Interview mit Thomas Lennartz (MEOSA/ SWIAC) : „Militärisch und politisch ist der Kampf gegen den Islamismus und den Dschihadismus mit konventionellen Mitteln derzeit nicht zu gewinnen.“

Interview mit Thomas Lennartz (MEOSA/ SWIAC) : „Militärisch und politisch ist der Kampf gegen den Islamismus und den Dschihadismus mit konventionellen Mitteln derzeit nicht zu gewinnen.“

Global Review hatte die Ehre und Gelegenheit, ein Interview mit Thomas Lennartz, Direktor (CO) von Middle East and Oriental Security Analysts and von dem Special Warfare Intelligence and Analysis Centre zu führen. Middle East and Oriental Security Analysts führt sicherheitspolitische Untersuchungen durch und liefert Analysen mit Hauptaugenmerk liegt auf dem Nahen Osten, Zentralasien, Nordafrika sowie islamisch orientierten Ländern und Gesellschaften weltweit. Ihre Forschungsergebnisse und Analysen stehen GO, NGOs sowie Industrie und Handel in den Staaten Nato, EU und West zur Verfügung. Middle East and Oriental Security Analysts ist der atlantischen Idee verpflichtet.

Global Review:Herr Lennartz, als Vorsitzender des Middle East and Oriental Security Analysts und des Special Warfare Intelligence and Analysis Centre werden Sie wahrgenommen haben, dass die neue Nationale Security Strategy der USA die Großmächte China und Russland betont, wie auch die Schurkenstaaten Iran und Nordkorea, jedoch den Islamismus auf ganz untere Stufe stellt. Der NATO Report 2030 von Thomas De Mazière und A. Wess Mitchell sieht dies ähnlich wenngleich es Terrorismus erwähnt, aber Islamismus als Begriff taucht in dem Dokument gar nicht auf. Zum einen: War es nicht ein Fehler, Islamismus nur auf die terroristischen Erscheinungsformen zu reduzieren, also nur für interessant zu finden inwieweit Formen des Islamismus westliches Territorium terroristisch tangieren könnten und zum zweiten den Islamismus soweit hinten anzustellen und nur noch Großmacht- und Schurkenstaatenkonkurrenz zu sehen?

Thomas Lennartz: Zweck der Nationalen Sicherheitsstrategie der USA ist per Definition die Souveränität und Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten mit ihren zugrundeliegenden Werten und Institutionen in intaktem Zustand zu garantieren.Daher muss diese Nationale Sicherheitsstrategie der USA oder eine NATO-Strategie ein möglichst breit aufgestelltes Bild der „Feindlage“, wie wir Soldaten es nennen, bieten. Hierzu gehört demnach auch eine Einschätzung der Größe und Aktualität der jeweiligen Bedrohung. Islamismus oder besser Dschihadismus ist eben leider nur ein Teil des Gesamtspektrums. Eine Strategie oder Lagebeurteilung hat immer die Schwäche der Prognosefähigkeit aus dem Augenblick heraus.

Ich gebe Ihnen recht, dass mit dem Ende der „staatlichen“ Existenz des Da’esh-Kalifats der islamistische oder dschihadistische Terrorismus sunnitischer Prägung als organisierte Bedrohungsform weniger wahrgenommen wurde. Dass Da’esh seine geographischen Schwerpunkte weg aus dem Nahen Osten hin nach Afrika und Zentralasien verlegt hat, wurde zunächst nur von wenigen erkannt.Trotzdem bleibt Da’esh in Syrien und Irak als Bedrohung präsent. Je weiter sich die staatliche Entwicklung in Syrien und im Irak verzögert, je mehr werden sich Strukturen wie Da’esh wieder verfestigen. Sie werden von den Sollbruchstellen in diesen Regionenprofitieren, vom ungelösten Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten.Schon jetzt arbeitet Da’esh daran, Kontrolle über wichtige Verbindungsstraßen zu erlangen. Schonjetzt kassierten die Dschihadisten mancherorts Zölle und sie erheben Steuern in der Nähe ihrer Rückzugsorte.Die Kapazitäten von Da’esh für externe Operationen in Europa wurden signifikant reduziert. Was es Da’esh erlaubte, verheerende Anschläge wie jene in Paris oder Brüssel auszuführen, war der stete Zustrom freiwilliger Kämpfer aus dem Ausland, die ausgebildet und zum Töten zurückgeschickt werden konnten.

