Tibeter und Uiguren: „Unabhängigkeit , Autonomie oder Tod?

Tibeter und Uiguren: „Unabhängigkeit , Autonomie oder Tod?

Nachdem sich die Ostturkestanbewegung in Weltuigurenkongress umbenannte, die USA die islamistische ETIM von ihrer Terrorliste nahm und sich die säkulare ETAM (East Turkestan Awakening Movement) gründete, gibt es nun im Lager der Uiguren eine ähnliche Debatte wie bei den Tibeter zwischen dem Dalai Lama und der Rangzen Allianz.Sind die Chinesen gewinnbar für die Sache der Uiguren oder Tibeter oder ist die Unabhängigkeit der einzige weg??

In dem am 2. Juli in Foreign Policy veröffentlichten Artikel “Calls for Independence May Not Help the Uyghur Cause” („Aufrufe zur Unabhängigkeit können der Sache der Uiguren nicht helfen“), argumentierte Yehan unter einem Pseudonym, dass Aufrufe zur Unabhängigkeit der Sache der Uiguren nicht helfen könnten.

„Sicherlich haben die uigurische Unabhängigkeitsbewegung und ihre Verfechter unter den Uiguren viel dafür getan, das Thema überhaupt an die Öffentlichkeit zu bringen. Diesen Organisationen und den Verbündeten der Uiguren in Wissenschaft, Politik und aus dem aktivistischen Umfeld ist es zu verdanken, dass der aktuelle Völkermord an den Uiguren − trotz aller Versuche der KPCh, ihn zu leugnen, unter den Teppich zu kehren und Kritiker mundtot zu machen − in den Medien thematisiert wird und westliche Staaten ihre Besorgnis äußern. (…) Aber es ist gleichzeitig nicht unbedingt das, was die Mehrheit der Uiguren will. Natürlich ist es in einer Diktatur immer schwierig, sich ein Meinungsbild zu verschaffen. Doch bevor sich die Verfolgung verschärfte und jede der Partei missliebige Meinungsäußerung gefährlich wurde, gab es eine Zeit, in der sich die Uiguren sicher genug fühlten, um privat oder anonym im Internet über heikle Themen zu diskutieren. Der bekannte uigurische Wirtschaftsprofessor Ilham Tohti sprach sich lautstark gegen eine uigurische Unabhängigkeit aus, und das nicht, um Regimetreue zu beweisen. Tohti wurde 2014 unter fadenscheinigen Gründen zu lebenslanger Haft verurteilt.

Tohti vertrat die Idee einer Autonomie, wie sie in der derzeitigen chinesischen Verfassung festgeschrieben ist. Seine einzige Kritik, die damals von etlichen uigurischen Intellektuellen geteilt wurde: Die Autonomie sei nur unzureichend umgesetzt. Das müsse sich ändern. Zusammen mit einer Weibo-Gruppe junger Uiguren stellte ich mich entschieden gegen Tohtis Vision. Ich argumentierte, dass es im Grunde rassistisch sei, in einer multiethnischen Region wie Xinjiang nur einer Gruppe die alleinige Macht zuzugestehen. Ich hielt daher die Idee einer autonomen uigurischen Region, selbst wenn sie nach Tohtis Vorstellung perfekt umgesetzt würde, für eine Katastrophe. Tohti und ich lieferten uns ein Wortgefecht auf Weibo. Dann lud er mich zu sich nach Hause ein und wir wurden Freunde.

Selten waren wir einer Meinung, weder on- noch offline, aber für uns beide unübersehbar war das Misstrauen vieler Uiguren gegenüber der Idee einer uigurischen Unabhängigkeit und jeglicher Verbindung zum politischen Islam.

