zu einer wichtigen Referenzfigur.

Trotz dieser und anderer Besonderheiten der Quellenlage vermisst man in der modernen Geschichtsschreibung zu al-Andalus weitgehend jene gesunde Skepsis gegenüber alten und vor allem vermeintlich alten Dokumenten, wie sie in früherer Zeit in der internationalen Orientalistik einmal geläufig war. So hat Ignaz Goldziher schon vor weit mehr als 100 Jahren in seinen Mohammedanischen Studien darauf aufmerksam gemacht, dass rechtliche und andere Traditionen der Muslime wahrscheinlich nicht, wie von ihnen immer behauptet wird, auf Sprüche (Hadithe) eines Propheten Mohammed zurück gehen, sondern erst während des zweiten und dritten Jahrhunderts arabischer Zeitrechnung entwickelt wurden. Joseph Schacht hat dann in seinem Buch The Origins of Muhammedan Jurisprudence Goldzihers Analyse bestätigt und das eindeutige Urteil gefällt, dass man keine einzige Rechtstradition findet, die als authentisches Zeugnis der islamischen Frühzeit anzusehen ist. Inzwischen wissen wir dank Benjamin Jokischs bahnbrechender Studie, dass zentrale islamische Rechtstraditionen auf arabische Übersetzungen der Justinianischen Digestsumma aus dem 7. Jahrhundert zurückgehen, die von Juristen aus dem Zweistromland Ende des 8., Anfang des 9. Jahrhunderts ins Arabische übersetzt worden sind. Danach erst wurden sie mittels erfundener Überliefererketten auf einen Propheten Mohammed zurückgeführt.

Auch die Biographien des Propheten Mohammed sind spätere Erfindungen. W. Raven hat in der Encyclopedia of Islam zu dieser Literatur festgestellt, dass die Lebensgeschichten nicht auf das Jahrhundert des Propheten zurück gehen, sich oft widersprechen und um so mehr über den Propheten zu wissen vorgeben, je später sie geschrieben wurden. Ein solcher historiographischer Nonsens hat die al-Andalus Historiographen aber nur in höchst seltenen Fällen daran gehindert, genau diejenigen arabischen Erzählungen für besonders authentisch zu halten, die sich durch besonderen Detailreichtum auszeichnen, ganz gleich, wie späten Datums sie sind. So stützt sich der spanische Arabist Pedro Chalmeta genau mit dem Argument des Detailreichtums auf die Sammlung historischer Erzählungen Ajbar Machmûa aus dem 11. Jahrhundert oder gar auf die besonders detailreiche Historia Arabum des Toledaner Erzbischofs Rodrigo Jiménez de Rada aus dem 13. Jahrhundert. Chalmeta glaubt, und das tun auch fast alle seine Kollegen, dass Ajbar Machmûa viel authentisches Material von Augenzeugen aus dem 8. Jahrhundert beinhaltet, eben wegen der vielen Details. Natürlich ist einigen bedeutenden Arabisten und Historikern, so etwa dem Évariste Lévi-Provencal, vollkommen klar, dass manches, was die älteren arabischen Autoren erzählen, einen legendenhaften Charakter hat, aber sie vertrauen darauf, dass auch solche Legenden einen verborgenen real-historischen Kern besitzen und man hoffen muss, irgendwann einmal Belege für diesen Kern zu finden. Der Mediävist Roger Collins meinte daher ganz zu Recht zu dieser Art von Geschichtsschreibung, leider habe kein arabistischer Autor bis jetzt auch nur versucht, die arabischen Quellen als das zu sehen, was sie sind. Soweit sie überhaupt um eine kritische Darstellung bemüht seien, konzentrierten sie sich darauf, eine Art Glaubwürdigskeitshierarchie zwischen den sich oft widersprechenden Geschichtserzählungen zu etablieren (die aber natürlich immer nur auf bloßen Vermutungen beruhen, möchte ich zu Collins Urteil hinzufügen).

Allerdings beweist auch Collins selbst nur wenig Kritikbereitschaft gegenüber den lateinischen Berichten, die ihm als Mediävisten naturgemäß vertrauter sind. Zweifellos ist insbesondere die in lateinischer Sprache verfasste mozarabische Chronik 754 informativer und auch älter als die arabischen Erzählungen. Da ihr Autor die Abfassung seiner Schrift auf das Jahr 754 festlegt, wird sie nicht nur von Collins, sondern von den meisten Fachkollegen für den authentischen Bericht eines Zeitgenossen gehalten. Die ältesten Manuskriptfragmente stammen allerdings erst aus dem 9. Jahrhundert und der älteste vollständige Text aus dem 12. Jahrhundert, was für Änderungen durch Kopisten einen kaum einzugrenzenden Raum lässt. Im Übrigen setzt die Schilderung der arabischen Geschichte in dieser Chronik eindeutig die Kenntnis der späteren abbasidischen Geschichtskonstruktion voraus. Allerdings scheinen die Schilderungen speziell kirchengeschichtlicher Ereignisse und von Entwicklungen des Westgotenreiches, die in der Tradition des Isidor von Sevilla und des Johannes Biclarus stehen, nach Ausweis auch anderer Berichte einigermaßen zutreffend zu sein. Auch über die islamische Zeit berichtet sie durchweg nüchterner und schon von daher glaubwürdiger als die vor allem mit biblischen und anderen Topoi arbeitenden arabischen Erzählungen. So scheint man ihr etwa entnehmen zu können, dass die Eroberung vornehmlich ein Ergebnis von Verträgen zwischen Sarazenen und denjenigen Westgoten war, die als Lokalherren eine gewisse Unabhängigkeit vom Königshaus entwickelt hatten. Das ist nicht nur deshalb glaubwürdig, weil sonst die so unglaublich rasche Eroberung der iberischen Halbinsel kaum zu erklären wäre. Auch die archäologischen Befunde haben, bisher jedenfalls, nur für sehr wenige Orte Zerstörungen nachgewiesen, die auf das 8. Jahrhundert datiert werden können, wobei aber nicht einmal immer klar ist, ob sie auf Angriffe von Sarazenen oder Mauren zurückzuführen sind. Dass die „Eroberungen“ häufig durch Verträge zustande gekommen sind, wird selbst durch die frühesten arabischen Erzählungen bestätigt, obwohl sie doch besonderen Wert darauf legen, dass die Araber Nordafrika und Spanien mit Waffengewalt erobert hätten, denn eine Eroberung statt eines Vertrags sicherte den Eroberern sehr viel weiter gehende Rechte und insbesondere auch Einkünfte. Dennoch finden sich selbst in den von solchen Interessen geleiteten Texten Hinweise auf Verschwörungen gegen den westgotischen („spanischen“) König und auf Verrat zugunsten der Sarazenen durch einzelne westgotische Adlige, also auf Eroberung per Vertrag.

Angesichts der dürftigen Quellenlage und der oben angesprochenen ideologischen Interessen und Vorurteile verwundert es nicht, wenn seitens der Geschichtsschreibung mehr dazu beigetragen wurde, Legenden über al-Andalus zu entwickeln oder zu verfestigen und weniger dazu, sie aufgrund dessen, was man über die frühen und einigermaßen dunklen Zeiten eben doch mit einiger Sicherheit aussagen kann, kritisch zu befragen. Das kann an dieser Stelle nicht in aller Ausführlichkeit nachgeholt werden. Ich beschränke mich darauf, wenigstens einige Beispiele für die Möglichkeit darzulegen, Legenden durch allgemein akzeptierte Fakten in Frage zu stellen.

3. Legenden über die spezifische Fruchtbarkeit
von al-Andalus für Kunst, Wissenschaft und die Wirtschaft

3.1. Ein Nährboden für die Philosophie?

Bis heute lebendig erhalten hat sich der auch von der UNESCO tatkräftig beförderte Mythos der „convivencia“, des fruchtbar friedlichen Zusammenlebens und –arbeitens der Angehörigen der drei großen monotheistischen Weltreligionen unter muslimischer Herrschaft. Sie sei der Grund für die kulturelle Blüte von al-Andalus gewesen.

Dass für solche Kooperationen zwischen Religionen, immer nur die gleichen zwei oder drei Namen von Christen und (sehr viel mehr von) Juden angeführt werden, hätte allerdings stutzig machen müssen, lebten wir nicht wegen der ständigen Bedrohung durch muslimische Hassausbrüche in Zeiten politisch korrekter Lobgesänge auf den Islam als einer Religion des Friedens.

Bezogen auf al-Andalus sitzt man zunächst einmal besonders gerne einer spanienzentrierten kulturgeschichtlichen Verblendung auf. Was sich nämlich in al-Andalus auf dem Gebiet der Philosophie entfaltet hat, ist nicht spezifisch andalusisch-islamisch-arabisch oder aus einer Zusammenarbeit mit Christen und Juden erwachsen, sondern hat seine Wurzeln in hellenistisch-iranischen Kulturleistungen. Und auch die konnten sich in al-Andalus nicht etwa aufgrund der religiösen (und ethnischen) Verhältnisse auf der iberischen Halbinsel selbst, sondern trotz der dort allmählich immer deutlicher vorherrschenden Formen von Islam, trotz des oft deutlich kulturfeindlichen Einflusses von islamischen Gelehrten und Richtern weiter entwickeln, und das immer nur in ziemlich kurzen Zeitfenstern.

