Faschismus, Postnationalsozialismus, Demokratie, Totalitarismus und der Kapitalismus

Faschismus, Postnationalsozialismus, Demokratie, Totalitarismus und der Kapitalismus

Im folgenden dokumentieren wir 2 grundlegende Texte der Phase 2, die die verschiedenen Positionen innerhalb der linken Diskussion nach Abflauen des antideutschen Hypes zu dem Zusammenhang zwischen Kapitalismus, Ideologie, Faschismus und Staat verdeutlichen. Dabei geht es um die Frage, inwieweit der Faschismus aus dem Kapitalismus zu erklären ist, inwieweit die Ideologie des Faschismus kapitalistisch ist, ob eine spezielle deutsche Ideologie, Mentalität oder autoritärer Charakter den Faschismus hervorbrachte und auch heute noch treibende Kraft der BRD ist, inwieweit sich Antisemitismus aus dem Kapitalismus erklären lässt und andere damit zusammenhängende Fragen. Wie die Autoren aber selbst klarmachen, ist das missing link, die Verbindung und Brücke zwischen Ideologiekritik und Ökonomiekritik des Faschismus jedoch noch nicht gefunden und sollen diese Beiträge eine überfällige Diskussion einleiten.

Die Frage aber ist,ob die gesamte Dislussion nicht wie das Pferd vom Scwanz aufgezäumt wird. Denn es stehen sich anarchokommunitische gegen totalitärkommunitsische Vorstellungen gegenüber, die sich zusammengefunden haben aufgrund des missing links.Beide gehen davon aus, dass der Kapitalismus nur eine historisch Stufe der Gesellschaftsentwicklung ist, keine Naturnotwendigkeit und durch ein anderes System ersetzt werden könnte. Während sich beide Seiten noch einig sind, dass dem so sei, so haben die Anarchokommisten doch noch ihre anarchistischen Experimente als gesellschaftliche Gegenmodelle, die zwar immer gescheitert sind, während die Marxistische Gruppe(Gegenstandpunkt) erst mal erklärt, man dürfe nur destruktive Kritik und keine Alternativen diskutieren, sondern erst mal nur Zersetzungsarbeit un desktruktive Kritik und Analyse ohne weitergehende Taten bringen und die Frage nach Alternativen oder einem konkreten Kommunismus sei konterrevolutionär, aber zugleich immer wieder andeutet, man hätte lieber Stalinismus ohne Geldwirtschaft. Jedenfalls wird von den Anarchokommusiten und den Gegenstandpunkts- Kommunisten ein regulierter Kapitalismus mit einer Arbeiter- oder liberalen Demokratie schon als gemeinsames Feindbild gesehen.

Dass man bisher im meisten falsch lag, ist kein Hinderungsgrund. So falsch es ist wie die Frankfurter Schule einen allgemeinen Totalitarismus zu sehen, egal ob bürgerliche Demokratie, Faschismus oder Kommunismus oder eben Islamismus,als nur noch von Rackets verwaltete Welt im allgemeinen, abstrahierend von der Intensität und den Dimensionen, so umgekehrt falsch ist es, die Gesetzmässigkeiten des Kapitalismus und seiner Krisenhaftigkeit nicht sehen zu wollen, die eben die Grundlage all jener extremen Gegenbewegungen ist. Und die Ideologie geht nicht automatisch aus dem Unterbau hervor, sondern ist eine recht kreative oder eben stupide, vereinfachnede Intepretation der eigenen untershcieldichen Erfahrungen, die einem durch Familie und BIldungssystem sozialisert wurden oder eben der Mainstreamkultur. Aber während der Faschismus in Italien, Spanien und anderen Ländern vor allem gegen den Kommunismus und die Arbeiterklasse gerichtet war, so war der deutsche Nationalsozialismus doch eine eigenen Faschismusvarinate, die den liquidatorischen Antisemitismus im Fokus hatte vor allen anderen Erwägungen. Und man muss einfach zugestehen, dass es nicht die vielen antisemitischen Faschisten in Deutschland waren, die zielstrebig einen Holocaust wollten, sondern vor allem eine kleine Clique und ihr Führer, dem sich dann aber alle anschlossen, da man ja auch antisemitisch geeicht war. Es ist also durchaus möglich, dass der Faschismus neben der Bekämpfung des Kommunismus und der Arbeiterklasse, noch ganz andere Dimensionen annnimmt, wenn es ihr jeweiliger Führer will, der zuviel esoterische Thulegesellschaften besucht und Ostarahefte gelesen hat.Und so war es bei Hitler.Da nützen auch keine noch so gearteteten Kapitalismus- und Faschismusanalysen etwas, die den Nationalsozialismus oder den Antisemitismus aus der Zirkulationssphäre des Geldes erklären wollen.

Moshe Posthone ist da der Starautor, aber eben sehr eurozentrisch. Dass der Antisemitimsu aus dem falschen Bewusstsein der Geldwirtschaft hervorgehe, ist einfach eurozentrischer Quatsch. Hier ist doch die konkete gesellschaftliche Erfahrung und die kulturelle Prägung wichtig. In Asien gibt es faktisch keinen Antisemitismus. Eher haben die Auslandschinesen die Sündenbockfunktion in den asiatischen Ländern, da sie zumeist wie in Europa die Handels- und Finanznetzwerke dominierten und dann in Krisenzeiten wie in Europa als Sündenböcke herhalten mussten, was heute nicht mehr möglich ist, da die VR China eine Weltmacht geworden ist, diese Netze nutzt und als deren Schutzmacht auftritt.

Antisemitismus ist vor allem eine Erscheinung der westlichen Staaten, vor allem in Europa. Die meisten Asiaten kennen keine Juden oder Antisemitismus, weswegen auch Moshe Posthones ganze Thesen zum falschen Bewusstseins der kapitaltischen Geldsphäre und dem Antisemitismus, die nur den Juden als Feind wüssten, doch sehr eurozentrisch und eben schlicht falsch sind. In Asien waren es nicht die Juden , die keiner kannte, sondern eher die Auslandschinesen, die eine ähnliche gesellschaftlcihe Stellung als Händler ud Finanzgeber wie viele Juden in Europa hatten und da eben als die Juden Asiens gesehen wurden und auch oft verfolgt wurden. Umgekehrt war Japan die Schutzmacht der Juden in Asien, obgleich sie mit Nazideutschand verbündet war. Zum einen war es ein Jude namens des Bankers Jakob Schiff, der Japan angesichts der zaristischen Judenpogrome in Russland einen Kriegskredit gab, der zum Sieg Japans im Krieg 1905 führte. Dann waren japanische Truppen in Russland eingesetzt, um die bolschewistische Revolution mi anderen ausländischen Armeen niederzukämpfen und gerieten über die weißrussichen Truppen an die Lektüre der „Protokolle der Weisen von Zion“, wodurch die japanischen Führungseliten den Eindruck erhielten, das die Juden allmächtig seien. Anders aber als die Nationlasozialisten und HiIter, zogen die japanischen Eliten aus der Verschwörungestheorie der Weltherrschaft der juden nicht den antisemtischen Schluss, dass man diese alle ausrotten müsste, sondern ganz im Gegenteil, den philosemitischen Schluss dass man sich mit diesen verbünden müsse.

In der Folge kam es zwischen Nazideutschland und seinen Verbündeten Tojo-Japam immer wieder zu Verstimmungen über die Judenfrage.Man sieht am Beispiel Japan, wie persönliche Kontakte und Zufälligkeiten solche Einstellungen zum Judentum befördern können und genauso war es bei Hiter. Zwar war er beeinflusst vom religisöen Antijudaismus und rassitischen Antisemitismus der damalgien Zeit, aber die Idee des liquidatorischen Antisemitismus war doch seine eigene Idee, die ihn von Mussolini und anderen Faschisten untershhied. Diese Sorte Originalität ist weder durch Kapitalismuskritik, noch Ideologiekritik, die sich aus dem Kapitalismus ableiten will zu erklären, sondern eben eine recht losgelöste, individuelle Sache eines Individuums, das wegen seines Individualismus eigentlich Liberale wieder erfreuen müsste.Überspitzt gesagt: Hitler war mit seinem liquidatorischen Antisemitismus und der Endlösung eines Holocaust ein indivudueller Spinner,ein gesellschaftlich zugepitztes Extrem an Antisemitismus, eine Person, die zwar einen gesellschaftlichen Hintergund des Nationalismus und ANtisemitismus wie alle anderen hatte, aber zu seinen eigenen Schlussfolgerungen ganz originär kam. Deswegen scheitern auch alle missing links, sei es der Ideologiekritik oder der Ökonomiekritik, die nur gesellschaftliche Rahmenbedingungen sehen, nicht aber die Rolle eines Individuums oder einer Person.Dass eben auch extreme Spinner allgemeine Trends so zuspitzen können, dass sie völlig irrational werden. Gerade in der Negierung der Bedeutung von einzelnen Individuen und Personen und deren absoluten Steigerung aller Irrationalität liegt das missing link der nur gesellschaftlich denkenden Marxismustheorien, seien sie auf Ideologie oder auf Ökonomie basierend.

Hitler hatte als Individuum aufgrund des allgemeinen Antisemitismus beschlossen, dass man alle Juden ausrotten muss. In seiner Propaganda bediente er zwar auch den Antisemitismus, hat aber niemals einen Holocaust oder eine industrielle, liquidatorische Vernichtung der Juden ausgesprochen oder ins Zentrum seiner Propaganda gestellt, auch nicht in „Mein Kampf“. Es ging im wesentlichen um den Vertrag von Versailles, den Youngplan und ähnliches, den Dolchstoss, auf die Wiederherstellung eines starken Deutschlands nebst antismeitischen Äusserungen, die aber gesellschaftskpmpatibel waren.Es war vor allem der Nationalismus und weniger der Antisemitismus mit dem Hitler seine Wähler und Verbündeten rekrutierte. Er hatte aber für sich klar beschlossen, dass die Vernichtung der Juden, der Holocaust die hidden agenda, das eigentliche Ziel war Ein judenfreies Großdeutsches Reich und Europa. Von daher sind auch Versuche einer individualistischen Hitlerbetrachtung, wonach Hitler Opfer der Wahnvorstellungen infolge der Drogen, die ihm sein Leibarzt Morell verabreichte, falsch. Diese steigerten vielleicht noch den Wahnsinn, begründeten ihn aber nicht.Aber es gilt einmal festzuhalten, dass Hitler neben wenigen anderen Nationalsozialsten wie Himmler die liquidatorische Form des Antisemitismus verinnerlicht hatte und vertraten, aber zur Aussenwelt diese nie so offenkundig vertraten, bestenfalls in Andeutungen. Die hidden agenda Hitlers, der Holocaust war nicht der Grund, warum ihn die meisten Menschen wählten. Die ihn unterstützenden Nationalkonservativen dachten mehr über Versailles und waren auch teils antisemitisch und rassistisch, aber hatten nicht die Vernichtung der Juden als zentrales Programm.