Die Geschichte Xinjiangs ist kompliziert und lässt sich nicht auf die Frage reduzieren, „wer zuerst da war“. Auch hat der Säkularismus unter den Uiguren eine lange Tradition. Ostturkestan, wie Xinjiang von der Unabhängigkeitsbewegung bevorzugt genannt wird, ist der breiten Bevölkerung im eigenen Land als Begriff kaum bekannt. Der Anblick der im Wind flatternden blauen Flagge mit Halbmond und spitzem Stern, einst die Nationalflagge des 1933/34 sehr kurzlebigen uigurischen Staates, weckt in vielen Menschen, einschließlich mir, keine besonderen Gefühle. Denn für die Identität, die wir als stolze Uiguren entwickelt haben, spielte sie keine Rolle.(…)

Das Recht auf Selbstbestimmung ist zwar in der Charta der Vereinten Nationen verankert. An der Frage jedoch, was genau dieses Recht beinhaltet, entzünden sich seit jeher Debatten und Konflikte in der ganzen Welt. Die KPCh stellt den brutalen Umgang mit den Uiguren als angesichts der vermeintlichen Bedrohung durch Terrorismus und Separatismus notwendig dar (flankiert durch schamlose, unverfrorene Lügen und die absolute Kontrolle über die innenpolitische Berichterstattung). So ist es ihr gelungen, − häufig sachlich unzulässige − Parallelen zu Russland, der Türkei, Kanada und Spanien und deren Kampf gegen einheimische Unabhängigkeitsbewegungen zu ziehen. Tatsächlich aber lässt sich die gewalttätige, ethnisch motivierte Politik der KPCh am ehesten in eine Reihe mit Hitler und Stalin stellen.

Das China von Xi Jinping* ist nicht mehr darauf aus, das Ausland mit glitzernden Olympiastadien zu beeindrucken. Das von Wolfskriegern angeführte Land* tritt nach außen hin viel selbstbewusster auf als zuvor. Ohne zu zögern übertrumpft es noch Trump auf Twitter und nutzt Impfstoffe als Verhandlungsmasse. Aber es ist auch ein zunehmend ethnonationalistisches Land, das gegenüber jeder Andeutung von Kritik paranoid reagiert.

Für gewöhnliche, nicht uigurische Chinesen ist es schwer, sich der Dominanz dieses Narrativs zu entziehen. Um ihre Sympathien zu gewinnen, könnte es daher sinnvoll sein, die Uiguren eher als zu Unrecht verfolgte chinesische Bürger darzustellen − als Opfer politischer Umstände wie es schon andere Volksgruppen zu Zeiten des Großen Sprungs nach vorn oder der Kulturrevolution waren −, und nicht als ein Volk, das für seine Freiheit kämpft.

Das heißt nicht, dass die Unabhängigkeit der Uiguren nicht ein legitimes Anliegen ist. Aber es ist eben keine Sache, für die es sich inmitten dieser Krise zu kämpfen lohnt. Leider wird im Moment jede Botschaft, sobald sie mit der blauen Flagge und dem Begriff „Ostturkestan“ in Verbindung steht, als nicht legitim betrachtet. Selbst von den anständigsten und mitfühlendsten Menschen, die ansonsten über die Geschehnisse in ihrem schönen Land vielleicht tief entsetzt wären.“

https://www.merkur.de/politik/china-uiguren-xinjian-unabhaengigkeit-separatismus-tuerkei-islam-exil-kommunistische-partei-zr-90928059.html

Der deutsche Sinologe Professor van Ess kommentierte:

„Ich fürchte, das ist eher unrealistisch. Foreign Policy sieht nur, dass die Sache mit der Unabhängigkeit auf absehbare Zeit nicht klappen wird, und sucht nach einer Alternative, wie man den Weg dahin sanfter gestalten kann. Aber es läuft der chinesischen Idee zuwider, die der Auffassung ist, dass Uiguren und Chinesen in langer Zeit, vielleicht 500 Jahren, wirklich zu einem Volk verschmolzen sind – das natürlich Han-chinesischer ist als uigurisch.“

In der Taipeh Times vom 19. August 2021 weist Shohret Hoshur diese Ideen in einem programmatischen Artikel zurück und fordert die Unabhängigkeit der Uiguren:

Unabhängigkeit für Uiguren oder Tod

Von Shohret Hoshur

In dem am 2. Juli in Foreign Policy veröffentlichten Artikel „Aufrufe zur Unabhängigkeit können der Sache der Uiguren nicht helfen“, argumentierte Yehan, der unter einem Pseudonym schrieb, dass Aufrufe zur Unabhängigkeit der Sache der Uiguren nicht helfen könnten. Als leitender Journalist und Angehöriger der betroffenen Gemeinschaft argumentiere ich, dass die Forderung nach Unabhängigkeit von China bedeutet, den Völkermord zu akzeptieren. Uiguren und Han haben keine gemeinsame Grundlage für das Zusammenleben. Wenn sie dazu gezwungen werden, wie wir heute erleben, tötet eine Seite die andere. Unabhängigkeit ist notwendig, weil die Uiguren nicht nach Freiheit oder Entwicklung streben, sondern nach Überleben. Lassen Sie uns die Geschichte Ostturkestans beiseite legen, einschließlich der Frage, wer der wahre Besitzer und wer der Eindringling ist, und die großen kulturellen Unterschiede zwischen Han- und Uiguren-Gemeinden sowie die psychologische Einzigartigkeit der beiden Gruppen.