Ein erstes Fenster öffnete sich im Kalifat von al-akam II. (961 – 978), der an seinem Hof neben den sunnitisch-malikitischen Rechtsgelehrten auch Vertreter der hellenistisch geprägten Mutazila und der synkretistisch-neuplatonische Traditionen fortführenden Mystik um sich scharte. Zu seinem Schutz vor der allmählich orthodox verhärteten islamischen Geistlichkeit rief er zudem nicht-rechtgläubige, nämlich ibaditische (hierzu siehe weiter unten) Berber-Soldaten ins Land. Diese relativ liberale Phase endete mit der Machtübernahme durch Almansor 978, der zur Absicherung seiner Legitimität – er war kein Abkömmling der Omaiyaden, sondern ein Amiride – ein Bündnis mit den sunnitisch-malikitischen Ulemas einging und sie damit beauftragte, alle Bücher der Wissenschaft der Antike, welche die Logik und andere „nicht–islamische“ Wissenschaften betrafen, aus der Bibliothek seines Vorgängers zu entfernen und zu vernichten, eine Aufgabe, der sich die islamische Geistlichkeit mit Überzeugung und Hingabe widmete. Am Ende der Herrschaft der Amiriden wurde dann noch der Rest der Bibliothek in Cordoba, die einmal die größte Europas gewesen war, verkauft. Wissenschaftler, Philosophen und selbst Dichter wurden unter Anklage gestellt und flohen in den liberaleren Orient oder in das ebenfalls liberalere Nordafrika.

Kulturell fruchtbare Zeiten, die insbesondere der andalusischen Dichtung zugute kamen, brachen erst nach den Amiriden an, als das Kalifat zerbrach und sich in bis zu 54 taifa-Kleinkönigtümer auflöste, die oft Wert auf ein prachtvolles und kulturell reiches Hofleben legten. Als dann unter der Herrschaft der berberischen Almoraviden und Almohaden vom Ende des 11. bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts al-Andalus zu einer Art Anhängsel an ein Berber-Reich wurde, das sein politisches und kulturelles Zentrum in Fes bzw. Marrakesch hatte und von dort aus die Handelsrouten für Gold und Sklaven vom Nigerbogen bis zum Mittelmeer kontrollierte, war es mit dem prächtigen Hofleben in Sevilla oder Granada vorbei. Dennoch konnte dank der liberaleren Einstellung einiger afrikanisch-berberischer Herrscher der Einfluss der andalusischen Ulemas und Richter für kurze Zeit zurückgedrängt werden. So kam es in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts zu einer wenige Jahrzehnte umfassenden Blütezeit der Philosophie in al-Andalus, der dann aber gegen Ende des Jahrhunderts wieder durch die andalusischen Religionslehrer und -Richter ein brutales Ende bereitet wurde, als die Berber-Herrscher nämlich meinten, sie angesichts des militärischen Drucks der christlichen Reiche im Norden Spaniens als Verbündete gewinnen zu müssen. Damals musste Averroes ebenso wie Moses Maimonides aus Córdoba fliehen, und auch der große Philosoph, Literat und Wissenschaftler Abubacer zog den liberalen Hof in Fes seinem Heimatland vor.

Selbst al Maqqari, ein nordafrikanischer Muslim, der in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts seine Sammlung von Berichten über al-Andalus fertig stellte, meinte trotz aller Bewunderung für die andalusische Vergangenheit, al-Andalus sei ein sehr undankbarer Boden für die Philosophie gewesen. Man habe sie dort höchstens im Geheimen pflegen können.

3.2. Anmerkungen zur Mezquita/Kathedrale von Córdoba

Dank der Begeisterung für die Kultur von al-Andalus gerät leicht in Vergessenheit, dass dort Bauten mit reichen Stuckarbeiten und Fresken, wie man sie bei den Omaiyaden und Abbasiden in Syrien bzw. im Zweistromland bewundern kann, ganz und gar fehlen. Offenbar waren die an spätantiken Mosaiken noch der Westgotenzeit zu bewundernde künstlerische Gestaltungskraft und die entsprechenden Kunstfertigkeiten untergegangen. Die an der sogenannten Moschee-Kathedrale von Córdoba zu bestaunenden Mosaikarbeiten des 10. Jahrhunderts konnten selbst zu dieser viel gerühmten Blütezeit der Kultur von al-Andalus noch nicht von einheimischen Kräften durchgeführt werden.

Die Rede von diesem Bauwerk als „eines vollendeten islamischen Monuments“ scheint heute selbstverständlicher Bestandteil deutscher Populärkultur zu sein, wie ein längerer Artikel von Volker Mehnert in der Frankfurter Allgemeine Zeitung belegt. Mehnert bezieht sich, wie für Reiseberichte üblich, auf die mezquita in ihrer heute zu besichtigenden Form. Also bewundert er die „muslimische(n) Künstler, (die)… Decken und Wände mit einer wahren Flut von Dekorationen (überschwemmten), die sich im Mihrab, der Gebetsnische, zu einem berauschenden Höhepunkt steigern, in ein Meisterwerk maurisch-religiöser Kunst…“ Mit dieser Eloge „muslimischer“ Künstler befindet sich der Autor allerdings selbst hinsichtlich der späten, im 10. Jahrhundert vorgenommenen Ausgestaltung der Moschee im Irrtum. Es sind christlich-byzantinische Mosaik-Spezialisten, die die Cordobeser Arbeiter anleiteten und das gesamte Arbeitsmaterial aus Byzanz mitbringen mussten. Auch die „islamische Gebetsnische“ (quibla) ist nicht so islamisch, wie der Verfasser meint. Gebetsnischen, wie man sie etwa auch im Felsendom findet, gab es in der ganzen spätrömischen Zeit und auch in westgotischen Kirchen. Auch fehlt der quibla die Ausrichtung nach Mekka.

Da alle Archäologen und Kunstgeschichtler offenbar von der Geltung der islamischen Traditionserzählung ausgehen, haben sie mit der fehlenden Ausrichtung nach Mekka natürlich ein Problem, und so zerbricht man sich krampfhaft den Kopf, um eine Erklärung zu finden, die mit der Traditionsliteratur kompatibel wäre. Nieto Cumplido hat die verschiedenen Erklärungshypothesen vorgestellt und darauf seine autoritative Deutung gegründet. Danach folgt die Ausrichtung der Cordobeser Ursprungsmoschee zwar nicht der Orientierung auf Mekka, aber doch immerhin und in etwa der Ausrichtung der Nordost- und der Südostmauer der Ka?aba in Mekka. Aber weshalb sollte man sich an diesem Gebäude orientieren, das damals in Córdoba ebenso unbekannt gewesen sein dürfte wie Mekka selbst? Das Zentrum des Omaiyadenreiches war Damaskus, und die Hauptpilgerroute führte von dort nach Jerusalem. Die Bezeichnung „Mekka“ taucht zum ersten Mal in den Jahren 201 und 203 nach den Arabern auf Münzen auf. Vorher ist es offenbar politisch, wirtschaftlich und ideologisch zu unbedeutend, um als Prägeort für Münzen bestimmt zu werden. Die spanisch-lateinische Chronik Crónica mozárabe, datiert auf das Jahr 754, siedelt Mekka bzw. macca, wie der Text sagt, dort an, wo Abraham gelebt haben soll, in Harrân im Zweistromland. In Wirklichkeit orientierte man sich beim Bau der sogenannten Gründungsmoschee an der bestehenden Bebauung, und zwar insbesondere am Straßenverlauf.

Die Argumente für einen islamischen Charakter des wundervollen Baus in Córdoba erweisen sich so als recht fadenscheinig. Zu traditionellen Vorstellungen von einer islamischen Moschee will nicht zuletzt auch die Tatsache nicht recht passen, dass die Gründungsmoschee noch ohne Minarett auskommen musste.

Von der Gesamtanlage her weist der Moscheebau in Córdoba keine Ähnlichkeit mit anderen frühen Moscheen auf. Die bestehen in der Regel aus Bauwerken, die um einen Innenhof herum angelegt sind. Eine Ausnahme bildet die al-Aqsa – Moschee in Jerusalem, die nach dem Vorbild christlicher Basiliken gebaut wurde. Die Abstände zwischen den Querschiffen dieser Moschee entsprechen in etwa denen in Córdoba. Allerdings hat Hamilton, auf dessen Studien alle weiteren Arbeiten zur Jerusalemer Moschee gründen, gemeint, angesichts der unsicheren Faktenlage gar keine Aussage zu den Querschiffen machen zu sollen. Sicher schien ihm allerdings, dass in Jerusalem wie bei den christlich-byzantinischen Basiliken allgemein die Längsachse und das Mittelschiff besonders betont waren. Beides trifft für Córdoba zwar auch zu, aber nur in deutlich abgeschwächter Form. Dort ist der Gründungsbau ein querrechteckiger, nahezu quadratischer Saal mit etwa 70 Metern Seitenlänge.

Besonderes Interesse, ja Betroffenheit hat bei vielen Besuchern der Moschee-Kathedrale die Aura des vor allem aus Säulen römischer und westgotischer Bauten gebildeten Säulenwalds ausgelöst. Dergleichen ist weder aus spanischen oder byzantinischen Kirchen, noch auch aus der frühen muslimischen Architektur bekannt. Wenn diese architektonische Besonderheit den Bau aber für seine Zeit zu einem Unikat macht, wie kann man dann sagen, es handele sich um einen islamischen Bau?

Es gibt andererseits in Nordafrika, und zwar in vorislamischer Zeit, vor allem Kirchenbauten, die ganz ähnlichen Bauprinzipien folgen wie die Moschee-Kathedrale von Córdoba. Darauf hatte schon Ignacio Olagüe hingewiesen, der aber als Falangist nicht mehr zitierfähig zu sein scheint. In der Tat weist die gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Karthago ausgegrabene Kirche „Damous el Karita“ einen ganz ähnlichen Grundriss auf. Die Gründungsmoschee in Córdoba umfasst 7 Schiffe mit jeweils 12 Jochen, „Damous el Karita“ ebenfalls 7 Schiffe mit 14 Jochen. Der Hauptunterschied liegt nur darin, dass man in Karthago die Längsachse etwas stärker betont hatte als in Córdoba.

