Die FAZ, der Papst und der christliche Kapitalismus

Die FAZ, der Papst und der christliche Kapitalismus

Autor: Genova

Quelle: Blog Exportabel

https://exportabel.wordpress.com/

Die FAZ ist eine Qualitätszeitung. Keine Ausgabe ohne neue Einsichten, was vor allem auf die ausführliche Auslandsberichterstattung zurückzuführen ist. Andererseits gibt es in fast jeder Ausgabe dümmliche kapitalistische Propaganda, also Artikel, deren Unterkomplexheit offen zutage tritt. Vielleicht geht kapitalistische Propaganda auch gar nicht anders als unterkomplex.

Zu erleben war das kürzlich (10.10., S. 20) in einem langen sechsspaltigen Beitrag von Johannes Pennekamp über die angebliche Kapitalismuskritik des aktuellen Papstes.

Tenor: Der Papst kritisiert ungerechtfertigterweise unser kapitalistisches Wirtschaftssystem, obwohl das doch alternativlos ist. Kapitalismus schafft Wohlstand.

In seiner gerade veröffentlichten Sozialenzyklika „Fratelli Tutti“ zementiert Franziskus seinen Ruf als Feind der Marktwirtschaft. Er wettert gegen skrupellose Finanzspekulation, neue Technologien und die Unterdrückungsmaschine Globalisierung. In den Augen vieler ist der Papst damit ein Radikaler im weißen Gewand. Will der Geistliche die sozialische Revolution?

Die Frage an sich ist blöd. Der Papst will sie natürlich nicht, denn dann würde das Kirchenvermögen konfisziert. Es ist für die FAZ aber offenbar wichtig, den mächtigen Papst als Sozialisten zu präsentieren, damit die aufgeregte Leserschaft weiß, wie schlimm es um uns steht.

Atemberaubend, wie unbeirrt Pennekamp den Kapitalismus reinzuwaschen versucht. Der Kapitalismus habe bei Katholiken – katholische Soziallehre, Herz Jesu – früher „sehr hoch im Kurs“ gestanden, davon sei nun nichts mehr zu spüren. Die neoliberale Agenda wird von Pennekamp schlicht ignoriert. Sie passt nicht ins Narrativ des Kapitalismus als einzig sinnvollem Wirtschaftssystem.

Antikapitalistische Propaganda, vermutlich vom Papst initiiert:

Vollends skurril wird es mit Peter Schallenberg. Schallenberg ist Professor für Moraltheologie und Ethik in Paderborn und hat einen guten Draht zum Papst. Es gebe „kein besseres Wirtschaftsmodell, um Wohlstand zu schaffen, also sollten wir es behalten“. Er versuchte nach eigener Aussage, Franziskus bei der Ausarbeitung der Enzyklika zu beeinflussen, doch „ich bin letztlich damit nicht durchgedrungen“.

Schallenberg sagt auch:

Die Soziale Marktwirtschaft ist das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das dem christlichen Menschenbild am besten entspricht“.

So reden deutsche Moraltheologen im Jahr 2020.

1933 waren führende deutsche Christen der Meinung, der deutsche Faschismus entspreche dem christlichen Menschenbild am besten. Wer blickt da noch durch?

Schallenberg ist in Rom Berater „für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen“, kein Scherz.

Pennekamp erinnert sich sehnsüchtig an Johannes Paul II. Der habe den Kapitalismus noch als „ein Wirtschaftssystem bezeichnet, das die grundlegende und positive Rolle des Unternehmens, des Marktes, des Privateigentums“ anerkenne.

Kapitalismus ist gut, das ist die nicht hinterfragbar Grundidee. Dafür müssen sämtliche Erkenntnisse zum Thema von Marx bis Zizek über Bord geworfen werden. Resultat ist vorgetäuschte Ahnungslosigkeit: Ausbeuterische Zustände in produzierenden Ländern? Die Bundesregierung plant ein neues Lieferkettengesetz. Monopolbildung? Die Wirtschaftswissenschaften haben das Problem erkannt. Zu wenig Empathie für Schwache? Mehr Empathie kann zu venezuelanischen Verhältnissen führen.