Schauen Sie sich nur die Berichte über Ereignisse und Zusammenstöße in der Region in den letzten Jahrzehnten an. China hat seit 1950 mehr als 100 Kampagnen gegen uigurische Separatisten gestartet, mit Namen wie „Landreformbewegung“, „Anti-Rechtskampagne“, „Kulturrevolution“ oder „Harter Schlag-kampgane gegen gewalttätigen Terrorismus“.

 In einem Weißbuch aus dem Jahr 2017 heißt es: „Seit 2014 hat Xinjiang 1.588 gewalttätige und terroristische Banden zerstört, 12.995 Terroristen festgenommen und 30.645 Menschen für 4.858 illegale religiöse Aktivitäten bestraft.“ Die Global Terrorism Database verzeichnete von 1989 bis 2019 mehr als 270 Terroranschläge in China, hauptsächlich in uigurischen Gebieten. In einem anderen Weißbuch heißt es: „Unvollständige Statistiken zeigen, dass von 1990 bis Ende 2016 separatistische, terroristische und extremistische Kräfte Tausende von Terroranschlägen in Xinjiang.“

Uigurische Aktivisten sagen, dass es bei einigen Vorfällen um Freiheitskämpfe ging, bei anderen um Selbstverteidigung. Der Großteil des chinesischen Staatsterrorismus richtet sich jedoch gegen unschuldige Uiguren. Dies gilt insbesondere für die laufende Kampagne, die 2017 begann und auf die „Eliminierung religiöser Extremisten“ abzielt. In den 380 Konzentrationslagern von Xinjiang werden mehr als 3 Millionen Uiguren seelisch und körperlich gefoltert. Wie auch immer Sie die Dinge nennen – ob Terror oder Befreiung, Konzentrationslager oder Berufsbildungszentrum – die unwiderlegbare Realität ist, dass zwischen den Uiguren Ostturkestans und den Han Chinas ein unveränderlicher Hass und eine unheilbare Wunde besteht. Dies wurde auch in einem von Chinas eigenen Dokumenten enthüllt.

Im Weißbuch 2017 beschrieb Qiu Yuanyuan (邱媛媛), ein Forscher an der Parteischule der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) in der Autonomen Region Xinjiang der Uiguren, die Situation: „2014, 2015 und 2016 waren unsere Harter Schlag- Kampagnen in Xinjiang sehr breit und rigoros. Es war unmöglich für ihre Verwandten, nicht untröstlich und wütend auf uns zu sein; Um die Stabilität zu wahren, haben wir daher die umfassenden Trainingslager eingerichtet, obwohl sie keine wirklichen Verbrechen begangen hatten.“

Das Dokument bewies, dass Kampagnen, die vor der Errichtung der Lager gestartet wurden, zu einem Verlust des gegenseitigen Vertrauens zwischen Han- und Uiguren-Gemeinden führten. Wenn es vor 2017 ungelösten Hass gab, stellen Sie sich vor, wie es heute ist, nachdem Millionen von Familien gewaltsam getrennt wurden, Millionen von Kindern zu Waisen geworden sind und unzählige Menschen in den Lagern gestorben sind. Wie kann ein Land nach so viel Tragödie, so viel Schmerz, so viel Töten, so vielen Inhaftierungen vereint werden? Manche Leute glauben, dass die Forderung nach Unabhängigkeit die chinesische Öffentlichkeit dazu bringen könnte, sich auf die Seite der chinesischen Regierung gegen die Uiguren zu stellen.

Die Chinesen marschieren jedoch bereits im Gleichschritt mit ihrer Regierung.

