Deutsche Philosophie- von Habermas zu Sloterdijk zu David Precht

Deutsche Philosophie- von Habermas zu Sloterdijk zu David Precht

Zur deutschen Philosophie oder was als solche noch wahrgenommen wird, hier 2 Kurzartikel. Einer über Sloterdijk, der nach Habermas medienwirksam immer wieder Diskussionen anregte, wobei die akademische Philososophie hierin nichts Seriöses sah, der SPIEGEL gar von der „Krise der Philosophie“sprach. Während Habermas aber noch über ein internationales Auditorium verfügte, blieb Sloterdjik mehr eine provinzielle Philosophengestalt, die nie über deutsche Grenzen hinauswirkte. Der zweite: Ein Kurzkommentar zu David Precht, der Sloterdijk in der deutschen Wahrnehmung abgelöst hat, wobei auch er nicht über deutsche Grenzen hinaus wirkt.

Sloterdijk fordert den totalen Betrug der Massen

Veröffentlicht am 20. Juli 2009 von genova68

Wie sehr Teile der populären Philosophie in Deutschland auf den Hund gekommen sind, zeigt Peter Sloterdijk in der jüngsten Ausgabe des Intelligenzblattes Cicero. Sloterdijk schreibt dort, dass sich der moderne Staat zu einem „geldsaugenden Ungeheuer“ entwickelt habe. Dann kommt eine Menge ökonomischer Blödsinn, dem ich jetzt nicht nachgehe, zu anstrengend. Jedenfalls versucht Sloterdijk mal wieder originell zu sein und schafft es mal wieder nicht. Dann die Kernthese:

„Tatsächlich besteht derzeit gut die Hälfte jeder Population moderner Nationen aus Beziehern von Null-Einkommen oder niederen Einkünften, die von Abgaben befreit sind und deren Subsistenz weitgehend von den Leistungen der steueraktiven Hälfte abhängt. Sollten sich Wahrnehmungen dieser Art verbreiten und radikalisieren, könnte es im Lauf des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu Desolidarisierungen großen Stils kommen. Sie wären die Folge davon, dass die nur allzu plausible liberale These von der Ausbeutung der Produktiven durch die Unproduktiven der längst viel weniger plausiblen linken These von der Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital den Rang abläuft. Das zöge postdemokratische Konsequenzen nach sich, deren Ausmalung man sich zur Stunde lieber erspart.“

Die „Hälfte jeder Population“ ist also unproduktiv. Streng betriebswirtschaftlich gedacht, stimmt das wahrscheinlich.

Beispiel VW: Alleine zwischen 2004 und 2008 wurde dort die Produktivität dermaßen gesteigert, dass die Herstellung eines VW Golf nur noch 35 statt 44 Arbeitsstunden benötigte. Das sind rund 20 Prozent. Jeder fünfte Arbeiter wurde hier also in gerade mal vier Jahren überflüssig. Betrachtet man einen Zeitraum von 20 oder 30 Jahren, ist es sicherlich mindestens jeder zweite, der nicht mehr gebraucht wird. Diese Menschen sind nun also unproduktiv.

Sloterdijk kommt nun aber nicht auf die Idee, dass dies ein grundsätzliches Problem eines in bestimmter Perspektive extrem produktiven Wirtschaftssystems ist, das soziale Gegenmaßnahmen erforderte und eine grundsätzlich andere Bewertung von Arbeit in einer Welt, in der Effizienz der moderne Gott ist. Nein, er behauptet allen Ernstes, dass jetzt die Unproduktiven die Produktiven „ausbeuten“. Die „Unproduktiven“ sind nicht nur selbst Schuld an ihrem Zustand der Arbeitslosigkeit, sondern sie schaden auch noch denen, die noch Arbeit haben.

Man könnte lachen, wenn das Zitate eines verrückten Sonderlings aus vergangenen Zeiten wären, so wie man heute über mittelalterliche Gottesbeweise lacht. Doch der Mann lebt hier und jetzt.

Die „Hälfte der Population“ klingt auch irgendwie nach Ameisen, wobei es da wahrscheinlich noch sozialer zugeht als in Sloterdijks wirrem Kopf. Sein Denken hat etwas Biologistisches, etwas (auch wenn das hier schon oft gesagt wurde) Sozialdarwinistisches. Aber das war ja schon in seinen „Regeln für den Menschenpark“ angelegt.

Es ist erschreckend, dass Sloterdijk als wichtiger Philosoph gilt. Wahrscheinlich bei niemandem, der noch halbwegs was in der Birne hat, aber zumindest bei den Knallköppen von Cicero und Co. Und Sloterdijk ist immerhin einer der bekanntesten, ähm, Intellektuellen. Aufmerksamkeitsökonomisch immerhin ist alles palletti, er beherrscht sein Geschäft. (Nebenbei: Er verwendet auch in diesem Artikel den Begriff „thymotisch“, den er selbst erfunden hat und der in keinem Duden steht. Man könnte das Wichtigtuerei nennen.)