Aber jetzt gibt es kein Kalifat mehr, in das man einwandern könnte, die Radikalisierung von Menschen oder Gruppen in den jeweiligen Zielstaaten hat jetzt Vorrang. Eine weitere Schwerpunktverlagerung hat vom quasi „staatlich“ ausgeübten Dschihadismus des Kalifats hin zum, ich nenne es mal „Individualterrorismus“ des „einsamen Wolfs“ (Lone Wolf) stattgefunden, der sich individuell radikalisiert. Ich warne jedoch ausdrücklich vor einer Gleichsetzung von Islamismus und Terrorismus, wenngleich das eine sehr wohl zum anderen führen kann und der Islamismus den Nährboden für dschihadistische Radikalisierung bildet. In Deutschland unterscheiden wir deutlich zwischen politischem Islam (Islamismus) und seinen terroristischen Erscheinungsformen (Dschihadismus).

Das Bundesamt für Verfassungsschutz definiert Islamismus als „eine Form des politischen Extremismus. Unter Berufung auf den Islam zielt der Islamismus auf die teilweise oder vollständigeAbschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ab.Der Islamismus basiert auf der Überzeugung, dass der Islam nicht nur eine persönliche, private Angelegenheit ist, sondern auch das gesellschaftliche Leben und die politische Ordnung bestimmt oder zumindest teilweise regelt. Der Islamismus postuliert die Existenz einer gottgewollten und daher ,wahren‘ und absoluten Ordnung, die über den von Menschen gemachten Ordnungen steht.“

Nach meiner Überzeugung kann der Kampf gegen den Islamismus oder den Dschihadismus auf lange Sicht nicht militärisch oder politisch gewonnen werden, wenn es die westliche Gemeinschaft nicht vermag. ihre Werte in den Köpfen der Menschen zu verankern, und damit meine ich nicht nurin den Köpfen von Zuwanderern oder Menschen mit Migrationshintergrund aus islamisch geprägten Ländern.Dass auch Menschen, die ohne Islamisten zu sein in einer westlich geprägten Demokratie aufgewachsen sind, unsere Werte teilweise nicht leben können oder wollen, machen die Ereignisse der jüngsten Zeit mehr als deutlich.

Global Review: Putinberater und Valdaiclubmitglied Prof. Rahr geht mittelfristig von der Dreiteilung der Welt aus: Ein transatlantischer Block, ein eurasischer Block und ein islamistischer Block. Mit dem Chef des Middle East Forums, Daniel Pipes ist Global Review hingegen der Ansicht, dass wir drei islamistische Gürtel sehen werden. Zum einen den AKP-Muslimbrüder-dominierten neoosmanische Gürtel von der MENA-Region über den Kaukasus zu Pakistan und Malaysia. Zum zweiten den vom Iran dominierten schiitischen Halbmond von Iran, Irak, Syrien, Libanon, Hamas, bis Bahrein, Yemen und Nordsaudiarabien, wie auch einen Boko Haram/IS/Al Shabab-dominierten Gürtel von Nigeria über den Sahel bis zu Somalia. Zuletzt der FAZ-Artikel „Warum sich immer mehr Menschen Boko Haram anschließen“ spricht doch für diese These, dass die westliche 5 G Sahel-Gruppe und Nigerias Sicherheitskräfte wohl am Scheitern sind. Stimmen Sie der 3-Gürteltheorie zu und was wären die strategischen Konsequenzen? Soll man die Islamisten gegeneinander ausspielen, vielleicht sogar den AKP-Muslimbrüder-dominierten Gürtel als Bollwerk gegen den IS-Gürtel nutzen, zumal die Türkei auch noch NATO-Mitglied ist. Ist das überhaupt möglich?

Thomas Lennartz: Hier gilt zunächst einmal, was ich bereits zur Prognosefähigkeit gesagt habe. Für jede der genannten Theorien gibt es sicherlich gute Gründe, zumal beide Theorien sich im Grunde nicht widersprechen. Daniel Pipes schlüsselt in seiner Theorie lediglich den islamischen (nicht unbedingt islamistischen) Block lediglich weiter auf. Das Schisma des Islam in Sunna und Schia ist eine Tatsache, die sich unabhängig von der Geographie quer durch die meisten islamischen Länder zieht. Der Iran als selbsternannte schiitische Führungsmacht wird stets versuchen, über die Schiiten Einfluss auszuüben, in den Staaten mit starken schiitischen Bevölkerungsanteilen mehr, in anderen Staaten eher weniger. Es wird jedoch ein latenter Unruhefaktor in der gesamten islamischen Welt bleiben.