Hypostylhallen wie in Córdoba und Karthago gab es aber auch schon sehr viel früher, nämlich in der pharaonischen Tempelarchitektur, u. a. in Karnak. Sie wurden in frühchristlicher oder frühmittelalterlicher Zeit manchmal, so etwa im Fall der Festhalle von Thutmosis III. (18. Dynastie), in eine Kirche umgewandelt. Die Bauprinzipien solcher Hypostylhallen wurden dann auch bei neuen Kirchenbauten des 4. und 5. Jahrhunderts in Ägypten bzw. an der ägyptischen Mittelmeerküste übernommen und konnten so ohne weiteres zum Vorbild für andere Kirchenbauten an der Mittelmeerküste, etwa in Karthago werden. Natürlich ist die Cordobeser Moschee in der aktuellen Gestalt, welche ihr die Erweiterungen bis weit ins 10. Jahrhundert hinein gegeben haben, mit den ägyptischen und nordafrikanischen Hypostylhallen nicht mehr zu vergleichen. Mit ihrer nun auf 1,5 Hektar gewachsenen Grundfläche und über 600 Säulen muss sie als ein ganz und gar außergewöhnliches, mit keinem Vorgängerbau vergleichbares Monument gelten. Der besondere Eindruck, dem sich kein Besucher dieses Bauwerkes entziehen kann, verdankt sich also nicht der ursprünglichen Anlage, sondern der Tatsache, dass die nachfolgenden Erweiterungsbauten die Struktur des ursprünglichen Baus beibehalten und konsequent fortgeführt haben.

Die viel bewunderten Doppelarkaden sind wahrscheinlich nicht schon der Gründungsmoschee zuzurechnen, jedenfalls dann nicht, wenn man den arabischen Geschichtserzählungen über die mezquita Glauben schenken darf. Danach hätte ’Abd er-Rachman I. nur ein Jahr benötigt, nämlich von 779 bis 780, um die Kirche San Vicente abzureißen und die neue Moschee zu errichten. Wenn man dagegen stellt, dass ’Abd er-Rachman II. nach den gleichen Quellen im 9. Jahrhundert, als den Herrschern in Córdoba ganz andere Mittel und Möglichkeiten zur Verfügung standen, 15 Jahre benötigt haben soll, um eine Erweiterung des Baus durchzuführen, die von geringerem Umfang als der ursprüngliche Bau gewesen ist, liegt die Vermutung nahe, dass die an den Doppelarkaden zu bewundernde architektonische Leistung nicht schon der äußerst kurzen Bauzeit des 8. Jahrhunderts, sondern erst dem 9. Jahrhundert zuzurechnen ist.

Die zweifarbigen Bögen sind alternierend aus Ziegeln und Naturstein gemauert. Vorbilder für diese Technik konnte man in römischen Bauwerken wie dem Aquädukt von Mérida finden, später auch an kaiserlich-byzantinischen Bauten aus dem 6. Jahrhundert und dann auch in der Basilika von Damaskus, der sogenannten Omaiyadenmoschee. Die Hufeisenform der Bögen ist aus westgotischer Zeit in Spanien bekannt, finden sich aber früher auch schon in Syrien und in Mesopotamien. Zu ihrer kunstvollsten Gestaltung gelangen sie erst im 9. und 10. Jahrhundert. Erst jetzt ist man offenbar in Córdoba wenigstens in der Lage, unter griechisch-byzantinischer Anleitung neue Kapitelle, und zwar nach klassisch römischem Muster, anzufertigen, während in der Gründungsmoschee nur westgotische Spolien verwendet wurden. Ähnliches gilt auch für die Säulen. Auch solche Fortschritte im 10. Jahrhundert sprechen für die Zuordnung der Doppelarkaden zu einer späteren als der Gründungsepoche.

3.3. Dioskurides oder ein Fall eklatanter Fehleinschätzung
des andalusischen Beitrags zu den Wissenschaften

Während im Osten des arabischen Reiches die spätantiken Traditionen fortlebten, waren sie im Westen weitgehend, wenn auch nicht völlig, untergegangen. Ab dem 9. Jahrhundert kommen hellenistisch geprägte literarische sowie philosophisch-theologische Bagdader Moden nach al-Andalus, und auch in der Textilkunst nimmt man östliche Anregungen auf. Aber noch im 10. Jahrhundert, als Córdoba nach allgemeiner Ansicht die bedeutendste und reichste Stadt Europas war, musste der erste andalusische Kalif, ’Abd er-Rachman III., als er vom Kaiser in Konstantinopel die Materia Medica des Dioskurides, das bedeutendste pharmakologische Werk der Griechen, als Geschenk erhielt, um die Nachsendung eines Übersetzers bitten, der die Bezeichnungen der Pflanzennamen für Andalusier lesbar machen könnte. Der Kaiser entsprach diesem Wunsch und schickte einen Mönch namens Nikolaus. Man verfügte in Córdoba zwar bereits über die Übersetzung aus dem 9. Jahrhundert eines Griechen namens Stephanos, die dessen Lehrer, Hunain Ibn Ishaq, bearbeitet hatte, aber es waren noch nicht für alle griechischen Bezeichnungen arabische Termini gefunden worden oder doch jedenfalls keine Termini, die man in Córdoba verstanden hätte. Hunain Ibn Ishaq selbst musste sich allerdings damit ausgekannt haben, denn er hatte zuvor bereits alle Schriften des berühmtesten griechischen Mediziners, Galen, übersetzt, und der hatte sich bereits auf Dioskurides gestützt. Möglicherweise waren viele Termini in der Übersetzung Hunain Ibn Ishaqs eben noch gar keine arabischen, sondern aramäische Wörter, die man noch im Osten, aber nicht im Westen verstand. Hunain Ibn Ishaq hat ja die arabische Sprache überhaupt erst zu einer Wissenschaftssprache gemacht. Wegen der Probleme einer Übertragung aus dem Griechischen ins Arabische lehnte er sich bei seinen Übersetzungen an zuvor von ihm selbst vorgenommene Übersetzungen in eine bereits seit langem hoch entwickelte semitische Wissenschaftssprache an, nämlich das Aramäische.

Ein international angesehener Historiker arabisch-islamischer Wissenschaft wie Juan Vernet sieht in der Beschäftigung mit Dioskurides nun einen wichtigen Beleg für das, was die westliche Kultur den muslimischen Arabern von al-Andalus verdankt. Dabei stört ihn offenbar nicht, dass man in Córdoba alles, was die Beschäftigung mit der Materia Medica möglich machte, der freundlichen Hilfe des christlichen Kaisers in Konstantinopel schuldete. Auch stört ihn nicht, dass Hunain Ibn Ishaq nicht nur kein Andalusier, sondern überhaupt kein muslimischer Araber war. Was er nämlich nicht erwähnt: Hunain Ibn Ishaq war ebenso wie sein Lehrer Bochtiso Christ, und beide lehrten in Gundeschapur, wo es ein christlich geführtes Krankenhaus und eine christliche Universität noch im 9. Jahrhundert gab.

Im Übrigen ist völlig unbekannt, was aus dem Cordobeser Dioskurides geworden ist. Das früheste in Spanien, nämlich in der Bibliothek von San Lorenzo del Escorial aufbewahrte Manuskript stammt aus dem 10. Jahrhundert und wurde in Italien geschrieben. Manuskripte der Materia Medica in griechischer, lateinischer und arabischer Sprache waren überhaupt das ganze frühe und späte Mittelalter über im Mittelmeerraum bekannt. Der Dioskurides benötigte keine andalusischen oder arabisch-islamischen Übermittler. Er war stets präsent geblieben.

Die pro-arabische Propaganda von Wissenschaftshistorikern wie Vernet hat andererseits natürlich auch eine Basis in der Realität. So kann kein Zweifel daran bestehen, dass die antiken Traditionen im Bereich der Medizin in ihrer Vielfalt und in ihrem gewaltigem Umfang von Arabisch schreibenden Autoren aufgegriffen und dadurch weiter gegeben worden sind. Was aber bei der Darstellung dieser Vermittlungsleistung in aller Regel und eben auch bei Vernet nicht beachtet wurde: Die arabischen Autoren haben das Grundprinzip Galens, des griechischen Begründers der neueren medizinischen Entwicklungen, nämlich die Konfrontation aller theoretischen Überlegungen mit der empirischen Evidenz, nicht ernst genommen und höchstens rhetorisch aufgegriffen. Dadurch haben sich viele Bereiche der Medizin nicht weiter entwickelt, sondern erfuhren gar Rückschritte.

Ein weiteres Beispiel für wenig realitätsnahe Züge der pro-araboislamischen Propaganda liefern auch Studien zur späteren Rolle der arabischen Medizin in Spanien. So schreibt García Ballester in seiner Historia social de la medicina en la España de los siglos XIII al XVI, das arabische und griechische Schrifttum zur Medizin, das sehr viel reicher gewesen sei als das der lateinischen Universitäten, habe noch im 15. und 16. Jahrhundert unter Muslimen und Juden zirkuliert. Aber dass es außer im Besitz von Juden auch in dem von Muslimen gewesen sei, ist bloß seine Vermutung und überhaupt nicht belegt. Muslimisch war an diesen Texten und ihrer Verwendung also gar nichts. Nur die Sprache war Arabisch.

