Interview mit General a. D. Naumann: Biden- „Er wird aber vor allem die Nato als Kern seiner Idee einer “Alliance of Democracies“ zu nutzen suchen“

Interview mit General a. D. Naumann: Biden- „Er wird aber vor allem die Nato als Kern seiner Idee einer “Alliance of Democracies“ zu nutzen suchen“

Global Review hatte das Vergnügen mit General a. D. Klaus Naumann ein ausführliches Interview über die NATO, neue Bedrohungen, den Zustand des Bündnisses und die mögliche Zukunft des Bündnisses zu führen.

Klaus Dieter Naumann (* 25. Mai 1939 in München) ist ein deutscher General a. D. des Heeres der Bundeswehr, war von 1991 bis 1996 Generalinspekteur der Bundeswehr und hatte von 1996 bis zu seiner Pensionierung 1999 den Vorsitz des NATO-Militärausschusses. Vor allem hat General a. D. Naumann damals noch mit anderen NATO-Generälen eine sehr denkenswerte und wegweisend visonäre Schrift „Towards a Grand Strategy for an Uncertain World- Renewing Transatlantic Partnership“ verfasst, die jedoch nicht Realität wurde. Unter Trump wahrscheinlich noch weniger, aber unter Biden könnten da etliche Element wieder Bedeutung gewinnen, auch die von John Mc Cain damals propagierte „Alliance of Democracies“ als Kern einer neuen NATO.

Global Review: General Naumann: Nach dem imperial overstretch der USA im Irakkrieg 2003 und in Afghanistan und zur Zeit der Finanzkrise wurde die Studie „ „Zu einer Gesamtstrategie in einer ungewissen Welt–Die transatlantische Partnerschaft erneuern“ ( Towards a Grand Strategy for an Uncertain World – Renewing Transatlantic Partnership) von Ihnen und den Ex-NATO. Generälen John Shalikashvili(USA).Feldmarschall The Lord Inge(GB). Admiral Jacques Lanxade(F) und General Henk van den Breemen(NL) 2008 veröffentlicht. Die Studie zeigte das Spektrum regionaler und globaler Bedrohungen auf, die durch internationale Trends verschärft werden. Diese könnten in ihrem Umfang und ihrer Komplexität nicht mehr von den Nationalstaaten allein begegnet werden , sondern man könne diesen  nur in einer ganzheitlichen, gemeinsamen Herangehensweise, die nichtmilitärische und militärische Mitttel einschliesst, habhaft werden. Nicht nur Nationalstaaten seien mit den neuen Bedrohungen und Problemen überfordert, auch Europa und die EU könnten diese alleine ohne die USA und die NATO nicht meistern, zumal das Gewicht  der EU in der Welt von morgen abnehmen werde und die Bedrohungen nicht nur militärischer Natur, sondern auch nichtmilitärischer Natur seien z.B. Einsatz von Energieabhängigkeiten ,Finanzabhängigkeiten, Computerkriegsführung (Cyberwar).Auf dieser Grundlage entwarfen Sie eine Gesamtstrategie, die sowohl von anderen Nationen wie auch Organisationen in Zukunft übernommen werden sollte und an bestehenden Institutionen, vor allem der NATO, der EU und der UNO ansetzte. Die NATO sei die am besten geeignete Institution, um zentrales Element einer künftigen Sicherheitsarchitektur zu werden, insofern sich die NATO radikal reformiere.Die NATO brauche mehr nichtmilitärische Kapazitäten, die sie mittels einer engen Kooperation von der EU erhalten sollte.
•        EU und USA sollten ein gemeinsames Geheimdienstzentrum gründen.
•        EU, USA und NATO sollten ein Direktorium gründen, das langfristig als Vorstufe einer weltweiten Allianz der Demokratien dienen sollte. Der so gestärkte Westen sollte sein Gewicht in die UNO und neben der UNO in die Waagschaale werfen soll, d.h. NATO-Einsätze außerhalb der UNO legitimieren, d.h. unabhängig vom Veto Russlands und Chinas
•        Die Studie forderte folgende wesentlichen folgende Reformen der NATO:
•        • NATO-Recht soll vor UN-Recht gestellt werden; d.h. NATO-Einsatz auch ohne UN-Mandat.
•        Damit soll gewaltsam das Instrument der so genannten Schutzverantwortung „Responsibility to protect“ zur Anwendung kommen.
•        Übertragung der Bush-Doktrin der Präventivkriegsführung der USA auf die NATO;
•        • Die NATO beansprucht Eskalationsdominanz in jeder Konfliktphase, auch atomar mit der Option auf den Ersteinsatz:
•        „Der Ersteinsatz von Nuklearwaffen muss im Arsenal der Eskalation das ultimative Instrument bleiben, um den Einsatz von Massenvernichtungswaffen zu verhindern“
•        Mitbestimmen soll künftig nur dann ein Land können, das auch mitkämpft:
•        „Länder,die keine Truppen beitragen, sollten auch kein Mitspracherecht hinsichtlichmilitärischer Operationen erhalten“;
•        • Einsatzkosten sollen aber alle NATO-Staaten tragen, auch diejenigen, die nicht teilnehmen;
•        • Da eine rasche und widerspruchsfreie Kriegsführung durch das Konsensprinzip innerhalb der NATO behindert werde, so die Generäle, schlugen sie
•        „vor, dass dieNATO das Konsensprinzip auf allen Ebenen unterhalb des NATO-Rats aufgibt und
•        auf Komitee- und Arbeitsgruppenebene Mehrheitsentscheidungen einführt
•        Die zivil-militärische Zusammenarbeit sollte verstärkt werden, indem zivile Organisationen bereits in den NATO-Manöverbetrieb frühzeitig eingeordnet werde
Schon unter Bush jr, wurde die NATO ja mehr als tool box gesehen, denn als zentrales Element in der US-Strategie oder im Irakkrieg oder Afghanistankrieg. Kritiker sprachen von einer „Neoconisierung der NATO“ und „NATOisierung des Westens“. War es denn realistisch, dass sich diese Strategie durchsetzen hätte können, etwa unter einem US-Präsidenten Mc Cain? Woran scheiterte die Umsetzung? Gab es nenneswete Befürworter und wer waren die Gegner und was waren ihre Argumente?

General Naumann: Angeregt durch die Fragestellung habe ich unsere Broschüre noch einmal durchgelesen. Wenn ich daran denke, dass wir sie 2008 geschrieben haben, dann kann ich mit gewisser Zufriedenheit feststellen, dass Manches nahezu zeitgemäß klingt und wir manche Dinge, die in den Folgejahren zutage traten, doch einigermaßen zutreffend eingeschätzt haben.