Offenbar veranlasst die objektive Krise des kapitalistischen Systems einige ihrer Protagonisten nicht zum Umdenken oder wenigsten zum So-tun-als-ob, sondern zum radikalisierten Ausleben einer völlig ins Irrationale abgegleiteten Vernunft. Die Dialektik der Aufklärung lässt grüßen. Deren „Verstrickung in blinde Herrschaft“ macht sie selbst blind für alles, was ihrem einzigen Ziel entgegensteht: der Naturbeherrschung, oder hier: der zweckrationalen Gerechtigkeit gegenüber den Produktiven. Betriebswirtschaft als neuer Gott der Philosophie. In dieser Radikalität hat das eine neue Qualität.

Und daneben darf kein anderer Gott existieren. Was Sloterdijk als Medikation vorschlägt, zeigt die Richtung. Er fordert die

„Abschaffung der Zwangssteuern und deren Umwandlung in Geschenke an die Allgemeinheit.“

Die armen, ausgebeuteten Produktiven zahlen also keine Steuern mehr und überlegen sich selbst, ob und wieviel sie geben, sozusagen mildtätig an die Unproduktiven spenden. Triebfeder des Gebens müsse „Stolz“ sein. Wenn die Produktiven beim Spenden keinen Stolz verspüren, bedeutet das verrecken. Damit wandelt sich die Aufklärung in einer spezifischen Konsequenz „zum totalen Betrug der Massen um“, wie Adorno und Horkheimer das schon 1943 schrieben. Die aufgeklärte Welt braucht für die Herstellung eines VW Golf leider nur noch ein paar wenige Menschen, der Rest muss weg. An die Binsenweisheit, nach der Autos keine Autos kaufen, verschwendet  Sloterdijk gleich gar keinen Gedanken, ihm geht es um das philosophische große Ganze.

Die „postdemokratischen Konsequenzen“, die sich Sloterdijk angeblich nicht ausmalen möchte, könnten wirklich kommen. Ich male mir ganz konkret aus, dass dann wenigstens solche Philosophen den Rat des Komikers befolgen müssen, dessen Name mir gerade entfallen ist: Fresse halten.

Von Sloterdijk zu David Precht- von Sozialdarwinismus zu bedingungslosem Grundeinkommen

Der Medienphilosoph Sloterdjik ist inzwischen im aufmerksamkeitsökonomischem Orkus versunken.
Keiner spricht mehr über ihn. Nachfolger ist der Andre Rieu der Philosophie, David Precht, der das angestaubte Bild des altersweisen Elfenbeinphilosophen,der vor allem im Dialog mit sich selbst ist und seine Diskurse seiner selbst wegen führt durch Jugendlichkeit, Eloquenz, massenverständlicher Sprache, Womenizing modernisiert hat. Precht gilt als einsamer Aufsteiger, denn zuerst lebte er nach seinem Philosophiestudium ein brotloses Leben, wie dies allen Geisteswissenschaftlern als Schicksal und Zukunft vorausgesagt wird, doch durch einen Auftritt in der Talkshow bei Elke Heidenreich erlebte er und sein Buch „Wer bin ich und wenn wieviele?“ einen kometenhaften Auftstieg, der ihn vom vom ungehörten Hartz empfangenden Geisteswissenschaftler zum Multimediaphilosophen der Republik und MIllionär katapultierte.

Auch spricht er wichtige Zukunftsthemen an,vertritt anders als der mehr sozialdarwinistisch-biologistische Sloterdijk linksliberale, humanistische Positionen von bedingungslosen Grundeinkommen und Klimaschutz, die eher dem Politphilosophen Habeck und seinen Grünen zur Ehre gereichen und teils auch programmatisch von der Linkspartei oder den Piraten abgekupfert sein könnten. Inwieweit das originell, innovativ und nicht trivial ist, bleibt hier die Frage.