Wer ist dieser Johannes Pennekamp? 1983 geboren, Studium der VWL, jetzt FAZ-Wirtschaftsredakteur. Pennekamp scheint die Vermutung zu bestätigen, dass Wirtschaftswissenschaften in Deutschland Hokuspokustudiengänge sind. Man wird von Anfang an hochidelogisch und unterkomplex informiert. Hier von einem Studium zu sprechen, ist schon gewagt. Pennekamp dürfte den Kram, den er schreibt, tatsächlich zu glauben.

Stellen wir uns vor: Der kleine Johannes hatte eine Schulfreundin, Johanna, die sich entschied, Muslima zu werden. Er wurde kapitalismusaffiner Journalist und glaubt nun an den Gott des Kapitals, sie wurde strenggläubige Muslima und glaubt nun an den Gott im Himmel. Beides ist intellektuell nicht ernstzunehmen, denn beide Welten bestehen aus unbegründeten Behauptungen und willkürlichen Schlussfolgerungen, denen aber unbedingte Autorität zugesprochen wird. Der kapitalgläubige Johannes jedoch wird hierzulande tatsächlich als Intellektueller betrachtet, Johanna in ihrem Glauben – völlig zurecht – intellektuell nicht ernstgenommen. Dabei sind beide ähnlich unterkomplex und fantasiegestützt. Wobei man vermuten könnte, dass der Koran vielfach komplexere und interessantere Gedanken enthält als jedes Werk der Österreichischen Schule.

Kritiker dieser Konstallationen dräut, wie man sagt, nichts Gutes: Der Kapitalismuskritiker steht im Verfassungsschutzbericht und ist damit aus der Gesellschaft mit all ihren Möglichkeiten hinauskatapultiert. Der Islamkritiker steht auf Abschusslisten Empörter und muss um seinen Kopf fürchten.

Der Zusammenhang ist zu vermuten: Je intensiver in einer Gesellschaft die Anbetung des Kapitals sich manifestiert, desto intensiver wird auch der religiöse Gott angebetet. Der intellektuelle Analfabetismus auf beiden Seiten befruchtet sich. In den USA ist man da schon weiter als bei uns.

Der Vollständigkeit halber: Der Papst ist natürlich kein ernstzunehmender Kapitalismuskritiker. Dennoch: Er ist eine gewichtige Stimme. Und wie sollte man denn anders argumentieren angesichts der Fakten: Zunehmende Ungleichheit, perverse Reichtumsanhäufungen, miese Renten, Gentrifizierung, Umweltzerstörung, fehlende Grundsicherungen, umfassende Konkurrenz zu Lasten der weiter unten, extreme Ausbeutung in weiten Teilen der Welt und überhaupt der immer weiter fortschreitenden Entfremdung der Menschen und der totalen Lüge. Der Papst kritisiert immerhin die kapitalistische Totalität, die komplette Erfassung des Seins.

Die FAZ weiß schon, warum sie solche Artikel veröffentlicht. Wehret den Anfängen.

Kommentar von Global Review:

Religion, Kapitalismus, Arbeitsethik und irdischer, materieller Reichtum

Max Weber behauptete in seiner Religionssoziologie, dass der Protestantismus und seine Arbeitsethik,vor allem der Calvinismus und Puritanismus die Entwicklung des Kapitalismus ermöglicht hätten, zumal der Kapitalismus historisch in protestantischen Ländern wie Holland, den White Anglosaxon Protestant- WASP-USA und England entstanden war. Andere Religionen und Philosophien wie der Katholizismus, Konfuzianismus und Hinduismus hingegen wurden in Nachfolge dessen auch als Entwicklungshemmnisse für einen Kapitalismus gesehen. Inzwischen aber haben konfuzianisch geprägte Länder wie China, Südkorea und Taiwan sich als Wirtschaftswachstummächte etabliert oder das hinduistische Indien und wird nun im Gegenteil der Konfuzianismus nun geradezu als Erfolgsrezept für kapitalistischen Erfolg behauptet. Andere Experten sind der Ansicht, dass es weniger an den Religionen lag, sondern an der Wirtschaftspolitik dieser Staaten und anderen ökonomischen, technologischen und (geo-)politischen Rahmenbedingungen.