Die nationalkonservativen Kreise in Politik und Wehrmacht und Akademikertum wie Heidegger unterstützten Hitler vor allem aus ihrem Nationalismus heraus, aus der Vorstellung, dass ein Deutsches Reich wiederhergestellt werden und der Krieg gegen die bolschewistische Sowjetunion geführt werden müsste, aber nicht wegen eines Holocaust oder biologitsch-rassistsicher liquidatorischer Ansichten zu Judentum und Slawentum.Die nationalkonservativven Kreise in Politik und Wehrmacht wollten ukrainische und russische Exilregierungen und deren Widerstand fördern, doch Hitler liess die Ukrainer und den russischen NTS als slawische Untermenschen bekämpfen und schickte ihre Oppositionsregierungen- und politiker in deutsche KZs. Aber mitgehangen, war eben mitgefangen. Wehrmacht und die Nationalkonservativen beteiligten sich opportunistisch an allen Verbrechen, die Hitler beging, wussten dann auch vom Holocaust und nahm auch Massenerschiessungen seitens der Wehrmacht an Juden vor. Erst als mit Stalingrad absehbar wurde, dass man den Krieg verloren hatte, verliessen die Ratten das sinkende Schiff und kam es dann auch zum versuchten Attentat und Staatsputsch gegen Hitler des 20. Julis unter Stauffenberg (der zuvor in seinem Stefan-George-Kreis mit seinem „Meister“ George Hitler als spirituellen Erneuerer Deutschlands gefeiert hatte) , der aber scheiterte, aber trotz allem noch heute als offizielle Staatsfeier im Bendlerblock gefeiert wird ohne jegliche Selbstkritik des Nationalkonservatismus, der mittels Papen, Schleicher und HIndenburg HItler erst möglich gemacht hatte und bei allen Verbrechen eifrig mitgewirkt hatte und sich erst dann distanzierte, als das Scheitern offensichtlich wurde.

Aber diese Betrachtungen können eben nicht nur Faschismus und Nationalsozialismus sein, sondern eben auch Leninismus, Stalinismus und Trotzkismus, ja auch bis zu Maosimus und Pol Pot führen, die ebenso eine solche Ökonomie- oder Ideolgiekritik verdienten. Während die Phase 2 viel Ziet drauf verbingt die ganze rechte Seite zu thematisieren, ist doch auffällig, dass der Zuammenhang zwischen Kapitalismus, Staatsableitung und Leninismus gar nicht gebracht wird. Die Marxistische Gruppe hatte da einmal eine ganz gute Kritik der Klassiker von Lenins „Imperialismus als höchstem Stadium des Kapitalismus“ geschrieben, in dem sie die Theorie des Monopolkapitalismus und der Gleichsetzung von Staat und Ökonomie und der Herrschaft der Agenten des Finanzkapitals hinterfragte, da dies die wesentlichen Elemente von Verschwörungstheorien der Neuzeit auch heute sind, jenseits nochmals von allem strukturellem Anitsemitismus aufgrund verkürzter Kapitalismuskritik die daraus durchaus entstehen kann. Aber warum nicht einen sozialdemokratischen regulierten Kapitalismus mit einer Arbeiterdemokratie als Gegenmodell? Warum immer den Anarchokapitalismus oder kein Gegenmodell oder einen neuen totalitären Zentralismus, eine „gescheite Planwirtschaft ohne Geld und Hebel, aber ewigen Schulungskurse der MG?

Postnazismus, Staatsableitung, Zivilgesellschaft?

Antideutsche und antinationale Kategorien in Zeiten von Transformationsprozessen

Spätestens seit letztjähriger Debatte zwischen der antideutschen Inex (Leipzig) und dem antinationalen …umsGanze!-Bündnis (UG) ist klar, dass gegenwärtig zwei Standpunkte vorherrschen, die sich auch im Bündnis gegen die Einheitsfeierlichkeiten niederschlagen. Noch um die Mitte der nuller Jahre, als radikale Antifa-Politik irgendwie dem deutschen Volk den Kampf ansagte – letztlich Resultat eingesickerter antideutscher Inhalte –, galt die marxistisch-antinationale Kritik am nationalen Normalzustand à la GegenStandpunkt oder junge linke eher als verbohrt. Dass solche Abgrenzungsbedürfnisse mittlerweile verloren gegangen sind, heißen wir gut. Denn seit einiger Zeit haben wir Unbehagen bei antideutschen wie antinationalen Positionen, obwohl wir uns beiden verpflichtet fühlen.

Die Debatte ist nicht neu. Neu ist aber ihr gesellschaftlicher Kontext. Unübersehbar hat sich Deutschlands Nationalbezug gegenüber dem Anfang der Berliner Republik verändert. Beherrschten damals Pogrome, rassistische Innen- und ethnisierende Außenpolitik das Bild, dominieren heute Gedenkgestus, Partynationalismus, das Vorherrschen von multi- vor leitkultureller Integration und Deutschlands Einbindung in Staatenbündnisse. Antideutsche sehen diesen Wandel als Schuldabwehr, der die Aktualität des Völkischen beweise. Die »neuen Antinationalen«, selbst KritikerInnen völkischen Denkens, diagnostizieren einen echten Wandel, da sich Deutschland zu einem normalen Nationalstaat transformiere und hauptsächlich antikapitalistisch bewertet werden müsse.

 Das Vertrackte ist, dass beide Argumentationen – gemessen an der Empirie, die Wandel und Kontinuität zugleich zeigt – ihre Berechtigung haben. Natürlich muss sich die Debatte an Fakten bewähren. Da kritische Gesellschaftsanalyse aber auch die Erkenntnis der Unzulänglichkeit von aneinandergereihter Empirie ist, muss sich die Inhaltsbestimmung des Wandels ebenso an den theoretischen Grundannahmen beweisen – das auch, weil uns die Debattierenden wegen unterschiedlicher Theoriesprache häufig aneinander vorbeizureden scheinen. Indem wir zur Problemverdeutlichung beide Positionen entlang ihrer theoretischen Referenzen vorstellen,

wollen wir fragen, ob antideutsche Grundbegriffe nicht durch die Unfähigkeit, gesellschaftliche Transformation zu deuten, problematisch sind. Der Vorzug antideutscher Denkformkritik wird allerdings durch eine verwässerte Ökonomiekritik und den fehlenden antideutschen Staatsbegriff aufgehoben. Andererseits fragen wir uns, ob die »neue antinationale« Kritik nicht ein zu starres, Ebenen kurzschließendes Modell ist und so unfähig bleibt, nationale Besonderheiten zu bewerten. Der Vorteil antideutscher Staatsformkritik verliert sich durch die fehlende antinationale Denkformkritik und einen unbegründeten Entwicklungsoptimismus.

Antideutsche Postnazismustheorie

»Klassisch-antideutsche« Positionen gelten als wertkritisch, was sie genau genommen nicht sind. Zwar beziehen sie sich auf Marx’sche Theoriefragmente, in ihnen dominiert allerdings das Wertkritik ausschließende Racket-Theorem. Antideutsche Untersuchungen gelten besonders Mentalitätsbeständen im NS und der BRD, welche verantwortlich seien für die deutsche Krisenbewältigung, die Klassenkonflikte durch Korporatismus löse und dissoziative Modernitätserfahrung potentiell mit völkischer Vernichtungspolitik beantworte. Argumentiert wird mit der Postnazismusthese, also dem »strukturellen Fortwesen« »nationalsozialistischer Ideen in und durch die Demokratie«.   Bestandteile des Postnazismus sind u.a. die Erinnerungsverweigerung wegen Auschwitz, ein spezifisch deutscher Arbeitsbegriff, die Verachtung von jüdisch konnotiertem Geld und wahnhafte Feindprojektionen. Während die NS-Bevölkerung unter der von Rackets gelenkten Wirtschaft und Staatsführung zur Aufopferung für das Volk bis zum Tod eingeschworen worden sei, sei es in der BRD durch freie Wirtschaft und politischen Pluralismus zur »Auflösung des Staatssubjekts Kapital in unendlich viele kleine Staatssubjekte des Kapitals« gekommen und damit zur »Verinnerlichung oder Subjektivierung der Volksgemeinschaft«. Behauptet wird, dass sich solche Volksgemeinschafts-Monaden auch unter den Bedingungen des wiedereingeführten freien Marktes reproduzierten und »Tötungsbereitschaft im Wartestand«

bedeuteten.

 Dies ist als These der BRD als (privatisierter) Volksgemeinschaft bekannt geworden. Sie kann Ereignisse plausibilisieren, die sich vornehmlich bis Anfang der Schröder/Fischer-Regierung ereignet haben. Weil es mit ihr aber schwer wurde, veränderten Realitäten gerecht zu werden, wurden unter dem Label »rechter Konsens« Diskussionen über Postnazismustheorie geführt. Der Begriff »rechter Konsens«, so das Bündnis gegen Rechts (Leipzig) (BgR), bezeichne deutsche Ethnien-Vorstellungen, mit denen »Nazis mit ihrer Ideologie zum ununterscheidbaren Bestandteil des common sense werden.« Dieser Hegemonie-Ansatz akzentuiert eher Transformationsprozesse, während der Postnazismusbegriff, »stärker an der Kontinuität interessiert [ist], die sich vom Volksstaat bis heute belegen lässt«. Inex argumentiert ähnlich und ersetzt Volksgemeinschaft mit »deutscher Zivilgesellschaft«, denn Volksgemeinschaft erscheine erst angemessen, »wenn die Volksgemeinschaft tatsächlich politisch etabliert ist«.