Ob es der Türkei gelingen wird, als Hegemon eine Art neo-osmanisches Reich aufzubauen, wird abzuwarten sein. Wir werden wahrscheinlich auch hier davon ausgehen können, dass die Autokraten in den turanisch-islamischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion das nicht ohne Widerstand hinnehmen würden, von dem sunnitischen Konkurrenten Saudi Arabien ganz zu schweigen, auch die Nuklearmacht Pakistan wird sich kaum unterordnen.Die Türkei wird sich darüberhinaus zu entscheiden haben, ob sie den Blick auf den Westen, die NATO und Europa und das östliche Mittelmeer als Mitglied der EU und der NATO richtet, auf einenPan-Turanismus Richtung Zentralasien oder sich im Nahen Osten und Nordafrika engagiert. Alles wird der Staat am Bosporus nicht erreichen können, er würde sich daran deutlich verheben.

Afrika ist ein Kontinent im Aufbruch, hier ist der Islam zurzeit noch in ethnischen Grenzen gefangen, genau wie der Kontinent noch an seiner kolonialen Vergangenheit krankt. Ob es islamistischen und dschihadistischen Bewegungen gelingen wird, sich über die ethnischen Grenzen hinaus zu einer afrikanischen Umma zu vereinigen, erscheint mir im Moment noch zweifelhaft, genau wie ein Überdauern postkolonialer Strukturen und Interessen auf Dauer. Ich neige eher zu der Ansicht, wir werden in einem Afrika der Zukunft ein Aufbrechen der postkolonialen Grenzen und eine territoriale Neuordnung sowie eine Rückbesinnung auf afrikanische Kultur und Religionen beobachten, die dann zu Lasten der abrahamitischen Religionen in Afrika gehen könnte.

Um auf Ihre Frage nach den strategischen Folgen zurückzukommen, so sehe ich zunächst noch keinen homogenen islamischen Block, wie Prof. Rahr, eher noch einige Jahrzehnte der Zersplitterung innerhalb der islamischen Welt, was nicht heisst, dass sich nicht kurzfristige, schnell wechselnde Zweckbündnisse gegen einen gemeinsamen Gegner aber auch gegeneinander bilden können. Hierauf wird sich in unserem Fall der Westen mit Blick auf die islamische Welt strategisch einzustellen haben.

 Lassen Sie mich noch kurz auf Russland und China eingehen. Es dürften wenig Zweifel darüber bestehen, dass China in den kommenden Jahrzehnten zu einem wirtschaftlichen und militärischen Superschwergewicht heranwachsen wird und im asiatisch-pazifischen Raum eine Vormachtstellung erreichen wird. Strategisch wird sich der Westen auf eine sich verschärfende Konfrontation zwischen den USA und China vorbereiten müssen. In diesen Lagebeurteilungen dürfen Indien und Pakistan allerdings nicht außer Acht gelassen werden.

Was Russland angeht, so ist das grösste Land der Erde immer noch an einem Scheideweg. Nach dem Ende der Sowjetunion hat es Wladimir Putin völlig auf sich ausgerichtet und die kommunistische Ideologie durch eine christlich-russisch-nationalistisch-orthodoxe ersetzt. Das löst innerhalb der zahlenmäßig starken und demographisch schnell wachsenden muslimischen Gemeinschaft innerhalb Russlands Missfallen aus.Hier werden wir abwarten müssen, in welche Richtung sich eine Nachfolge Putins abzeichnen wird. Man wird in jede Richtung denken müssen und entsprechend strategische Modelle entwickeln müssen.

Global Review: Trump hatte bei seiner Kritik des Irandeals kritisiert, dass dieser die Entwicklung von Nuklearwaffen nicht richtig kontrolliere und selbst wenn man diese Kontrolle annehmen würde, doch nur bedeute, dass der islamistische Iran für 10 Jahre auf Atomwaffen verzichte, während er sein Raketenträgerwaffen- und Satellitenprogramme, Expansion im schiitischen Halbmond wie auch Unterstützung von Terrorismus, vor allem gegen Israel vorantreiben kann, um sich dann auf erweiterter Basis Atomwaffen nach Ablauf des Irandeals zuzulegen. Zudem wolle Iran eine Feuerring um Israel mit modernen, zielgenauen Massenraketen seitens der Hisbollah im Libanon , der Hamas im Gazastreifen und der Hisbollah und den iranischen Revolutionsgarden in Syrien. Ist ein israelisch-iranischer Krieg überhaupt noch vermeidbar und kann Biden einen neuen Irandeal voranbringen?