3.4. Das vermeintlich glückliche al-Andalus der Stammesverbände

Die idyllisierende Verklärung von al-Andalus hat in den letzten Jahrzehnten einen erneuten Auftrieb durch Pierre Guichard erfahren. Die von ihm entworfene Theorie einer egalitären Stammesgesellschaft in al-Andalus hatte die Qualität einer Kulturrevolution. Jedenfalls beflügelte sie die Forschung, die archäologische ebenso wie die historische, in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß. Der Markt wurde überflutet von unzähligen archäologischen Studien und neuen, an Guichard anknüpfenden historischen Arbeiten. Sie ließen das Bild einer friedlich und liebenswert-egalitaristisch zusammen lebenden Bevölkerung in al-Andalus entstehen, die dann im Verlaufe einer karikatural gezeichneten, von finsteren Mächten, d.h. von Mönchen, Nonnen, Rittern und Feudalherren getragenen Reconquista ins Unglück gestürzt wurde.

Argumente gegen solchen märchenhaften und ideologisierenden Unsinn liegen reichlich auf dem Tisch, aber weite Teile der spanischen Islamwissenschaft ebenso wie der Politik finden den Ausblick auf eine vermeintlich ungetrübt idyllische „convivencia“-Vergangenheit offenbar doch zu verlockend, um kritische Einwände goutieren zu können. Die lauten etwa: Ein für damalige Verhältnisse ziemlich straff geführter und verwalteter Zentralstaat konnte sich auf dem Boden von Stammeskulturen überhaupt nicht entwickeln. Außerdem folgen Guichards Vorstellungen über egalitäre Formen des Lebens in Stammesverbänden den Illusionen einer erfahrungsgemäß auch nicht immer ganz interesselosen anthropologischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Danach sind die Strukturen beduinischer Stämme immer und überall gleich, was zu der irrigen Meinung führte, aktuelle Stammesstrukturen etwa auf der arabischen Halbinsel oder im Sudan seien eins zu eins auf die Stammesverhältnisse im Maghreb des 8. Jahrhunderts und in al-Andalus zu übertragen. Nicht zuletzt gibt es für die von Guichard und anderen als Beleg für die Stammesstrukturen angeführten Bau- und Siedlungsformen in al-Andalus, insbesondere Burgen in Verbindung mit dörflichen Strukturen, also den sogenannten hisn/qarya-Komplex, zwar vorislamische Zeugnisse, aber keine Vorbilder in Syrien oder im berberischen Nordafrika. Auch sind nicht überall dort, wo arabische und berberische Siedlungen festzumachen sind, auch Burgen nachweisbar. Überhaupt waren die Berber-Ansiedlungen auch im Maghreb keineswegs Stammesorganisationen, die, wie Guichard meinte, auf Blutsverwandtschaft und Endogamie basierten. Vielmehr sind es übereinstimmende politische und wirtschaftliche Interessen, die zur Gruppenbildung führten. Damit entfällt jede Grundlage für eine Verknüpfung der archäologischen Befunde mit einer genealogisch definierten Stammesstruktur. Die weitaus häufigsten Vorkommen von Burgen gibt es im Übrigen ab dem 10., als sich die Zentralregierung mit dem ersten Kalifat eindrucksvoll stabilisiert, und dann vor allem unter den Almoraviden- und Almohaden im 11. bis 13. Jahrhundert. Sie sind also Ausfluss nicht von Stammesstrukturen, sondern von Interessen jeweiliger Zentralregierungen und dienen eindeutig der territorialen Verteidigung.

3.5. „Islamische“ Bewässerungstechnik als
Grundlage für das Bevölkerungswachstum auf der iberischen
Halbinsel ab dem 9. Jahrhundert?

Nach Auffassung von Forschern wie Thomas F. Glick waren es die „islamischen“ Bewässerungssysteme, welche die Hauptgrundlage für den Reichtum der Omaiyaden in al-Andalus lieferten. Zweifellos haben sie entscheidend zur Steigerung der Produktivität der Landwirtschaft und so zur Versorgung einer stetig wachsenden Bevölkerung beigetragen. Aber wie „islamisch“ waren diese Bewässerungstechniken? Glick findet Vorbilder dafür in der Nähe von Damaskus oder auch bei den Berbern. Aber macht sie das schon zu einer islamischen Erfindung? Zweifellos nicht. In beiden Regionen waren römische und von den Römern übernommene iranische Bewässerungstechniken ebenso schon in Funktion gewesen wie auf der iberischen Halbinsel; in Nordafrika und wohl auch in Spanien gab es außerdem schon vor den Römern die ausgeklügelten Systeme der Punier. Ein archäologisches Forschungsteam um K. Butzer hat denn auch schon 1985 für die auch von Glick besonders intensiv studierte Region um Valencia festgestellt, dass die für spezifisch islamisch gehaltenen Bewässerungsanlagen im Wesentlichen in einer Wiederherstellung der römischen Bewässerungssysteme bestanden haben. Die ausgedehntesten Systeme wurden im 8. und beginnenden 9. Jahrhundert, also in einer Zeit wieder in Gang gesetzt, als die berberische und arabische Besiedlung noch relativ wenig ausgeprägt und die einheimische Bevölkerung noch gar nicht in großem Umfang islamisiert war. Zwar kamen später noch neuere Techniken aus Nordafrika und aus Syrien hinzu, aber die römischen Systeme blieben weitestgehend unverändert bestehen, was schon deshalb nicht erstaunlich ist, weil auch in Nordafrika und Syrien u. a. römische Techniken bzw. von den Römern weiter geführte iranische bzw. punische Techniken funktionierten. Der Ausbau von Bewässerungsanlagen in den Hügellandschaften des Hinterlands von Valencia seit dem 10. Jahrhundert folgte ebenfalls weitgehend dem römischen oder auch generell mittelmeerischen Modell. Ein Vergleich der frühen römischen Systeme mit den späteren unter islamischer Herrschaft weiter geführten Systemen zeigt, dass es zwar Unterschiede zwischen ihnen gibt, aber die liegen mehr in graduellen Veränderungen, nicht in der Art der Bewässerungstechnik. Die Kontinuitätsmerkmale sind wesentlich stärker ausgeprägt als die Veränderungen. An diesem Zustand änderte sich, anders als die Anhänger des islamischen These meinen, auch dann nichts, als die Region nach der Reconquista in die Hände der Christen aus dem Norden fiel, und auch nicht nach der definitiven Vertreibung der moriscos im Jahr 1609.

Es war auch nicht die Technik, welche das Bevölkerungswachstum erlaubt hatte, sondern umgekehrt verlangte das rasche Wachstum nach immer intensiveren Formen der landwirtschaftlichen Nutzung. Und dieses Wachstum war keine Konsequenz von religiös geprägten Kulturen wie die Mentalitätshistoriker im Gefolge der französischen Annales-Schule meinen, so, als habe die arabisch-islamische Kultur einen radikalen Bruch mit einer christlich-westgotisch verursachten Verelendung und Entvölkerung des Landes herbeigeführt und dann Wachstum produziert. Es waren vielmehr die klimatischen Veränderungen und das plötzliche Ende der zuvor regelmäßig wieder kehrenden Pestepidemien, welche das Anwachsen der Bevölkerung rund ums Mittelmeer und auch in Kontinentaleuropa bedingten.

3.6. Bevölkerungsentwicklung und ihre natürlichen Bedingungen

Deshalb ist man in jüngster Zeit, vor allem in der angelsächsischen Forschung, auf Distanz zu der Vorstellung gegangen, der Wechsel von einer westgotisch-christlichen zu einer arabisch-berberisch-islamischen Herrschaft habe einen tief gehenden gesellschaftlichen und kulturellen Bruch bedeutet. Stattdessen geht man von graduellen Prozessen eines allmählichen Übergangs (s. Wickhams „other transition“) aus. Dabei waren die Ergebnisse archäologischer Forschung von entscheidendem Einfluss, besonders einer Forschung, die nicht einäugig auf al-Andalus fixiert war, sondern den gesamten Mittelmeerraum und auch Kontinentaleuropa mit in den Blick nahm und sich zur Datierung ihrer Funde weitgehend der Radiokarbon-Methode bediente.

An Ergebnissen dieser Untersuchungen kann u. a. festgehalten werden: Etwa 50 bis 100 Jahre vor der „Eroberung“ von 711 gibt es bereits erste Anzeichen für neue Ansiedlungen im Süden Spaniens, meist kleine Weiler und Dörfer. Bei der Untersuchung der materiellen Zeugnisse (Dachziegel, räumliche Aufteilung der Häuser, Keramik) dieser neu entstehenden Siedlungen zeigt sich, dass sie die gleichen Muster aufweisen wie die Siedlungen des 6. Jahrhunderts und von nun an und bis etwa zur Mitte des 9. Jahrhunderts keine großen Veränderungen nachweisbar sind. So finden sich auch keine Zeugnisse traditionell berberischer Keramik. Auffällig ist nur der intensivere Gebrauch von Töpferscheiben statt handgemachter Keramik, der sich aus der Notwendigkeit einer gewissen Produktionssteigerung wegen des Bevölkerungswachstums erklärt. Töpferscheiben waren auch vor dem großen Einbruch im 5. und 6. Jahrhundert in Gebrauch gewesen. Erst ab etwa 950 oder 1000 lassen sich deutliche Veränderungen in der materiellen Kultur nachweisen. Diese Entwicklung legt die Annahme nahe, dass das Bevölkerungswachstum nicht nur und vor allem durch die Zuwanderung von Angehörigen fremder Kulturen bedingt war, sondern insbesondere durch ein stetiges Wachstum der einheimischen Bevölkerung.