Precht ist auch sehr futuristisch, fast ein Silicon-Valleyfan. Seine Diskussion mit Sahra Wagenknecht war interessant,als Sahra nur mit dem alten Verteilungssozialismus, Hartz 4 und Fordismus antwortete , Precht aber bei ihr und der Linken einen Mangel an Gesellschaftsvisionen und Utopien beklagte, zumal er die These vertrat,dass diese heute von der Technologie und dem Silicon Valley kämen und nicht mehr aus der Politik. Sahra hatte sich offensichtlich noch nicht mit den ganzen neuen Technologie oder wie man das nennt der Technologiefolgeabschätzungen auseinandergesetzt, wusste da nichts zu antworten, aber hätte dem Precht entgegenschleudern können, dass die gesellschaftliche Nutzung dieser Technologien wohl eine Frage der Politik sei, die eben bestimme wie man diese gestalte, aber mangels sogenannter Alternativen, Visionien, Gesellschaftsentwürfe, Utopien, die Precht über das bedingungslose Grundeinkommen und das Kunstfleisch auch nur vereinzelt oder eben als Gesamtentwurf nicht hat, blieb sie ihm eine Antwort, die über das fordistisch-keynesianistische Sozialprogramm und Abwehrmassnahmen gegen die Auswüchese des Kapitalismus hinausgeht, schuldig.

Zudem hatte man ähnliche Diskussionen schon 1968, als Rudi Dutschke angesichts der aufkommenden Computerentwicklung sich eine Planwirtschaft mit einem alles kontrollierenden Supercomputer vorstellte, während die osteuropäischen linken Dissidenten der 1968 ihm entgegenhielten, er würde da nur katastrophale Planwirtschaftsmodelle des Ostblocks futuristisch auf die Spitze treiben und vielleicht auch noch den Überwachungsstaat perfektionieren wie dies heute in China mit dem euphemistisch genannten Sozialbonussystem geschieht.

Precht stürzt sich zumindestens auf alle neuen Modethemen und alle neuen Technologien und Pawloschen Schlagbegriffe vom autonomen Fahren, KI, Algorithmen bis hin zu Kunstfleisch und hat zu all dem ohne Wissenschaftskenntnisse lauter Meinungen und Ideen. Der Rang in dieser Beziehung wird ihm nun nur noch abgelaufen durch den Homo Deus des israelischen Autors Yuval Noah Hariri, der mehr in Richtung Posthumanität ala Ray Kurzweil geht.

In den ÖR hatte Literarisches Quartett und Philosophisches Quartett wie zu erwarten späte Sendezeiten und wurde sehr homöopatisch und selten übers Jahr verteilt. Das literarische Quartett löste sich auf, ist nun wieder auferstanden ohne Reich-Ranitzki, während das Philosophische Quartett unter Sloterdijk völlig beendet wurde. Als Nachfolger in den ÖR folgte dann der Philosophieduotalk mit Precht als Fragesteller,der vor allem Politiker und nicht Philosophen befragte. Inzwischen gibt es auch dies nicht mehr. Philosophie scheint nun völlig aus den ÖR gekippt. Sloterdjik wie auch Precht philosophierten nicht nur, sondern politisierten auch.

Dennoch sind sie Marx niemals gefolgt, der meinte: „Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern“. Der Philosoph Marx gründete mit Engels auch den Bund der Kommunisten, schrieb seine Kapitalismusanalyse „Das Kapital“ und sein kommunistisches Manifest , in dem davon die Rede ist, dass Ideen nur dann wirksam sein können, wenn sie über politische Organisation auch die Massen erfassen. Dererlei ist weder bei Sloterdjik noch bei Precht zu erkennen. Zwar wollen sie den politischen Diskurs durch ihre Meinungen beeinflussen, doch beide haben nie ein Manifest oder Programm geschrieben, noch eine Kapitalismusanalyse und sich nie politisch organisiert, weder in einer Partei, noch haben sie eine eigene Partei oder eigene Organisation oder nur Initiative gegründet, womöglich auch, weil sie dererlei Absinken in die materiellen Organisationsgefilde als Aufgabe ihrer schöngeistigen Unabhängigkeit zuungunsten profaner und banaler Arbeit sehen, die vielleicht auch nicht so lukrativ ist, wie das Herausgeben von Büchern, Halten von wohldotierten Vorträgen, zumal man vielleicht auch lieber als Vorsegler des gängigen Mainstreams fährt, sei es jetzt Sloterdjik als sozialdarwinistischer Nachbeter und Vordenker der neoliberalen Globalisierung der 90er Jahre oder Precht als eben deren linksliberaler, grünangehauchter futuristisch- keynesianistischer Modernisierung.

Während Sloterdjik sich auf die öffentlich-rechtlichen Staatssender und Buchverlage verliess, hüpft Precht vor allem auf You Tube, sozialen Medien, Buchverlagen und Eventvorträgen wie ein TV-Prediger oder Motivationstrainer herum und hat sich von dem Staatsfernsehen, auf das Sloterdjik setzte und das die letzten marginalen Refugien des Bildungsauftrags wie die Privaten immer weiter auslöscht, völlig emanzipiert und unabhängig gemacht. Dennoch ist die deutsche Philosophie nun provinziell beschränkt und nicht mehr vergleichbar mit Hegel, Marx, Kant, Frankfurter Schule und Habermas oder etwa den französischen Postmodernen, auch wenn letztere mit recht obskuren Thesen auftraten und auch den neuesten Moden nachhechelten.