An der zentralen Aussage, dass die Nato sozusagen Kernelement einer künftigen westlichen Sicherheitsarchitektur sein sollte, halte ich auch heute noch fest. Ich begründe das vor allem damit, dass die Nato zum einen im Wesentlichen noch immer Staaten verbindet, die eine gemeinsame Werteordnung haben. Sicherlich hat es seit 2008 Entwicklungen bei einigen Nato Staaten gegeben, die dazu Fragezeichen aufwerfen. Das galt auch schon vor Trump selbst für das unverändert unverzichtbare Bündnismitglied USA. Die USA haben im letzten Jahrzehnt In vielerlei Hinsicht Glaubwürdigkeit verloren, sie sind nicht mehr die „Shining City on the Hill“. In Trumps Präsidentschaft wurde diese Entwicklung noch verstärkt, weil die USA Vertrauen verspielt haben. Dennoch bleiben sie als einzige Macht dieser Welt,  die in allen fünf Dimensionen moderner Kriegführung global handlungsfähig ist, Land, Luft, See,  Weltraum und Cyberspace,  ein unersetzlicher Partner in einer Zeit, in der nahezu jeder Konflikt im recht kurzer Zeit globale Dimensionen annehmen kann. Hinzu kommt, eine Verteidigung Europas ist geostrategisch ohne Beherrschung des Atlantiks nicht möglich und eine Nukleare Balance gegenüber Russland ist nur mit den USA möglich. Deshalb muss Europa an der Bündnismitgliedschaft der nordamerikanischen Demokratien festhalten.

Zu der Feststellung, wir hätten eine Bush Doktrin der präventiven Kriegführung übernommen, kann ich nur feststellen, dass Global Review hier einem Irrtum unterliegt. Unsere Aussagen zur Prävention beruhen einerseits auf der gültigen völkerrechtlichen Grundlage, dass präventives Handeln zulässig ist, wenn ein Angriff unmittelbar („imminent“) bevorsteht und nicht mehr anders als durch eigenes Handeln verhindert und abgewehrt werden kann. Zum anderen habe ich als ehemalige Mitglied der ICISS, die den Begriff der „Responsibility to Protect“ geprägt und zur Annahme durch die Vollversammlung der UN gebracht hat, Prävention im Sinne des dort geforderten Ansatzes, also den Versuch Fehlentwicklungen vorbeugend zu begegnen, in die Arbeit unserer Gruppe eingebracht.

Andere unverändert sinnvolle Vorschläge wie zum Beispiel der Verzicht auf das Einstimmigkeitsprinzip werden in der Zwischenzeit von manchen sachkundigen strategischen Denkern sogar für die EU gefordert.

Unser Vorschlag hat damals eine Reihe durchaus prominenter Fachleute gefunden. Wir haben Aussagen des früheren Generalsekretärs der Nato, Lord Robertson, des Vorsitzenden des Beirats des IISS London, Francois Heissbourg, und das kürzlich leider verstorben früheren amerikanischen Sicherheitsberaters Brent Scowcroft beigefügt. Wir haben nie versucht, unseren Vorschlag irgendwo durchzusetzen. Wir betrachteten ihn als einen Denkanstoß In Zeiten, in denen die Nato eine internationale Arbeitsgruppe einberufen hatte, um ein neues strategisches Konzept zu erarbeiten. Ich denke, in die Arbeit dieser Expertengruppe ist unser Papier durchaus eingeflossen.


Global Review: Unter US-Präsident Obama versuchte dann Ivo Daalder die Idee einer Globalen NATO (Global NATO) voranzutreiben? Die NATO sollte  über die trasatlantische Säule durch eine afrikanische und asiatische Säule, sowie anderen Neumitglieder globalisiert werden, die nicht nur eine Partnerschaft für Frieden, sondern eine Mitgliedschaft und Interoperationalität anstrebte.Hatte Daalder Rückendeckung durch Obama und warum scheiterte auch diese Idee?

General Naumann: Ich denke, die Zeit war damals einfach nicht reif für einen derartig weitreichenden Gedanken. Ich kann mir vorstellen, dass ähnliche Ideen nun in einer Zeit, in der Einvernehmen darüber besteht, dass die Gefahren der Zukunft globaler Natur sein werden, die Voraussetzungen geschaffen hat, über eine über das Nato Vertragsgebiets hinausreichende Rolle der Nato nachzudenken. Ich denke allerdings nicht, dass die Nato die Beistandsverpflichtung nach Artikel 5 des Nato Vertrags unbegrenzt ausdehnen sollte, aber gemeinsame Krisenbewältigung im globalen Rahmen müsste durchaus eine künftige Aufgabe der Nato sein. Dass Ivo Daalders Vorschlag damals scheiterte, lag nicht zuletzt an der Engstirnigkeit und Uneinigkeit der Europäer, allen voran Deutschlands, dort aus Angst vor weiterer Verantwortung, und auch Frankreichs, dort wegen der verbohrten Weigerung der Nato eine über die Verteidigung Europas hinausgehende Rolle zuzugestehen. Warten wir die amerikanischen Wahlen ab, denn der Vorschlag des früheren Vizepräsidenten Biden, eine „Alliance of Democracies“ bilden zu wollen, liegt letztlich auf der Linie Daalders.


Global Review: Nach diesen mehr globalistischen Ansätzen, kam nun Trump als Gegner des Globalismus und Befürworter eines America first auf, der die NATO auch schon einmal für „obsolet“ erklärte und auch die Vertedigungsgarantie des Artikels 5 infrage stellte.Trump  zieht 10000 Soldaten aus Deutschland zurück und will sie in Polen einsetzen, während Polen froh ist, künftig US-Truppen in Polen und möglicherweise US-Atomwaffen zu haben, auch wenn dies das NATO-Russland-Gesetz untergräbt. Polen auf der anderen Seite erklärte jedoch, es sei nicht erfreut über die Schwächung Deutschlands und des NATO-Hinterlandes, da es den Anschein hat, dass ein ausschließlich osteuropäisches Intermarum und eine Entente den russischen Expansionismus einladen könnten. Und vielleicht hat Polen auch Zweifel, dass Trump Polen im Krieg gegen Russland verteidigen oder nicht nur verraten würde. Wie ist Ihre Meinung zum Rückzug der USA aus Deutschland?

General Naumann: Präsident Donald Trump hat ohne vorherige Information der deutschen Regierung und der NATO entschieden bis zu 12000 amerikanische Soldaten aus Deutschland abzuziehen und die Zahl der amerikanischen Truppen in Deutschland auf 25.000 zu begrenzen.