Vor allem der Calvinismus zeichnet sich durch seine Prädestinationslehre aus, die materiellen irdischen Reichtum zum einen als Ergebnis gottesgefälligen Lebens wie auch göttlicher Vorherbestimmtheit sieht. Nsch Reichtum zu streben und diesen zu haben sei Gottes Willen.Prominentes Beispiel dessen ist der Vater von Donald Trump, Fred Trump, der als Presbyterianer einer calvinistisch orientierten Kirche angehörte, die seinen Raubtierkapitalismus und seinen Reichtum als von Gott vorhergesehen predigte. Hieraus ergibt sich ein krasser Sozialdarwinismus, der Arme als quasi Ungläubige und von Gott nicht Ausersehene betrachtet und dementsprechend behandelt. Die Armenhäuser in protestantischen Staaten, die besseren Konzentrationslagern glichen waren Ausdruck dessen und auch Vorbild für die Nationalsozialisten, die die protestantische Arbeitsethik mit ihrem „Arbeit macht frei“zur logischen Konsequenz brachten.

Die Evangelikalen knüpfen an dieser gottesgesegneten Reichtumsideologie an und fassen in immer weiteren Teilen Amerikas, Afrikas und Teilen Asiens Fuß. Auch dadurch dass man selbst als Prediger reich werden könne, wobei sie da geradezu Castingsshows für Jungtalente organisieren, die die Hoffung auf einen schnellen Aufstieg bei ihren Mitgliedern nähren, wie auch suggerieren, wenn man Mitglied dieser Religion sei, es zu schnellem Erfolg und irdischen Reichtum schaffen könne. Sollte man das nicht tun, sei man eben noch nicht gottesfürchtig und gläubig genug und müsse noch mehr Bibelveranstaltungen und Messen besuchen.

Im Islam gibt es noch nicht eine derart calvinistische Auslegung, wenngleich Reichtum und Macht durchaus mit der Religion vereinbar gesehen wird, man aber beim Opferfest dann Almosen für die Armen geben soll.

Sozialstaat und Klassenkämpfe gegen den Islamismus und Neoliberalismus

Neoliberale und Rechte sehen die Möglichkeit den Sozialstaat durch religiöse charity-Organisationen zu ersetzen oder ihn zu deren Gunsten oder reichen Philanthropen abzubauen. Ebenso sehen sie in der Religiosität einen gesellschaftsstabilisierenden Wert, wie auch teils ein kapitalismuskompatibles Element. In ihrem Buch „God is Back-How the Global Revival of Faith is changing the world“ der Economstjournalisten John Micklethwait und Adrain Wooldridge priesen sie, dass religiöse Menschen abstinent sind, stabliere Beziehungen und Ehen haben, fleissiger wären. Ähnlich beschrieben neoliberale Autoren auch die Wählerbasis der AKP, die neue grüne religiös-konservative Mittel- und Unternehmerschicht wie in der Musterstadt Kaiseri, der in Analogie zu Max Weber calvinistisch-protestantische Arbeitsethik diesmal im islamischen Gewande attestiert wurde und daher als modern und kapitalismuskompatibel gesehen wurde. Freilich übersahen die Neoliberalen dabei, dass diese Abreitsethik eben noch lange nicht Liberlaität oder Aufgeschlossenheit zu einem säkularen Staat bedeutet, sondern die AKP-Basis wie auch ihre Führung evolutionäre Islamisten sind, die einen islamofaschistischen Staat herbeiführen wollen. Selbiger Denkfehler wurde bei der islamistischen Gülenbewegung gemacht, die aufgrund ihres konfuzianisch anmutenden Bildungsideals für eine moderne, kapitalismuskompatible Form des Islams und wie die AKP als eine Art islamische CDU angesehen wurde. Neoliberale, Konservative und Rechte sehen nicht die Gefahr, dass mit dem Ersatz des säkularen Sozialstaats durch religiöse Organisationen und Gruppen gerade die Basis für die Abschaffung des säkularen liberal-demokratischen Staats zugunsten eines autoritär- religiösen Staats gelegt werden kann, wenn diese religiösen Gruppen dann auch politische Parteien gründen oder diese unterstützen. Von daher lehnt die Linke es ab den säkularen Sozialstaat auf religiösen Wohlfahrtsorganisationen aufzubauen, bzw. diesen zugunsten dieser Gruppen abzubauen oder gar zu ersetzen.

