Russlands Wende zu sich selbst: Russia First oder Eurasische Anti-NATO?

Russlands Wende zu sich selbst: Russia First oder Eurasische Anti-NATO?

Angesichts Chinas Drohungen Taiwan zu annektieren und Russlands Drohungen, eventuell die Ostukraine anschliessen zu wollen, gibt es im Umfeld der Russlandsexperten recht aufschlussreiche Richtungsstreite. Stellvertretend hierfür ist der Beitrag von Dmimitri Trenin „ Russlands Wende zu sich“ und Dr. Rahrs Entgegnung „Russlands Rolle in der Welt“ zu sehen. die als Artikel unten dokumentiert sind.

Dmitri Trenin leitet das Carnegie Moscow Center und gehört zu Russlands führenden Außenpolitik-Experten.Er vertritt mehr ein Russia First und schliesst auf dieser Basis eine mögliche Wiederannäherung an den Westen nicht aus , während Putin-und Gazpromberater Dr. Rahr eine Vision für Russland über Russia First allein in einer Eurasischen Union und der SCO als Anti-NATO vermisst. Rahr greift Trenin,der doch immer noch an eine russisch-westliche Annäherung aufgrund der gestärkten Position langfristig hofft,recht harsch und frontal an. SCO wird neue Anti-NATO und Eurasische Sicherheitsarchitektur. Dr.Kulikov,die frühere rechte Hand von Putinberater Yakunin zweifelt das an und glaubt wie Trenin ,dass Putin in die Abhängigkeit von China geraten könnte. Klingt teilweise etwas desperat. In den USA ist das auch noch nicht so klar. Das Long Telegramm,Teile des Außenministeriums und auch Generalstabschef Milley und ein paar andere Generäle wollen Russland noch die Möglichkeit bieten, abzuspringen oder sich zumindestens im kommenden chiesisch-amerikanischen Konflikt neutral zu verhalten.Die Rahr-Tretindebatte zeigt,dass da auch in Russland ein Richtungsstreit läuft. Aber ich bin da auch nicht sehr zuversichtlich und Rahr greift Trenin ja sehr frontal an.Schwer zu beurteilen,ob er diese SCO als Anti-NATO selbst glaubt (Indien, etc?) oder nur den Preis hochtreiben will.Jedenfalls ist man gut beraten bei aller Dialogoffenheit eine Position der Stärke einzunehmen.Aber jetzt auch noch mal abwarten,wie sich das in der Ukraine entwickelt,nachdem Erdogan auch noch mitmischen will.

Russlands Wende zu sich selbst

03/02/2021

Moskau ist zurück auf der Weltbühne und handelt nur noch nach eigenen Interessen

von Dmitri Trenin

Präsident Putin verfolgte seit 1999 zwei große Ziele: die Einheit Russlands bewahren und den Status als Großmacht wiederherstellen. Er war dabei erfolgreich. Die Zentralregierung hat sich in der gesamten Russischen Födera­tion fest etabliert. Russland, das um die Jahrtausendwende international fast abgeschrieben war, kehrte als Großmacht in die globale Arena zurück.

Die Erfolge sind unbestreitbar, aber sie waren nicht billig zu haben. Der Aufbau der Machtvertikalen in Russland erfolgte autoritär, was schon traditionell ist. Das politische Regime entwickelte sich jedoch nicht zu einem vollwertigen Staat: Es dient den Interessen einer zahlenmäßig geringen Elite, welche die Res­sourcen des Lands für persönliche und Gruppenzwecke nutzte. Angesichts des allmählichen, aber spürbaren Wachstums des bürgerlichen Bewusstseins der Russen wird dies in Zukunft zu ernsthaften Problemen führen.

Die Re-Etablierung Russlands als Großmacht war mit einer erneuten Konfrontation mit den USA verbunden, was einen langen und ungleichen Kampf erwarten lässt.

Putins Außenpolitik entwickelte sich komplex und auch widersprüchlich. Sie änderte sich dabei mehr als nur einmal. Im Jahr 2000 drängte Putin auf eine NATO-Mitgliedschaft für Russland; 2001 erwartete er, der wichtigste Verbündete der USA zu werden, und befahl, die US-Truppen in Afghanis­tan zu unterstützen. Putin wollte ein „Europa von Lissabon bis Wladiwostok“ und betonte im deutschen Bundestag die europäische Ausrichtung Russlands.