Der nationale Sicherheitsberater im Weißen Haus, Robert C. O’Brien, ist der Auffassung, die amerikanischen Streitkräfte müssten, um den beiden Großmachtkonkurrenten Russland und China wirkungsvoll entgegentreten zu können, mehr als bisher weltweit flexibel und beweglich eingesetzt werden. Moderne Kriegsführung erfordere weltweit dislozierte Expeditionsstreitkräfte. Daher müssten mehrere tausend amerikanische Soldaten und Soldatinnen aus Deutschland sowohl in andere Länder Europas als auch zu US-Stützpunkte im indo-pazifischen Raum verlegt würden und ein Rest in die Vereinigten Staaten zurückkehrten.

O’Brien verkennt die strategische Realität in und um Europa. Er unterschätzt die politische, strategische und militärische Bedeutung, die die US-Streitkräfte und deren militärische Fähigkeiten in Deutschland haben – sowohl für die Sicherheit Europas als vor allem für die Amerikas selbst.

Die amerikanischen Streitkräfte in Deutschland und Europa, ihre Führungskommandos und logistischen Kapazitäten haben zwei wesentliche Funktionen: Sie tragen, erstens, entscheidend zur Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit der NATO bei. Für die Verstärkung der Verbündeten am Rande des Bündnisgebiets während einer Krise oder für die kollektive Verteidigung der NATO im Falle eines Angriffs spielen sie die herausragende Rolle. Besser als auf der Drehscheibe Deutschland können sie nicht stationiert werden, nicht zuletzt deshalb ist das Hauptquartier der US-Luftstreitkräfte in Europa in Ramstein das Rückgrat des Oberkommandos der NATO-Luftstreitkräfte und Luftverteidigung in ganz Europa.

Sie schrecken ab und erhalten den Frieden, kein europäischer Verbündeter kann die erweiterte Abschreckung der USA ersetzen.

Wichtiger aber noch, die amerikanischen Truppen und Einrichtungen in Deutschland sind, zweitens, Basis der Unterstützung von nationalen Einsätzen der USA im Mittelmeerraum und im Mittleren Osten. Zudem sichern die Vereinigten Staaten damit auch ihre beträchtlichen wirtschaftlichen und industriellen Investitionen in Europa. Schließlich, die amerikanischen Soldaten in Deutschland und ihre Angehörigen bilden eine lebendige Brücke über den Atlantik. Sie verhindert auch in politisch schwierigen Zeiten, dass der Atlantik breiter wird. Dies liegt im gemeinsamen deutsch-amerikanischen Interesse und deshalb unterstützt Deutschland die Präsenz amerikanischer Truppen auch weiterhin finanziell.

Nach der drastischen Verschlechterung der sicherheitspolitischen Lage seit 2014, ausgelöst durch Russlands rechtswidrige Annexion der Krim, haben Amerika und seine europäischen Verbündeten ihre militärische Präsenz im Osten Europas erhöht. Russland setzt seine aggressive Politik unverändert fort, führt weiter Krieg in der Ukraine und rüstet seine konventionellen und nuklearen Streitkräfte weiter auf. Nahe der NATO-Ostgrenze stehen rund 60.000 russische Boden- und Luftlandetruppen in hoher Einsatzbereitschaft, die die baltischen Staaten und Polen innerhalb weniger Tage bedrohen könnten. Russlands nuklearfähige Kurz- und Mittelstreckenraketen in Kaliningrad und im westlichen Teil des Landes können mit geringer Vorwarnzeit fast jede europäische Stadt, nicht aber die USA, erreichen.

Eine Verstärkung amerikanischer Streitkräfte in Polen macht durchaus Sinn, dennoch sollte die Nato Russland Vereinbarung, kein Vertrag, beachtet werden. Eine Verletzung würde Russland zusätzliche Handlungsfreiheit mit dem Argument geben, die Nato verletze Vereinbarungen.

Eine einseitige Verringerung der amerikanischen Streitkräfte in Europa und in Deutschland ohne Gegenleistung Russlands schwächt die NATO und spielt Moskau in die Hände. Außerdem werden die strategische Flexibilität und Handlungsfähigkeit Amerikas im Nahen und Mittleren Osten erheblich beeinträchtigt. Sie schwächt Amerika und gefährdet Europa.

Nordamerika und Europa sind eine Gemeinschaft, die von Russland, China und anderenAutokraten attackiert wird. Die Vereinigten Staaten und die Europäer müssen deshalb mehr denn je zusammenstehen, nicht nur militärisch. Amerika muss eine europäische Macht bleiben, denn es braucht Europa, um die globale Supermacht zu bleiben, die es heute ist. Wer das wie offensichtlich O’Brien nicht begreift, macht Amerika nicht größer, sondern schwächer.

Global Review: Während Trump die NATO als „obsolet“ bezeichnete, nannte Macron die NATO „hirntot“. Wir erleben grundlegende Veränderungen in der NATO. Prof. Rahr, Mitglied des Valdai-Clubs und Gazprom-Berater der EU, ist der Ansicht, dass Trump die NATO auflösen und durch ein bilaterales Sicherheitsnetzwerk von Kernstaaten wie GB, Polen, Rumänien und Bulgarien ersetzen will. Joschka Fischer meint in seinem neuen Buch „Willkommen im 21. Jahrhundert“, dass Europa nicht warten sollte, bis der nächste Trump-Tweet die NATO auflöst, sondern wie die NATO bereits aufgelöst zu handeln und die europäische Souveränität und eine gaullistische Wende Europas als Macron aufzubauen vorgeschlagen. Daher wäre eine eigene europäische Verteidigung eine Notwendigkeit. Diese Diskussion hat jedoch Tradition, aber nichts ist wirklich passiert. Erwarten Sie PESCO, die Ad-hoc-Allianzen mit GB für ausländische Interventionen, die bis jetzt noch nicht zustande gekommen sind, oder eine engere Zusammenarbeit in der Rüstungsindustrie. Inwieweit könnte eine europäische Initiative eine verlässliche europäische Verteidigung ohne die NATO und den US-Atomschirm schaffen? Wie könnte eine solche europäische Verteidigung strukturiert werden? Wenn GB aus der EU austritt und Frankreich die Force de Frappe für eine europäische Abschreckung haben will, aber nicht im Rahmen eines EU-Kommandos, könnte ein trilaterales Sicherheitsbündnis mit einem nuklearen Dach von GB und Frankreich und eine Art Artikel 5 für die EU bestehen Verteidigung des ehemaligen NATO-Territoriums eine Alternative zur NATO außerhalb eines EU-Rahmens sein? Könnte dies das atomar bewaffnete Russland abschrecken und ist Russland in der Lage, Europa nachhaltig zu besetzen oder anzugreifen?