Thomas Lennartz: Einen neuen Joint Comprehensive Plan of Action wird es wohl nicht geben, abzuwarten ist, ob die Biden-Administration in den alten Vertrag wieder einsteigt oder einen bilateralen oder trilateralen Vertrag (USA-Israel-Iran) anstrebt.Die Frage, inwiefern der JCPOA-Vertrag den Iran daran hindert, Atomwaffen zu entwickeln, ist im Grunde müßig, genauso wie die, ob der Internationale Atomwaffenverbotsvertrag dazu etwas beiträgt. Immerhin hat Iran auch diesem am 7. Juli 2017 ebenfalls zugestimmt, obwohl es ihn bis dato nicht unterzeichnet hat.

Wir werden uns bei derartigen Verträgen grundsätzlich auf die Vertragstreue der Signatarstaaten verlassen müssen, da in der heutigen Zeit eine zwangsweise Abkoppelung einzelner Staaten von der technologischen Entwicklung kaum machbar sein wird.Das zwingt uns natürlich bei der strategischen Planung alle Optionen mit einzubeziehen.Ein einseitiger Ausstieg, wie unter der Trump-Administration, kann jedoch, wie die Welt beobachten konnte, keine Lösung sein, der Iran kurbelte sein A-Waffen-Programm wieder an und brachte die USA und in deren Gefolge Israel in gefährliche Zugzwänge.

Im Moment sieht es ohnehin so aus, als ob der Iran sein Lang- und Mittelstreckenraketen-Programm nur als Drohgebärde aufbaut und statt dessen versucht, Israel durch seine Proxies, die er in Syrien, Libanon und Gaza ausrüstet in einen hybriden Abnutzungskrieg zu verwickeln. Meiner Meinung nach führt der Iran die Vernichtung Israels zurzeit nur als propagandistisches Lippenbekenntnis im Mund (langfristig bleibt es natürlich erklärtes Ziel der Mullahs), sie scheint zugunsten anderer strategischer Zeile zurückgestellt. Iran trachtet nach meiner Beobachtung kurz- und mittelfristig danach, in Syrien, Irak und Libanon weiter Fuß zu fassen. Das Zwischenziel scheint die Errichtung einer Passage zum Mittelmeer sein.Sollte ich der Iran Häfen in Syrien und Libanon – und den notwendigen Nachschub dorthin – sichern können, würden sich nicht nur für Israel, sondern auch für Europa die strategischen Optionen grundlegend ändern.

Global Review: Ist der Kampf gegen den Islamismus sicherheitstechnisch gewinnbar oder braucht es nicht auch eine Deradikalisierungsstrategie, die eine ideologische Propagandaoffensive, vielleicht mit einer Art anti islamistischen Al Jazzerra und die Bekämpfung von Parallelgesellschaften und Förderung eines Reformislams, wie in Macrons Islamrede formuliert, voraussetzt? In dem FAZ- Aufruf „Eine Antwort auf den politischen Islam ist nötig“ von Lucia Puttrich (CDU), Hessische Staatsministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und Bevollmächtigte des Landes Hessen beim Bund. Und Professor Dr. Susanne Schröter, Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, unterstützen beide Macrons Islamrede und seine Forderungen. Wie sähe ein umfassendes Anti-Islamismuskonzept aus?

Thomas Lennartz: Diese Frage habe ich eigentlich schon beantwortet. Militärisch und politisch ist der Kampf gegen den Islamismus und den Dschihadismus mit konventionellen Mitteln derzeit nicht zu gewinnen.Die Auseinandersetzung muss in den Köpfen der Menschen stattfinden, wie ich eingangs bereits ausgeführt habe.Hierzu gehören selbstverständlich Deradikalisierungs- und Informationsstrategien. Ebenso wichtig ist die Einbindung von Muslimen in unsere Gesellschaft, Chancengleichheit, die Förderung von Sprachkenntnissen, sowie die unabhängige Ausbildung von islamischen Geistlichen an unseren Universitäten.