Dass der SPIEGEL keine Artikel mehr über die Krise der deutschen Philosophie schreibt, das ZDF nun auch das Philosophische Quartett und selbst Prechts Sendung gecancelt hat, zeigt wie wenig Bedeutung die deutsche Philosophie noch hat. Würde man noch Artikel über eine Krise der deutschen Philosophie schreiben, hielte man sie noch für existent oder relevant. Aber wenn man nicht einmal mehr über eine Krise derselben schreibt, bedeutet dies dass man sie abgeschrieben hat und nicht mehr für existent noch berichtenswert hält. Auch solche polemischen Kampfschriften wie etwa der Marxistischen Gruppe: „2000 Jahre Philosophie- Ich weiß, dass ich nichts weiß“ gibt es heute nicht mehr, da die deutsche Philosophie nicht mehr als satisfaktionsfähig angesehen wird.

Anders als Sloterdjik und David Precht, die beide Philosophie studiert haben und als Philosophen im Beruf fungierten, ist dem Vorsitzenden der Grünen Robert Habeck als Literat und Geisteswissenschaftler aufgrund der Erbärmlichkeit des Zustands deutscher Philosophie der Ruf des Philosophen oder Politphilosophen quasi zugeflogen und vorausgeeilt . Er ragt da etwas aus der Parteienlandschaft, da keiner auf die Idee käme in einem Politiker wie Söder, Laschet, Scholz, Kevin Kühnert, Spahn, Merkel ,etc. einen Philosophen oder gar Politphilosophen zu sehen, zumal sie sich selber sicherlich auch nicht so sehen wollen.Der Philosoph hat immer noch den Ruf des Abstraktem, Weltfremden, Schöngeistigen, Unpraktischen, Unrealistischen, Utopischen, während die meisten Politiker eher als Macher, Anpacker, und bestenfalls als Strategen oder pragmatische Krisenmanager und konkrete Problemlöser gesehen werden wollen, ja bestenfalls als Visionäre, obgleich Helmut Schmidt auch einschränkte, dass Politiker und Leute, die Visionen haben, besser mal einen Nervenarzt aufsuchen sollten, wobei er dies in fortgeschrittenem Alter oder Altersweisheit dann doch wieder zurücknahm. Jedenfalls ist da mehr der Realpolitiker gefragt, denn der schöngeistige Idealist, der zwar schöne Ideen hat, die dann aber im Wirklichkeitstest zu scheitern drohen oder nicht funktionieren.

Aber Habeck hält es da mehr mit Marx, dass man philosophische Ideen nur dann befördern kann, wenn man sich politisch organisiert und verbeitet, damit sie die Massen ergreift. Als Vehikel dazu sieht er eben die Grünen. Liest man den ersten Entwurf des grünen Parteiprogramms, so wird hier Habecks Handschrift deutlich erkennbar, der dies mehr wie ein politphilosophisches Manifest geschrieben hat und da anhand von Kategorien wie Mensch- Mensch, Mensch- Umwelt, Mensch-Maschine, Maschine-Umwelt, etc. sehr abstrakt und allgemein gliederte, um es dann mit Altbekanntem wie Humanismus und der Priorität und Universalität der Menschenrechte, Umweltschutz, Genderismus ala Judith Butler, Postkolonialismus , etwas Postmoderne und allgemeinen (sozialen) Gerechtigkeitsfragen irgendwie mit Leben zu füllen. Da dies scheinbar vielen Grünen dann doch etwas zu abstrakt und philosophisch anmutete, wurde es dann nochmals umgeschrieben und ist nun Parteiprogramm der Grünen. Doch anders als Precht, der medienerfahren ist, desavourierte sich Robert Habeck mittels zweier Facebook- und Twitterkommentare, die Bayern und Sachsen und deren Volksinventar den demokratischen Charakter absprachen. Jeder Machtpolitiker hätte dies übergangen, doch der feinfühlige Habeck schrie mea culpa und zog sich aus den sozialen Medien zurück, was ihm wiederum den Ruf eines digitalen Neanderthalers einrachte, zumal eben auch die Frage aufbrachte, ob wer so unbesonnen mit Gedanken und Worten ist, auch den Nimbus eines Politphilosophen, ja gar Philosophen verdient hätte . Für Habeck gilt: „Hättest du geschwiegen, wärst du Philosoph geblieben“. Si tacuisses, philosophus mansisses. Und so steht es auch um die deutsche Philosophie. Sie schweigt und hat der Welt, ja Deutschland nichts mehr mitzuteilen.

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