Global Review: Auf Putin Berater wie Professor Rahr zu hören, ist sicher Gift für Europa und für Deutschlands Sicherheit. Die Idee Fischers, eine europäische Verteidigungsfähigkeit zu schaffen, ist ohne Zweifel richtig. Voraussetzung dafür ist allerdings der Wille der Europäer nun wirklich etwas zu schaffen, was über Stückwerk wie PESCO hinausgeht und Europa auch im militärischen Bereich global handlungsfähig macht. Ein Beleg solchen Willens und ein sinnvoller erster Schritt wäre in meinen Augen Macrons Idee einer europäischen Interventionstruppe der EU konsequent und zeitnah zu verfolgen. Deutschland sollte diesen Vorschlag nachhaltig unterstützen und fördern und auch darauf drängen, dass diese Truppe, falls erforderlich, auch für Nato Einsätze verfügbar gemacht wird. Er macht allerdings nur Sinn, wenn man auch den politischen Rahmen dafür schafft. Ein wesentliches Element eines solchen Rahmens wäre die Überwindung des Einstimmigkeitsprinzips in der Europäischen Union. Nur dann würde Europa in Krisen handlungsfähig werden.

In der Frage eines nuklearen Schutzes für Europa gegenüber dem überdimensioniert im nuklearen Bereich rüstenden Russland halte ich eine Lösung ohne die USA für kaum machbar. Der französische Staatspräsident hat mehrfach deutlich gesagt, dass Atomwaffen immer unter dem Entscheidungsvorbehalt Frankreichs bleiben müssen.  Auch die enge Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Großbritannien im nuklearen Bereich bedeutet nicht, dass dieser Vorbehalt für den Einsatz der Atomwaffen beider Länder aufgehoben wird Selbst wenn das der Fall wäre, würde das Potential der Beiden kaum ausreichen, ein zum Krieg entschlossenes Russland wirkungsvoll abzuschrecken, sollte es, wie man aus Äußerungen des russischen Generalstabchefs Gerassimow folgern könnte, Atomwaffen und deren Einsatz als Mittel der Deeskalation betrachten. Ob Russland gegenwärtig In der Lage wäre, Europa anzugreifen und nachhaltig zu besetzen, ist für mich zweifelhaft, allerdings beruht meine Einschätzung nur auf den mir zugänglichen offenen Quellen. Sehe ich auf das Potential Europas, dann bleibe ich zuversichtlich, vorausgesetzt, die Staaten Europas entwickeln endlich den Willen und die Entschlossenheit Europa, gemeinsam zu verteidigen.

Die zweite wesentliche Voraussetzung ist der Erhalt des transatlantischen Verbundes. Geo- Strategie ist nicht änderbar und eine Verteidigung Europas ohne Beherrschung der atlantischen Seewege macht strategisch keinen Sinn. Nimmt man dann noch die Möglichkeit eines eisfreien arktischen Ozeans hinzu, dann wird sehr deutlich, dass der Erhalt des strategischen Verbund Nordamerika-Europa zwingende Voraussetzung für den erfolgreichen Schutz Europas ist. Erst wenn diese Voraussetzungen geklärt sind, kann man sich Gedanken über Form und Beiträge zu europäischen Streitkräften machen. Alles andere, wie der oft geäußerte Gedanke einer Europa-Armee, ist nichts anderes als das Pferd vom Schwanz her aufzuzäumen.


Global Review: Bereits auf dem 70-jährigen NATO-Treffen im Jahr 2019 erklärte das transatlantische Bündnis aufgrund von Trumps Druck zum ersten Mal, dass China eine „potenzielle Bedrohung“ sei. Jetzt, im Juni 2020, hat NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg das Verteidigungsbündnis gebeten, sich wirksamer auf Bedrohungen aus China vorzubereiten. Das Land investiert stark in Atomwaffen und Langstreckenraketen, die Europa erreichen könnten, sagte Stoltenberg gegenüber „Welt am Sonntag“.“Eines ist klar: China rückt immer näher an die Haustür Europas heran“, sagte Stoltenberg. Die Volksrepublik ist in der Arktis, in Afrika und im Mittelmeerraum präsent und investiert stark in kritische Infrastrukturen in Europa. China ist eine „feste Größe“ im Cyberspace. Die NATO muss auf diese Entwicklung reagieren, „weil sie eine grundlegende Veränderung des globalen Kräfteverhältnisses darstellt“. Wie sollen der Westen, die USA, die EU und Deutschland auf die wahrgenommene gelbe Gefahr reagieren, die kein Feind ist, sondern auch als Konkurrent und Herausforderung definiert wird, die nicht nur eine Bedrohung, sondern auch eine Chance darstellt? Engagement, Containment, Congagement – was könnte der Mindestkonsens für die NATO und zwischen den USA und der EU sein?

General Naumann:: Es ist höchste Zeit, dass die Nato, aber auch die EU, sich mit der Frage China befassen. China ist ohne Zweifel der strategische Herausforderer der pazifischen Nation USA geworden. Wollen wir die Bindung der USA an Europa erhalten, dann müssen die Nato wie Europa ein Stück asiatisch/pazifischer werden Das wird auch die Forderung eines neuen amerikanischen Präsidenten, egal ob Trump oder Biden, sein. Das heißt nicht, dass die Nato ein Bündnis gegen China werden soll. Aber die Nato muss sicherstellen, dass die europäische Gegenküste der USA nicht unter chinesischem Vorbehalt steht. Das verlangt umfassend und gründlich darüber nachzudenken in welchem Maße China durch das Konzept der neuen Seitenstraße bereits kritische Infrastruktur und technologische Schlüsselkapazitäten In Europa kontrolliert. Das verlangt auch Möglichkeiten zu schaffen, chinesische Aktionen gegen europäische Kommunikation und im Cyberspace wirksam zu verhindern. Ein weiter Faktor, der bei aller Bereitschaft zur wirtschaftlichen Kooperation mit China deutlich sein muss, ist das Beharren der Europäer auf der Freiheit der Hohen See. Dieses Recht auf freie Seefahrt ist für die globale Handelsmacht EU eine Überlebensfrage. Es sollte deshalb auch von den Europäern, einschließlich der Exportnation Deutschland, auch im Pazifik gelegentlich, aber deutlich demonstriert wurde. Eine Nato Flotte Im Sinne der früheren STANAVFORLANT, die gelegentlich im Pazifik, im südchinesischen Meer und im Indischen Ozean Präsenz zeigt, ist keine Eskalation, sondern ein Signal der Entschlossenheit Europas Interessen zu schützen und Ausdruck des Verbunds Europas mit den Vereinigten Staaten.