Das alles muss jedoch unter Berücksichtigung unserer Werte von Demokratie, vernünftiger Toleranz und Meinungsfreiheit geschehen, dumpfe Gegenpropaganda würde uns nur auf das Niveau des Dschihadismus herabziehen.Straftaten, Straftäter und Terroristen müssen allerdings mit aller gebotenen Härte bekämpft werden. Die westlichen Staaten dürfen hier keinerlei Zweifel an ihrer Entschlossenheit aufkommen lassen.

Dies kann natürlich nur innerhalb unserer Grenzen und Bevölkerung geschehen. Für die Deradikalisierung in den Herkunftsländern müssen andere Strategien ins Auge gefasst werden.Hierzu zählt vor allen Dingen eine Verbesserung der Lebensverhältnisse vor Ort, aber auch das im Augenblick von interessierten Kreisen oft und gerne kritisierte oder als gescheitert diffamierte „State Building“.Generell muss in den „Failed States“ die Durchsetzung von Staatsmacht unter Bedingungen des staatlichen Wandels gestärkt werden. Darüber hinaus müssen sich Staaten in Umbruchsprozessen oder solche mit schwachen Staatsstrukturen den Herausforderungen stellen, welche der (Neu-)Aufbau von Staatsstrukturen und -aufgaben mit sich bringt. Hierzu muss Hilfestellung geleistet werden können, ohne dass bei uns ideologische oder finanzielle Vorbehalte in den Vordergrund gehoben werden.

Charles Tilly, US-amerikanischer Historiker, Politologe und Soziologe, beschreibt State Building folgendermaßen: „State Building sorgt für die Entstehung von Fachpersonal, die Kontrolle über daskonsolidierte Territorium, die Loyalität und die Dauerhaftigkeit, dauerhafte Institutionen mit einem zentralisierten und autonomen Staat, der das Gewaltmonopol über eine bestimmte Bevölkerung innehat.“

Global Review:Wie beurteilen Sie die Entwicklung des Islamismus im Greater Middle East und kann der Westen oder die NATO da sicherheitspolitisch und militärisch überhaupt noch das Vordringen des Islamismus aufhalten? Zumal sich die NATO ja vor allem nur China und Ru0land und vielleicht noch dem Terrorismus zuwenden will?

Thomas Lennartz: Ich glaube, auf diese Frage bin ich auch bereits eingegangen.Ihre Fragestellung lässt darauf schließen, dass Sie den dschihadistischen Terrorismus als unterschiedlich zu anderen Arten des Terrors bewerten. Dem kann ich mich nicht anschließen.Terrorismus als Mittel zur Durchsetzung politischer und militärischer Ziele ist so alt wie die Welt und Terrorabwehr muss terroristische Bedrohungen als Ganzes wahrnehmen und bekämpfen.

Terrorabwehr im Inland ist vor allem Aufgabe der Polizeibehörden und Nachrichtendienste. Militär- und überstaatliche politische Bündnisse wie die NATO können Terrorismusabwehr nur als einen Teil ihrer Aufgaben sehen.Daher ist die von Ihnen beschriebene Zielsetzung der NATO, sich auf Bedrohungen durch konkurrierende Staaten und Terrorismus zu konzentrieren, der richtige Weg.

Eine militärische Option kann und wird nur begrenzte oder Teilerfolge erzielen. Das Da’esh-Kalifat konnte als Territorium mit militärischen Mitteln zwar ausgelöscht werden, aber wie wir gesehen haben, ist Da’esh als terroristische Gruppierung noch aktiv, ebenso wie die „Mutterorganisation“ al-Qaida und zahlreiche dschihadistische Milizen, die sich auf Da’esh und al-Qaida berufen und sich ihnen zugehörig fühlen.

Terrorismus, ob islamisch oder anderweitig geprägt, ist Teil der hybriden oder dezentralizierten Kriegsführung (4th Generation Warfare) und wird gerade in komplexen und langfristigen Konflikten von geringer Intensität, nicht- oder transnationalen, stark dezentralisierten Feindseligkeiten, sowie Auseinandersetzungen, in denen die völkerrechtlich angelegten Zustände Krieg und Frieden verwischen und in denen Akteure agieren, die sich beim Einsatz konventioneller Methoden vor der internationalen Gemeinschaft rechtfertigen müssten, leider weiter seinen Platz finden und wir werden unsere strategischen Optionen daran auszurichten haben

.© Thomas Lennartz 2021

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