Was hat Putin erreicht?

Es ist offensichtlich, die Ära Putin geht dem Ende entgegen. Zwar hat Putin noch mehr als drei Jahre im Amt, und er kann bei den Präsidentenwahlen in den Jahren 2024 und 2030 noch einmal kandidieren. Aber trotz allem: Eine Ära nähert sich ihrem Ende. Deshalb ist eine Bilanz der letzten 20 Jahre heute möglich und sinnvoll. Was wurde erreicht, wo scheiterte man? Was bleibt und was muss geändert werden?

Erstens wurde unter Putin die Souveränität Russlands wiederhergestellt. Der rasche Anstieg der Ölpreise in den 2000er-Jahren ermöglichte es, auf einer neuen kapitalistischen Basis, die in den 1990er-Jahren geschaffen worden war, zum Wirtschaftswachstum überzugehen und sich von externer finanzieller Abhängigkeit zu befreien. Die Verstaatlichung eines großen Teils der Ölindustrie bildete die Grundlage für eine koordinierte Energie­politik. Die Reform der Streitkräfte in der ersten Hälfte der 2010er-Jahre gab dem Kreml ein wirksames Instrument zum Schutz und zur Förderung der staatlichen Interessen des Landes. Die ungebro­chene Unterstützung Putins durch die Mehrheit der Bevölkerung brachte Stabilität für die Regierung.

Zweitens hat Russland zu Beginn des 21. Jahrhunderts den Status einer Großmacht zurückerlangt. Die Versuche, in den 1990er- und 2000er-Jah­ren einen autonomen Status innerhalb des US-zentrierten euroatlantischen Systems zu erreichen, scheiterten. Die russische Elite und die Gesellschaft akzeptierten die US-Führung nicht – notwen­dige Voraussetzung für die Integration in das westliche System.

Russland gelang es auch nicht, ein eigenes Machtzentrum in Eurasien aufzubauen, weil die Führer der ehemaligen Sowjetrepubliken nicht bereit waren, Moskaus Dominanz anzuerkennen. Für Russland, ein Land, das sowohl unabhängig als auch einsam ist, ist der Status einer Großmacht eine Notwendigkeit.

Vorläufige russischen Asienpolitik

Das Scheitern dieser beiden Integrationen zwang Putin in der zwei­ten Hälfte der 2010er-Jahre zu einer scharfen Wende. Äußerlich sah es nach einer Bewegung von Europa nach Eurasien aus, die als Hinwen­dung nach Osten, insbesondere nach China, wahrgenommen wurde. Tatsächlich war es eine Wende Russlands zu sich selbst, die Suche nach einem stabilen Ruhepol, der in einem sich schnell verändern­den globalen Umfeld Stabilität ermöglicht.

Die gegenwärtige Selbst­bestimmung Russlands ist die Behauptung einer unabhängigen Größe, die sich im Norden des eurasischen Kontinents befindet und direkt an Ost- und Zentralasien, Europa, den Nahen und Mittleren Osten sowie Nordamerika angrenzt. Moskau ist nicht mehr in eine Richtung ausgerichtet, nach Europa, in die USA oder nach China. Russland hat Beziehungen mit seinen vielen Nachbarn und lässt sich nur von eige­nen Interessen leiten.

Bereits vor der Konfrontation zwischen Russland und den USA und der gegenseitigen Entfremdung mit der EU erlangte die östliche Richtung der Außenpolitik unter Putin Bedeutung. Einerseits war die Hinwendung nach Osten eine Folge des generellen Aufstiegs von Asien in der Weltwirt­schaft.

Andererseits war Moskau gezwungen, seine Schwäche im Osten seines Landes zu berücksichtigen. Aufgrund dieser Überlegungen unter­nahm Putin in den 2000er-Jahren große Anstrengungen, um das Problem der Grenze zu China endgültig zu lösen und eine produktive Partnerschaft mit Peking aufzubauen.

Unter Putin begann eine „vorläufige russischen Asienpolitik“. Neben der bündnisähnlichen Partnerschaft mit China versuchte er, die Bezie­hungen zu Indien als einer Großmacht in Asien sowie einem traditio­nellen Partner Russlands auszubauen; er suchte Japan und Südkorea als Ressourcen für Technologieimporte und Investitionen und er sah die ASEAN-Länder als wachsenden Markt.