Global Review: Der erste ernstere Vorschlag, wie die NATO reagieren sollte stammt von Ian Brzezinski, dem Sohn des ehemaligen Nationalen Sicherheitsberaters von US-Präsident Carter, Zbig Brzezinski, US-amerikanischer Geostrategist und Autor des programmatischen Buches „Chessboard“, der 1979 und in den USA der Architekt der chinesisch-amerikanischen Normalisierung war In den 2000er Jahre propagierten eine eine G2.-Allianz zwischen China und den USA, um die Welt zu kontrollieren, die nicht zustande kam. Ian Brzezinskli schlägt die Grtündung eines NATO-China-Rats anch Vorbild des NATO-Russland-Rats an, desweiteren sollte die NATO ihr Engagement mit ihren pazifischen Partnern Australien, Neuseeland, die Republik Korea, Japan und die Mongolei vertiefen. Die beratende Dimension dieser Beziehungen sollte durch regelmäßigere und robustere militärische Übungen ergänzt werden. Drittens sollte das Bündnis im Indopazifik, möglicherweise in einem der Partnerländer der Region, ein Kompetenzzentrum (COE) einrichten und Offiziere und Unteroffiziere ausgewählter Partner in die Kommandostruktur des Bündnisses integrieren. Das Bündnis sollte auch ein kleines militärisches Hauptquartier in der indopazifischen Region einrichten, das möglicherweise in das COE oder in das Pazifikkommando der Vereinigten Staaten eingebettet ist, um die NATO-Übungen und -Operationen zu erleichtern und zu koordinieren. Auch dies könnte dazu beitragen, das Bündnis für die Entwicklungen in der Region zu sensibilisieren und, falls sich die Gelegenheit ergibt, die Zusammenarbeit des Bündnisses mit China.Halten Sie diese Vorschläge für geeignet und wie beurteilen Sie ihre realpolitische Umsetzungschance unter Trump, in Bezug auf China oder unter einem anderen US-Präsidneten und bei den Europäern?

General Naumann: Die von ihnen genannten Vorschläge sind alle interessant und erwägenswert. Voraussetzung für jegliche Umsetzung ist jedoch, zunächst einen grundsätzlichen politischen Entschluss herbeizuführen, dass die USA, Kanada und Europa gemeinsam ein globales  Konzept erarbeiten wie aus dem Konflikt zweier Hegemonialmächte, USA und Volksrepublik China, doch noch Kooperation zur Verhinderung eines neuen Kalten Krieges gemacht werden kann. Hierzu Wege zu suchen, müsste der erste Schritt sein, bevor man sich an technische Fragen wie Sie sie aufgeworfen haben heranmacht. Ich halte es für möglich, dazu Einvernehmen unter den Europäern und dann mit den USA zu erzielen. Ohne ein solches Einvernehmen wird die Bereitschaft der USA, weiterhin Schutzmacht Europas zu sein, kaum zu erreichen sein.

Ein solches Einvernehmen der Europäer müsste von der Voraussetzung ausgehen, dass die Nato sich zu einem Bündnis wandelt, das in allen fünf Dimensionen moderner Kriegsführung handlungsfähig ist, das die Herausforderungen Klimawandel, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz annimmt und in ihren Organisationen und ihren Fähigkeiten entsprechend ausformt. Das verlangt von den Europäern zu all diesen Komponenten Beiträge zu leisten, die so zu gestalten wären, dass sie auch bei eigenständigen Operationen der Europäischen Union von der Nato den Europäern zur Verfügung gestellt werden könnten. Erster Ausdruck einer solchen europäischen Handlungsfähigkeit wäre die Ausformung der bereits erwähnten europäischen Interventionstruppe und als zweiten würde ich mir wünschen, eine europäische Desaster Relief Komponente aufzustellen,  damit wir bei künftigen und vermutlich häufiger werdenden Naturkatastrophen als Europäer weltweit handeln und helfen könnten.


Global Review: General Wittmann hat eine NATOreform vorgeschlagen, die bei der NATO die Konsultativ- und Resilienzfunktion aufwertet. General Kujat schlägt einen neuen Harmelbericht vor.Der urspürüngliche Harmelbericht war die Änderung der NATO-Strategie von der MAD zur felxible response und die Eröffnung eines Dialogs mit dem Ostblock. Würde dies die Änderung der NATO- Strategie von der flexible response zu einem neuen Abschreckungsstrategie und eine Neue Ostpolitik bedeuten oder wie ist dies zu verstehen?

General Naumann: Die Nato ist heute ein regionales Bündnis dessen Geltungs- und Wirkungsbereich der europäisch- atlantische Raum ist. Die Nato muss aber in der Welt der Zukunft global denken und handeln können. Die theoretische Möglichkeit dazu ist im Nato Vertrag, vor allem in Artikel 4, durchaus angelegt. Sie gilt es nun auszuformen und daraus ein Konzept zu entwickeln, wie für den europäisch-atlantischen Raum auch in der Welt der Zukunft Sicherheit gewährleistet werden kann und wie für die atlantisch-pazifischen Bündnispartner USA und Kanada durch den Beitrag der Europäer auch Sicherheit im asiatisch/pazifischen Raum ermöglicht werden kann. Derartiges muss sicherlich in einem neuen Grundsatzdokument der Nato verankert werden und dann, sofern erforderlich, den Parlamenten der Nato Staaten zur Ratifikation vorgelegt werden. Eine Beschränkung auf Konsultativ- und Resilienz-Aufgaben halte ich für nicht sinnvoll, weil sie dazu geeignet sind, In Europa eine Konzentration auf Soft Power zu fördern, in allen Lagen die hard power verlangen noch abhängiger von den USA zu werden und damit die Spaltung zwischen Europa und den USA zu vertiefen.


Global Review: Ist die gegenwärtige Abschreckungsstrategie nicht veraltet? Micheal O Hannon untersuchtin seinem Buch „The Senkaku- Paradox“ , wie eine lokale Krise zu einer breiteren und viel gefährlicheren Bedrohung des Friedens eskalieren könnte. Was wäre, wenn zum Beispiel Russlands „kleine grüne Männer“ die Kontrolle über eine Gemeinde wie Narva oder eine noch kleinere Stadt in Estland übernehmen würden, die jetzt ein NATO-Verbündeter ist? Oder was wäre, wenn China eine der unbewohnten Senkaku-Inseln beschlagnahmen würde, die jetzt von Japan beansprucht und verwaltet werden, oder eine teilweise Blockade Taiwans verhängen würde?Solche Bedrohungen stehen nicht unbedingt unmittelbar bevor, sind aber keineswegs unvorstellbar. Washington könnte gezwungen sein, in diesen und ähnlichen Fällen zwischen dem Risiko eines großen Krieges zur Umkehrung der Aggression und der Beschwichtigung Chinas oder Russlands auf eine Weise zu wählen, die die allgemeine Weltordnung gefährden könnte.
O’Hanlon argumentiert, dass die Vereinigten Staaten eine bessere Auswahl an Optionen für den Umgang mit solchen Friedensrisiken benötigen. Er befürwortet eine „integrierte Abschreckung“, die militärische Elemente mit wirtschaftlicher Kriegsführung verbindet. Die militärischen Komponenten würden eine verstärkte Vorwärtsverteidigung sowie möglicherweise begrenzte militärische Optionen gegen russische oder chinesische Vermögenswerte in anderen Theatern aufweisen. Wirtschaftskrieg würde offensive Elemente, insbesondere Sanktionen, sowie Maßnahmen zur Gewährleistung der Widerstandsfähigkeit der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten gegen mögliche Repressalien des Feindes umfassen.

