China: Bedrohung der freien Welt?

China: Bedrohung der freien Welt?

Im folgenden ein Beitrag über die VR China als Bedrohung der freien Welt und der Frage, wie eine konfrontativere Chinapolitik aussehen könnte, wobei der Autor , ehemals Direktor der Deutschen Bank und Witrschaftsjournalist meint:“ Ein Paradigmenwechsel erfordert, die Konsequenzen daraus zu erfassen. Davor haben die deutschen Eliten eine traditionelle Scheu.“

Autor: Klaus Leciejewski

Klaus Leciejewski hat Philosophie und Geschichte an der Universität Leipzig und an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert, zu wirtschaftshistorischen Themen promoviert und habilitiert. Später siedelte er mit seiner Familie in die Bundesrepublik über. Zuerst lehrte er Wirtschaftswissenschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, später als Honorardozent für Betriebswirtschaft an verschiedenen anderen Universitäten und Hochschulen. Er war Direktor der Deutschen Bank in Frankfurt am Main, Geschäftsführer verschiedener Unternehmensberatungen und gründete im Jahr 2000 mit der KDL-Consulting GmbH seine eigene Unternehmensberatung, die auf Personalberatung (Executive Search, Headhunting und IT-Beratung) spezialisiert war. Seit 2010 ist er ausschließlich als Publizist tätig. Seit 2015 lebt er zusammen mit seiner kubanischen Ehefrau den größten Teil des Jahres in Havanna/ Kuba.

China: Bedrohung der freien Welt

Grüne und FDP wollen die deutsche Politik gegenüber China verändern. Weg vom Kuschelkurs zu mehr Kritik. Dieser Paradigmenwechsel erfordert aber Konsequenzen, denn Chinas langer Arm ist beängstigend.

Die Parteiführungen von Grünen und FDP waren sich bereits vor der Aufnahme von Koalitionsgesprächen in einem völlig einig: Die deutsche Politik gegenüber China muss sich verändern. Der zunehmenden Freiheitsunterdrückung im Innern und der aggressiven Außenpolitik muss die künftige deutsche Regierung eindeutig entgegentreten, wobei die Grünen sich eher auf Menschenrechtsverletzungen und die FDP mehr auf die Weltmachtbestrebungen konzentrieren.

Die CDU, die SPD sowie die Chefs zahlreicher deutscher Konzerne werden diesen beabsichtigten außenpolitischen Schwenk mit Schaudern vernommen haben, hingegen Menschenrechtsorganisationen, die USA, Japan, Großbritannien oder Australien hoffen, dass diesen Ankündigungen auch Taten folgen werden. Sicher ist dies jedoch nicht, da eine veränderte deutsche Chinapolitik auch Veränderungen zu EU-Staaten, zu den USA und zahlreichen anderen Staaten sowie zu internationalen Organisationen einschließen müsste. Ein Paradigmenwechsel erfordert, die Konsequenzen daraus zu erfassen. Davor haben die deutschen Eliten eine traditionelle Scheu.

Veränderungen in China

Nach der Machtübernahme durch Xi Jinping 2012 waren westliche Staaten zuversichtlich, dass China innenpolitisch weiter eine Politik demokratischer Veränderungen und außenpolitisch des wirtschaftlichen Wettbewerbs verfolgen werde. Diese Einschätzung war bestenfalls staatspolitisch naiv, tatsächlich jedoch saß sie einer sträflich gefährlichen Fehleinschätzung auf. Einerseits war dies nicht verwunderlich, denn bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich China über 30 Jahre hinweg durch einen kapitalistischen Wirtschaftskurs enorm modernisiert. Zugleich hatten Millionen Chinesen westliche Länder besucht (beziehungsweise dort studiert) und ebenso Jahr für Jahr massenhaft westliche Touristen China. China hatte sich geöffnet.

