Investigativer Journalismus im postfaktischen Trumpzeitalter

Investigativer Journalismus im postfaktischen Trumpzeitalter

Einmal abgesehen von Medienleuten, die gerne nur Celebrityklatsch verbreiten und ein Leben im Umfeld der Reichen und Mächtigen verbringen  gibt es eine Spezie, die den journalistischen Weg einschlagen wollen, da sie meinen mittels der Medien die Welt ein Stück besser machen zu können, haben ethisch hohe Ansprüche oder wären gerne Abenteurer, Dedektive, Aufklärer, Entlarver moralisch zweifelhafter Zustände und gesellschaftlicher Mißstände. Die älteren Vertreter dieser dritten Art haben meist mal in Schülerzeitungen angefangen, Bob Woodwards und Bernsteins Watergateenthüllungen, Günther Walraffs BILD-„Enthüllungen“ oder die Pentagonpapiere Daniel Ellsbergs in der Washington Popst als Vorbild, die zuletzt wieder in dem Film „Die Verlegerin“zu Ehre kamen und dann eine Journalistenschule besucht oder in einer Alternativzeitung gearbeitet, in der Hoffnung auch so einen investigativen Coup landen zu können, der sie berühmt und vielleicht auch reich macht.. Die Marke investigativer Journalismus, die als unhinterfragbar und als die höchste Güteklasse des Journalisten angesehen wird.

Zuerst einmal sind ja viele Mißstände, die ein investigativer Journalist aufdecken möchte allseits in ihrer Existenz bekannt—auch dem letzten Ottonormal und Unterdückten oder gerade diesen, da sie sie ja zumeist selbst erfahren-von schlechten Arbeitsbedingungen, Umweltverschmutzungen, Machthierarchien, etc. Der normale Geschäftsgang des Kapitalismus oder des Gesellschaftssystems, der schon die meisten dieser kritikablen Symptome immer wieder hervorbringt und perpetuiert, das sie schon als normal erscheinen und gelten und damit auch nicht mehr berichtenswert sind, steht also gar nicht im Recherchefokus, sondern nur moralische oder  illegale Übertretungen und Grenzüberschreitungen.

Die ändern sich auch mal zeitweise. Das Subunternehmertum und die schlechten Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter sind ja jahrelang bekannt, galten als normal und wurden akzeptiert von allen Parteien und auch der Gesellschaft, noch hielt man das für berichtenswert, nun aber seit Corona und hot spots erregen sie journalistisches und politisches Interesse. Darüber zu berichten ist dann auch nicht einmal investigativ, sondern eben nur Mainstream und wird auch so schnell wieder vergessen sein, wenn der Neoliberalismus während und nach der Coronakrise wieder weitervorangetrieben wird.  Bestenfalls wird dies als Skandal gesehen, also als Betriebsunfall und weniger als System. Und alles redet von Tönnes und vielleicht auch noch von schlechten Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie, als ob es die bei anderen Branchen und Subunternehmer- oder Unternehmertum nicht gebe.

Nun sollte man nicht abstreiten, dass einzelne Berichte auch einzelne Mißstände zumindestens lindern können, aber ihre Wirkung bleibt mehr punktuell und oft geschieht nach solch investiagtiven Berichten außer einer Empörungswelle für ein paar Tgae nichts Entscheidendes und flaut die wieder ab, bis zum nächsten „Skandal“.

Investigative Journalisten sind auch eher am Einzelfall interessiert als an systemischen oder geopolitischen oder volkswirtschaftlichen Zusammenhängen. Die einzelne Regelabweichung ist Erregungsgegenstand, die am besten einen bösen und moralisch verkommenen Einzeltäter kennt, wie einen zu gierigen Chef  oder moralisch nicht integren Politiker oder plagiathaften Akademiker oder sozialschmarotzenden Florida-Rolf, der mit seinem Hartz 4 Sexurlaub in der Karibik bei subventioniertem Viagra macht.Und oft ist solch investigativer Journalismus auch einfach unseriös—sei es jetzt der STERN mit den Hitlertagebüchern oder FOCUS mit seiner Faslchgeschichte vom angeblichen Stasikiller.

Konkret: Was es an investigativem Journalismus im Privatfernsehen gibt ist nur noch das selten gesendete Team Walraff und Mario Barth. Das gilt heute als das höchste der Gefühle und an Investigativismus. Ein einsamer Ausreißer ist noch die Undercoverreportage von Pro Sieben gegen die AfD, die zum Rücktritt des Faschisten Lüths führte, nachdem ZEIT seinen Namen publik machte. Und bei den Öffentlich-Rechtlichen sieht es da mit Ausnahme von NDR und WDR auch sehr mau aus. Eher die Ausnahme als die Regel, zumal auch der Rahmen dazu, die Politmagazine zugunsten von Krimis und Unterhaltungssendungen zusammengekürzt wurden.

Früher ging Politaktivismus und Journalismus und eben auch investigativer Journalismus zusammen. Favorit der damaligen Generation in Deutschland war Günther Walraff mit seinen Industriereportagen, „Der Mann, der Hans Esser war“ gegen BILD und als Glanzleistung „Unser Faschismus nebenan“, als er sich in portugiesische Faschistenkreise einschleusste und einen geplanten Staatsstreich zwischen Genral Spinola und FJ Strauss aufdeckte und verhinderte. Das heuttge Team Walraff auf RTL  kümmert sich im wesentlichen nur noch um Arbeits- und Verbraucherschutz in einzelnen Betrieben und das Highlight ist dann, wenn investigativ aufgedeckt wird, dass der Burger bei Mc Donalds mit zu wenig Hackfleisch und zudem unhygenisch zubereitet wurde. Das ist so auf dem Niveau von Marktcheck gelandet oder Reportagen, wo der Investigivatismus darin besteht verschissene Toilettenschüsseln von Tourihochburgen genauer mit versteckter Kamera unter die Lupe zu nehmen.