General Naumann: Der Kern jeder Abschreckungsstrategie ist, es dem Gegner unmöglich zu machen, einen sicheren Sieg in einem Konflikt mit vertretbarem Risiko und hinnehmbaren Verlusten erwarten zu können. Das ist unverändert gültig. Ständig neu überlegen sind die Mittel wie man dies erreichen kann Der erste Schritt dazu ist immer, sich in das Denken des Gegners hineinzudenken, zu überlegen, welche Optionen er hat und wie man seinen Erfolg am besten verhindern kann. In einer Zeit, in der jeder Konflikt zu einer globalen Auseinandersetzung werden kann, ist eine Beschränkung auf militärische Mittel sicher unzweckmäßig. Das galt auch schon in den Zeiten des Kalten Krieges, dessen für die Nato erfolgreiches Ende auch nicht allein mit militärischen Mitteln erreicht wurde.

Glaubhaft wird Abschreckung nur, wenn zuvörderst dem Gegner durch Geschlossenheit und Entschlossenheit deutlich gemacht wird, dass er einen Konflikt einfach nicht gewinnen kann und auch nicht wird, weil die eigenen Fähigkeiten in jeglicher Dimension des Konflikts ihm unermesslichen Schaden zufügen werden, er aber niemals ausrechnen kann, wann welches Mittel zum Einsatz kommt. Abschreckung muss also auch weiterhin integrierte Abschreckung sein.

Westliches Denken dürfte auch weiterhin auf der Annahme beruhen, dass Konflikte durch Angriffe von Gegnern entstehen. Deshalb muss die eigene Strategie die Fähigkeit erkennbar machen, die anfängliche Reaktion zu überwinden und durch Aktion den Konflikt beenden zu können. Eskalationsdominanz bleibt ein Mittel des Verteidigers.

In einer Lage, in der beispielsweise die Volksrepublik China etwa ein Drittel der US-Verschuldung kontrolliert, vorrangig auf die ungemein risikoreiche Idee eines Wirtschaftskrieges zu setzen, halte ich für wenig erfolgversprechend. Konsens dazu in Bündnissen herbeizuführen halte ich für nahezu unmöglich.


Global Review: Die alte Abschreckungsstrategie sah vor allem eine bipolare Gegnerstruktur und eine recht lineare Eskalationsleiter von konventionellen Waffen buis hin zu begrenzten und dann umfassenden Atomschlägen vor. Die Studie „Rethinking Armageddon“ des CSBA spricht jedoch von einem Zweiten Nuklearen Zeitalter der Multipolarität und eines viel breiteren Spektrums von Waffen, seien es hypersonc missiles, haystack weapons, cyber und space weapons, Drohnen,etc., weswegen eine Eskaltaionsleiter viel kpmplexer und multideimensionaler sei. Hat die NATO oder andere Militärs hieruaf schon die entsprechenden Startegie entwickelt? Sind Abrstungsvertägre oder Rüstungskontrollverträge in der heutigen Zeit noch so verifizierbar und durchsetzbar? Zumal sich zum einen die Zahl der Waffen erhöht und die Zahl der sie besitzenden Großmöächte erhöht hat, a man mindestens die USA, Russland und China trialeteral engagieren müsste?

General Naumann:: Die einfache Welt der bipolaren Konfrontation und auch der bipolaren regionalen Abschreckung ist vorbei. Eine Rückkehr wird es nicht geben.

Wir bewegen uns in eine multilaterale, nicht multipolare Welt hinein in der es eine Reihe von erklärten und unerklärten Atommächten geben wird, von denen einige ohne Zweifel Kriegsführungsstrategien mit nuklearen Waffen entwickeln werden. Zu hoffen, das Verbot von Atomwaffen erde hemmende Wirkung haben ist Illusion. Das Ziel muss deshalb sein, jeglichen Atomwaffeneinsatz durch geeignete Abschreckung und begleitende Rüstungskontrolle zu verhindern, auch weil jeder Einsatz von Atomwaffen auch einen sehr regionalen Konflikt nahezu automatisch zur globalen Auseinandersetzung macht. Für Deutschland, die einzige Industrienation, die einseitig und völkerrechtlich bindend auf Herstellung und Besitz von Atomwaffen verzichtet hat, ist dies ein existentielles Ziel. Rüstungskontrolle ist unter diesen Bedingungen ungewöhnlich schwierig, weil sie grundsätzlich multilaterale Vereinbarungen verlangt und die Verifikation mit vielen Vertragsparteien große, bislang nicht gelöste Probleme aufwirft. Hinzu kommt die Welt der neuen Waffentechnologien, die noch vielfältiger ist als sie es in ihrer Frage andeuten, die zudem zahlreiche rechtliche und vor allem ungelöste ethische Fragen aufwirft. Inwieweit man in der Nato daran arbeitet, dieser Welt zu begegnen und angemessene Konzepte zu entwickeln entzieht sich meiner Kenntnis. Vergessen Sie bitte nicht, Ich bin ein schlichter Pensionär, der auf öffentliche Informationen angewiesen ist. Ich denke, man wird versuchen Konzepte zu entwickeln, mit denen man einen Gegner so früh wie möglich und so unbemerkt wie möglich ausschalten, vielleicht sogar lähmen kann.  Die Dimensionen Cyberspace und Weltraum bieten dafür ungeahnte technische Möglichkeiten und das Konzept der hybriden Kriegführung erlaubt manches, was SunTsu möglich machen könnte: Gegner auszuschalten und regelrecht zu paralysieren bevor sie überhaupt merken, dass ein Angriff begonnen hat. Dies alles ist ein weiterer Grund, neu und von Grund auf nachzudenken wie man unter diesen Bedingungen Abschreckung erreichen, und wichtiger noch, wie man durch ergänzende Verhandlungen zur Begrenzung von Waffen und der Entwicklung von Waffensystemen zu so etwas wie Stabilität zurückfinden kann. Dazu konkrete Vorschläge zu machen, muss jedoch denen vorbehalten sein, die wissen was genau vorhanden und was in Entwicklung ist. Zu denen zähle ich nicht.


