Warum Thailands Süden unruhig bleibt Falsche Politik oder Culture Clash zwischen Buddhisten und Muslimen?

Warum Thailands Süden unruhig bleibt Falsche Politik oder Culture Clash zwischen Buddhisten und Muslimen?

Autor: Dr. Wolfgang Sachsenröder

Der Vielvölkerstaat Thailand
Das Urlaubsparadies Thailand ist einer der vielen südostasiatischen Vielvölkerstaaten, in denen die phänotypischen ethnischen Unterschiede weniger differenzierend wirken als Sprache, Brauchtum und Religion. Für die meisten Touristen sieht die Bevölkerung weitgehend homogen aus, manchmal etwas augenfälliger ist die starke chinesische Minderheit, die aber hervorragend assimiliert ist. Nur rund 40 Prozent der 68 Millionen Thais beherrschen in ausreichendem Maße die Hochsprache , fühlen sich als die echten Thais und schauen mit Vorurteilen auf die „Mehrheit der Minderheiten“ herab, wie die Laoten im Nordosten oder die Malaien im tiefen Süden, die als weniger fleißig oder intelligent gelten und deutlich geringere Chancen im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt haben.

Die Bindestrich-Thais im tiefen Süden und die historischen Altlasten
Die meisten Integrationsprobleme im ethnischen Gemenge Thailands sind relativ niederschwellig, auf jeden Fall im Vergleich mit den seit Jahrzehnten schwelenden bürgerkriegsartigen Zuständen im unruhigen Süden. Diese waren allerdings nicht schon immer da. Akut und blutig zu werden begannen sie erst in den späten 1930er Jahren und noch intensiver ab etwa 1960. Die Tatsache, daß die Provinzen an der Grenze zu Malaysia, Narathiwat, Yala und Pattani, eine ganz überwiegend malaiische und muslimische Bevölkerung haben, insgesamt etwa 1,8 Millionen Menschen, kann also nicht die alleinige Ursache gewesen sein. Der heutige Norden Malaysias gehörte historisch ebenfalls zu Siam. Er wurde von Großbritannien mit dem größten Teil des heutigen Malaysia 1867 zu einer Kronkolonie gemacht. Der heutige Bundesstaat Kelantan und das Sultanat Pattani waren bis dahin ein Zentrum des malaiischen Islam, der seit dem 7. Jahrhundert durch arabische Händler in Südostasien verbreitet und seit dem 15. Jahrhundert fest etabliert war.

Kelantan war ein Zentrum islamischer Gelehrsamkeit für ganz Südostasien mit dem Ehrentitel „Die Veranda von Mekka“. 1785 erobert, stand das Sultanat Pattani einschließlich Kelantan unter Siams Suzeränität, geriet aber im 19. Jahrhundert zunehmend unter britische Kontrolle. Wie fast überall in der Region waren bis dahin die Grenzen nicht nur sehr durchlässig, sondern auch veränderlich. Der Britisch-Siamesische Vertrag von 1909 zog dann eine endgültige Grenzlinie zu Malaysia, die heute zwischen den beiden Ländern bis auf kleinere Demarkationsfragen politisch nicht in Frage gestellt wird. Er übertrug die Provinzen Kelantan, Terengganu, Kedah und Perlis an die Briten, die auch deren Schulden gegenüber Siam übernahmen. Von Bangkok aus muss der damalige Verzicht auf den weit entfernten „Wurmfortsatz“ im tiefen Süden, heute über 800 Flugkilometer und über 1100 Autokilometer bis zur malaysischen Grenze entfernt, als relativ schmerzlos empfunden worden sein, denn wirtschaftlich bedeutend waren diese malaiischen Gebiete damals nicht.

Was 1909 als ein vernünftiger Kompromiss verstanden werden konnte, hatte allerdings ausgeblendet, daß die historischen und religiösen Unterschiede die abgetretenen Gebiete stärker mit den in Siam verbleibenden Malaiisch sprechenden Provinzen verbanden als letztere mit Siam. Ethnisch sowie religiös ragt Thailand rund 300 Kilometer tief in den Malaiisch-Malaysischen Kulturraum hinein. Wie auf der malaysischen Seite in Kedah und Kelantan sprechen die Menschen in den drei unruhigen Thai-Provinzen einen vom Hochmaliischen (Bahasa Malaysia) deutlich abweichenden Dialekt und benutzen zudem ein spezielles arabisches Alphabet, das Jawi. Auf diesem sprachlichen und religiösen Hintergrund sowie einer folkloristischen Idealisierung des historischen Sultanats Pattani wird ein malaiisch-islamisches Identitätsgefühl der Menschen im Süden Thailands verständlich. Eher noch verstärkt wurde das Zusammengehörigkeitsgefühl dadurch, daß die japanischen Besatzer Thailand Ende 1941 in ein Militärbündnis mit den Axenmächten eingebunden und ihm Kedah, Perlis, Kelantan und Terengganu zurückgegeben hatten, die von 1943 bis Kriegsende auch von Thailand verwaltet wurden.