Islamistische Parteien und Bewegungen füllen mit ihren karikativen Organisationen die Lücken fehlender Sozialorganisationen säkular-linker Organisationen oder fehlenden Sozialstaats oder Abbau des Sozialstaats infolge neoliberaler Politik säkular-demokratischer und säkular-autoritärer Regierungen aus. In ihrem Buch beschreibt die Sadatwitwe die karikativen Wohlfahrtsorganisationen und sozialen Netzwerke der islamofaschistischen Muslimbrüder, für die sie damals auch sammelte und Sympathien hatte, bevor sie Jungoffizier Sadat kennenlernte-von kostengünstigen Apotheken, Ärzten und kostenfreier Behandlung, billigen Anwälten für Rechtsberatungen , Lehrern für Nachhilfe, Seelsorge organisierten die Islamisten ein breites soziales Netz. Weswegen sie auch Sympathien gewinnen können und fälschlicherweise mehr als karitative Sozialbewegung eingeschätzt werden. Dass die Muslimbruderschaft karitative Institutionen unterhält, ist richtig, aber es wäre genauso zu sagen: Die NSDAP hatte eine SA und die SA hatte Suppenküchen sowie Winterhilfswerk und deswegen wäre die SA die dominante Richtung und nur eine sozialkaritative Organisation gewesen.

Wohlfahrtsinstitutionen aufzubauen,um einen Staat im Staate zu etablieren und zur Rekrutierung von Anhängern zu nutzen, die den säkularen Staat unterminieren und stürzen wollen, ist der eigentliche Zweck, nicht Humanität.Da werden Zweck und Mittel ein wenig verwechselt. Islamophile verklären Islamisten somit zu einer sozialkarikativen Caritas und blenden den Kontext und das Ziel aus, in dem und zu dem diese Sozialarbeit betrieben wird: Einer islamofaschtischen Ideologie und zur Errichtung eines Gottesstaats. Von daher nutzt es nichts nur Klassenkämpfe für Sozialstaat, gegen Sozialabbau, sozialer Lebensbedingungen zu führen oder um die Wette Gelder für Bedürftige zu sammeln , womöglich noch gemeinsam mit den Islamisten für die gute und soziale Sache, sondern man muss bei den sozialen Kämpfen die ideologischen und machtpolitischen Ziele und Gesellschaftsziele der Islamisten propagandistisch genauso angreifen wie die neoliberalen Verursacher der Zustände.

Islamismus als Backlash gegen Modernisierung und Moderne

Der Islamismus auch eine Reaktion auf halb- oder fehlgeschlagene Modernisierungsversuche vieler muslimischer Staaten waren. Im Falle des Irans z.B. der Weißen Revolution, die viele Grundbesitzer inklusive des Klerus enteignete und mittels dieser Landreform ländliche Massen in die Hauptstädte brachten, die das Dorf mit sich brachten und zumal sich um die Bazare und Moscheen als neue Zentren gruppierten, die dann die Unterstützerbasis von Khmoeini gegen den Schah waren.  In Afghanistan sahen sich viele Großgrundbesitzer, Grundbesitzer, Warlords, Klerikale, die zumal auch über Grundbesitz verfügten durch die Landreformen der Kommunisten , den Alpahbetisierungs- und Frauenförderungsmassnahmen wie dann auch den Kollektivierungsversuchen der Sowjetunion bedroht. Ähnliche Beispiele gibt es auch im gesamten Greater Middle East. Desweiteren wurden viele bäuerliche Massen entwurzelt und infolge der Urbanisierung mit der eher moderneneren, säkularen Ober- und Mittelschicht der Städte und deren liberaleren und westlicheren Lebenstil konfrontiert, der zu viel Sozialneid und moralischen Bedenken führte, ob dies nicht Sodom und Gomorrah und Todsünde sei, zudem auch noch die prassende und korrupte säkulare Elite kaum Sozialsysteme aufbaute abgesehen von einigen Subventionierungen von Lebensmitteln und Öl, die dann aber immer wieder infolge von IWF-Programmen zusammengestrichen wurden, was auch zu einigen Aufständen führte, die seitens der Islamisten willig aufgegriffen wurden. Hinzu kam, dass trotz Modernisierung die Mittelschict relativ klein blieb, sich kein richtiges und breites kapitalistisches Unternehmertum oder eine Bourgeosie samt klassischer Arbeiterklasse herausbildete wie in den klassischen kapitalistischen Ländern der Metropolen, zumal auch die regiernden säkularen Despoten und Einparteienherrschaften zumal auch die Militärs der Jungen Offiziersbewegung eng mit der Wirtschaft verbunden war und die Korruption und Vetternwirtschaft blühte. Wie Bassam Tibi sagte: Die säkularen Modernsierer der muslimischen Welt vollbrachten nur eine „halbe Modernisierung“. Mehr die wirtschaftliche und die auch zumeist recht schlecht, aber schon gar keine politische Modernisierung. Somit hatten die Islamisten aufgrund der halben und schlechten Modernisierung, zumal der Korruption, des Fehlen eines Sozialstaats, des dekandenten Lebensstil der Eliten und der unzureichenden Bildung der Bevölkerung breite Ansatzpunkte, um eine Massenbasis zu finden.