Global Review: Wie soll die NATO mit dem NATO-Mitglied Türkei umgehen? Soll man hoffen, dass Erdogan eines Tages abgesetzt wird oder sein neues neoosmanisches Reich, das er mithilfe der Muslimbrüder in Nordafrika bis Syrien und Jordanien errichten will und sich eventuell auch noch atomar bewaffnet weiterhin als Partner akzeptieren?

General Naumann: Ich bin immer dafür eingetreten, dass die Türkei Mitglied der Nato ist und bleibt, nicht nur aus geostrategischen, offensichtlichen Gründen, sondern auch weil dieses große und in vielen Teilen gut entwickelte Land eine wichtige Brücke in die für Europas Sicherheit bedeutsame Region Zentralasiens und des erweiterten Nahen Ostens bilden kann. Hinzu kommt, dass die Türkei ein beeindruckendes technisches Potential für moderne Waffensysteme entwickelt hat, das wir nicht Gegnern zugänglich machen sollten. Vielleicht denkt darüber der Eine oder Andere darüber einmal nach, der noch immer glaubt, man könne die Türkei mit der Verweigerung von Waffenexporten sanktionieren, obwohl sie zum Teil Waffen hat, die moderner sind als die Produkte unserer Industrie. Ich möchte mich nicht an Spekulationen über die politischen Absichten des derzeitigen Präsidenten beteiligen. Ich weiß, dass der frühere Staatspräsident Özal einmal davon träumte, nach dem Ende des Kalten Krieges ein Großreich der Turkvölker zu etablieren. Die Türkei hätte sich damit wirtschaftlich überfordert und die Wirtschaft dürfte auch heute das Machbare bestimmen. Die Wirtschaft ist es auch, die die Türkei mit Europa verbindet und für die sie Europa braucht. Ich denke wir sollten das nutzen und damit auch versuchen zu verhindern, dass die Türkei eine eigenständige Atommacht wird. Das setzt voraus, dass wir sie in der Nato halten und die Schutzgarantie der Nato für die Türkei aufrechterhalten. Die Türkei war immer ein schwieriger Partner, das wird sie bleiben, aber sie war auch immer ein wichtiger Partner, ohne den auch in der Zukunft weder die Nato noch die EU Sicherheit in der Schlüsselregion Naher Osten erreichen können.

Global Review: Der Krieg gegen den Terror, der nun vorüber scheint und der besser als Krieg gegen den Islamismus hätte konzipiert werden sollen und nicht hauptsächlich säkulare arabische Despoten wie Saddam Hussein, Ghaddafi oder Assad stürzen hätte sollen, wird jetzt durch Konflikte um die Großmacht ersetzt. Während jetzt alle auf Russland und China schauen, wachsen die Islamisten wieder, einschließlich der Idee des neo-osmanischen Reiches Erdogan-Türkei mit der Muslimbruderschaft aller Länder sowie des Sturzes von Assad, was dann zu einer islamistischen Diktatur in Syrien führt Russland wird dem nicht sehr entgegenwirken können, aber wenn Assad und die Russen und ihre Militärbasen in Syrien und im Mittelmeerraum weggenommen wurden, wird der Westen vielleicht vor einem noch größeren Problem stehen. Wir könnten wahrscheinlich zwei islamistische Gürtel haben. eine von der Sahelzone nach Nigeria mit dem Islamischen Staat und eine zweite von Nordafrika und dem Horn von Afrika (Somalia / Sudan) nach Syrien mit von Erdogan unterstützten muslimischen Brüdern und der FIS in Algerien. Das Beste wäre, wenn sie sich gegenseitig bekämpfen würden. Ob Saudi-Arabien, Ägypten und Pakistan stabil bleiben würden, bleibt abzuwarten. Das Ganze wird auch von Palästina und Jerusalem angetrieben. Und es gibt auch den US-iranischen Konflikt an der Spitze, und es bleibt abzuwarten, ob die PLO noch die Macht behalten kann und nicht von der Hamas oder noch radikaleren Kräften übernommen wird.In Südasien werden die Taliban nach dem NATO-Rückzug gestärkt, die Islamisten in Pakistan, dem Land mit der ersten muslimischen Atombombe, sind auf dem Vormarsch und Indien steht auch vor einem Problem mit seiner muslimischen Bevölkerung und ihrer teilweisen Radikalisierung und Islamisierung, dem Kaschmir-Konflikt ist keineswegs gelöst, Islamisten in Bangladesch, Indonesien und Malaysia sind eine wachsende Macht, ebenso wie der von Islamisten ausgenutzte Rohingya-Konflikt in Birma die Regierungen in Indien, Pakistan und Bangladesch durch angebliche islamische Solidarität destabilisieren wird. In Zentralasien hat die von China und Russland geführte Shanghai Cooperation Organization (SCO) bisher für Stabilität gesorgt, ebenso wie der zunehmend islamische Kadyrow in Tschetschenien, der ebenfalls unzuverlässiger wird und auch Metzger ist. Welche Strategie würden Sie gegen den erstarkenden Islamismus vorschlagen und kann die NATO da überhaupt noch eine Rolle spielen oder sind Bündnisee wie die Anti-IS-Koalition da nicht weiterführender?

General Naumann: Der militante Islamismus wird für unsere freiheitlichen Gesellschaften eine existenzbedrohende Gefahr bleiben. Die Erscheinungsform wird Terrorismus in allen Schattierungen sein, der in unsere Gesellschaften hineingetragen werden könnte. Die Zentren dieses Islamismus haben sie in Ihrer Frage zutreffend und korrekt beschrieben. Es sind in der Tat Krisenbögen, die Europa von Süden, Südosten und Osten bedrängen. Aus ihnen heraus entstehen terroristische Anschläge und zusätzlich sind sie die Ausgangspunkte von Migration, die für die alternden Gesellschaften Europa ist nicht mehr nur Belastung, sondern Gefahr darstellt.

Europa muss die Vorsorge für seine Sicherheit in der gesamten Zone vom Maghreb bis nach Pakistan selbst übernehmen. Die Amerikaner werden sich zunehmend auf Europa zur Sicherung dieser Region verlassen, weil sie ihre Kräfte für die Auseinandersetzung mit China im Pazifischen Raum konzentrieren werden. Für Europa spielen in dieser Region einerseits Russlands und andererseits die Türkei die Schleusenwärter am Flüchtlingsstrom. Sie können je nach Interessenlage Europa stärker oder weniger stark durch Lenkung der flüchtlingsströme binden.