Wenngleich diese neueren antideutschen Argumentationen den Wandlungsprozessen gerechter werden, bleibt das Verhältnis von Transformation und Kontinuität theoretisch unaufgeschlossen. Letztlich mangelt es ihnen an begrifflicher Tiefe, die sie – auch wenn sie in Richtung Hegemonietheorie zielen (s. u.) – durch klassisch antideutsche Begriffe kompensieren.

Ist Staat und Kapitalismus dort, wo sie draufstehen?

Antideutsche sind daher trotz Unterschieden an die Begriffssysteme von Kritischer Theorie, Moishe Postone und Johannes Agnoli angeschlossen.

Der Kritischen Theorie kommt das Verdienst zu, gegen marxistische Basis-Überbau-Faschismustheorien durch Betonung der Bewusstseinsprozesse auf die relative Eigenständigkeit von Ideologie zu pochen. Problematisch ist aber die Grundierung der Theorie durch das Staatskapitalismus-Theorem. Dieses besagt, dass Anfang des 20. Jahrhunderts der liberalkapitalistische Staat weltweit in den überlegeneren autoritären Staat übergegangen sei. Dieser ersetze (egal ob in kapitalistischer, faschistischer oder kommunistischer Form) die krisenhafte Konkurrenz – d.h. die Zirkulation – vollkommen durch politische Steuerung mittels Zwangsarbeit, Auftragsvergabe und der Zuweisung von Löhnen und UnternehmerInnenprofiten. Umsetzung finde dies durch Racket-Banden, also Verfilzungen aus Politik, Wirtschaft, Justiz und Kultur. Diese Rackets zwängen der Bevölkerung auch die Produkte der Kulturindustrie auf, welche rückwirkend das Bedürfnis nach eben diesen Produkten erschüfen. Die Gesellschaft transformiere sich so durch allgegenwärtige Unterdrückung befreiender Individualität zum totalitären System.

 Ähnlich ist die Analyse bezüglich des Antisemitismus: Die »respektablen Rackets unterhalten ihn, und die irrespektablen üben ihn aus«

und ermordeten Jüdinnen und Juden als scheinbar überflüssige Exponenten der abgeschafften Zirkulationssphäre. Durch Kulturindustrie sei »[a]nstelle der antisemitischen Psychologie […] das bloße Ja zum faschistischen Ticket getreten.« Sinnentleert, aber mit Raserei werde verfolgt, was an die eigne Unterdrückung der inneren Natur erinnere.

Folge dieser Konzeption ist es, dass mit der durchgestrichenen Zirkulation die Spezifik des Kapitalismus als subjektloser, über Geld- und Rechtssystem (Wert und Staat) vermittelter Herrschaft ausgehebelt ist und die Marx’sche Wertkritik nicht mehr gilt. Wenn so Kapitalismus nicht mehr existiert, dann gibt es auch den Staat als notwendige Vermittlungsform von Markt und Klassen nicht mehr. Diesen Mangel ersetzen in der Kritischen Theorie psychologische und anthropologische Begriffe, die die fehlende kapitalistische Spezifik in der Theorie aber nicht kompensieren können.

 Auf die Fatalität dieses Paradigmenwechsels hat Postone hingewiesen. Sein Gegenentwurf materialistischer Bewusstseinstheorie, der wieder stärker zu Marx geht, birgt andere Probleme. Für seine Antisemitismusanalyse will Postone eine direkte Verbindung zwischen Wert- und Denkform rekonstruieren. Die Marx’sche Dualität konkreter und abstrakter Arbeit überträgt Postone auf allerlei Phänomene, indem er sie dem fetischisierten Bewusstsein mal als konkrete mal als abstrakte Vorstellung zuordnet. Dergestalt verursacht er Formparallelismen und Kategoriensprünge,

indem er deutschen Arbeitsfetisch und Geldhass, verklärte Dorfidylle und hektische Verstädterung, Nationalkollektiv und das Bild des staatsbürgerlichen »wurzellosen Juden« einander entgegenstellt. All das wirkt durch seine Einfachheit und umfangreiche Anwendbarkeit überzeugend. Jedoch benennt Marx‘ Begriff abstrakter Arbeit eine Realabstraktion, die »Abstraktion« der modernen Stadt im Vergleich zur Dorfidylle liegt dagegen auf der semantischen Ebene.

 Nach Postone muss antisemitischer völkischer Antikapitalismus aus fetischisierten Vorstellungen einer »einfachen Zirkulation« und dem Kapitalfetisch erklärt werden, der nicht Geld selbst oder Kapitalismus kritisiert, sondern nur das zinstragende Kapital, das sich scheinbar selbst vermehrt. Damit ist dieses von allen anderen Kapitalarten – also nicht nur vom industriellen Kapital, sondern auch vom Kaufmannskapital – unterschieden, was ein anderes Ergebnis ist als der Fetisch konkreter Arbeit und Geldhass, die Postone ableitet. Das Vertrackte am zinstragenden Kapital ist, dass bei ihm die Geldvermehrung ganz ohne den Einfluss von Menschen vor sich zu gehen scheint und so die dumpf empfundene kapitalistische Verselbständigung von Gesellschaftssphären auf den Punkt bringt.

Dieser Kapitalfetisch dient sich Verschwörungsdenken an, was sich in Europa mit mittelalterlichem Antijudaismus zum modernen Antisemitismus verbindet – allerdings weniger unmittelbar, als es Postone suggeriert.

 Während sich Postone einer Staatsformanalyse verweigert, betreibt sie Agnoli, der für Antideutsche besonders wegen seiner Korporatismusanalyse interessant ist. An ihm lässt sich v.a. demonstrieren, wie Antideutsche mit der Staatsformanalyse umgehen. Agnoli hatte sich in die Staatsableitungsdebatte (s.u.) eingemischt und wie alle ProtagonistInnen dort auf die Notwendigkeit einer relativen Autonomie des Staates zur Aufrechterhaltung des Klassenantagonismus hingewiesen.

Auch wenn der Staat hierfür zu autoritären Mitteln wie Korporatismus und zum Handeln ähnlich eines »realen Kapitalisten« neige, müsse er stets in seine neutrale Vermittlerposition zurück, verfilze also nicht mit gesellschaftlichen Schichten. Dem Racket-Konzept ist damit eine Absage erteilt.

 Dies wird von Clemens Nachtmann aber geflissentlich übersehen und Agnoli zur argumentativen Vorbereitung von Horkheimers Racket-Theorie umgebogen. Wie Uli Krug scheinen sich Antideutsche insgesamt pauschal von staatsformanalytischen Betrachtungen distanzieren zu wollen, um die Quintessenz von NS und Postnazismus alleinig »im Vorstaatlichen« auszumachen. Zwar werden Staatsformanalysen im Stile der Ableitungsdebatte konstitutiv in die Untersuchungen eingebunden, doch später werden ihre Grenzen aufgewiesen, um sie dann, wie bei Gerhard Scheit, völlig fallen zu lassen, oder, wie bei Stephan Grigat, widersprüchlich nebeneinander her zu führen. Andererseits übergeht man beständig Postones kategoriale Ablehnung der Racket-Theorie und Franz Neumanns Betonung von Privatkapitalismus im NS, um sie in staatskapitalistische Gedanken einzugemeinden.

Besonders widersprüchlich ist es, wenn die BRD von Rackets und vom Markt zugleich bestimmt sein soll.

Darunter leidet natürlich die Inhaltsbestimmung des Völkischen, das zwischen bloßen inhaltlichen Bewusstseinsbestimmungen mitsamt problematischer Kontinuitätsunterstellung (transgenerationelle Beständigkeit) und ungereimten Analogien (postnazistische und islamfaschistische Krisen-Monaden

) einerseits und kapitalismusunspezifischen Formbestimmungen von relativ flüchtigen kulturindustriellen und ticketbestimmten Inhalten andererseits schwankt. Indem in der Theoriearchitektur institutionelle Neukonstellationen nicht auftauchen, verhindert sie sinnvolle Transformationsbestimmungen. Statt die naheliegende Integration von Bewusstseins- mit Staatsformanalyse anzustreben, jagt so bei Antideutschen ein Kategorienfehler den anderen, während sich in politischen Abgrenzungen eingerichtet wird.

Antinationale Staatsableitung

Um die Kategorien des …umsGanze!-Bündnis (UG) zu rekonstruieren, ist ein Blick in den Beitrag der Marxistischen Gruppe (MG, heute GegenStandpunkt) zur Staatsableitungsdebatte sinnvoll.

In der Staatsableitungsdebatte der siebziger Jahre sollten aus Marx‘ Ökonomiekritik die Entstehung, Notwendigkeit und Gestalt des bürgerlichen Staates sowie seine Spezifik gegenüber feudaler Herrschaft erklärt werden. Wenngleich es Ähnlichkeiten zur theoretischen Frontstellung der Kritischen Theorie in den dreißiger Jahren gab, war das Vorgehen höchst verschieden. Vorwiegend auf begrifflichem Niveau wurde für den Kapitalismus die notwendige relative Autonomie des Staates festgestellt. Diese drücke sich in der Quasi-Neutralität des Staates aus und sei die Grundlage der »(Sozial-)Staatsillusion«: Weil der Staat alle gleich zu behandeln scheine, werde die Existenz antagonistischer Klassen nicht wahrgenommen.

Eine Erklärung der relativen Autonomie des Staates bestand darin, dass die EigentümerInnen ihre Ware nur dann gegenseitig gewaltfrei veräußern können, wenn dies eine dritte Instanz garantiere, eben der Rechtsstaat. In dieser klassenunspezifischen Situation der »einfachen Zirkulation« (s.o.) werde für Handelnde nur die Oberfläche eines freien und gleichen Tausches offensichtlich, nicht aber die Reproduktion von Ungleichheit und die blutige Durchsetzungsgeschichte des Kapitalismus, die selbst die historische Grenze des formallogischen Zusammenhangs sei.