Die schiefe Bahn zum Terrorismus
Wie in vielen sprachlich-kulturellen Grenzregionen Europas hat das Zusammenleben der verschiedenen Gruppen oft über längere Zeit kaum Probleme bereitet, bis entweder durch politische Fehler der Zentralregierung die Minderheiten sich benachteiligt fühlten und Widerstand leisteten, oder aber ideologische Nationalisten von der anderen Seite zu separatistischen Aktivitäten aufstachelten. Wie in Nordirland die konfessionellen Spannungen zu Gewalt führten, verschärften sich in den letzten Jahrzehnten die Gegensätze zwischen Buddhisten und Muslimen im Süden Thailands.

Für das Sultanat Pattani war Bangkok weit und die Selbstverwaltung und Justiz nach islamischen Regeln Gewohnheitsrecht. Erst in den 1930er Jahren versuchte die Zentralregierung unter General Phibun, Premierminister von 1936 bis 44 und 1948 bis 57, möglicherweise von der damals üblichen Rassenbiologie in Europa und den USA beeinflusst, die südlichen Grenzprovinzen zu „thaiisieren“. In einer Serie von zwölf Erlassen zwischen 1939 und 1942 versuchte die Regierung, eine allgemein verpflichtende „Thai-Kultur“ auch für die Minderheiten durchzusetzen. Thai wurde als alleinige Unterrichtssprache an allen Schulen eingeführt, Ausnahmen vom allgemeinen Recht wie muslimisches Familienrecht wurden abgeschafft, und die traditionelle Kleidung der Minderheiten verboten.

Vor allem die sprachliche „Thaiisierung“ und die Ablösung der islamischen Gerichtsbarkeit durch zentral gesteuerte Zivil- und Strafgerichte sowie das Eindringen buddhistischer Elemente wie die Errichtung von Pagoden und Klöstern wurden von der Bevölkerung nicht akzeptiert. 1948 stellte einer der religiösen Führer Pattanis, Haji Sulong, einen Katalog mit sieben Forderungen auf, die aus heutiger Sicht alles andere als überzogen klingen. Die vier südlichen Provinzen sollten durch einen muslimischen Gouverneur verwaltet werden, die ersten sieben Schuljahre auf Malaiisch unterrichtet werden, die Steuern der Region auch in der Region ausgegeben, und Thai und Malaiisch als gleichberechtigte Amtssprachen benutzt werden. Haji Sulong wurde prompt zum Staatsfeind erklärt und verschwand 1955 auf mysteriöse Weise auf dem Weg zu einer Gerichtsverhandlung.


Von Beginn der Widerstands- und Separatistenbewegung an gab es auch religiöse und politische Differenzen zwischen den verschiedenen Gruppierungen. Schon Haji Sulongs Reform-Islam in Anlehnung an die Schule des Ägypters Mohammad Abduh stieß auf Ablehnung durch muslimische Traditionalisten. Einige malaiische Gruppierungen sind bis heute gegen den bewaffneten Widerstand und setzen mehr auf Ausgleich mit Bangkok, aber die radikalen Kräfte überwiegen. Die Beobachtergruppe Deep South Watch, gegründet 2006, versucht den oft als tendenziös empfundenen staatlichen Medienberichten eine objektivere Bestandsaufnahme der Unruhen entgegenzusetzen. Für den Zeitraum 2004 bis 2018 werden 20.163 Zwischenfälle aufgelistet, 6.921 Tote und 13.511 Verletzte. Bombenanschläge und eher aus kriminellen Milieus bekannte Überfallmethoden mit Schusswaffen von fahrenden Motorrädern aus sind Routine geworden. Die Methoden entwickeln sich ständig weiter, etwa daß eine zweite Bombe erst explodiert, wenn die Rettungskräfte am Anschlagsort eintreffen. Bewaffnung und Methoden zeigen zunehmend jihadistischen Einfluss sowie personelle Kontakte zu den bekannten Brennpunkten im Nahen und Mittleren Osten sowie Südasien.