Andererseits war diese Einschätzung jedoch erstaunlich, weil die Führung Chinas auch nach den Zeiten von Deng stets in den Händen einer kleinen Führungsgruppe lag, die an ihrer kommunistischen Ideologie niemals hatte Zweifel aufkommen lassen. Die noch aus der Endphase des europäischen Kommunismus stammende Vorstellung einer friedlichen Koexistenz gegensätzlicher Gesellschaftssysteme, bereits damals absurd irreal, hatte sich über die Zeit hinweg in Teilen der westlichen Eliten gehalten, was indessen nicht so einseitig vernunftwidrig ist, als es erscheinen mag, entspringt sie doch einer menschlichen Grundeinstellung, weniger in der Dimension eines kriegerischen als in der eines friedlichen Zusammenlebens zu denken, wenngleich auch die Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg, und gerade die der USA, dafür wenig hergibt.

Spätestens als sich Xi 2018 zum Staatschef ohne Zeitbeschränkung wählen ließ, was nichts anderes als die formelle Legalisierung einer lebenslangen Diktatur war, hätte der Westen nach den historischen Erfahrungen mit kommunistischen Diktatoren sich keine Illusionen mehr machen dürfen. Illusionen in der Politik aufzugeben heißt jedoch, Fehler in der bisherigen Politik einzugestehen und damit möglicherweise die Wiederwahl zu gefährden.

Die wesentlichen Veränderungen in der chinesischen Innen- und Außenpolitik sind auch in Deutschland gut dokumentiert, wenngleich jedoch nicht gleichermaßen gut bekannt, zudem fällt ihre Interpretation gegensätzlich aus. Die hier folgenden Fakten sind hauptsächlich aus deutschsprachigen Medien entnommen, vor allem aus der NZZ.

International: Macht geht vor Geschäft

  • Die chinesische Marine verfügt über mehr Schiffseinheiten als die US Navy und hat damit diese als die weltweit größte Marine abgelöst: Zwar ist sie qualitativ nicht mit der US Navy gleichzusetzen (moderne Atom-U-Boot-Flottille, zahlreiche Flugzeugträger und anderes mehr), aber auch sie verfügt über Atom-U-Boote, 27 Lenkwaffenzerstörer und 60 Fregatten, außerdem ist der 4. Flugzeugträger im Bau. Nach internationalen Berichten baut China circa 200 neue Silos für ballistische Interkontinentalraketen und dehnt damit seine atomare Streitmacht aus.
     
  • Die Chinesische Fischereiflotte ist größer als die Fischereiflotten aller anderen Länder zusammen: Sie ist in allen Weltmeeren und an den meisten Küsten präsent, informationstechnologisch hochausgerüstet, sammelt weltweit Informationen nicht nur über Fischbestände, sondern über alle ihnen zugänglichen Daten der Meeresbeschaffenheit, der Küstenstrukturen, des Zustands der Häfen und anderes mehr, die zentral in China zusammengefasst sowie ausgewertet werden. Die chinesische Führung verfügt damit über einen weltweit einzigartigen Informationssprung. Zudem hält sie sich nicht an internationale Vereinbarungen zur Nutzung der Meere, insbesondere wenn Staaten mit einer langen Küstenlinie über keinen ausreichenden Küstenschutz verfügen.
     