 Die MG bestritt dagegen den Anfang der Staatsableitung aus der einfachen Zirkulation. Es müsse vielmehr von der entwickelten Konkurrenz ausgegangen werden, die die ungleichen Einkommensquellen (Lohn und Profit) der klassenspezifischen WarenbesitzerInnen mit einbeziehe. Damit sei die Gleichzeitigkeit von Austauschharmonie und Ungleichheit so bestimmbar, dass der Zusammenhang von logischer Analyse und empirischer Voraussetzung nicht ökonomistisch werde.  Mit diesen Voraussetzungen kann aber weder auf die Notwendigkeit staatlicher Regulation noch auf die Form der kapitalismusspezifischen Konkurrenzbeziehung geschlossen werden, denn die empirisch vorliegenden kapitalistischen Konkurrenzzustände werden theoretisch vorausgesetzt und sollen zugleich Untersuchungsresultat sein. Damit ergeben sich nur pseudo-logische Beschreibungen des Ist-Zustandes. Die Thematisierung der einfachen Zirkulation als kapitalistische Formspezifik (Privatarbeiten) und als Grenze der Formbestimmung (historischer Anfang und innere regionale Entwicklungsspezifiken) bleibt deshalb für sinnvolle Erklärungen unverzichtbar

– und zudem ein wichtiger Ausgangspunkt von Bewusstseinsformkritik.

Durch den Kurzschluss von Empirie mit Funktionsbestimmungen, den die MG stattdessen vornimmt, erscheint die gesellschaftliche Oberfläche ausschließlich als Mannigfaltigkeit funktionaler Beziehungen. Entsprechend simpel werden die politischen Oberflächenprozesse beurteilt. Wo Marx bewusstseinstheoretisch von »Personifikationen ökonomischer Verhältnisse« und »Charaktermasken« spricht, werden schlicht tatsächliche Agenten mit mehr oder weniger klaren Interessen eingesetzt.

Charakteristisch für die MG ist daher der Rückgriff auf die Konkurrenz. Bewusstseinsbestimmungen, wie das Freud’sche Unbewusste oder der autoritäre Charakter von Horkheimer/Adorno, seien falsch und reaktionär. Die Neigung, dem Apparat zu folgen, erklärt sich daher für die MG aus der schmalen Begründung, dass die Lohnabhängigen den Tausch von Arbeitskraft gegen Lohn durch den vordergründigen Lohnvorteil akzeptierten. Weil der Staat die Verfolgung aller Sonderinteressen scheinbar garantiere, werde er anerkannt. Analog dazu die Nationalismusanalyse: Der Staat vertrete nach innen das Konkurrenzprinzip. Auf dem Weltmarkt befinde er sich selbst in Konkurrenz mit anderen Staaten. Da Regierungen die Angst vor ausländischer Konkurrenz zur Loyalitätssteigerung nutzten, sei Nationalismus für die Beherrschten nur ein nicht klar durchdachter standortlogischer Vorteil. Faschismus und Antisemitismus sind im Grunde die Steigerung dieses Modells, denn man dürfe weder das Dritte Reich als Willkürherrschaft noch deutschen Antisemitismus als intentionale Tat interpretieren. Der Akteur der KZs sei der Nationalstaat mit seinem Gewaltapparat.

Hat antinational was mit Nationalismus zu tun?

Der zentrale Unterschied von UG und MG liegt in der Eigenständigkeit von Ideologien. Diese zu betonen, ist tatsächlich unverzichtbar, denn im Gegensatz zum Staat kann Nationalismus nicht direkt aus ökonomischen Formbestimmungen abgeleitet werden. Weil bei UG dennoch viele MG-Argumente auftauchen, kommt es ganz auf die Verbindung von beidem an.

 Wie für die MG sind auch für UG der Gedanke des Scheins falscher Freiheit durch Konkurrenzverhältnisse und der schillernde Interessenbegriff kennzeichnend. »Vernichtungskrieg und Holocaust« seien neben vielen anderen »sichtbare Leichenhaufen der kapitalistischen Welt [sic!]«, sie seien »nur [sic!] Exzesse ihrer alltäglichen Irrationalität«.

Dass sich das System erhalten habe, liege an drei Gründen: Arbeitslohn/Profit, Angst vor Krisen und dem Vorgaukeln falscher eigener Interessen mittels der nationalen Karte. So wurde die ArbeiterInnenklasse plump durch »materielle [sic!] Besserstellung« staatlich befriedet und die Bourgeoisie anerkenne wegen der ökonomischen Krisen die Wichtigkeit des Staates. Genauso bezögen sich auch die »Ideologien kollektiver Identitäten« – also »vermeintlich außerökonomische Bestimmungen« wie Rasse, Geschlecht und Kultur – nur auf das staatliche Versprechen individuellen Vorteils und würden nicht zufällig bei Verteilungskonflikten aufbrechen.

 Einzig bei der nationalsozialistischen Trennung von »schaffendem« und »raffendem« Kapital scheint bei UG eigenständige Ideologie auf, indem es diese Trennung im Stil des Kapitalfetischs (s.o.) als »projektive Wahrnehmung« von Jüdinnen und Juden aus dem »Prinzip kapitalistischer Verwertung« erklärt. Obwohl diese Bestimmung auf Bewusstseinsmomente zielt und UG sie dem Alltagsbewusstsein allgemein zugrunde legt, beeilt es sich, diese als »staatsbürgerliche Alltagswahrnehmung« zu kennzeichnen und unpassend mit Konkurrenz- und Interessensargumenten zu umstellen. Beides zu integrieren, also funktionalistische mit ideologisch-eigenständigen bzw. fetischtheoretisch-intentionalen Argumenten zu verbinden, bleibt somit ein uneingelöster Anspruch. Die in der UG-Broschüre bemühten historischen Beispiele sind entsprechend nur Illustrationen der logischen Staatsableitung. Es scheint, dass einzig ein völkisches Deutschland nicht recht zur Ideallinie passt,

weshalb für UG wünschenswert wäre, was es dann auch attestiert: dass in der BRD seit einigen Jahren normaler EU-Verfassungspatriotismus vorherrsche.

 Woher kommt diese Normalisierungsprognose? Höchstwahrscheinlich von der Marx’schen Aussage über den zivilisierenden Charakter des Kapitals, das alle Naturverfallenheit – hier: völkische Naturalisierungen – abstreife, so dass nur das nackte Kapitalverhältnis übrig bleibe. Auch wenn ein Wandel des deutschen Nationenbezugs plausibel ist, fragt sich, wohin er geht. Nicht nur lehrt die Geschichte uns Skepsis bezüglich des Marx’schen Optimismus, er ist auch ein Konzeptionsfehler seiner Theorie. Zudem zeigt die kapitalistische Durchsetzungsgeschichte, dass der Gleichklang von rein bürgerlichen Zuständen und kapitalistischen Verkehrsverhältnissen eher eine Ausnahme als die Normalität war. Daher ist die Rede von Normalisierung falsch. Und es ist fragwürdig, ob sie im weltweit grassierenden Ethnonationalismus seit 1989 zu finden ist. Nirgendwo ist EU-Verfassungspatriotismus in Sicht, stattdessen zuhauf Anti-EU-Bewegungen. Sollen das nur Anachronismen sein? Mit der Analogisierung von Staat und Nationalismus zielt UG jedenfalls nicht aufs anvisierte Ganze, denn UG vergisst mit seinen Ebenensprüngen konstitutive Rahmenbedingungen kapitalistischer Funktionszusammenhänge und damit das, was es bestimmen will: Nationalismus.

Anti-D/-N: Quo vadis?

Die Kritik an antideutschen und »neu-antinationalen« Kategorien zeigt, dass eine auf ihnen aufbauende Neuorientierung Not tut. Beide Schulen haben unverzichtbare kritische essentials und verweisen wechselseitig auf ihre Lücken. Weil Marx nicht in Fetischkritik und Staatsillusionskritik teilbar ist, muss es um die Integration beider Momente gehen. Zugleich müssen die bestimmten vorkapitalistischen Machtverhältnisse, die Marx als Bedingung für den Kapitalismus ansieht, eher als Elemente der lokal spezifizierten, historischen und tagtäglichen Durchsetzungsgeschichte des Kapitalverhältnisses analysiert werden. Dann wird offensichtlich, dass unterschiedliche Nationalismen weder auf Funktionszusammenhänge reduziert werden können, noch dass diese Zusammenhänge als Reproduktionseigenschaft von Nationalismen fehlen dürfen. Ebenso muss der »subjektive Faktor« als konstitutives und von den objektiven Verhältnissen nachgeschleiftes Moment konzipiert werden. Für das Problem von Kontinuität und Wandel eignen sich daher weder nur Erklärungen wie – zu Beliebigkeit tendierende – Inhaltsanalysen kulturindustrieller Bedürfnisse und Ticketmentalität, noch eine Sozialontologie der Interessen. Es fragt sich allerdings, wie so ein theoretisches Programm zukünftig umgesetzt werden kann.

 Mit den Konzepten »rechter Konsens« und »deutsche Zivilgesellschaft« haben BgR und Inex Hegemoniebegriffe und damit ein neues Paradigma eingeführt. Indem sie das Reproduktionsmedium von Nationalismus in Wandlungsprozesse von Institutionen verschieben, stehen sie mit einem Bein in der antideutschen Sphäre fetischisierten Bewusstseins institutioneller Akteure, mit dem anderen in der antinationalen Sphäre staatlich-institutioneller Funktionalismen. Entsprechend verbinden BgR und Inex den weltweiten postfordistischen Prozess der Subjektivierung von Arbeit mit institutionellen Wandlungen in der Innenpolitik (z.B. die zivilgesellschaftliche Aktivierung im Antifa-Sommer 2001; die Kompensation von Sozialabbau mit antiamerikanischen Heuschrecken-Rufen) und Außenpolitik (z.B. die Holocaustschuld als Begründung für eine Interventionsarmee). Ergänzen ließe sich, dass sich die Subjektivierung der Arbeit institutionell sowohl in der Veränderung des deutschem Korporatismus als auch im Popnationalismus niederschlägt (im Wandel vom »nationalen Wir« des Historikerstreits zum »nationalen Du« der »Du bist Deutschland«-Kampagne

) und sich in Erinnerungspolitiken findet (Subjektivierung des Erinnerns im Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals; im Vertriebenenzentrum gilt jedes Leid gleichwertig).

 Zwar ist ein solcher Paradigmenwechsel reizvoll, da über das Medium »Institution« der gesuchte Wandel (Subjektivierung), der zugleich Kontinuitäten beinhaltet (»nationales Du« ), erklärt wird, aber auch er birgt Probleme. Erstens hat der Hegemoniebegriff einen Hang zum Empirismus, zum Politizismus und zur Manipulationstheorie, was sich im Rahmen der antiamerikanischen Globalisierungskritik zeigt. Zweitens wird das Hegemoniekonzept gerne für nicht gerade revolutionäre Freiraumpolitiken verwendet. Drittens muss bedacht werden, dass es dem Begründer des Hegemoniebegriffs, Antonio Gramsci, staatsillusorisch um die Erringung der Staatsmacht ging (ein weiterer Vertreter, Nicos Poulantzas, leitet die relative Autonomie des Staates gar nicht ab); entwickelte Fetischbestimmungen finden sich ebenso wenig.