Die postsowjetische Wirtschafts­integration, die sich seit 2009 innerhalb der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) intensivierte, erhielt einen zentralasiatischen Akzent. Bilate­rale Beziehungen und multilaterale Formate – im Rahmen der Shanghai Cooperation Organization, BRICS und RIC (Russland, Indien, China) – haben Bedingungen geschaffen, unter denen Russland, obwohl es nicht der größte und dominierende Akteur ist, auch mit mächtigeren Ländern ein Gleichgewicht herstellen kann.

Russlands neue Rolle im Nahen und Mittleren Osten

Die neue Qualität der russischen Außenpolitik zeigte sich am deutlichsten im Nahen und Mittleren Osten, insbesondere mit der Militäroperation in Syrien seit 2015. Moskau nimmt hier eine einzigartige Position ein: Man hat Kontakte mit allen wich­tigen Kräften in der Region, einschließlich dem Iran und Israel.

Mit relativ geringem Einsatz und mit begrenzten Verlusten hat Russland dort seine Ziele erreicht. Zum ersten Mal seit dem Zusammenbruch der UdSSR wurde Moskau in der Region wieder als Akteur wahrgenommen. Das Geheimnis dieses Erfolgs: Moskau hat sein Handeln ausschließlich nach seinen Interessen und nicht nach Ideologien oder Interessen anderer ausgerichtet. Hinzu kommt, dass man nicht ande­ren Ländern ein politisches Modell aufzwingen wollte und fähig war, auf der Grundlage lokaler Realitäten zu handeln.

Syrien und der Nahe Osten insgesamt sind zu einem Signal geworden, dass Russland auf die Weltbühne zurückgekehrt ist und ein global player von anderer Qualität als die UdSSR sein wird. Statt enorme Anstrengun­gen zu unternehmen, um sein Modell auf andere auszudehnen, sucht Mos­kau heute Nischen, die es nutzen kann. Man exportiert Energie, Waffen, Kernenergietechnologien und Nahrungsmittel. Zugleich bietet Russland als militärischer und diplomatischer Akteur gewissermaßen „politische Deckung“ für einige Staaten an. Damit ist man nicht nur in Europa und Asien präsent, sondern auch in Afrika und Lateinamerika.

Was konnte Putin nicht erreichen?

In der Innenpolitik gelang es nicht, wie angekündigt eine nationale russische Elite zu formieren. Die Gruppe, die mit Putin an die Macht kam, erwies sich als wenig widerstandsfähig gegenüber materiellen Versuchungen. Diese poli­tische Elite ist bis heute eine Gruppe von Personen, die ihre Unternehmens­interessen nicht nur über die nationalen und staatlichen Interessen stellen, sondern auch isoliert von ihrem Land leben, praktisch aber auf seine Kosten. In dieser Hinsicht – befreit von den Pflichten des öffentlichen Dienstes und strengen moralischen Beschränkungen – unterscheidet sich die derzeitige Elite von ihren sowjetischen und imperialen Vorgängern. Dieser Mangel im bestehenden Regime schwächt seine langfristige Perspektive.

Außenpolitisch war der Übergang von den Konzepten vom „größe­ren Europa“ zur Idee eines „größeren Eurasiens“ schmerzhaft. Die Zusam­menarbeit mit Europa, dem nächsten Nachbarn Russlands, ist nicht nur aufgrund der Ukrainekrise und grundlegender Unterschiede in politischen Werten ins Stocken geraten.

Aus EU-Sicht war die Basis für diese Zusam­menarbeit, dass sich Russlands an europäische Normen annähert, jedoch ohne die Einbeziehung Russlands in die EU. Die russische Hoffnung, dass die Eliten der EU mit dem Ende des Kalten Kriegs die atlantische Umlaufbahn verlassen und mit Russland ein größeres Europa aufbauen, erwies sich als unrealistisch.

Dann versuchte man auf den politischen Fel­dern der EU-Länder zu spielen und half nationalistischen Kräften, welche die dortigen Eliten herausforderten. Das war ein Fehler. Auf absehbare Zeit werden die russisch-europäischen Beziehungen durch wirtschaftli­che, wissenschaftliche, kulturelle und humanitäre Interessen geprägt sein. Geopolitik und militärische Sicherheit bleiben die Domäne der russisch-amerikanischen Beziehungen.