Warum fragen die chinesischen Nachbarn der in Lagern festgehaltenen Uiguren nicht: „Wo sind diese Leute? Wohin sind sie gegangen?“ Warum fragen KPCh-Kader nicht: „Was ist das für eine Verwandtschaft? Warum schlafen wir in den Häusern der Uiguren?“ Wenn Millionen von Waisenkindern in Klassenzimmern hocken, warum protestieren ihre Lehrer dann nicht und sagen, dass es Folter ist, keine Bildung? Wie kann ein chinesischer Richter, der wegen Betens eine 15-jährige Haftstrafe angeordnet hat, trotzdem ruhig schlafen?

Es ist entweder naiv oder heuchlerisch zu glauben, dass der Völkermord an den Uiguren allein von der KPCh hingerichtet wird. Es von der starken Unterstützung der Öffentlichkeit zu trennen, ist eine Täuschung von sich selbst und anderen. Es gab britische Unterstützer des indischen Unabhängigkeitskampfes; Schwarze in den USA wurden nach der Bürgerrechtsbewegung nicht von Weißen getrennt; und russische Menschenrechtsaktivisten unterstützten tschetschenische Separatisten. Doch im fast 100-jährigen Unabhängigkeitskampf Ostturkestans standen Chinesen fast nie an vorderster Front mit Uiguren.

Inzwischen haben in der freien Welt mehr als 30 chinesische Organisationen in den Niederlanden einen Protestbrief an die niederländische Regierung wegen ihrer Verurteilung des Völkermords an den Uiguren geschrieben, und der kanadische Senator Yuen Pau Woo (胡元豹) hat sich gegen einen Antrag des kanadischen Senats ausgesprochen, in dem die Situation genannt wird in Xinjiang „Völkermord“, was dazu führte, dass die Mehrheit der Senatoren ihn ablehnte. Yuen entlastete die KPC mit der Theorie der Output- und Input-Legitimität und sagte, dass Chinas Handeln aufgrund seines lobenswerten wirtschaftlichen Erfolgs akzeptabel sei.

Unterdessen ist Yehans Hauptargument, dass die „KPCh die Dominanz der Unabhängigkeitsbewegung in der Erzählung ausnutzt. Die chinesische Öffentlichkeit wurde jahrzehntelang darin geschult, ‚Separatisten‘, ob in Xinjiang oder Taiwan, effektiv als Verräter zu behandeln und die Integrität der modernen Grenzen des Landes als Schlüssel zur nationalen Identität zu sehen.“

Sollten die Chinesen erzogen werden? Chinas Lebensstandard liegt über dem globalen Durchschnitt, und viele Chinesen wurden in den USA oder in Europa ausgebildet, und dennoch bestand unter ihnen kaum der Wunsch, eine Regierung demokratisch zu wählen. Der chinesische Präsident Xi Jinping (習近平) hob seine Amtszeitbegrenzung auf, Opposition gab es nicht. Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo (劉曉波), der sein Leben in einer freien Welt für Chinas Demokratisierung aufgab, starb im Gefängnis, Protest gab es nicht. Als sich COVID-19 in Wuhan ausbreitete, versuchte Peking, es zu verbergen. Viele Chinesen sind gestorben, doch die Öffentlichkeit hat die Regierung nicht zur Rechenschaft gezogen. Stattdessen bestrafte Peking acht Ärzte, die öffentlich vor dem Virus warnten, und dies hat nicht einmal eine Debatte ausgelöst.

Chinesen, die nicht nach Freiheit für sich selbst streben, wünschen sich keine Freiheit für andere. Unter Pekings Herrschaft, egal ob demokratisch oder autokratisch, gibt es für die Uiguren nur einen Weg, und dieser Weg ist der Tod. Trotz unzähliger Nachteile der uigurischen Unabhängigkeit gibt es einige Vorteile. Uiguren sind nicht allein auf dem Schlachtfeld des Völkermords. Was China tut, ist gegen den Willen Gottes. Uigure zu sein ist keine Wahl; Völkermord verstößt gegen die Grundregel der Menschheit. Irgendwann wird die Welt erkennen, dass sie China davon abhalten muss, andere zu töten. Gott und die Menschheit sind bei den Uiguren.