Viertens sind Mittlerbegriffe, legt man den soziologischen (Neo-)Institutionalismus zugrunde, nicht per se geeignet, die gesuchte Brücke zwischen »subjektiven« und »objektiven« Faktoren zu schlagen – hier ergibt sich die Neigung zur Handlungstheorie, die auf Freiheits- und Gleichheitsbestimmungen hereinfällt. Fünftens müssen Hegemoniebegriffe im Sinne Adornos positivismuskritisch auf ihren Erfahrungsgehalt gesellschaftlicher Verselbständigung untersucht werden, um zu klären, dass sie gesellschaftliche Vorgänge, die sie beschreiben sollen, nicht bewusstlos reartikulieren.

Mit anderen Worten, die Analyse von Deutschland und Nationalismus harrt nach wie vor angemessener Kategorien. Da auch wir dafür kein Patentrezept haben, zählen wir auf die Fortsetzung der Debatte.

Von liver Barth. Der Autor ist Mitglied der associazione delle talpe, Bremen.

Fußnoten

  1. Widersprüche sollen auf diese Weise offensichtlich werden. Referenzpunkt ist hierbei v.a. der Bezug beider »Schulen« auf Marx. Dies aus Gründen eines sinnvollen Vergleichs und weil der Marx’sche Kapitalismusbegriff subjektloser Herrschaft als spezifischer Gesellschaftsform die Grundlage kritischer Gesellschaftstheorie ist. Zukünftig könnte auch das (gesellschaftliche) Unbewusste ein wertvoller Referenzpunkt sein.
  2. Stephan Grigat, Transformation des Postnazismus, Freiburg 2006, 9; 13.
  3. Gerhard Scheit, Suicide Attack, Freiburg 2004, 460ff.
  4. Ders., Meister der Krise, Freiburg 2001, 102f.
  5. Clemens Nachtmann, Krisenbewältigung ohne Ende, in: Grigat, Transformation, 72.
  6. Initiative Sozialistisches Forum, Furchtbare Antisemiten, ehrbare Antizionisten, Freiburg 2002, 7.
  7. Dieses und nächstes Zitat: BgR, Die völkische Option, in: Phase 2 14 (2004), 20–22.
  8. Inex, Nie wieder Revolution für Deutschland (Broschüre), o.O. 2009, 25f.
  9. Dieses und nächstes Zitat: Max Horkheimer/Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, in: Max Horkheimer, Gesammelte Schriften (GS) 5, Frankfurt a.M. 1997, 200/231.
  10. Barbara Brigg/Moishe Postone, Kritischer Pessimismus und die Grenzen des traditionellen Marxismus, in: Wolfgang Bonß/Axel Honneth (Hrsg.), Sozialforschung als Kritik, Frankfurt a.M. 1982.
  11. Detlef Claussen, Grenzen der Aufklärung, Frankfurt a.M. 1994, 245.
  12. Karl Marx, Ökonomische Manuskripte 1863–1867, in: Marx-Engels-Gesamtausgabe (MEGA) II/4, Berlin 1992, 662f.
  13. Johannes Agnoli, Der Staat des Kapitals, in: ders., Der Staat des Kapitals und weitere Schriften zur Kritik der Politik, Freiburg 1995.
  14. Clemens Nachtmann, Gesellschaftliche Krise und Gesellschaftsplanung, in: Joachim Bruhn u.a., Geduld und Ironie, Freiburg 1995.
  15. Uli Krug, Mobilisierte Gesellschaft und autoritärer Staat, in: Grigat, Transformation, 93.
  16. Scheit, Suicide, 44ff., 83ff.; Stephan Grigat, Fetisch und Freiheit, Freiburg 2007, 330ff.
  17. Scheit, Suicide, 84, Nachtmann, Krisenbewältigung, 62ff., Schatz/Woeldike, Freiheit und Wahn deutscher Arbeit, Münster 2001, 37ff.
  18. Scheit, Suicide, 188ff., 349ff.
  19. Zur Kritik vgl. auch Heinrich Regius, Wenn Islam und Postfaschismus die Antwort ist, was war dann die Frage, in: Phase 2 14 (2004), 23–27.
  20. Marxistische Gruppe (MG), Resultate der Arbeitskonferenz Nr. 1, 1974, 120–170.
  21. Ingo Elbe, Marx im Westen, Berlin 2008, 350ff., 354ff.
  22. MG, Argumente gegen die Psychologie, online unter: gegenstandpunkt.com/mszarx/psych/arg/psa_in.htm.
  23. MG, Resultate, 127f.
  24. MG, 6 Thesen zur marxistischen Staatsableitung, online unter: theoriepraxislokal.org/imp/mg_staat.php.
  25. MG, Argumente gegen den Nationalismus, online unter: gegenstandpunkt.com/msz/html/82/82_3/nation.htm.
  26. So fast wörtlich K. Held auf: archive.org/details/VortragberAntisemitismusKarlHeldgegenstandpunkt1994Hannover.p>
  27. umsGanze! (UG), Staat, Weltmarkt und die Herrschaft der falschen Freiheit (Broschüre), o.O. 2009, 15. Folgende Zitate: 40, 41, 82, 84 (Herv. v. mir).
  28. Der Kapitalfetisch wird nicht zwingend über den Staat gedacht, sondern zwischen Einzelnen und Weltmarkt.
  29. UG, Staat, 82f.
  30. Marx, MEW 42, 323f.
  31. Helmut Reichelt, Neue Marx-Lektüre, Hamburg 2008, 339ff.
  32. Gerstenberger, Der bürgerliche Staat, in: associazione delle talpe/RLS (Hrsg.), Staatsfragen, o.O. 2009, online unter: tinyurl.com/staatsfragen.
  33. Dass UG sich statt mit Nationalismus lieber gleich mit ihrer Wortneuschöpfung »Krisennationalismus« beschäftigt, offenbart den Hang, direkt zu den abstrakt-ökonomischen Begriffen vorzustoßen. Der realen Welt wird es damit jedoch nicht gerecht.
  34. Daniel Keil, »Zarte Wiederentdeckung des Deutschen«, in: Projektgruppe Nationalismuskritik (Hrsg.), Irrsinn der Normalität, Münster 2009.
  35. Die relative Eigenständigkeit der institutionellen Bindung des Wandels kennzeichnet den Unterschied zum Volksmonaden-Konzept.
  36. Ingo Elbe, Thesen zu Staat und Hegemonie in der Linie Gramsci-Poulantzas, o.O. 2008, online unter: rote-ruhr-uni.com/cms/IMG/pdf/elbe_staat_hegemonie.pdf. Diese Problematik ist dem BgR bewusst (vgl. Udo Schneider (vom BgR), Hello Gramsci, in: Phase 2 13 (2004).
  37. Die begonnene Diskussion um Verbindungen von Poulantzas mit dem Staatsillusionskritiktheorem ist daher begrüßenswert (vgl. Ingo Elbe, Rechtsform und Produktionsverhältnisse, in: Urs Lindner u.a. (Hrsg.), Philosophieren unter anderen, Münster 2008, online unter: http://rote-ruhr-uni.com/cms/IMG/pdf/Elbe-aus_Lindner.pdf).

https://phase-zwei.org/hefte/artikel/postnazismus-staatsableitung-zivilgesellschaft-152/

Von feinen Unterschieden und ihren politischen Bedeutungen

Ein Beitrag zur Diskussion um deutsche Spezifik, Demokratie und Totalitarismus

Folgende Ausführungen sind der Versuch einer begrifflichen Differenzierung hinsichtlich historischer und gegenwärtiger Herrschaftsformen. Mir geht es dabei nicht um langweilige politologische Lehrstunden, sondern um die Voraussetzungen der Erkenntnis und der Kritik der Gegenwart und ihrer historischen Vermittlung. Im Mittelpunkt stehen dabei jene politischen und gesellschaftlichen Formen, die seit jeher die negativen Bezugspunkte der radikalen Linken darstellen: Kapitalismus, Faschismus, Demokratie und Totalitarismus. Von der adäquaten begrifflichen Erkenntnis dieser politisch-ökonomischen Phänomene, ihres Zusammenhangs und ihrer Differenzen, hängt, so meine These, auch das Verständnis der gegenwärtigen politischen Entwicklungen ab. Ich werde dabei gleichsam idealtypisierend und zuspitzend vorgehen. Dies betrifft sowohl die Ausführungen zum Verhältnis von Kapitalismus und Faschismus, Demokratie und Totalitarismus, als auch meinen Bezug auf aktuelle Debatten der Linken (und in der Phase 2).

Auf dem Spiel steht mehr als begriffliche Präzision, die über das an sich sympathische »Alles-derselbe-Mist« hinausgehen muss; im Ernstfall hängt an feinen Unterschieden die allergröbste Frage von Leben und Tod. Es gilt vielmehr das Scheitern revolutionärer Befreiung und den Triumph der faschistischen Konterrevolution zusammenzudenken – und zwar jeweilig in Bezug auf ihre beiderseitige Voraussetzung: den (demokratisch-rechtstaatlichen) Kapitalismus.