Probleme im Großraum Eurasien

Die Stagnation der Beziehungen zwischen Moskau und Delhi, die mit dem Zusammenbruch der UdSSR einsetzte, hält an. Der Umfang der Beziehungen zu Indien, dessen Wirtschaftskraft und internationale Ambi­tionen rasch zunehmen, bleibt hinter den Beziehungen mit China zurück. In Verbindung mit einer erheblichen Schwächung der Beziehungen zur EU ist dies eine Bedrohung für das geopolitische Gleichgewicht Russlands im Großraum Eurasien.

Ein Friedensvertrag mit Japan, der auch die Ter­ritorialprobleme endlich lösen könnte, scheiterte. Putin hat hart daran gearbeitet, Japan als eine Quelle für die Modernisierung Russlands und zu einem Element eines größeren eurasischen Gleichgewichts zu nutzen. Dieses Scheitern wird die Abhängigkeit Russlands von China weiter erhö­hen. Um dies zu mindern, wären die Beziehungen zu Indien und Japan sehr wichtig.

Die wirtschaftliche Integration mit mehreren GUS-Ländern, die Putin mit der Zollunion aktiviert hat, dient sicherlich den Interessen Russlands und seiner Partner. Gleichzeitig ist die EAWU ein begrenztes Projekt. Sie hat keine Aussicht, ein geopolitisches Machtzentrum in Eurasien zu werden. Die Partnerländer sind zu sehr auf ihre staatliche Souveränität bedacht. Der EAWU fehlt auch die Möglichkeit, ein ernsthafter Konkur­rent bzw. Partner anderer Integrationsverbände zu werden, sei es der EU oder der ASEAN.

Gesucht: Russlands Platz in der Weltordnung

Schließlich wurden einige Konzepte Putins in der Praxis nicht getes­tet. Die Idee einer multipolaren Welt, das heißt einer Welt des geopolitischen und geoökonomischen Gleichgewichts, entspricht sicherlich den Interes­sen Russlands. Gleichzeitig ist die Idee, die bestehende Weltordnung zu ändern, das heißt die globale Hegemonie der USA zu beseitigen, eher schäd­lich. Die Feinde der USA nur deshalb zu unterstützen, weil sie sich dem globa­len Hegemon widersetzen, bedeutet nicht, die eigene Position zu stärken. Man schafft sich zusätzliche Probleme.

Wichtig für Russland ist nicht die Weltordnung an sich, sondern Russlands Platz in dieser. Das Streben nach einem würdigen und vorteilhaften Platz in der entstehenden Weltordnung erfordert eine klare Zielsetzung und eine durchdachte Strategie. Das Feh­len einer langfristigen Strategie einerseits und die Neigung zu taktischen Manövern andererseits führen eher zu Risiken in der Außenpolitik.

Putin hat wiederholt versichert, dass Russland keine Konfrontation mit den Vereinigten Staaten zulassen werde. Aber die US-russische Kon­frontation ist seit fünf Jahren eine Tatsache. Nun gibt es ähnliche Zusi­cherungen, dass es kein neues Wettrüsten mit den USA geben werde. Aber angesichts des von Washington eingeleiteten Abbaus des Rüstungs­kontrollsystems gibt es keine Garantie, dass das militärisch-technische Gleichgewicht mit den USA ohne ernsthafte Investitionen im Verteidi­gungsbereich aufrechterhalten werden kann.

Natürlich hängt nicht alles von Moskau ab. Washington hat seine eigenen Pläne, die sich ändern kön­nen. Es geht um etwas anderes. Russland ist als weniger mächtige Kraft verpflichtet, seine Interessen zu verteidigen, um frontale Zusammenstöße mit einem Rivalen zu vermeiden.

Ein großer Fehler in der russischen Außenpolitik seit Mitte der 1990er-Jahre bestand in der starken Fixierung auf die NATO-Osterweiterung. Sicher, der Beitritt von mittel- und osteuropäischen Ländern in die NATO hat die Sicherheit Russlands nicht gestärkt und die außenpolitischen Posi­tionen Moskaus geschwächt. Gleichzeitig haben Moskaus Versuche, sich gegen die Ostbewegung des Bündnisses zu stel­len, die negativen Folgen dieser Expansion für Russland eher verstärkt.