  • China hat mit fast allen Anrainerstaaten Grenzstreitigkeiten zu Land und zur See: Trotz kurzfristiger Kriege mit Indien und Vietnam lehnt China internationale Vermittlungen zur Beilegung ab. Nach wie vor droht es Indien mit Krieg, wenn dieses nicht Grenzveränderungen zustimme. Insbesondere besteht China auf der sogenannten „nine-dash-line“, mit der es Meeresgebiete im Südchinesischen Meer außerhalb der eigenen 200-Seemeilen-Zone und zugleich innerhalb derer sämtlicher Anrainerstaaten beansprucht. In diesem Bereich hat sie bereits einige Inseln besetzt und diese zu Militärstützpunkten ausgebaut, ohne Gegenwehr des Westens. Der Ständige Gerichtshof in Den Haag hat in einem Urteil von 2016 diese Ansprüche als Verletzung internationalen Rechtes zurückgewiesen. China erkennt diese Rechtsprechung nicht an, und will seine Auffassung weltweit durchsetzen. Wollen beispielsweise westliche Unternehmen Schulbücher, wissenschaftliche Werke, Atlanten und anderes in China drucken lassen, in denen auch regionale oder Weltkarten enthalten sind, müssen diese die chinesische Version der Grenzen enthalten, auch der zu Indien und Vietnam. Zudem muss in sämtlichen nationalen und internationalen Fachartikeln (jeglicher Thematik) chinesischer Autoren diese Karte eingestellt werden. Etliche westliche Konzerne haben sich bereits dem chinesischen Anspruch gebeugt. China bemüht sich, in Verträgen mit davon nicht betroffenen Staaten, insbesondere in Afrika, sowie in internationalen Organisationen, Zustimmung zu seinen Gebietsansprüchen zu erlangen.
     
  • In den zurückliegenden zwei, drei Jahren hat China seinen diplomatischen und militärischen Druck auf Taiwan massiv erhöht: Die Verletzung der Territorialgewässer und des Luftraums von Taiwan mit Kriegsschiffen und Kampfflugzeugen wurde erheblich ausgedehnt. Staaten, die engere diplomatische Beziehungen zu Taiwan aufnehmen, werden mindestens verbal bedroht oder direkt mit Sanktionen belegt, vor allem kleinere Staaten wie zum Beispiel Litauen, deren wirtschaftliche Stärke und diplomatischer Einfluss gering ist. China lehnt jegliche Teilnahme Taiwans an internationalen Organisationen oder Abkommen konsequent ab. Die Parallelen zu der historisch bekannten Appeasement-Politik drängen sich geradezu auf.
     
  • Die „Neue Seidenstraße“ weist eine Zwitterfunktion auf, letztendlich dient sie dem chinesischen Hegemonialbestreben: Das von Xi 2013 mit großem propagandistischen Aufwand vorgestellte Projekt einer Neuen Seidenstraße soll 70 Länder mit circa 4 Milliarden Menschen erfassen. International wird sie auch „Belt-Road-Initiative“ genannt, wobei darin weitere asiatische und afrikanische Länder eingeschlossen sind. Diese Initiative geht von einem kommunistisch-diktatorischen Land aus. Nun ist nicht jede Initiative, die von China ausgeht, per se weder für die Weltwirtschaft noch für demokratische Staaten eine Gefahr, nur weil sie von einem Land mit einem anderen Gesellschaftssystem ausgeht.

    Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass nach der kommunistischen Ideologie die Zukunft aller Völker im Kommunismus liegt und diese Ideologie die geistige Grundlage Chinas bildet. Jene Initiative – von zahlreichen westlichen Beobachtern als atemberaubend gepriesen – weist einen Zwittercharakter auf. Über die Entwicklung von Infrastrukturen und Logistik dient sie dem Handel mit China und damit direkt der Wirtschaft der betroffenen Länder. Indirekt und letztlich soll sie dem Machterhalt von Xi und dem der engen Führungsgruppe der Kommunistischen Partei dienen. Es ist ein Unterschied, ob eine internationale Wirtschaftsinitiative von einem demokratischen Staat mit marktwirtschaftlichen Strukturen angestoßen wird, oder von einer Diktatur mit einer letztlich zentralen staatlichen Wirtschaftslenkung.