Das hängt auch damit zusammen, dass infolge des Neoliberalismus viele Journalisten gekündigt oder prekarisiert wurden, die verbleibenen Journalisten sich eher sich zurückhalten und lieber konformistisch berichten, um denselben Schicksal zu entgehen. Auch wurde die Zensur verschärft. Früher waren kritische Kriegsberichte und Bilder von napalmverbrannten vietnamesischen Mädchen, sich selbstverbrennenden buddhistischen Mönchen oder vom Polizeichef Saigons live erschossenen Vietcong noch möglich, aber spätestens seit dem ersten Golfkrieg gab es nur noch Videogamebilder und beim zweiten Irakkrieg dann embedded journalists und Auslandskorrespondenten und Journalisten, die nur noch in Baghdads sihcerer Green Zone an der Ausländerbar mit Diplomaten und Militärs soffen und deren Geschichten berichteten. Für den Rest gab es Reporter ohne Grenzen, die aber auch nur unmittelbare Ereignisse, oft auch nur Kriegsverbrechen der dem Westen feindlichen Seite dokumentierten und eine hohe Mortalität aufwiesen.Weltenerklärer und Abenteurer wie einen Peter Scholl Latour, der an der Front war, aber die Ereignisse in einen geopolitischen Gesamtuzsammenhang brachte, existieren in dieser Form nicht mehr. Und so auch beim investigativen Journalismus.

Früher war investigativer Journalismus und Alternativmedien vor allem von links dominiert. Das hat sich grundlegend geändert. Dadurch, dass investigativer Journalismus immer mehr zurückgedrängt wurde und mehr den skandalträchtigen Einzelfall, weniger die systemischen Zusammenhänge betonte, wie es bei der jüngeren Generation auch kaum noch Nachwuchs gab, der geheimdienstlich oder konspirativ zu arbeiten wusste, hat sich nun eine zumeist rechte Verschwörungsszene an sogenannten „Alternativmedien“ auf allen sozialen Medien herausgebildet, die so neu und so alt und so alternativ wie die Höcke-Alternative für Deutschland ist und vorgibt lauter angebliche Querdenker und Wahrheitssucher zu vereinigen und ihre jeweils abstrustesten Verschwörungstheorien als investigativen Journalismus ausgibt, der sowohl vermeintliche Skandale, rassistische und sexistische Hetznachrichten wie auch die ganz großen Zusammenhänge des Weltgeschehens, das dann meistens immer von den Juden, Rothschilds, Soros, Bilderbergern oder einer NWO-Geheimregierung oder IM Erika-Coronadikatur -Merkel und anderen Illuminatne gelenkt wird und wurde, im Programm hat.

Im wesentlichen decken aber das investigative Genre vor allem nur noch Whistleblower ala Assange, Snowden, Manning ab, die die Informationen auf Wikileak- oder andere Plattformen stellen oder Recherchekollektiven und Infopools, zumeist aus Süddeutscher Zeitung, Guardian, NDR und WDR geben. Aber das bleibt auch eher die Ausnahme, zumal Assange einen hohen Preis dafür zahlt und es gibt kaum reale politische Enthüllungen mehr und von neuen Whistleblowern hat man auch nicht mehr viel gehört.

Falls doch sind diese wohl von politischer Seite bewusst inszeniert oder lanciert, wie zuletzt das Strachevideo bei der Ibizaaffäre, das die Süddeutsche Zeitung auch publik machte. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit dies Arbeit eines investigativen Journalisten war oder ob er nicht einfach Geheimdienstmaterial oder Material von interesierter Seite zugespielt bekommen hat, dass er dann quotenfördernd veröffentlicht und als investigative Eigenleistung darstellt. Zudem in Medienhäusern auch nur das abgedruckt oder gesendet wird, was deren Eigentümer, die selbst zur Oberschicht zählen wollen—also meist nichts, was sich gegen sie selbst als Schicht richten könnte. Nicht nur,dass investigativer Journalismus heute fast ausgestorben ist, auch seine Einzelfallorientierung und Skandalgeilheit wie auch politische Instrumentalisierung und Lenkung relativiert doch stark seinen Zweck und den Glauben an seine Wirkung.

Zudem auch im postfaktischen Zeitalter eine Skandalnudel und Tabubrecher wie Trump alle Enthüllungen gegen ihn in die Leere gehen lässt und damit auch jeglichen investigativen Journalismus. Nicht umsonst lief auch der Film „Die Verlegerin“, der wohl hoffte an die gute alte Zeit zu erinnern, wo ein Nixon noch mittels der Washington Post, den Pentagon papieren und ihren investigativen Journalisten gestürzt werden konnte. Solche Veröffentlichungen lassen Trump wie auch Trumpwähler inzwischen völlig kalt, zumal sie ja auch Twitter und ihre eigene soziale Medienblase haben und den Rest einfach als Fake News darstellen. Bisher hat ihm noch keine investigative Veröffentlichung geschadet. Und was gibt es auch zu entlarven und zu enthüllen—der Mann ist ja ein völlig offenes Buch. Times are changing and Time seems to be over!

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