Außerdem hauchten die militärpoli­tischen Schritte Moskaus während der Ukrai­nekrise der NATO neues Leben ein und trugen dazu bei, dass Russland wieder als militärischer Feind des Wes­tens wahrgenommen wird. Das Wiederaufleben dieses Bildes – ein Vier­teljahrhundert nach dem Ende des Kalten Krieges – ist eine strategische Niederlage für Russland.

Ukraine-Politik ein schwerer Fehler

Die übertriebene Bedeutung der NATO-Erweiterung hat auch die Poltik Russlands gegenüber der Ukraine stark beeinflusst. Es ist diese Politik, die zum schwerwiegendsten Fehler der letzten Jahre wurde. Hier geht es nicht um die Aktionen auf der Krim, die eine Reaktion auf eine scharfe Veränderung der Situation in Kiew waren, sondern um die Ver­haltenslogik, die 2014 zur Ukrainekrise führte, die in der postsowjeti­schen Zeit zu einem Wendepunkt in der Außenpolitik Russlands wurde.

Neben der ungerechtfertigten Angst vor dem Aufstieg der NATO lag der Fehler in den falschen Vorstellungen des Kremls über die Bestrebungen der ukrainischen Eliten und über den Charakter der ukrainischen Gesellschaft. Man glaubte, die ukrainischen Eliten könnten in das eurasische Integrationsprojekt einbezogen werden und dass Ukrainer und Russen – Zweige eines Volkes – dies unterstützen. Man meinte, die Ukraine sei als kritische Masse für ein eurasisches Machtzentrum notwendig. Putins Versuch, die Ukraine in die EAWU aufzunehmen, war nicht nur ver­gebens. Dies wäre auch kostspielig für Russland gewesen.

Wir müssen erkennen, dass der Staat Ukraine ein großer und feindlicher Nachbar Russlands ist. Einzige Erleichterung für Moskau ist, dass die inneren Probleme der Ukraine Russland nicht länger belasten. Wahrscheinlich für eine lange Zeit, anscheinend für immer.

https://www.karenina.de/news/politik/russlands-wende-zu-sich-selbst/

Russlands Rolle in der Welt

13/04/2021

Die USA gewähren lassen? Welch ein Irrtum. Eine Antwort auf Dmitri Trenin

von Alexander Rahr

Dmitri Trenin sollte die Möglichkeit bekommen, die russische Regierung stärker zu beraten. Er vermag strategisch klug zu denken. Davon zeugt sein Artikel über Russlands Rückkehr in die erste Liga der Weltpolitik.

Es ist schwierig, ihm nicht zuzustimmen: Wladimir Putin hat zunächst Russland vor dem Zerfall gerettet und dann wieder zur Weltmacht gemacht. Für den Westen – nicht im positiven Sinne, denn Russland ist zum stärksten Widersacher des Westens bei der Konzipierung der kommenden Weltordnung geworden: nicht nur in Europa, sondern auch in Asien, dem Mittleren Osten und in Lateinamerika.

Vor allem stellt sich Russland gegen die bestehende europäische Sicherheitsarchitektur. Moskau nimmt die NATO-Osterweiterung nicht hin. Davon zeugen der Georgien-Krieg 2008, der Ukrainekonflikt, die Besetzung der Krim, der Krieg im Donbass und die Militarisierung Kaliningrads.

Im Kalten Krieg kämpfte der Westen gegen den Sowjetkommunismus. Heute kämpft er gegen den russischen Nationalismus. Allein kann Russland der westlichen Übermacht nicht trotzen. Dazu benötigt es einen starken Verbündeten: China. Beim Valdai-Klub im letzten Oktober sprach der russische Präsident erstmals von einem Militärbündnis Moskau-Peking.

Auf der Grundlage der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit könnte in den 2020er-Jahren eine asiatische Sicherheitsarchitektur entstehen – als Gegengewicht zur NATO. In Asien ist gerade das größte Wirtschaftsbündnis der Geschichte aus der Taufe gehoben worden – unter Pekings Führung.

Dass Russland weg von der EU nach Asien tendiert, hat auch wirtschaftspolitische Gründe. Von Asien droht Russland kein Druck, keine Sanktionen, keine „orangenen Revolutionen“, kein Wertekonflikt – nur Handel.

Für Trenin ist die Orientierung Russlands nach Asien eher eine „Wende Russlands zu sich selbst“. Wie so oft in der Geschichte muss Russland sich strategisch zurückziehen, um Kräfte zu sammeln. In Asien wird Russland diese Kräfte heute eher sammeln können als in Europa.