Der konservative Islam breitet sich als Massenbasis vor allem da aus, wo die Menschen arm sind. Die Herrschenden schüren das gerne, siehe Saudi-Arabien. Westliche Lebensweise ist beispielsweise in Ägypten Reichen vorbehalten. Wäre das nicht so, wäre der Islam bald tot. Jeder in der arabischen Welt will seine Kinder auf westliche Schulen und Universitäten schicken, nur dann haben sie eine Chance auf Wohlstand. Das schaffen aber nur die Familien, die sowieso schon reich sind. Die anderen, die Massen, schaffen es nicht und nehmen dann eine radikale Gegenhaltung ein. Das ist nachvollziehbar. Ich habe das ein paarmal in Kairo erlebt: Westlich geprägte junge Leute, die in Clubs gehen, wo der Drink so viel kostet wie die Armen in einer Woche verdienen. Da entwickelt sich Hass und es bleibt einem nur der Prophet.

Andererseits auch interessant: In Tunesien beispielsweise sind die Strafen gegen Islamisten extrem, viel härter als hier. Wer auf den falschen Seiten im Internet surft, kommt ins Gefängnis, kann keine Wohnung mieten, ist praktisch gezwungen, in die Illegalität zu gehen. In Ägypten läuft es ähnlich, da wurde der Moslembruderschaft schon lange der Kampf angesagt. Aber der arabische Frühling wurde größtenteils von Reichen unterstützt, das kann ja nicht klappen. Die Masse bräuchte mehr Bildung, und das ginge nur mit einer niedrigeren Geburtenrate. Konservative Moslems lehnen Geburtenkontrolle ab. Mit denen ist kein Staat zu machen. Genausowenig mit Christen. Vielleicht wurden die Christen ideologisch schon stärker zurückgedrängt, zumindest in Europa, weil die noch vernunftresistenter sind als Moslems. So wie der plattdeutsche Dialekt als erster verschwunden ist, weil in niemand außerhalb dieses Dialektbereichs versteht.

Es ist aber fraglich, ob mit der Abschaffung des Kapitalismus und selbst bei bester Bildung die Religion aufhören würde zu existieren.Ein wesentlicher Kern der Religion ist die menschliche Angst vor dem Tod. Keiner will plötzlich nicht mehr da sein und schwupps das war es. Die Religionen negieren den Tod,es gibt ein Leben danach,sogar ein Paradies oder die Wiedergeburt oder eine weiterlebende Seele oder feinstofflichen Weiterexistenz oder Astralkörper oder Lebensenergie in der esoterischen Form.Ebenso wird auch der beste medizinische Fortschritt das Leben bestenfalls verlängern können,aber nicht wie in Yuval Hariris Homo Deus da infinitum und auch gewisse Krankheiten wird man nicht heilen können.Von daher bleibt den Verzweifelten und Kranken immer noch der Griff an den Glauben von Wunderheilungen.