Kapitalismus und/oder Faschismus

Hinter dem Faschismus stehe das Kapital, hieß es einst plakativ. Entweder wurden unter dem Kapital die Kapitalisten verstanden, welche die faschistischen Mörderbanden zur Niederschlagung der ArbeiterInnenbewegung gekauft haben sollen, oder aber die dem Kapital immanente Krise als Ursprung des Faschismus dingfest gemacht. Dürfte erstere personalisierte Annahme heute kaum noch vertreten werden, so hat letztere Krisendiagnose immer noch wichtige Argumente für sich: Der Faschismus war zweifelsohne das Produkt kapitalistischer Vergesellschaftung und ihrer Krisen. Sein sozio-ökonomischer Ausgangspunkt war ein entwickelter Kapitalismus, dessen Produktions- und Eigentumsverhältnisse in eine fundamentale Krise geraten sind: Akkumulationskrisen, Klassenkämpfe, »Gefahr« des Sozialismus. Der Faschismus lässt sich in dieser Hinsicht als ein imperialistisch-terroristischer Lösungsversuch einer kapitalistischen Fundamentalkrise begreifen, der die ihr zugrunde liegenden sozio-ökonomischen Widersprüche und politischen Konflikte nicht aufhebt, sondern mit Gewalt nach innen und außen unterdrückt: Diktatur und Krieg(swirtschaft). Diese intendierte keine Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und des Rechts auf Profit, keine Enteignung oder Liquidierung der ökonomisch Herrschenden und auch keine Aufhebung der Zwänge kapitalistischer Verwertung. Sie traten vielmehr offen hervor und zwangen geradezu die Terrorherrschaft ökonomisch zu Imperialismus und Raub. Die forcierte Ausbeutung der Arbeitskraft sowie die offensive Zerschlagung der sozialistischen ArbeiterInnenbewegung hingegen standen von Anfang an ganz oben auf dem ökonomischen und politischen Programm der Nazis.

Gegenüber dieser Argumentation gibt es Einsprüche, denen ebenfalls empirische Evidenzien entsprechen: Den FaschistInnen war der Kapitalismus nicht heilig, auch wenn sie nicht das Privateigentum abschafften. Es hat im Nationalsozialismus keine freie Lohnarbeit mehr gegeben und die Verwertung des Wertes erfolgte nicht mehr über dem Umweg der Privatproduktion, sondern war politischen Direktiven unterstellt, wobei nicht nur die Arbeiterschaft, sondern auch die Kapitalisten politisch drangsaliert wurden. Am Ende versuchte der Nationalsozialismus sich eine eigene sozio-ökonomische Basis zu errichten, gegen die alten Eliten aus Staat und Wirtschaft. Und zu keinem Zeitpunkt ließen sich die FaschistInnen von der ökonomisch herrschenden Klasse ihre Politik diktieren. Es ging so weit, dass man das antisemitische Vernichtungswerk über die Ausbeutung von Arbeit und kriegsstrategische Überlegungen stellte. Hier herrschte politischer Wahn über ökonomisches Kalkül.

Zusammenfassend: Das zum Kapitalverhältnis gehörende Recht und der rationale Staat wurden zugunsten von Führer und Bewegung zunehmend zerstört. An die Stelle der abstrakten Herrschaft von Kapital und Rechtsstaat traten wieder unmittelbare Herrschafts- und Gewaltverhältnisse, die die eigene kapitalistische Grundlage bedrohten und nur als Zerfallsform bürgerlicher Herrschaft begriffen werden können: Behemoth. Die spezifisch kapitalistische Rationalität und ihr Niederschlag in Staat und Recht wurden mitsamt ihrer emanzipatorischen Effekte (freie und gleiche Rechtssubjektivität und Staatsbürgerschaft) im Nationalsozialismus zerstört. Die Volksgemeinschaft wurde nicht über die Wert- und Rechtsform vermittelt, sondern durch Gewalt, Propaganda und Führerwillkür, die freilich immer wieder an ihre sozialen und ökonomischen Grenzen stießen. Im Nationalsozialismus wurde (im Unterschied zum italienischen Faschismus) nicht nur der an das allgemeine Recht gebundene Staat beseitigt (wie im totalen Staat), sondern der Staat selbst als Souverän von der konkurrierenden Bewegung angegriffen.

Diesen Einsprüchen gesellen sich weitere mentalitätsgeschichtliche Annahmen zur Seite: Die faschistischen Massen seien häufig in ihrem Bewusstsein vorkapitalistisch geprägt gewesen. Der Faschismus habe daher auch nicht in den alten Ländern des Kapitalismus gesiegt, sondern in denen, die eine rasante nachholende Modernisierung aufweisen und mit entsprechenden sozialen und kulturellen Konflikten zu kämpfen hatten. Das Fehlen einer liberalen und demokratischen Tradition und entsprechender politischer Institutionen, Verfahren und Werte wäre dann das Problem – nicht der Kapitalismus als solcher. Der Faschismus sei schließlich nicht nur antimarxistisch, sondern auch antiliberal, antidemokratisch und antikapitalistisch eingestellt gewesen. Er setze jedenfalls nicht die kapitalistische Mehrwertproduktion in den Mittelpunkt, sondern die rassifizierte Volksgemeinschaft und das imperiale Reich. Romantischer Antikapitalismus, Herrenbewusstsein und Volksgemeinschaft sind dieser Interpretation zufolge daher Produkte vormodernen Bewusstseins, nicht aber eines entwickelten liberalen Kapitalismus und einer ihm entsprechenden Demokratie.

Beide Thesen haben ihre wahren Momente. Einmal ist diejenige, die auf die Krisenprozesse abhebt, unabweisbar: ohne Kapitalismus und die ihm anhaftenden Widersprüche und Kämpfe kein Faschismus und dessen pro-kapitalistische Funktion. Er war ein zwar nicht zwingendes, aber doch legitimes Produkt der Krisenprozesse moderner Vergesellschaftung und richtete sich stets offensiv gegen die linke ArbeiterInnenbewegung. Diese allgemeinen Bestimmungen müssen sich aber offenbar spezifizieren. Aus den polit-ökonomischen Kategorien des Kapitals und seines Krisencharakters lassen sich kein Faschismus und auch kein Antisemitismus ableiten. Die besonderen historischen Umstände, zu denen politische Traditionen, kulturelle Wertmuster und nicht zuletzt handelnde AkteurInnen zählen, müssen berücksichtigt werden.

Ideologisch werden die legitimen Einsprüche gegenüber der kapital-funktionalistischen Faschismustheorie aber dann, wenn kapitalistische Rationalität, Liberalität, Pluralität, Modernität etc. zum abstrakten Gegensatz zur faschistischen Irrationalität stilisiert werden – heute auch bekannt als westliche Werte vs. islamistische Barbarei. Es verschwinden somit gleichermaßen die irrationalen Herrschaftsverhältnisse des Kapitalismus wie auch die zerstörerische Rationalität und Modernität der faschistischen Herrschaftssysteme. Das latente faschistische Potential moderner Vergesellschaftung wird auf die Weise genauso billig entsorgt wie ihre Irrationalität, die in der faschistischen Modernisierung und Zweckrationalität ihre tödlichste Gestalt annimmt. Es wird verkannt, dass auch der liberale Kapitalismus und seine halbierte Rationalität ein historisch spezifisches Herrschafts- und Gewaltverhältnis ist, das in der Krise auch als solches erscheint. Dieser ist immer noch eine (fraglos fortschrittliche) Form der Irrationalität der Vorgeschichte: Die negative Aufhebung des Kapitals durch den Rückfall in unmittelbare politische und ökonomische Herrschafts- und Gewaltverhältnisse ist bleibendes Menetekel der antagonistischen Wertvergesellschaftungsweise. Die faschistische Barbarei ist das Produkt des kapitalistischen Fortschritts, der sich selbst zerstört um hinter die Moderne mit den Mitteln der Moderne zurückzukehren.

Zusammenfassend muss man festhalten, dass der Nationalsozialismus zweifelsfrei dem Kapitalismus entsprang und seine Eigentumsverhältnisse terroristisch sicherte, er am Ende aber eine qualitativ neue Herrschaftsform darstellte, die nicht mehr mit den Kategorien der Marx’schen Kapitalanalyse zu erfassen ist. Es ergaben sich neue Beziehungen zwischen den ökonomischen und außerökonomischen Faktoren. Aus der politischen Willkür ergab sich eine entsprechende irrationale Dynamik nationalsozialistischer Politik, die sich durch gesellschaftlichen Zwang und ideologischen Wahn ergab: Struktur und Intention, wobei letztere nicht primär pro- oder antikapitalistisch, sondern antisemitisch und rassistisch war. Und ohne diese Intention wird man bei aller Struktur- und Ökonomiegeschichte den politischen Wahn des Nationalsozialismus nicht verstehen.

Die dargestellten Probleme bei der Bestimmung des Verhältnisses von Kapitalismus und Faschismus spielen auch in der heutigen linken Einschätzung der Lage der Dinge wieder eine Rolle.

Dies lässt sich zeigen anhand der Beurteilung des Antisemitismus (im Nationalsozialismus und im sogenannten Islamofaschismus) und der Frage nach den Kontinuitäten deutscher Geschichte. Anhand der Debatte zwischen Antinationalen und Antideutschen lassen sich mögliche Fallstricke verdeutlichen. Zugespitzt könnte man sagen, dass eine verkürzte kapital-analytische Strukturgeschichte der Antinationalen einer antideutschen Ideologie- und Mentalitätskritik gegenübersteht, die der Tendenz nach nicht davor gefeit ist, in einen essentialistischen, unhistorischen Kulturalismus umzuschlagen, was ihre besten Argumente konterkariert und das Veralten antideutscher Kritik

anzeigt. 

Das Kernproblem der Debatte ist, das von beiden Seiten auf je spezifische Art und Weise die Dialektik von Geschichte und Gegenwart, von Allgemeinem und Besonderem, nicht ausgetragen, sondern jeweils auf einen Pol verkürzt wird. Gerinnt den einen die gesamte Geschichte zu einer Erscheinung der kapitalistischen Modernisierung, so wird den anderen der Antisemitismus und Nationalsozialismus zu einem Produkt, das allein etwas spezifisch Deutsches sei. Erstere versenken die Geschichte in einem alles erklärenden Allgemeinen – dem Kapital und seinem Staat – aus dem sie dann konkrete Politik, spezifische kulturelle Prägungen, zentrale Ideologeme und Subjektdispositionen funktionalistisch ableiten, was schnell mit der Mannigfaltigkeit der Empirie und der Eigendynamik des vermeintlich funktionalen Überbaus in Konflikt gerät. Die empirische Wirklichkeit verschwindet auf diesem Wege im Nebel des idealen Durchschnitts, der das Besondere nicht hinreichend erklären kann und das Konkrete nur erfasst soweit es in das kapital-funktionale Schema passt. Wenn dies nicht der Fall ist, kann es sich nur um den Begriff widersprechende »faule Existenzen« (Hegel) handeln, um unwesentliche Anachronismen. Die Bedeutung des Nationalsozialismus und des Antisemitismus wird daher der Tendenz nach einem, wenn auch herrschaftskritischen, Modernisierungsbegriff geopfert.