Zur Bewältigung dieses Risikos ist die Nato nicht die erste Adresse. Hier ist eine koordinierte und gut finanzierte Entwicklungspolitik der Europäischen Union gefordert die Arbeitsplätze im Norden Afrikas und auch den zentralasiatischen Staaten schafft, um die Menschen in ihren Heimatländern zu halten. Das zweite Element einer Abwehrstrategie Europas wird doch wieder die Nato sein, allerdings mit vorwiegend europäischen Kräften. Vielleicht kann eines Tages vielleicht eine auch im militärischen Bereich handlungsfähige Europäische Union diese Aufgabe ebenfalls übernehmen. Dabei geht es einerseits um Absicherung der getätigten Investitionen zum wirtschaftlichen Aufbau der Region und andererseits um das Ausschalten von terroristischen Zentren durch militärische Intervention. Bis auf weiteres werden die Europäer dazu auf Unterstützung durch den Nato Staat USA angewiesen sein, sei es für Aufklärung, Führung, Lufttransport und auch Luftangriffsmittel. Eine solche Unterstützung wäre durch die Nato sinnvoller als durch eine Ad hoc-Koalition, weil die Nato über eingespielte Führungsverfahren verfügt und damit kostengünstiger operieren kann


Global Review: Der Konflikt zwischen den USA und China eskaliert immer weiter und inzwischen wird sogar ein sinoamerikanischer Krieg nicht mehr für unmöglich gehalten. Bisher hatten sich darüber vor allem militärische Tihink tanks und Militärstrategen wie Rand („War with China“), TX Hammes (Offshore Controll) , CSBA (Airsea Battle /ASB), darüber gedabnken gemacht. Nu hat Graham Allison mit seinem Buch „Are the US destined for war with China-Avoiding the Thuidycides trap“ diese Diskkuion auch in der politischen und ökonomischen US-Elite begonnen.  Wie sollte sich di e NATO, die EU und Deutschland in diesem Konflikt oder sogar eventuell in einem Krieg positionieren? Wäre es nicht sinnvoll, vielleicht zu versuchen Russland durch eine Neue Ostpolitik von China zu lösen oder zumindestens neutral zu halten, zu verhindern, dass es die Fokusierung der USA auf den Asian Pivot und den Indopazifik nicht zu einem militärischen Abentuer gegen Europa nutzt und es vielleicht in eine Anti-Islamismusalianz einbeziehen?

General Naumann: Ihre Frage unterstellt das Europa eine Chance haben könnte, Russland strategisch und politisch zu beeinflussen. Ich habe große Zweifel, ob das Europa, das wir gegenwärtig erleben, uneinig, gespalten, durch den Brexit geschwächt und mit einer Führungsmacht Deutschland, die Führung verweigert, ein Machtfaktor ist, der den Herrn im Kreml beeindruckt. Ich denke, eine Chance, Russland zu beeinflussen haben wir Europäer derzeit nur, wenn wir auf den Rückhalt durch die USA zählen können. Ich meine deshalb, dass die Idee über Russland amerikanisches Handeln gegenüber China zu beeinflussen, ein gewagter Vorschlag ist. Russland weiß, dass es von Peking allenfalls als Juniorpartner gesehen wird und dürfte deshalb kaum bereit sein, sich als Unterstützer europäischer Interessen in den Konflikt der beiden Hegemonialmächte einspannen zu lassen. Ich bin der Meinung, der sinnvollere Weg, einen Krieg zwischen China und den USA zu verhindern ist enge Zusammenarbeit eines geschlossen auftretenden Europa das militärisch global handlungsfähig wird, auch um gegebenenfalls gemeinsam mit den USA zu handeln, auf jeden Fall aber ihnen so  die Zusicherung zu geben kann,  dass die europäische Gegenküste der USA  bis hin zur arabischen Halbinsel und zum Indischen Ozean durch Europa gesichert wird,  damit die USA freie Hand im asiatisch/pazifischen Raum behalten können.


Global Review: Sehen Sie für die NATO überhaupt noch eine Perspektive, wenn Trump oder ähnliche Präsidenten in der Zukunft die USA regieren? Würde es unter Biden zu einem einfachen Reset der US-Aussenpolitik und der Bündnispolitik kommen oder wird der Westen nicht mehr zum status ante zurückkehren? Ist der Trumpismus eine personelle Sache oder nicht mehr ein strukturelles Problem, das auch der bisherigen Globalisierungspolitik der USA, dem Washington Consensus und den Interventionskriegen samt der Finanzkrise dees Neoliberalismus geschuldet ist und eigentlich schon unter Bush jr. begann?

General Naumann: Unabhängig von dem Wahlausgang In den USA beginne ich zunächst mit der Hoffnung, dass wir einen geordneten Übergang vom 45. auf den 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten überleben werden, egal ob er Trump oder Biden heißt.  Das Schlimmste, was dieser Welt passieren könnte, wäre ein Amerika, das in Machtkämpfen zerrissen gegen den eigenen Zerfall kämpfen muss.

Unabhängig davon wird es nach meiner Ansicht keine Rückkehr zum Status quo ante geben. Das Amerika, das wir so mochte, weil es für uns so Manches bequem machte, gehört der Vergangenheit an. Kein amerikanischer Präsident wird die Rolle spielen wollen, die die USA für die Sicherheit Europas in den vergangenen 70 Jahren gespielt haben. Sollte Trump bestätigt werden so nehme ich an, dass er seine bisherige Politik der Zerstörung multilateraler Bindungen fortsetzen wird. Dann könnte auch die Nato in existenzielle Gefahr geraten und er würde dann dem Aufstieg Chinas zur Vormacht den Weg ebnen.

Auch ein Präsident Biden wird dem Wunsch seiner amerikanischen Mitbürger entsprechen müssen, nicht länger für andere die Kartoffeln aus dem Feuer zu holen. Der Weltpolizist geht auch bei ihm in den Ruhestand. Er wird nach meiner Einschätzung aber die Nato als Fest-punkt zur Sicherung der amerikanischen Gegenküste in Europa nutzen und durchaus auch Im Rahmen des Möglichen stärken.  Er wird aber vor allem die Nato als Kern seiner Idee einer“Alliance of Democracies“ zu nutzen suchen. Damit würde die Nato eingebaut werden in ein globales Bündnissystem, mit dem die USA versuchen dürften, in dem Konflikt mit China doch einen kooperativen Ansatz zu verfolgen, um einen heißen Konflikt zu vermeiden.

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