Das Wachstum folgte keinem gleichmäßigen Rhythmus. Vielmehr wuchsen Bevölkerung und Wirtschaftsleistung besonders rasch im 9. und 10. Jahrhundert, als sich Spanien ebenso wie alle anderen Mittelmeer- und kontinentaleuropäischen Länder dem Klimaoptimum annäherte. Als sich das Klima dann wieder deutlich abkühlte, etwa ab Ende des 11., Anfang des 12. Jahrhunderts, wurden immer mehr Ansiedlungen aufgegeben. Dabei scheint allerdings auch eine Rolle gespielt zu haben, dass es zuvor zu einer allzu intensiven Bodennutzung gekommen war mit der Konsequenz fortschreitender Erosion. Wie dem auch sei: Als die Christen zu Beginn des 13. Jahrhunderts große Teile von al-Andalus eroberten, befand sich das Land längst schon im wirtschaftlichen und demographischen Niedergang.

Aufschwung und Niedergang vollziehen sich in den übrigen Mittelmeerländern exakt parallel zur spanischen Entwicklung. Auch im nördlicheren Kontinentaleuropa und auf den britischen Inseln vollzieht sich die gleiche Entwicklung, hier allerdings mit leichter zeitlicher Verzögerung. Es lassen sich also keine religiösen oder andere mentalitätsgeschichtlichen Besonderheiten mit den Veränderungen im Wachstum der Bevölkerung und der entsprechenden wirtschaftlichen Entwicklung korrelieren.

3.7. Religiöse Vielfalt oder: Welche Religion kam 711 nach Spanien?

Nicht nur die „convivencia“-Ideologen, sondern überhaupt alle sich auf al-Andalus beziehenden Historiker erliegen einer grundlegenden religionsgeschichtlichen Fehleinschätzung. Sie liegt darin, dass Christentum, Judentum und Islam als in sich homogene und deutlich voneinander geschiedene Entitäten missverstanden werden. Schon der heutige Religionsbegriff selbst ist, auf die Verhältnisse im Frühmittelalter angewandt, ein Anachronismus. Auch gab es weder „die“ Christen, noch „die“ Muslime, noch „die“ Juden, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher religiöser Traditionen, die teilweise, über heutige konfessionelle Grenzen hinweg, miteinander verwandt waren. So gab es eine christlich-gnostische und asketisch-mystische, teilweise mit dem Namen Priscillian verbundene heterodoxe Tradition ebenso wie muslimische und jüdische gnostische Traditionen, die sich etwa im Werk des ersten andalusischen Philosophen, Ibn Masarra (Ende 9. Jahrhundert) widerspiegeln. Von den beiden einzigen heute vorliegenden Schriften Ibn Masarras erinnert die eine an einen christlichen Gnostiker, nämlich Pseudo-Gai (der damals allerdings für einen Muslim gehalten wurde), die andere an die gnostisch-neuplatonisch-christlich beeinflusste jüdische Kabbala. Ferner scheint Ibn Masarra, darin keine Ausnahme im 9. Jahrhundert, die Lebensform der christlichen Eremiten fortgeführt zu haben. Darin folgte er seinem Vater, der sich mit der gnostisch-mystischen Lehre des Sufi-Heiligen Dhul-Nun al Misri befasst und bei dem Anhänger der Lehre vom freien Willen, Khalîl al-Ghafla, studiert hatte. Dessen Schriften waren in Córdoba verbrannt worden. Das tat allerdings der weiteren Ausbreitung der Mutazila und des Masarrismus gar keinen Abbruch. Ihre Blütezeit erlebten diese miteinander verwandten Strömungen sogar noch nach der Verurteilung der Lehren Ibn Masarras durch den Kalifen Abd al-Raman III unter dessen Nachfolger al-akam II. Selbst unter den die malikitisch-sunnitischen Richter begünstigenden Amiriden verloren die als heterodox angesehenen Strömungen nicht an Zustimmung, und sie konnten sich im 11. Jahrhundert in den meisten taifa-Königreichen ganz ungehindert weiter entfalten.

Auch abgesehen vom Einfluss der Gnosis, die in Spanien regelmäßig mit dem Namen Priscillian verknüpft wurde, gab es sehr unterschiedliche und teilweise mit muslimischen Ansichten verwandte christliche Traditionen. Ein christlicher Märtyrer wie Alvarus von Córdoba beklagte um die Mitte des 9. Jahrhunderts, dass die meisten Christen Córdobas von Jesus das Gleiche dächten wie die Sarazenen, dass er nämlich nur Mensch, wenn auch ein ganz besonderer Mensch gewesen sei. Dieser Hinweis wird gerne als Beleg für den Einfluss der muslimischen Herren auf die eroberten Christen gedeutet. In Wahrheit bezeugt er aber nur das Fortleben der früher schon auf spanischem Boden heimischen heterodoxen christologischen Überzeugungen. Mindestens noch zu Beginn des 7. Jahrhunderts war der Arianismus der Westgoten lebendig, nach dessen Lehre Jesus nicht die gleiche Göttlichkeit wie dem Vater zugesprochen wurde. Im Süden des Landes waren Monophysiten präsent geblieben, nicht zuletzt beeinflusst durch monophysitische syrische Bischöfe, die das Land missionierten. Der Metropolit von Toledo, Elipandus, hatte dann um 800 eine Form des Adoptianismus propagiert, wonach Jesus seiner menschlichen Natur nach vom Vater nur adoptiert worden sei. Auch sein Adoptianismus, der den Süden des Landes, in dem offenbar Gegner der Trinitätslehre die Oberhand hatten, wieder an die spanische Kirche heranführen sollte, hatte eine christliche Vorgeschichte, während er im Islam überhaupt keine Rolle spielte und spielt.

Dass auch der Islam dieser Zeit differenziert zu betrachten ist, ergibt sich bereits aus unserer obigen Charakterisierung von Ibn Masarra in der 2. Hälfte des 9. Jahrhunderts, also zu einer Zeit, als sich die Vorstellungen von dem, was Islam sei, nach allgemeiner Ansicht bereits verfestigt hatten. Um wie viel weniger konnte er dann zu Beginn des 8. Jahrhunderts bereits die später sich entwickelnde und dann dominante, allerdings weiterhin unzählige Varianten aufweisende sunnitische Gestalt angenommen haben! Dennoch spricht die gesamte Überlieferungsgeschichte zu Al-Andalus ganz undifferenziert von „dem“ Islam und davon, dass es in der Hauptsache muslimische Berber gewesen seien, die gemeinsam mit nur wenigen Arabern Spanien 711 erobert hätten. Dass die Berber mit einer neuen Religion namens Islam nach Spanien gekommen seien, wird von niemandem in Zweifel gezogen, obwohl sie doch erst kurz zuvor erobert worden waren, kein Arabisch sprachen und mit ziemlicher Sicherheit keinen Koran zur Verfügung hatten, denn den gab es noch nicht in seiner späteren Gestalt, und so konnte er damals noch nicht allgemein im Umlauf gewesen sein. In Wahrheit waren die Berber zu einem großen Teil Juden, der größte Teil aber christianisiert. Bis zum 7. Jahrhundert gab es in Nordafrika etwa 200 Bischofssitze. Dann allerdings nahm deren Zahl rasch ab. Im 8. Jahrhunderts zählte man nur noch 40, um die Mitte des 11. Jahrhunderts nur noch 11; umgekehrt könnte man aber auch sagen, dass es immerhin noch Jahrhunderte nach der angeblich totalen Islamisierung der Berber im Maghreb eben noch diese 11 Bischofssitze gegeben hat. Christlich-lateinische Inschriften finden sich selbst in Kairuan noch im 11. Jahrhundert. Die schlichte Gleichsetzung von Berbern mit Muslimen entbehrt also für das frühe 8. Jahrhundert und noch für einige Zeit danach jeglicher sachlichen Grundlage.

Weiteres kommt hinzu: Etwa 30 Jahre nach der Eroberung Spaniens erheben sich die nordafrikanischen Berber gegen die arabischen Herren und kämpfen gegen sie im Namen Jesu, wie spätere Autoren schreiben, um auf diese Weise die angeblich mangelnde Bildung und Vernunft der Berber unter Beweis zu stellen. Die Barghawâta-Berber hatten ihren eigenen Koran und zwar einen in berberischer Sprache, in dem es regelmäßig statt „im Namen Allahs“ „im Namen Jesu“ hieß. Und wo der arabische Koran sagte „Gott ist groß“, sagten die Berber „Jesus ist groß“ . Auch sahen sich die Barghawâta-Anführer, ähnlich wie später die Fatimiden-Herrscher, als Mahdi, der in Vertretung des eschatologischen Jesus agierte und am Ende gemeinsam mit Jesus den Antichristen bekämpfen würde. Die Barghawâta galten als Kharidjiten, d.h. sie wurden, damit man eine bequeme Etikettierung aus dem Osten für alle unbotmäßigen „Muslime“ übernehmen konnte, der frühesten islamischen Sekte zugerechnet. Neben der Jesus-Verehrung zeichnete sie die Verpflichtung zur Askese im Gefolge der ostkirchlichen asketischen Bewegungen aus sowie die Abgrenzung von allen nicht-asketisch lebenden, „sündigen“ Muslimen. Damit standen sie den christlichen Donatisten in Nordafrika nahe, die zwar von Augustinus längst verdammt worden waren, aber nach Ausweis von donatistisch geprägten Grabtafeln noch im 7. und 8. Jahrhundert in Nordafrika tätig waren. Auch sie forderten Askese und die strikte Abtrennung von nicht-asketisch gesinnten und in Gemeinschaft mit Sündern lebenden Christen.