 Auch nach dem konservativsten Eherecht dürfen sich Paare bei Vertrauensverlust scheiden lassen, und sie werden zur sofortigen Trennung verurteilt, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass einer dem anderen schadet. Für die Uiguren geht es nicht darum, ob sie sich von China trennen, sondern wann und wie. Die Schwierigkeit des Problems sollte die Uiguren nicht dazu veranlassen, es zu vertuschen oder ihm zu entkommen. Wenn man nicht nach Unabhängigkeit ruft, könnte dies die Sache der Uiguren zerstören und China helfen, die Uiguren vom Angesicht der Erde zu eliminieren. „

https://www.taipeitimes.com/News/editorials/archives/2021/08/19/2003762837

Bei den Tibetern gibt es ähnliche Diskussionen zwischen den Vorstellungen des Dalai Lamas und seiner „bedeutungsvollen Autonomie“(meaningful autonomy) und der Rangzen-Allianz, die die Unabhängigkeit Tibets fordert.Diese nationalbourgeoise Bewegung, die für ein demokratisches, säkulares und unabhängiges Tibet mittels Wirtschaftsboykott Chinas und Gewalt eintritt, könnte nach dem Tod des Dalai Lamas wieder an Gewicht bekommen, vor allem unter den ungeduldigen jungen Tibetern und dem Tibetan Youth Congress .Das Dokument der Rangzen-Allianz zeigt vor allem, wie der Kampf um Tibet momentan geführt wird, bzw. wie nicht, welche Positionen im Lager der Tibeter und ihrer Unterstützer existieren und welche negativen Faktoren in der tibetischen Gesellschaft und der Exil-Gemeinde bestehen.Anders als der Dalai Lama, der für bedeutungsreiche Autonomie für Tibet und einen Dialog mit der VR China eintritt, geht es den Rangzenleuten darum, aktiv China und Tibet zu destabilisieren, vor allem über das Mittel eines Wirtschaftsboykottes gegen China:

„Die Möglichkeit, dass Anarchie und Chaos ausbrechen, ist sehr real. Sollte es dahin kommen, dann würde sich sicher eine Chance auftun, die Unabhängigkeit Tibets zu erreichen. Natürlich müssen wir solche Momente entschlossen und energisch nutzen. Die Chinesen, wie schwach und desorientiert sie auch sein mögen, werden Tibet mit Sicherheit nicht friedlich oder freiwillig hergeben. Zugleich muss betont werden, dass Rangzen nicht erreicht wird, indem man einfach abwartet, bis China sich selbst zerstört. Die Tibeter können den Prozess fördern, indem sie Tibet von innen heraus destabilisieren und internationale wirtschaftliche Aktionen gegen China organisieren.(…)Auch wenn China letzten Endes doch nicht auseinanderbrechen sollte, sondern durch die heutigen Beschwernisse nur geschwächt wird, so besteht dennoch für die Tibeter die Möglichkeit, eine Situation herbeizuführen oder zu befördern, in der die Ressourcen Chinas in einem gefährlichen Maße überbeansprucht werden und in der sich die Führung in Peking gezwungen sieht, darüber nachzudenken, ob es klug ist, auf Kosten der eigenen Stabilität und Integrität Chinas an den peripheren Kolonien festzuhalten.“

Begrüßt wird von den Rangzen-Leuten die internationale Aufmerksamkeit, die der tibetischen Bewegung entgegengebracht wird, aber zugleich wird der Effekt beklagt, daß der tibetische Nationalismus hier nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, sondern die tibetische Kultur vor allem aufgrund ihrer New-Age-Spiritualität Affinitäten herstellt, bei denen die Sache des tibetischen „Freiheitskampfes“ als nebensächlich zu erscheinen droht:

Die Rangzen-Allianz fordert einen aktiven und offensiven Widerstand in Form eines revolutionären Kampfes und sieht Dialog mit China als Verrat und Ausverkauf an.Sie setzt auf offene Konfrontation

Effektivstes Mittel erscheint der Rangzen-Allianz einen Wirtschaftsboykott gegen Chinas Wirtschaft zu organisieren, der zu innerer Instabilität in China führen würde und damit angeblich eine günstige Situation für die tibetische Unabhängigkeit ergibt:

„Auf der internationalen Ebene müssen wir eine unnachgiebige Wirtschaftskampagne gegen China betreiben. Denjenigen, die einwenden, dass es uns niemals gelingen werde, gegen China solche allumfassenden internationalen Wirtschaftssanktionen zu erreichen wie sie einst gegen Südafrika verhängt worden seien, sei – ohne dass wir diesen Pessimismus im Geringsten teilen – gesagt, dass es angesichts des von Jahr zu Jahr zurückgehenden chinesischen Wirtschaftswachstums vermutlich gar nicht nötig sein wird, so weit zu gehen. Schon ein Einbruch von 5 oder auch nur 3 Prozent könnte Chinas Handelszahlen aus dem Gleichgewicht bringen. Und mit allen unseren Unterstützergruppen, Dharma-Zentren und prominenten Unterstützern und Freunden auf der ganzen Welt könnten wir zumindest so viel erreichen.“

Weiter wichtig findet die Rangzen-Allainz, den tibetischen Heroismus und Patriotismus wiederzubeleben und in ihrer Sicht bedeutsame und vergessene Kämpfer zu ehren und dies schon bei der Schulbucherziehung einfliessen zu lassen—so auch die Guerillabewegung von Mustang, die den gewaltsamen Kampf führte. Auch das Eingreifen ausländischer Großmächte wie den USA und Indien wird befürwortet. Doch viele Tibetergruppen fürchten ein Blutbad und einen daraus wirklich hervorgehenden Genozid und daher gibt es bei den Tibetern ähnliche Diskussionen wie nun bei den Uiguren.

Seit einiger Zeit schon ist zu beobachten, dass die Positionen des Dalai Lamas unter Tibets Jugend immer kritischer gesehen werden.Nach seinem Tod könnte es zu einer Radikalisierung von Teilen der Tibeter kommen–hierbei dürfte die nationalbourgeoise Rangzen-Allianz sich dann im Aufwind sehen, scheint sie momentan doch eher als isolierte Größe in der tibetischen Gemeinde mit ihren Forderungen nach einem demokratischen, säkularen, modernen und unabhängigem Tibet, das mit Gewalt und einem Wirtschaftsboykott gegen China , sowie der Hoffnung auf eine Intervention Indiens oder der USA herzustellen sei.

Der damalige Verfasser des Anhanges zu der Rangzen-Erklärung Jamyang Norbu erhielt seine Bildung an der St. Joseph’s School in Darjeeling. Er hatte seit 1967 verschiedene Posten in der tibetischen Regierung im Exil bekleidet und war kurze Zeit Mitglied der Tibetischen Widerstandstruppe in Mustang.

Norbu war einer derjenigen, die 1970 den ersten Tibetischen Jugendkongress (TYC) einberiefen, und er gehörte dessen Zentralem Exekutivkomitee zehn Jahre als Mitglied an. Er war es auch, der das Modell für die Besteuerung der Tibeter im Exil (das System des grünen Buches) schuf, das seit 1972 die Haupteinnahmequelle für die Exilregierung ist. Norbu hat regelmäßig zu tibetischen und chinesischen Angelegenheiten Stellung genommen. Eine Sammlung seiner politischen Essays wurde in Buchform unter dem Titel Illusion and Reality (1989) vom TYC veröffentlicht. Die chinesischen Staatsorgane in Tibet hingegen haben seine Schriften als folgenlos “wie das Flügelschlagen einer Fliege gegen einen Granitblock” verhöhnt

.Inzwischen ist auf der Webseite der Rangzen-Allianz2020 nur nch zu lesen:“ Maintenace mood is on.Site will be available soon. Thank you for your patience“. Während die Rangzen- Allianz mit ihrer Forderung der Säkularisierung der tibetschen Gemeinde sich durchgesetzt hat, seitdem der Dalai Lama als politisches Oberhaupt zurücktrat und nun nur noch geistiges Oberhaupt ist, scheinen umgekehrt die radikalen Forderungen der Rangzen-Allianz nun in eine interne Debatte gekommen zu sein. Mal sehen, wann ihre Webseite wieder auf Sendung geht und mit welchem Programm. Aber möglicherweise werden Forderungen nach einer ökonomischem Writschaftskrig gegen China sowie Gewalt wie auch die Hoffnung der militärischen Intervention ausländischer Mächte, seien es die USA oder Indien gegenüber CHina, die Peking einen Vorwand liefern könnten angesichts der harten Linie gegenüberden Uiguren nun auch so diskutiert, wie innerhalb nun der uigurischen Community.

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