Es wird offenbar die Sehnsucht nach einem Leben nach dem Tod ausgenutzt, indem Opinionleader behaupten, sie hätten die Lösung. Die bedeutet immer, dass man sich im irdischen Leben nach bestimmten Regeln richten muss, dann klappt es auch mit dem Jenseits. Diese Regeln sind teilweise uralte ethische Regeln (nicht töten, nicht klauen u.ä.) und teilweise proklamierte Verhaltensweisen, die der Machterhaltung ebendieser Opinionleader dienen (Ungläubige töten, Anti-Körperlichkeit). Für mich ist es immer das gleiche: Wir können nicht hinter unser eworbenes Wissen zurück. Wir wissen, dass es kein Leben nach dem Tod gibt. Und wenn es das in irgendeiner Dimension – wider alle Erwartung – doch geben sollte, dann können wir dazu keine Aussage treffen. Wir Menschen haben schlichtweg nicht die nötigen intellektuellen oder sinnlichen Eigenschaften, um das zu tun. Deshalb sollten wir dazu schweigen.

Atheisten sind so gesehen sehr demütige und bescheidene Menschen. Sie wissen, dass sie nichts wissen. Es sind vermutlich auch die, die in der Coronadebatte die angenehmeren Positionen besetzen bzw. die, die eher sagen, dass sie nichts wissen. Es ist kein Wunder, dass christliche Verbände das Virus gerne leugnen und sich schon massenhaft angesteckt haben. Je intensiver umgekehrt der Glaube, desto anmaßender wird er. Menschen, die sich auf Fantasiegebilde wie Jesus oder Mohammed beziehen, die wiederum behauptet haben sollen, es geben einen Gott und ein Leben nach dem Tod.

Über Gott kann man ernsthafterweise auch nur die eine Aussage treffen: Sollte es ihn geben, kann ich nichts über ihn sagen. Der Mensch kann über Gott nichts aussagen, ebensowenig über den Beginn und die Ausbreitung des Universums. Wir sind intellektuell, nein, eher sinnlich, nicht dafür gemacht. Wir können uns die unbegrenzte Zeit und den unbegrenzten Raum nicht vorstellen. Wir können intellektuelle Modelle wie Schwarze Löcher entwerfen, aber das sind Hilfsmittel, die wir nur berechnen, nicht verstehen. Jedes Kind fragt: Und was war vorher?

Die Linke sollte wieder die Frage nach einer neuen Gesellschaft stellen

Der postkommunistische Boom des Kapitalismus ist nun folgerichtig von Stagnation und weiteren Krisen abgelöst worden, auch in den BRICS-Staaten.Genauso wie die kommunistische Planwirtschaft Mangelwirtschaft und Unfreiheit bedeutet, so zeichnet sich die kapitalistische Wirtschaft des Westens  durch Wirtschafts- und Finanzkrisen aus, durch Konzentration von Eigentum, durch Prekarisierung und sozialen Abstieg der Arbeiter und auch der Mittelschichten, steigende Mieten und Immobilienspekulation, die dann eben auch neue politische Bewegungen und Parteien hervorbringen, die sich als Schutzmacht der kleinen Leute versprechen und zunehmend auf Nationalismus setzen: „America first“, „Britain first“, „Germany first“, “Russia first”, “China first”, “Philipines first”.

Max Horkheimer sagte einmal „”Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen”. Das Wiederaufkommen rechtsextremer Parteien und Bewegungen sowie des Nationalismus und des Islamismus liegt im Wirtschaftssystem begründet. Solange es keine anderen Gesellschaftsentwürfe gibt oder wieder diskutiert werden, können linke Demokraten nur die politischen und sozialen Exzesse dieses Systems versuchen einzudämmen und zu mildern.Wir befinden uns im wesentlichen in einem Abwehrkampf und dieser ist mit der Wahl Trumps und dem Sieg der Brexitbefürworter nicht leichter geworden.Daher sollten wir nicht bei den Abwehrkämpfen stehen bleiben, sondern wieder über eine neue Gesellschaft diskutieren.

Um uns herum sehen wir die rapide Erosion der Nachkriegsordnung und Trump stellt inzwischen auch alle Nachkriegsinstitutionen von EU. NATO, IWF, Weltbank, WTO, UNO auf den Prüfstand und zur Disposition.Die US-Politik im Nahen und Mittleren Osten, der Irakkrieg 2003 und dann der übereilte Rückzug des US-Militärs unter Obama haben diese Region in ein Trümmerfeld und Nährboden für islamistischen Terror verwandelt, vor den nun breite Flüchtlingsströme Richtung Europa drängen.