In Nordafrika, also bei den Berbern angesiedelt hatten sich ferner „Ibaditen“, und die bildeten keinen Stamm, wie die arabischen Geschichtserzählungen wegen ihrer an der jüdischen Geschichte orientierten Fixierung auf Stammesgeschichten behaupten, sondern waren „Gottesknechte“ im Sinne von AT und NT, wie schon ihr Name sagt. Passenderweise ließen selbst die arabischen Geschichtskonstrukteure sie aus dem christlichen Hira stammen; erst später galten sie dann als heterodoxe Muslime. Ihre Anführer im nordafrikanischen Tâhert, einem Haupthandelspunkt an der Handelsroute nach Westafrika, führten sich auf legendäre persische Helden zurück und nannten sich Rustam. Ihren Amtseid legten sie zunächst auf Persisch ab. Sie lebten immer in der Gemeinschaft mit Christen. Wenn sie bei kriegerischen Auseinandersetzungen eine Stadt verlassen mussten, zogen die Christen mit ihnen. Von Andersgläubigen, also „Sündern“, sonderten sie sich, ähnlich wie Donatisten und sogenannte Kharidjiten, streng ab, aber nur, wenn diese Andersgläubigen Muslime waren. Anderen, auch heidnischen Kulten, etwa der Widderverehrung gegenüber waren sie von ausgesprochen großer Toleranz. Das alles lässt auch diese „muslimischen Araber“ als ziemlich wenig arabisiert und auch als nicht sehr islamisch (im späteren Sinn) erscheinen. Sie waren eben ihrer Herkunft nach Christen, die dann in muslimischem Gewand auftraten. Viele von ihnen blieben aber offenbar christliche „Gottesknechte“. Der berühmteste Vertreter des christlichen Ibaditentums ist jener bereits oben erwähnte Hunain Ibn Ishaq al-Ibadi, der im 9. Jahrhundert vor allem in einem Zentrum christlicher Gelehrsamkeit, nämlich im persischen Gundeschapur wirkte.

Ibaditisch-kharigitische Berber kamen dann in größerer Zahl unter al-akam II, der mit ihnen seine Kavallerie erheblich verstärkte, in der 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts nach al-Andalus. Zugleich wanderten auch viele Berber-Familien zu dieser Zeit in Spanien ein. Die Ibaditen sollten nach dem Zusammenbruch des Kalifates ein eigenes taifa-Kleinkönigtum in Carmona errichten.

Neben ibaditischen und kharidjitischen Traditionen spielten auch mutazilitische Überzeugungen eine große Rolle. Die Mutaziliten gelten traditionell als eine Bewegung, welche die griechische Philosophie mit dem Islam versöhnen wollte und nach heutigen Maßstäben rationalistisches Denken durchzusetzen versuchte. Das zeigte sich nicht zuletzt darin, dass sie den Koran als ein für eine bestimmte Zeit und ein bestimmtes Volk herab gesandtes Buch ansahen, das deswegen zu anderen Zeiten und von anderen Völkern jeweils auf deren je eigene Art zu interpretieren sei. Daraus wiederum folgte auch die Verwerfung der herausgehobenen Rolle eines Propheten der Araber als letzter in der Reihe der Propheten. Vielmehr musste es zu jeder Zeit und für jede Region jeweils neue Propheten geben. Wer der mohammedanischen Lehre folgte, beachtete danach also nur die oberflächliche Seite der Schrift, deren überzeitlicher, verborgener Sinn jeweils neu zu erschließen sei.

Die Mutazila soll zwar als Staatsreligion letzten Endes von den Bagdader Abbasiden-Herrschern zunächst eingeführt worden sein, habe sich dann aber nicht durchgesetzt. In Wirklichkeit aber stellte sie gar nicht, wie heutige Islamgeschichtler im Gefolge der arabisch-islamischen Tradition immer noch meinen, ein theologisch systematisiertes und von anderen Denkrichtungen klar abgegrenztes System dar, sondern bildete vielmehr mit anderen Richtungen wie den verschiedenen Strömungen der Kharidjiten und auch der Ibaditen eine synkretistische religiös-philosophische Bewegung, der man wegen ihrer mangelnden Definiertheit leicht alle möglichen Gegner und eben auch die Berber zurechnen konnte. Im Grunde galten die Berber schon deswegen als Kharidjiten und Ibaditen, weil sie generell zur Unbotmäßigkeit neigten, als Mutaziliten aber, weil sie die orthodoxe Dogmatik der Araber ablehnten.

Welcher Islam kam also nach Spanien? Nach Maßgabe unseres Wissens über die berberischen Stämme mit ihren christlich-jüdisch-islamisch-synkretistischen Traditionen oder auch nach dem Zeugnis des Gnostikers Ibn Masarra nicht mehrheitlich ein Islam, wie man ihn späterhin meist interpretierte. Vielleicht sehen deshalb die lateinischen Quellen der Franken und Langobarden aus dem 8. und 9. Jahrhundert in der neuen Machtkonkurrenz, also in den Sarazenen oder Hagarenern, keine Angehörigen einer neuen Religion. Als Sarazenen und Hagarener kannte man sie schließlich seit der Antike und der Spätantike. Noch in den asturischen Erzählungen vom Ende des 9. Jahrhunderts ist von Kämpfen zwischen Christen und Muslimen an keiner Stelle die Rede. In der Chronik von Alfons III. („Rotense“) wird eine religiöse Differenz nur insoweit angesprochen, als es an einer Stelle heißt, dass Muzza vom Klan der in Córdoba so genannten „Beni Qasi“, der eine Zeitlang erfolgreich gegen die Zentralherrschaft in Córdoba gekämpft hatte, der „Nation“ nach ein Gote, aber vom „ritu Mamentiano“ gewesen sei, ganz so, als handele es sich bei diesem „ritu“ um einen von mehreren möglichen christlichen Riten, nicht aber um eine ganz andere Religion. Die Zugehörigkeit zu diesem Ritus wird im Übrigen mit keinem Wort weiter thematisiert oder gar kritisiert. Und der König von Asturias hat offenbar auch keinerlei Bedenken, seinen Sohn Ordonius zur Ausbildung an den Hof der Beni Qasi zu schicken.

Überlegungen zu den religiösen Überzeugungen der Sarazenen finden sich an keiner Stelle, auch nicht in der Crónica mozárabe 754. Zwar nennt der Verfasser die Einwohner Spaniens „christiani“, aber damit ist keine Zuschreibung zu einer Religion gemeint. Dass mit dem Hinweis auf die „christiani“ keine Anhänger einer bestimmten christlichen Religion gemeint sind, erhellt im Übrigen schon aus der Tatsache, dass die christlichen Franken nicht als Christen, sondern nur als „franchi“ oder „europenses“ angesprochen werden, und wenn sie von Gallien aus „Hispania“ bedrohen, werden sie von der lateinischen Chronik als Feinde gesehen, nicht als christliche Brüder. Der Chronist scheint im Übrigen in den Arabern oder Sarazenen trotz seiner allerdings nur an einer Stelle vorgetragenen und aufgesetzt wirkenden Klage über deren Gräueltaten und über die von ihnen verursachten Verwüstungen eben die Volksgruppe zu sehen, die nach den „christiani“ nun ihrerseits die Herrschaft verdienen und die Tradition des Westgotenreichs fortführen. So teilt er nicht nur ihre Verachtung für die zahlenmäßig stärkere Gruppe der „mauri“, also der nordafrikanischen Berber, er kritisiert auch solche muslimischen Gouverneure, die den „christiani“ das ihnen bei der Eroberung geraubte Hab und Gut restituieren und damit neben den Berbern auch die Araber verärgern und Unruhe im Land provozieren. Die Chronik hebt eben in der Tradition der spätrömischen Geschichtsschreibung etwa des Isidor von Sevilla, seiner spätrömischen Vorbilder und seiner Nachfolger wie Johannes Biclarus, auf die Bedeutung des Reichs ab, nicht auf konfessionelle oder auch ethnische Besonderheiten. Ihr Autor wundert sich wohl daher auch nicht, dass Musa, der Gouverneur von Nordafrika, bei seinem Zug nach Spanien von einem General „katholischen Glaubens“ begleitet wird und bei der Eroberung von Toledo ein Bischof namens Oppa aus der Familie des früheren Westgotenkönigs Egica tatkräftig mithilft.

Als weitere Indikatoren der religiösen Orientierung der Eroberer von 711 sind die Münzen zu betrachten. Ohne auf numismatische Detailfragen einzugehen, soll an dieser Stelle lediglich die religiöse Bedeutung der Münzinschriften betrachtet werden.

Auf den Golddinaren, die von 711 bis 715 ihrer Größe, ihrer Form und ihrem Gewicht nach exakt nach dem Vorbild der zuletzt von Byzanz in Karthago hergestellten Goldmünzen geprägt werden, gibt es lediglich lateinische Inschriften. Als Ort der Prägung ist „Spania“, nicht etwa al-Andalus genannt. Als Datum der Prägung wird das jeweilige byzantinische Steuerjahr angegeben. Die religiösen Formeln der Inschriften enthalten alle ein ausdrücklich monotheistisches Bekenntnis: „Im Namen des Herren, (es gibt) kein(en) Gott außer Gott allein“, oder: „außer unserem Gott allein“, oder: „außer Gott allein, kein anderer Gott“, oder „außer Gott allein, kein Beigeseller“, oder: „außer Gott allein, dem barmherzigen“, oder: „außer Gott ist ähnlich“ („similis“). Statt des religiösen Staatssymbols des Omaiyyadenherrschers ’Abd al-Malik, dem Pfahl, dem Pfahl mit Kugel auf der Spitze oder dem „T“, sieht man hier regelmäßig einen meist achtstrahligen Stern. Er hat keinerlei religiöse Bedeutung im Islam, sondern verweist auf alte punisch-mauretanische Prägungen des 2. und 3. Jahrhunderts vor Christus.