Die andere Seite verallgemeinert wiederum das Besondere und unterschätzt zugleich das Allgemeine im Besonderen. Mit anderen Worten: Der Nationalsozialismus soll der Bezugsrahmen sein, in dem sich bis heute postnazistische deutsche Politik abspiele. Die diesbezüglich konstruierten Kontinuitäten gleiten dabei nicht selten in »Obskurantismus«

ab, da der Nationalsozialismus enthistorisiert und entspezifiziert wird. Den Nationalsozialismus, bestimmte historisch langlebige Mentalitäten oder aber ein vermeintlich spezifisch deutsches (anti-westliches) Politik- und Staatsverständnis zum bestimmenden Bezugspunkt der Gegenwartsanalyse zu machen, bedeutet die Geschichte der BRD und ihrer Europäisierung auszublenden. Damit dies möglich ist, wird die Geschichte nun nicht wie bei den Anti-Nationalen zu einer kapital-funktionalen Variable, sondern zur Emanation eines vermeintlich spezifisch deutschen Wesen. Ohne für jenes große Sympathie zu hegen, basiert doch die antideutsche Geschichtsdeutung am Ende auf einem negativen Kulturalismus, der provinziell ist und sich gerade nicht mit den Einsichten der kritischen Theorie deckt, auf die man sich gerne beruft. Autoritäre Persönlichkeit, Nationalismus, Blut- und Bodenideologie und auch Antisemitismus waren und sind keine spezifisch deutschen Phänomene. Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren, mir ist aber keine Studie bekannt, die dies belegen würde. Mit der kritischen Theorie ist vielmehr das Allgemeine im nationalsozialistischen Vernichtungswahn festzuhalten, das aber nicht ein Nebenprodukt der Kapitalverwertung ist. Dieser Wahn entspringt nicht einem deutschen Wesen und auch nicht allein einer deutschen Ideologie, sondern ist (ein nicht notwendiges) Resultat der (europäischen) Dialektik des (modernen kapitalistischen) Fortschritts, dessen durch Herrschaft tradierte Gewalt im Nationalsozialismus explodierte. Dass es soweit kommen konnte, setzt viele historische Besonderheiten und Zusammenhänge voraus (natürlich die Entstehung und Durchsetzung der abstrakten Herrschaft des Kapitals und des bürgerlichen Staats, aber auch deutsche und europäische Geschichte von Subjektpositionen, Mentalitäten und Ideologien bis zum ganz konkreten politischen Handeln), die sich weder kapital-funktional noch kulturalistisch erklären lassen.

Die Antideutschen enthistorisieren und verallgemeinern auf ihre Weise das historisch Spezifische des Nationalsozialismus, das fraglos in engster Verbindung mit der deutschen Geschichte steht, aus ihr alleine (als politisch-kultureller Sonderweg gedeutet: antiliberaler Obrigkeitsstaat, völkischer Nationalismus, romantischer Staatsbegriff, antidemokratische und -individualistische Tradition, ökonomischer Korporatismus und Arbeitswahn) aber nicht zu erklären ist. Sie verkennen dabei die allgemeine – nicht spezifisch deutsche – Tendenz, die im Antisemitismus liegt: »Die Zurechnung des geschichtlich-gesellschaftlichen Geschehens zu nationalen Charakteren verschleiert nicht nur die Bedeutung von Auschwitz, sondern auch den Charakter des vorausgegangenen Antisemitismus.« Indirekt geben dies die Antideutschen zu, wenn sie den Nationalsozialismus im Islamofaschismus wieder auferstehen sehen, wobei sie nun dazu tendieren das Allgemeine des Antisemitismus gegenüber dem Besonderen des Nationalsozialismus zu verallgemeinern – wieder wird die Vermittlung von Gegenwart und Geschichte, von Allgemeinen und Geschichte eingezogen, wenn etwa der islamistische Iran zur Reinkarnation des Nationalsozialismus mutiert. Deutlich wird dies beispielsweise in der wichtigen Studie Fetisch und Freiheit von Stephan Grigat, der das »Deutsche« auf fragwürdige Weise fasst. Um dem Kulturalismusvorwurf zu entgehen, wird aus »deutsch« einfach eine besondere »politökonomische Konstellation«, die allerdings nicht »auf den Staat Deutschland noch auf die Zeit des Nationalsozialismus beschränkt« sei. Diese Konstellation sei »verallgemeinerbar«, womit Deutschland zum »allgemeinen Äquivalent der Nationen«

mutiert. Ein allgemeines Äquivalent ist aber universell austauschbar und gleichgültig! 

Kurzum, es sind jeweils verkürzende Erklärungen: Geschichte und Gegenwart der Herrschaft sind weder allein aus der Entwicklung des Kapitalverhältnisses und seines Staates zu verstehen, noch allein vom Nationalsozialismus her, der zugleich ungeschichtlich verallgemeinert und doch in seiner allgemeinen Tendenz verkannt wird. Er sei eben etwas spezifisch Deutsches, was als Besonderes, um dem Allgemeinen gerecht zu werden, zugleich etwas Allgemeines bezeichnen soll. Die Antinationalen verkennen die Dialektik von Allgemeinem und Besonderem, indem sie ersteres als kapitalistischen Modernisierungsprozess bestimmen, von dem letzteres immer nur eine Funktion sei; der Nationalsozialismus fällt somit »als pathologisches Relikt«

der Vergangenheit aus der kapitalistischen Normalität abstrakt heraus. Die Antideutschen wiederum negieren die (deutsche) Geschichte (nach 1945) in politischer (Demokratisierung/Europäisierung) und kultureller (Liberalisierung/Amerikanisierung) Hinsicht, wenn sie meinen, die Gegenwart allein vom Nationalsozialismus her begreifen zu können. Die Gegenwart der Vergangenheit wird somit auf eine Art und Weise universalisiert, die es zugleich ermöglicht, sie in die islamische Welt zu exportieren. Gerade die Geschichte und die Gegenwart des Antisemitismus als real-existierender Konterrevolution belegen die jeweiligen Verkürzungen, die der Erkenntnis und Kritik von Herrschaft im Wege stehen: Auschwitz ist ein Resultat deutscher Geschichte und verweist doch über diese hinaus. 

Demokratie und/oder Totalitarismus

Ein weiterer vermeintlicher Gegensatz, mit dem sich die Linke schwer tut, ist der von Demokratie und Totalitarismus. Betrifft die Frage nach dem Verhältnis von Faschismus und Kapitalismus gleichsam Feindesland, so bezieht sich die Debatte um Demokratie und Totalitarismus auch direkt auf die Geschichte der Linken: auf den historischen Staatssozialismus und sein Scheitern.

Die gängige Form der klassischen Totalitarismustheorie ist zweifelsohne ideologisch und vermag keineswegs die Eigenarten der stalinistischen, faschistischen und nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu erfassen. Wie der modernere, noch stupidere Begriff des Extremismus gehört sie in das Arsenal (ordnungs-)politischer Kampfbegriffe, von entsprechend leichtem analytischen Gewicht, die darauf abzielen, politische Praxis (verfassungs- und strafrechtlich) auf den Status quo restringierend zu vereidigen.

Die Totalitarismus- und Extremismustheorie verschweigt oder vernebelt den Herrschaftscharakter von Kapitalismus, Rechtsstaat und liberaler Demokratie, die als unausgewiesene und/oder nicht mehr hinterfragbare Normen immer schon der Analyse vorausgesetzt werden. Entweder wird der Herrschaftscharakter kapitalistischer Vergesellschaftung völlig übergangen oder aber (demokratie-idealistisch) diese als einzig legitime und beste Form der Herrschaft zum Verschwinden gebracht und als notwendig sowie alternativlos dargestellt; alles andere führe eben in den Totalitarismus. Die Totalitarismustheorie schweigt sich aber nicht nur über die bürgerlich-kapitalistischen Formen der Herrschaft aus, und beschränkt sich auch nicht allein darauf, diese als alternativlos auszugeben. Sie unterschlägt zudem das historische Kontinuum zwischen liberalen und faschistischen Formen der Herrschaft: Der kapitalistische Staat und seine Demokratie werden nicht von zwei feindlichen, im Kern aber gleichen Extremen gefährdet. Es ist vielmehr so, dass die moderne bürgerliche Herrschaft zwei »Extreme« ihrer Entwicklung ermöglicht: hin zum Pol radikaler Freiheit einerseits, hin zum Pol radikaler Unfreiheit andererseits.

Aus ganz verschiedenen Gründen und in ganz verschiedener Hinsicht befinden sich hier tatsächlich Faschismus, Nationalsozialismus und Stalinismus. Zu fragen wäre, ob letzterer hier nicht durch die Reproduktion bürgerlicher Praxis und Ideologie gelandet ist: Produktivismus, Nationalismus und Staats-Politik. Die totale Herrschaft sozialistischer Provenienz wäre dann nicht das Gegenteil der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Demokratie, sondern, wie der Faschismus, eine ihrer selbstzerstörerischen Möglichkeiten, die ihrer eigenen Konstitution entspringen. Gerhard Scheit hat diesbezüglich den Begriff des Staatskommunismus stark gemacht, der den widersprüchlichen Charakter der vergangen sozialistischen Herrschaft präzise erfasst. Die bürgerlichen Fetische wurden von dieser affirmiert und auf die Spitze getrieben, indem der Staat die Gesellschaft zu einer einzigen Fabrik organisierte, deren Unfreiheit sich in der Arbeitshölle der Lager kristallisierte. Als solche verstaatliche Gesellschaft hatte der Stalinismus mit dem italienischen Faschismus mehr gemein als beide mit dem Nationalsozialismus.

Sowohl Faschismus- als auch Totalitarismustheorien finden in der antisemitischen Vernichtungsbewegung des Nationalsozialismus ihre Grenzen. 

Bürgerlich-kapitalistische Vergesellschaftung ist demnach eine Form der Herrschaft, die sich, nicht zuletzt im Kampf gegen die Bewegung zum Pol der radikalen Freiheit, vorbehält, sich zu radikalisieren, um sich zu verewigen. Der eine (linke) Pol bedroht nicht die Freiheit, sondern die bürgerliche Herrschaft, die, wenn es darauf ankam, stets Zuflucht nahm in den Hafen der radikalen Unfreiheit direkter Gewalt und Knechtschaft als ihrer immanenten Möglichkeit, die nicht als äußere Barbarei über das »Eden der angeborenen Menschenrechte«

herfällt.