Die USA fordern Russland heraus

Europa kann der Verlust Russlands noch teuer zu stehen kommen. Trenin erinnert an die Anfangsjahre der Putin-Ära, als Russland Interesse an einer NATO-Mitgliedschaft bekundete. Wäre dies geglückt, würde heute ein gemeinsamer Wirtschafts- und Sicherheitsraum von Lissabon bis Wladiwostok existieren.

Doch die USA sahen Russland seit dem Ende des Kalten Kriegs nur noch als Regionalmacht an – eine Rolle, mit der sich das stolze Russland niemals abfinden würde. Wenn die USA Russland dabei stören würden, den Großmachtstatus zurückzuerlangen, würde Russland dies nicht in Partnerschaft, sondern in Gegnerschaft zum Westen wagen.

Trenin warnt die russische Führung: Die globale Hegemonie der USA zu beseitigen, sich mit den USA anzulegen, sei „eher schädlich“ für russische Interessen. Vor allem hält Trenin nichts von einer taktischen Unterstützung der Feinde der USA. Er wirft Russland mangelnde Strategie vor.

Doch nicht Russland, sondern die USA haben mit der NATO-Einkreisung Russlands die russische Führung herausgefordert. Nicht Russland, sondern die USA haben als Erste alle bestehenden Abrüstungsabkommen aus dem Kalten Krieg gebrochen. Nicht Russland, sondern die USA haben „orangene Revolutionen“ in ihrem fernen Ausland unterstützt. Nicht Russland, sondern die USA haben zuerst Völkerrechtsbruch mit Kriegen in Jugoslawien, Irak und Libyen begangen. Trenin meint, Russland hätte die USA gewähren lassen müssen. Hier irrt er.

Welche russische Bedrohung?

Wo bedroht Russland heute die Sicherheitsinteressen des Westens? Im Cyberspace? Russland hat vor dreißig Jahren, ohne einen Krieg verloren zu haben, ein Viertel des Territoriums seines Imperiums abgegeben. Zwei Drittel seiner einstigen Bevölkerung, darunter viele ethnische Russen, sind Moskau abhandengekommen. Moskau hat die wirtschaftlich stark entwickelten Republiken wie Belarus, Ukraine und das Baltikum in die Unabhängigkeit entlassen. Russland hat seine Militärstreitmacht um tausend Kilometer nach Osten zurückverschoben.

Die westlichen Eliten sollten ihren logischen Verstand gebrauchen, wenn sie von einer russischen Bedrohung sprechen. Oder gehen aus den autoritären Entwicklungen in Russland die eigentlichen Gefahren für den Westen aus, wie es US-amerikanische und europäische Politiker gerne behaupten?

Trenin hat allerdings Recht bei seiner Kritik an den gegenwärtigen russischen Eliten. Der Politikwissenschaftler bedauert, dass diese sich weniger für die nationalen Interessen ihres Landes interessieren als für die eigene Selbstbereicherung. Wie die meisten Beobachter im Westen glaubt Trenin, dass Putin seine Machtbasis auf Dauer nicht nur auf einigen loyalen Höflingen aufbauen könne.

In den vergangenen dreißig Jahren nach dem Kommunismus ist in Russland zum ersten Mal in seiner Geschichte ein mündiges Bürgertum entstanden, das für seine Grundrechte eintreten wird. Gleichzeitig darf auch der in Moskau lebende Trenin nicht vergessen: Die Mehrheit der Russen unterstützt weiterhin Putin, für sie ist die oberste Staatsmacht sakrosankt, jegliche Kritik oder Sanktionen des Westens werden von den Russen als Angriff auf ihr Land wahrgenommen und lösen dementsprechende anti-westliche Reaktionen aus.

Sogar mit der Korruption haben sich die meisten Russen abgefunden; diese existiert genauso oben in der Gesellschaft wie unten. Der Westen irrt, wenn er glaubt, dass Nawalny einen Aufstand der Jugend gegen Putin organisieren könne.

Trenin vermag dem Leser keine Perspektive für die Zukunft der russischen Entwicklung zu geben. Vielleicht will er nicht zu pessimistisch klingen.

https://www.karenina.de/news/politik/russlands-rolle-in-der-welt/
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