In Afrika hat die Wirtschaftspolitik des Westens und auch der EU, die Freihandelsabkommen zuungunsten der afrikanischen Staaten abschloss, subventionierte Nahrungsmittel in die afrikanischen Länder exportierte, deren Fischgebiete mit Hochseeflotten leerfischt und den bäuerlichen Existenzen so ihre Existenz nimmt, für viele die Lebensumstände derart verschlechtert, dass sie nun den Weg nach Europa suchen.

In Deutschland erhofft sich die AfD nun Zulauf.Die neuen rechtsextremen Parteien setzen nun auf Nationalismus und Wirtschaftsnationalismus. Sie forden die völlige Entsolidarisierung der Gesellschaft, wie auch der internationalen Staatengemeinschaft, die auch schon unter den demokratischen, neoliberalen Parteien mittels der “Standortkonkurrenz” betrieben wird, aber nun nochmals durch die Rechtsextremen zugespitzt werden soll.Es soll wieder wie bei Hobbes ein Krieg jeden gegen jeden werden, die Menschen und die Staaten als Wolfsmenschen, die einander bekämpfen und das sozialdarwinistische Recht des Stärkeren gilt und die Schwächeren und Andersdenkenden unterdrückt und aussortiert werden. Wo Wirtschafts- und Handelskriege sowie Kriege zum bevorzugten Mittel der Auseinandersetzung werden.

Dem kann man nur den Gedanken der Toleranz, Mitmenschlichkeit, des Humanismus, der Solidarität, des Internationalismus, des Kosmopolitismus entgegenhalten sowie eine Sozialpolitik, die Rechts- und Sozialstaat sichert.Aber alle Demokraten sollten auch wieder über andere Wirtschafts- und politische Systeme nachdenken, damit die Rechtextremen nicht als alternativlos erscheinen.

Merkel vertritt laut eigener neoliberaler Aussage eine „marktkonforme Demokratie“, deren Ergebnisse wir sehen. Die Gegenforderung von uns sollte sein: eine demokratiekonforme soziale Wirtschaft. Die wichtigste Aufgabe der Demokraten ist es über solch eine demokratiekonforme soziale Wirtschaft und andere Gesellschafts- und Ssytementwürfe wieder zu diskutieren, die die neoliberale und unsoziale Politik der etablierten Parteien, wie auch der sozialdarwinistischen Rechtsextremen und ihren nationalistischen und autoritären Gesellschaftsentwürfen etwas entgegensetzen.Dazu solte man über solche Demonstrationen hinaus wieder politisch-inhaltliche Veranstaltungen organisieren, wo man darüber diskutieren kann, wie man sich eben eine andere und neue Gesellschaft vorstellt.

Kapitalismus- und Kommunismuskritik und Synthese. Viele der totalitären Bewegungen des Säkularismus und des religiös-nationalistischen Revivals berufen sich auf soziale Gerechtigkeit und geben sich als antiglobalistsch/antikapitalistisch, da eben der Kapitalismus und seine Globalisierung viele Verlierer und kulturellen Umbrüche mitbringt. Dem entgegenzuhalten ist, dass weder eine Planwirtschaft, noch ein Kapitalismus eine Krisenlösung ist: Die kommunistische Planwirtschaft bringt ebenso Unfreiheit wie auch Mangelwirtschaft hervor, wie der Kapitalismus eine soziale Reichtumspolarisierung und Wirtschafts- und Finanzkrisen ala 1929 oder 2008, die auch nicht die letzten sein werden, Umweltzerstörung, etc.. Ein denkbares Modell ist ein regulierter Kapitalismus mit Sozialstaat und Berücksichtigung ökologischer Standards. Aber grundsätztlich sollte die Linke wieder eine Grundsatzdiskussion und alternative Gesellschaftsmodelle zu Kapitalismus und Kommunismus führen, um zu den nationalistischen und islamistischen Gesellschaftsentwürfen einen dritten Weg formulieren zu können.

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