Wie ich an andere Stelle dargelegt habe, impliziert die Kritik an den Totalitarismustheorien nicht im Geringsten die (linke) Relativierung der durch die Staatskommunisten verursachten historischen Katastrophen. Zudem ist ein Diktaturenvergleich wissenschaftlich wertvoll und kann nicht moralisch verboten werden. Dieser zeigt vielmehr, dass die Differenzen zwischen den Regimen derart groß sind, dass die basalen Annahmen der klassischen Totalitarismustheorie widerlegt sind. Die Frage nach den »Ursprüngen und Elementen totaler Herrschaft«, wie es Hannah Arendt formulierte, ist damit aber noch lange nicht erledigt – und sie geht die Geschichte der Linken selbst an. Das Plädoyer der Gruppe INEX sich mit den nicht-affirmativen Totalitarismustheorien auseinanderzusetzen, ist zu begrüßen, weil mit diesen jene Aspekte des Staatskommunismus thematisch werden, die auf die Selbstzerstörungspotentiale der Emanzipation verweisen. Der Begriff der totalen Herrschaft ist – trotz seiner affirmativen Instrumentalisierbarkeit – brauchbar, da er die terroristische Verstaatlichung der Gesellschaft in der Sowjetunion theoretisch zumindest anzudeuten und zu kritisieren vermag: »den Versuch der Herstellung totaler gesellschaftlicher Identität« durch die »Unterordnung des Individuums unter das Kollektiv«. Der Begriff des totalen Staates kann (vorläufig) zur Bezeichnung der (stalinistischen) Sowjetunion dienen, da er wesentliche Differenzen zu autoritären Diktaturen – nicht zuletzt bezüglich des Verhältnisses von politischer Gewalt und sozio-ökonomischer Struktur – wenigstens dem Namen nach erst einmal benennt: den Souverän, der zum »einzigen Unternehmer der Gesellschaft« wurde und die »politische Gewalt unmittelbar« in den »Dienst der Produktion«

stellte. 

Das Verhältnis von Demokratie und totaler Herrschaft, von bürgerlicher Gesellschaft, Kapitalismus, Faschismus, Staatskommunismus und Nationalsozialismus ist offenbar komplexer als es die Gewissheiten der (linken) Faschismustheorie und der (rechten) Totalitarismustheorie vermuten lassen.

Die zentrale Behauptung letzterer besteht darin, dass totale Herrschaftssysteme, seien diese nun sozialistischen oder aber faschistischen Ursprungs, die Herrschaft des Gesetzes als Inbegriff des Rechtsstaats und Basis abstrakter individueller Freiheit aufheben, womit sie, entscheidende weitere Punkte beiseite lassend, richtig liegen. Totalitarismustheorien verkennen aber nicht nur die dargelegten bürgerlich-kapitalistischen Ursprünge totaler Herrschaft, sondern verklären auch den Rechtsstaat und seine repräsentative Demokratie. Das von Franz Neumann herausgestellte Freiheitsmoment, das dem Recht eigen ist und sich in den Verfahren und Institutionen der parlamentarischen Demokratie politisch ausdrückt, ist eben nicht das Ende der Gewalt und die Negation von Herrschaft, sondern ihre vermittelte Form. Der Rechtsgelehrte und ehemalige Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde hat erstaunlich offen den Rechtsidealismus kritisiert, indem er dessen nicht-rechtliche »Voraussetzungen«   präzise, wenn auch mit anderen Worten, benannte: Konsens, Hegemonie und Staatsgewalt. Dass Böckenförde die Rechtsordnung gleichwohl nicht als eine vermittelte Form von Gewalt, sondern als »Ordnung der Freiheit«

ausgibt, versteht sich von Amtswegen.

Das von der abstrakten Herrschaft des Kapitals gewährte Minimum an Freiheit ist nicht nur an den gesamtgesellschaftlichen Zweck der Kapitalverwertung gebunden, sondern steht virtuell stets zur Disposition. Die Irreflexivität der rechtstaatlichen Gewalt ist unaufhebbar, da der Herrschaft des Gesetzes die nicht-rechtliche Gewalt des Staates zugrunde liegt. Das Verhältnis von Freiheit, Recht und Gewalt im modernen Staat ist an sich prekär und ambivalent. Dieser gewährt jene bürgerliche Freiheit, die er im Ernstfall zugunsten der Kapitalverwertung und der Aufrechterhaltung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse suspendiert, woraus sich spezifische Konsequenzen für die radikale Kritik des Bestehenden ergeben. Wem es ernst damit ist, totale Herrschaft zu verhindern, sollte sich nicht beim Verfassungsschutz bewerben, sondern an der Abschaffung der nicht-totalen, vermittelten Herrschaft als Ursprung ihrer totalitären Variante mitarbeiten, ohne indessen beide zu verwechseln und den rechtlichen Vorschein realer Freiheit als ›bürgerlichen Trug‹ zu denunzieren.

Wieso das ganze begriffliche Brimborium? Es scheint mir nicht nur Voraussetzung der konkreten Analyse politischer, ökonomischer, sozialer, kultureller und ideologischer Entwicklungen, sondern auch Bedingung der geschichtlichen Verortung der Gegenwart in ihrem Verhältnis zur Vergangenheit zu sein, womit auch die Zukunft thematisch ist. Geschichtsphilosophisch kondensiert, steht die radikale Linke nach dem 20. Jahrhundert vor der Erfahrung des Scheiterns der Revolution und des Wütens der modernen »Barbarei«. Diese Situation zwingt dazu, Marxens kategorischen Imperativ mit Adornos kategorischen Imperativ zusammenzudenken. Es geht um die Einsicht, dass es etwas Schlimmeres gibt als die kapitalistische Herrschaft, die einerseits zwar selbst die Bedingung der unbewältigten Möglichkeit des Schlimmeren darstellt, andererseits zumindest ihrem Begriff nach ein »weites Feld der Wahl, Willkür und daher der formellen Freiheit« garantiert. Worum es bei der Differenzierung verschiedener Herrschaftsformen letztlich – neben analytischer Präzision – geht, ist also zweierlei: Einerseits gilt es, das bisherige Scheitern der kommunistischen Befreiung ernst zu nehmen und sich denjenigen Aspekten totaler Herrschaft zu stellen, deren (negative) Bedeutung für die Geschichte der Emanzipation nicht schon dadurch erledigt ist, weil sie ideologisch ausgeschlachtet werden. Andererseits sollte mittlerweile klar sein, dass die Revolution – auch so ein Wort – nicht mit der Abwendung des Schlimmsten gleichzusetzen ist, was bedeutet, dass die Linke noch im Angriff auf die moderne Herrschaft, dieselbe gegen ihre immanente »Barbarisierung« verteidigen muss, was nur dann nicht in ihre Apologie umschlägt, wenn sie sie noch in ihrer Verteidigung gegen innere und äußere Bedrohungen als fortexistierenden Grund der stets drohenden Katastrophe denunziert.

Von Hendrik Wallat. Vom Autor erscheint soeben bei edition assemblage »Staat oder Revolution. Aspekte und Probleme linker Bolschewismuskritik.«

Fußnoten

  1. Da mir die Lagermentalitäten in der versprengten Linken wenig produktiv erscheinen, werde ich auf die konkrete Analyse von Verlautbarungen einzelner Gruppen oder Personen weitestgehend verzichten.
  2. Vgl. für eine textanalytische Interpretation der aufgeworfenen Fragen den Aufsatz von Oliver Barth, Postnazismus, Staatsableitung, Zivilgesellschaft, in: Phase 2.37, 2010. Auf eine mögliche Gemeinsamkeit zwischen den KontrahentInnen, nämlich Rationalität/Normalität und Wahn in der (deutschen) Geschichte einseitig zu kontrastieren, hat hingegen Sonja Witte hingewiesen: Sonja Witte, Deswegen sollten wir uns nicht streiten, da wir beide gegen dasselbe kämpfen, in: Phase 2.38 (2010).
  3. Vgl. Mark Hachnik, Nach den Antideutschen. Über die Vergänglichkeit des Gebrauchswerts der Geschichte für eine emanzipatorische Politik, in: Phase 2.34 (2009).
  4. Ebd.
  5. Detlev Claussen, Grenzen der Aufklärung. Die gesellschaftliche Genese des modernen Antisemitismus, erw. Neuausgabe, Frankfurt a.M. 2005, 43.
  6. Stephan Grigat, Fetisch und Freiheit. Über die Rezeption der Marxschen Fetischkritik, die Emanzipation von Staat und Kapital und die Kritik des Antisemitismus, Freiburg 2007, 256 f.
  7. Witte, Deswegen sollten wir uns nicht streiten, 25.
  8. Vgl. Forum für kritische Rechtsextremismusforschung (Hrsg.), Ordnung. Macht. Extremismus. Effekte und Alternativen des Extremismus-Modells, Wiesbaden 2011.
  9. Gerhard Scheit, Neuer Mensch als kollektives Ungeheuer. Ein Beitrag zum Begriff des Staatskommunismus, in: Phase 2.24 (2007).
  10. Vgl. Gerhard Scheit, Zwischen Leviathan und Behemoth. Über den Zusammenhang von Faschismus und Kommunismus, in: Phase 2.30 (2008).
  11. Karl Marx, Das Kapital. Kritik der Politischen Ökonomie, Erster Band, Marx-Engels-Werke (MEW), 23, 189 f.
  12. Hendrik Wallat, Auschwitz und Kolyma. Anmerkungen zum kommunistischen Geschichtsbewusstsein, in: Phase 2.39 (2009).
  13. Vgl. INEX, Die Aufhebung des Individuums in der Gesellschaft. Ein Beitrag um die Debatte um Totalitarismustheorien, in: Phase 2.40 (2011).
  14. Ebd.
  15. Scheit, Zwischen Leviathan und Behemoth, 8.
  16. So in seiner Aufsatzsammlung: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt a.M. 1991, 168.
  17. Ebd., 113.
  18. Karl Marx/Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie, MEW 42, 377.
  19. Vgl. Gerhard Scheit, Quälbarer Leib. Kritik der Gesellschaft nach Adorno, Freiburg 2011, 202 f.

https://phase-zwei.org/hefte/artikel/von-feinen-unterschieden-und-ihren-politischen-bedeutungen-58/

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