Auf den Halb- und den ein Drittel-Dinaren taucht das omayyiadische Symbol jedoch regelmäßig auf der Rückseite auf (auf der Vorderseite ist weiterhin der Stern zu sehen), und zwar auf den Halb-Dinaren als Pfahl mit Kugel auf der Spitze, auf den Ein-Drittel-Dinaren als „T“. Auch diese Symbole haben keine „islamische“ Bedeutung.

Von 716-719/20 werden zweisprachige Golddinare geprägt. Als staatsreligiöses Symbol fungiert weiterhin der meist achtstrahlige Stern auf der Vorderseite.

Die Vorderseite dieser Münzen ist regelmäßig der Inschrift in lateinischer Sprache, die Rückseite einer arabischen Inschrift gewidmet. Die arabische Inschrift lautet in deutscher Übersetzung nach üblicher Lesart: „Mohammed ist der Gesandte Gottes“. Die grammatikalisch ebenfalls mögliche Lesart „Gepriesen (oder: ersehnt: muhammad(un)) sei der Gesandte Gottes“, wird heute außer von den meisten der im Saarbrücker Inârah-Institut arbeitenden Forschern nicht vertreten, obwohl eben diese Lesart großen Orientalisten des 19. Jahrhunderts wie Sprenger oder Hartmann noch selbstverständlich war. Sie trugen eben noch nicht die durch des deutschen Kaisers Orientpläne verordneten und heute durch alle möglichen politischen wie wirtschaftlichen Interessen bedingten Scheuklappen.

Als Datum wird auf der Rückseite das jeweilige Jahr der Araber genannt. Eine „Hidschra“ eines Propheten der Araber wird dabei nicht erwähnt. Als Prägeort auf der Rückseite taucht nun erstmal al-Andalus auf. Zuvor wusste man sich auf dem Boden von „Spania“.

Die religiöse Formel in lateinischer Sprache entspricht den zuvor in Übersetzung wiedergegebenen monotheistischen Erklärungen auf den rein lateinischen Münzen.

Die monotheistischen Bekenntnisse werden in aller Regel als Übersetzungen entsprechender arabischer Bekenntnisse interpretiert. Das entspricht der auch von nahezu allen Islamwissenschaftlern übernommenen muslimischen Tradition, bei übereinstimmenden Aussagen arabischer und anderssprachiger Texte stets die arabische Version als die ursprüngliche, die anderen Versionen aber nur als Übersetzungen aus dem Arabischen anzusehen. Dabei wird übersehen, dass, wie in vielen anderen Fällen auch, die hier zu betrachtenden monotheistischen Formeln bereits in vorislamischer Zeit gang und gäbe waren. Bekanntestes Beispiel dafür sind die wohl wegen ihres Monotheismus oft als „judenchristlich“ charakterisierten monotheistischen Aussagen der pseudo-klementinischen Homilien, die in griechischer Sprache vorliegen, sowie der pseudo-klementinischen Recognitiones, die in lateinischer Sprache bekannt sind.

In den Homilien heißt es, ins Deutsche übertragen: „Und Petrus sage (…), ,Ich lebe, sagt der Herr, und es gibt keinen anderen Gott außer mir. Ich bin der erste, ich (bin) jenseits von diesen (Dingen), außer mir ist kein Gott’“; oder: „einer ist der Gott und außer ihm ist kein Gott“.

Und in den lateinischen Recognitiones lesen wir: „Ich bin Gott und es gibt keinen Gott außer mir (…), Dein Herr und Gott ist ein einziger Gott; (…) außer ihm gibt es keinen anderen Gott“; oder: „Der Herr Dein Gott ist der einzige Gott, im Himmel oben und auf der Erde unten, und außer ihm selbst gibt es keinen anderen…“; oder: „Höre Israel, der Herr dein Gott ist einer. (…) Wer ist dir ähnlich unter den Göttern, oh Herr, wer ist dir ähnlich?“. Ganz ähnliche Formulierungen finden sich auch in syrischen Heiligenakten des 4. Jahrhunderts.

Eine solche Anknüpfung der arabischen an griechisch-lateinische Traditionen scheint für die arabische Inschrift auf der Rückseite mit dem Mohammed-Motto nicht gegeben zu sein. Es findet sich jedenfalls, anders als für das monotheistische Bekenntnis, für die Mohammed-Formel keine lateinische Entsprechung auf Münzen oder in anderen Inschriften. Sie entstammt daher wohl einem anderen Kulturkreis als dem der westsyrischen Christenheit. In der Tat liefert die Persis den ersten datierbaren Beleg für die prophetologische Formel „(muhamad/un) – Gepriesen sei (oder: ersehnt ist) der Gesandte Gottes“. Sie findet sich auf einer arabo-sassanidischen Münze des Jahres 685/6 aus Bishapur. Auch auf einer arabo-sassanidischen Münze, die 689/90 in Kirman geprägt wurde, liest man die Mohammed-Formel am Rande des Avers der Münze, in deren Mitte die entsprechende persische Formel zu lesen ist: „MHMT PTGAMI Y DAT“ (Gepriesen sei das Wort von Gott). Etwa zwei Jahre später taucht sie dann im Felsendom auf, wo es heißt: „Gepriesen sei (Jesus, Sohn der Maria, von dem es zuvor heißt, er sei Gottes Gesandter und sein Wort) der Knecht Gottes und sein Gesandter.“

Diese von Volker Popp und Christoph Luxenberg vorgeschlagene Lesart scheint uns die einzig plausible zu sein. Denn es ist an dieser Stelle im Felsendom weder im vorhergehenden, noch im nachfolgenden Text von einer anderen Person als von Jesus, Sohn der Maria, die Rede. Auch richtet sich die Inschrift ausdrücklich an das „Volk des Buches“, gemeint sind offensichtlich Christen, die nicht „drei“ sagen, also nicht dem byzantinischen Trinitätsglauben folgen, sondern von Jesus nur das Richtige denken sollten, dass er nämlich Wort und Geist von Gott sei, das er in Maria hinein gegeben habe, aber nicht Gottes Sohn, sondern sein Gesandter. Gleichwohl wurde Popps und Luxenbergs Interpretation von Arabisten und Religionswissenschaftlern immer wieder verworfen, zuletzt von F. E. Dobberahn.

Dazu bemüht Dobberahn ebenso wie seine Vorgänger die arabische Grammatik und die angesehensten Kenner der grammatikalischen Regeln wie Brockelmann, Fischer, Rechendorf oder Wright. Danach habe Luxenberg es versäumt, „den Bruch der syntaktischen Grundregel des Arabischen, dass im Nominalsatz ,A ist B’ das prädikative Adjektiv / Prädikatsnomen (das im Lateinischen syntaktisch auch ein Gerundivum sein kann) im status indeterminatus des Nominativs nachsteht“. Nur dann, wenn „,muhammadun’ am Ende des Nominalsatzes“ stünde, „wäre es als Satzglied ein indeterminiertes Prädikatsnomen und kein Eigenname; man wäre dann gezwungen zu übersetzen: ,Der Knecht Gottes und sein Gesandter (ist) ein Gepriesener/gepriesen.“ Nur im „artifiziellen ,Übersetzungsarabischen’ des NTs“ und „mit der christlich-arabischen Liturgie im Ohr“ könne muhammadun vorangestellt werden. „Auf ein Übersetzungsarabisch deutet in der Felsendom-Inschrift allerdings nichts hin“.

Wenn aber für Herrn Dobberahn schon nichts auf ein Übersetzungsarabisch hindeutet, obwohl Christoph Luxenberg ja reichlich Material für die Annahme aramäischer Texte als Vorlagen des Korans geliefert hat, so hätte ihn ein Blick auf das seit langem vorliegende und von gänzlich unverdächtigen Numismatikern aufgearbeitete Münzmaterial lehren können, dass die von Luxenberg angenommene Voranstellung des muhammad(un) keine völlig aus der Luft gegriffene oder einem Bemühen um die „Verchristlichung“ des frühen Islam geschuldete „unarabische“ (weil gegen eine Grundregel verstoßende) Lesart darstellt. Denn eben diese Voranstellung findet sich auch auf omaiyadischen Münzen, und zwar als Prädikatsnomen zu Allah. Hier kann es also auf gar keinen Fall ein Eigenname sein. John Walker listet zwei omaiyadische Kupfermünzen mit dem Prägeort Sarmin (Khuzistan) auf, welche die Inschrift „mhmd allah“ tragen:

Belege für diesen Typus auf der Rückseite von Kupfermünzen finden sich auch im Westen des arabischen Reiches, allerdings hier mit dem Prädikatsnomen „achmad“.

Die Inschriften der Münzen aus Spanien und aus al-Andalus stehen also in zwei voneinander abgegrenzten, aber doch gemeinsam vertretenen theologischen Traditionen, einer westsyrisch-mittelmeerischen-monotheistischen Tradition und daneben einer iranischen christologisch-prophetologischen. Da letztere im Westen unbekannt war, verkündete man sie nur in arabischer Sprache, während man für die monotheistische Position ja auch im Westen über reichlich Anknüpfungspunkte verfügte. Auch deshalb und vielleicht nicht nur, um sich das Erbe ihrer Vorfahren zu sichern, konnten sich westgotische Territorialherren ohne Bedenken mit den Sarazenen verbünden. Wenn sie König Rudericus als Usurpator bekämpften und/oder vielleicht auch noch dem alten arianischen Glauben verhaftet geblieben waren, wonach Jesus nicht im gleichen Sinne als göttlich zu gelten hatte wie sein Vater, mussten sie jedenfalls keine ideologisch bedingten Berührungsängste gegenüber den Sarazenen hegen. Strenge Monotheisten waren sie ja auch selbst.