Wirtschaftliche Faktoren als Motivation für Separatismus


Im Vergleich zu den Buddhisten, auch und gerade im Süden, sind die Muslime im Bildungsbereich und bei den Berufschancen deutlich im Nachteil. Siebzig Prozent haben nur einen Volksschulabschluss gegenüber 50% der Buddhisten, nur 1,7% haben einen ersten Hochschulabschluss gegenüber knapp 10% der Buddhisten, und nur 2,4% haben eine Anstellung im Öffentlichen Dienst gefunden. In verschiedenen Wellen hat die Zentralregierung versucht, die Infrastruktur in den ländlichen Südprovinzen zu verbessern, die dominierende Antwort in Bangkok im Kampf gegen die „Aufständischen“ waren allerdings militärische und polizeiliche Maßnahmen, in besonders kontraproduktiver Weise während der Amtszeit von Premierminister Thaksin Shinawatra 2001 bis 2006.


Ein Blick über die Grenze zu den malaysischen Nachbarn kann leicht Neid erwecken, weil Malaysia insgesamt, aber auch in den nördlichen Bundesstaaten, deutlich weiterentwickelt ist und höhere Einkommen bietet. Die Versuche der Regierungen in Bangkok, durch Infrastrukturmaßnahmen die Entwicklungsunterschiede zu Malaysia auszugleichen, wurden nur allzu oft durch die Kontrollmaßnahmen von Militär und Polizei zunichte gemacht und konnten die Bevölkerung insgesamt nicht überzeugen.
 
Thailand und der Islam oder der Islam in Thailand

Historisch lebten Muslime aus Indien und dem heutigen Pakistan, Cham aus dem heutigen Kambodscha oder persische und arabische Händler seit Jahrhunderten in Thailand, ohne weiteres toleriert, aber nicht völlig integriert. Nach offiziellen Angaben leben heute rund 7,5 Millionen Muslime in Thailand, knapp 5% der Gesamtbevölkerung, davon 18% im unruhigen Süden. Dort gibt es 2,180 Moscheen, deren Bau oft vom Staat finanziell gefördert wird, aber auch in Bangkok werden 173 Moscheen gezählt. Seit dem frühen 17. Jahrhundert gibt es einen königlichen Berater für islamische Angelegenheiten, genannt Chularatchamontri oder Großmufti. Heute wichtiger ist der Central Islamic Council of Thailand (CICOT) mit entsprechenden Institutionen in den Provinzen mit muslimischer Mehrheit, die auch für die finanzielle Unterstützung von Moscheen und islamischen Schulen zuständig sind. Für Familien- und Erbrecht ist auch wieder eine begrenzte Paralleljustiz erlaubt, ähnlich wie in Malaysia und Singapur.

Die von der Militärregierung 2017 eingeführte neue Verfassung garantiert Religionsfreiheit, allerdings nur für Buddhisten, Muslime, Hindus, Sikhs und Christen, und verbietet jede religiös motivierte Diskriminierung. Der International „Religious Freedom Report 2017“ des US Außenministeriums lobt die Versuche der thailändischen Regierung, die Verständigung mit den Muslimen im Süden zu fördern, und kritisiert gleichzeitig nationalistische buddhistische Mönche, die zu Gewalt gegen Muslime aufrufen, um gegen deren Integration und staatliche Unterstützung zu protestieren. Vorbehalte gegen eine Verständigung gibt es auf beiden Seiten. Im Juni 2017 wurde ein islamischer Religionslehrer mitsamt seiner Familie ermordet als er vermitteln wollte. Polizei und Armee neigen immer wieder zu Überreaktionen unter Berufung auf ein Notstandsdekret von 2005 und standrechtliche Ausnahmeregeln von 2004, von der Bevölkerung meistens als Willkür empfunden.

Wie wahrscheinlich ist eine Lösung der Konflikte?     Ob unter den 1,8 Millionen Malaien in Südthailand jemals ein ausreichendes Vertrauen in die Zentralregierung aufgebaut werden kann bleibt besonders dadurch fraglich, daß die terroristischen Gruppierungen in den letzten Jahren zunehmend durch Salafisten und Jihadisten verstärkt worden sind und Südostasien insgesamt als sicheres Rückzugsgebiet für Kämpfer aus dem Mittleren Osten gilt.

Für das Militär ist die Unverletzlichkeit des Staatsgebiets absolutes Dogma und eigentlicher Daseinszweck. Insofern ist eine Verschiebung der Grenze zugunsten Malaysias undenkbar. Auch das EU-Modell der offenen Grenzen kann man sich bisher weder in Thailand noch in Malaysia vorstellen. Das Problem bleibt also im Kern bestehen und wird sich in absehbarer Zeit auch nicht radikal lösen lassen.
                                                        
Singapur,  Dezember 2019

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