Das Nebeneinander der beiden staatsreligiösen Erklärungen, des monotheistischen lateinischen Bekenntnisses und der arabischen Mohammed-Formel, ist im frühen Islam nichts Verwunderliches. Er zeichnete sich geradezu durch ein gelebtes, einträchtiges Nebeneinander aus, das dem römischen „concordia“-Prinzip verwandt zu sein scheint. Als Beispiele aus omaiyadischer Zeit seien erwähnt etwa die arabo-sassanidischen Münzen, die neben einem Bild des vorislamischen Perserkönigs Khosrau II das Heterogramm „MHMD“ führen, vor allem aber die frühen Bauwerke. Der Felsendom zu Jerusalem, zu dessen Inschrift im Oktogon bereits oben einige Hinweise gegeben wurden, und der als erstes islamisches Heiligtum verehrt wird, orientiert sich architektonisch an der Anastasis-Rotunde der Jerusalemer Grabeskirche sowie an San Vitale in Ravenna. Im Inneren greift die Verteilung der Pfeiler und Säulen das Muster der iranischen Feuertempel auf. Die Innendekoration durch Mosaike zeigt in erster Linie byzantinisch-hellenistische und in zweiter Linie auch persische Motive. Ein noch bunteres Nebeneinander verschiedener kultureller und auch religiöser Traditionen zeigen die omaiyadischen Wüstenpaläste aus der 1. Hälfte des 8. Jahrhunderts. In Qusayr Amra etwa sind Fresken und Skulpturen ganz in der hellenistischen Tradition zu bewundern. Sie zeigen Weinreben, Weintrinker, Tänzer, Jagdszenen, nackte Frauen im Bad oder Musikanten mit persischen Instrumenten, im Hauptsaal überdies eine Herrschergestalt, die als „Christus pantokrator“ zu deuten ist. Diese Tradition des Nebeneinander hört nach den Omaiyaden nicht gleich auf. Noch Ende des 8., Anfang des 9. Jahrhunderts sind in der von den Abbasiden erbauten Residenzstadt Samarra neben einem heute als spiralförmigen Minarett missverstandenen, auf die babylonischen Sterndeuter verweisenden Zikkurat ebenfalls Bilder von Tänzern, Trinkern, oder auch von spärlich bekleideten Frauen hellenistischer Machart zu bewundern, die allerdings nun eine deutlich iranische Prägung aufweisen. Das ist insofern nicht erstaunlich, als Khalif Amîn dafür berühmt war, in seinem Palast Darstellungen von allen Zeugnissen der glanzvollen vorislamischen, sassanidischen Epoche zu zeigen.

Für ein derart buntes Nebeneinander haben wir in al-Andalus zwar keine Belege, aber das unverbundene Nebeneinander einer streng monotheistischen Gottesdeutung und eines „Muhammedanismus“, der irgendwann seinen Ursprung in der Jesus-Verehrung vergisst und sich zur Verehrung eines Propheten Mohammed wandelt, ist ein die Kultur von al-Andalus noch lange prägendes Thema. Die Mohammed-Formel selbst taucht in al-Andalus, abgesehen von den Münzen, erst in einer Inschrift vom Ende des 9. Jahrhunderts auf. Bei Ibn Masarra wird ein Prophet Mohammed, jedenfalls in den bisher bekannten Texten, gar nicht erwähnt. Als neuplonisch-neupythagoreischer Gnostiker konnte Ibn Masarra ihn auch gar nicht als Siegel der Propheten im Sinne der Traditionsliteratur gesehen haben, also als den letzten Träger einer definitiven Offenbarung. Ihm und seinen Schülern wurde denn auch nachgesagt, sie hätten den Koran nicht für ewig, sondern für einen Text gehalten, der offen war für immer neue Interpretationen. Jede Epoche, jede Generation sollte so ihre je eigene Korandeutung entwickeln unter Anleitung eines geistlichen Führers oder Propheten. Darin war der Masarrismus den Mutaziliten verwandt, die damals in al-Andalus ebenfalls über viele Anhänger verfügten.

Dass Gott immer wieder neue Propheten schickt, ist im Übrigen ebenso aus dem Alten Testament bekannt wie aus dem iranischen Mazdaismus. Im Neuen Testament tröstet Jesus seine Jünger mit dem Versprechen, dass ihnen der Paraklet geschickt werde, der ihnen alles erklären werde, was er ihnen noch nicht habe erklären können. Auch für die Schia hat seit frühester Zeit die Überzeugung gegolten, dass Gott die Menschheit nach dem Tod Mohammeds nicht ohne Führung lassen könne. Das galt umso mehr, je mehr man unter dem Einfluss der griechischen Philosophie die absolute Transzendenz Gottes betonte, der seinen Willen den Menschen nur vermittelt durch verschiedene Personen. Dass es nach einem Propheten Mohammed keinen weiteren sollte geben können, war aus dieser Perspektive völlig undenkbar.

Jeweils unterschiedlich akzentuierte Mischgebilde von masarritisch-mutazilitisch-kharidjitisch-asketisch-schiitischen, also von nicht-sunnitischen Strömungen sind mindestens bis weit in das 11. Jahrhundert hinein weit verbreitet. Die ersten Fatimiden, welche die auf das malikitisch-sunnitische Rechtssystem fixierten Omaiydenherrscher nicht nur politisch, sondern auch religiös als Vertreter eines gnostischen Imamismus und Mahdismus herausfordern, sind vereinzelt seit der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts, vermehrt dann gegen Ende des 9. Jahrhunderts belegt. Sie wurden u. a. beschuldigt, Mohammed die Gabe der Prophetie überhaupt abgesprochen zu haben. Bis zu ihrem Untergang durch Saladin im 12. Jahrhundert bilden sie ein Kalifat in Kairo, das bisweilen mächtiger zu sein scheint als das in Bagdad. Auch in al-Andalus tauchen sie immer wieder auf und scheinen eine ständige Versuchung gewesen zu sein, vor allem, wie es scheint, für Berber. Nahe mit ihnen verwandt waren die ebenfalls gnostisch-schiitischen Ismaeliten. Die berühmte Enzyklopädie in Briefform der ismaelitischen „Brüder der Reinheit“ war in al-Andalus so bekannt, dass in Gedichten auf sie angespielt wurde. Ein derart breite Tradition konnte den Bestrebungen der Sunniten, den Glauben an einen Propheten Mohammed als letzten Propheten, also als definitiven Ausdruck von Gottes Willen zur einzig rechtgläubige Lehre durchzusetzen, daher noch eine ganze Weile trotzen. So erklärt etwa der letzte Ziri-König von Granada, ?Abd Allah, als er nach seiner Ablösung durch die streng sunnitischen Almoraviden 1090 im marokkanischen Exil seine Regierungszeit in einer größeren Schrift rechtfertigte, er wisse, dass die Sunniten davon ausgingen, dass Mohammed der letzte Prophet gewesen sei, aber es habe doch auch nach Moses noch weitere Propheten gegeben, und das müsse ja auch so sein, denn keine Nation könne ohne einen Gesandten Gottes sein. Jeder werde ein Apostel geschickt. Damit entsprach er einem breiten Konsens nicht-sunnitischer Auffassungen vom Prophetentum.

Die Almoraviden konnten im Übrigen ihre streng sunnitische Position nicht für lange Zeit in Nordafrika und al-Andalus durchsetzen. 1148 wurden sie in al-Andalus durch die Almohaden besiegt, die gegen die sunnitische Fixierung auf die überlieferten Regeln des malikitischen Rechts allein die Bedeutung des Glaubens an den einen und einzigen Gott ganz in den Vordergrund stellten. Sie knüpften also wieder an die schon vorislamisch weit verbreitete Tradition eines strengen Monotheismus an. Damit konnten auch Christen etwas anfangen. Der Metropolit von Toledo, Rodrigo Jiménez de Rada, ließ die Schriften des als „mahdi“ auftretenden Begründers dieser „Eingottgläubigen“-Bewegung, Ibn Tûmart, ins Lateinische übersetzen. Der übersetzende Domherr, Petrus von Toledo, zeigte sich überaus beeindruckt von der rational und in keiner Weise islamisch-traditionalistisch geprägten Darlegung der Einheit Gottes bei Ibn Tûmart. Ibn Tûmart lehnte, gegen den traditionellen Islam gewandt, in Übereinstimmung mit den Mutaziliten die Anthropomorphisierung der Attribute Gottes entschieden ab.

Dieses Selbstverständnis eines Islams als streng monotheistische Religion, die neben der immer stärker sunnitisch geprägten Verehrung eines letzten Propheten offenbar noch im 12. Jahrhundert überaus lebendig ist, bezeugt, dass die Islamisierung von al-Andalus nicht einem einheitlichen, die Prophetenrolle Mohammeds in den Vordergrund stellenden Konzept folgte, sondern in unterschiedlicher Weise Akzente setzen konnte. Dass die unterschiedliche Akzentsetzung auch Konsequenzen für das Zusammenleben der Menschen unterschiedlicher religiöser Orientierung gehabt hat, belegen die kurz angesprochenen Beispiele. Auch aus diesem Grund sind solche Differenzierungen des Phänomens „Islam“ gegenüber der gängigen Rede von „dem“ Islam, der üblicherweise, aber unkorrekterweise mit einem als unveränderlich gedachten sunnitischen Islam gleichgesetzt wird, nicht trivial, sondern notwendig.

http://inarah.de/bereits-veroeffentlichte-artikel/was-heisst-muslimisches-spanien/

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