    Etliche europäische Staaten und Unternehmen haben diesen Unterschied unberücksichtigt gelassen, da die kurzfristigen Vorteile chinesischer Investitionen ihnen wichtiger als langfristige Abhängigkeiten waren. In 14 europäischen Häfen betreibt China bereits eigene Terminals oder besitzt Anteile daran. Von den 50 weltweit größten Terminals betreiben Chinesen bereits etwa zwei Drittel. Über die „Seidenstraße“ ist China zum weltweit größten öffentlichen Gläubiger aufgestiegen. Dabei geht China als Staat Risiken ein, die westliche Privatunternehmen nicht eingehen können. Dazu gehören auch die Bestrebungen Chinas zur Sicherung der Rohstoffbasis ihrer industriellen Entwicklung. Beispielsweise ist China mit über 50 Prozent Weltanteil der größte Aluminiumproduzent, wofür es sich weltweit den Zugriff auf Bauxitvorkommen sichert. Dies ist, wie bei allen anderen Rohstoffen, kein Wettbewerb zwischen privatwirtschaftlichen Unternehmen, sondern zwischen vom Staat abgesicherten chinesischen Unternehmen und westlichen privaten, also keiner zwischen Gleichen.
     
  • China baut zielstrebig seinen Einfluss in internationalen Organisationen aus: Inzwischen ist China der zweitgrößte Beitragszahler der UNO geworden und hat seine Dominanz bei den UNO-Blauhelmmissionen ausgebaut. In der UNO, in deren Unterorganisationen und in allen anderen internationalen Organisationen besetzt es zielgerichtet Führungspositionen oder lanciert ihm gewogene Personen aus Entwicklungsländern darauf. Zugleich beeinflusst es deren Publikationen zu einer China wohlwollenden Außendarstellung. Zwei Beispiele dafür:

    In der WHO gelangte ein ehemaliger äthiopischer Minister nur mit Hilfe Chinas an die Spitze. Das führte zu schwerwiegenden Fehlentscheidungen der WHO zu Beginn des Corona-Ausbruchs. Später stimmte dieser zu, dass die internationale Untersuchungskommission paritätisch mit chinesischen und internationalen Wissenschaftlern besetzt wird, die beide dem Abschlussbericht zustimmen mussten (was in den deutschen Hauptmedien kaum Berücksichtigung fand), womit dieser wertlos wurde. Die Weltbank legte seit 2000 jährlich einen sogenannten „Doing Business“ Bericht vor, der das weltweite Wirtschaftsklima messen sollte, gegliedert nach 190 Staaten.

    Als China 2018 von Platz 78 auf Platz 85 zurückfallen sollte, nahm es Einfluss auf die damalige bulgarische Vizepräsidentin Kristalina Georgiewa, um die wissenschaftlichen Grundlagen dieses Berichts zu manipulieren. Zusammen mit ihrem Mitarbeiter Simeon Djomkow, einem früheren bulgarischen Finanzminister, gelang das auch. Der darauffolgende internationale Protest führte 2020 zur Einstellung dieses Berichts. Das hatte keinen negativen Einfluss auf die weitere Karriere von Georgiewa, denn in einer Art Rochade mit Christine Lagarde (zur EZB) wechselte sie an die Spitze des IMF, obgleich sie die gültige Altersgrenze von 65 Jahre bereits überschritten hatte.

    Sie wurde im kommunistischen Bulgarien sozialisiert, hatte dort erste Karriereschritte gemacht, war danach in der EU-Verwaltung aufgestiegen und in der Weltbank als Geschäftsführerin eine wichtige Unterstützerin von Chinas Weltmachtambitionen. So können sich Karrierekreise schließen, übrigens mit Unterstützung der deutschen Regierung. Der frühere deutsche UNO-Botschafter, Christoph Heusgen, sagte in einem Interview sehr deutlich, dass China andere Länder erpresse, beispielsweise habe er in der UNO afrikanische Botschafter erlebt, die chinesische Sprechzettel vorlasen. Was Deutschland dagegen unternahm, oder weshalb es Frau Georgiewa unterstützt hatte, sagte er nicht.
     
  • China strebt einen Zugriff auf sämtliche Daten inländischer und ausländischer Unternehmen an: Zwei neue Gesetzte, das Datenschutzgesetz und das Datensicherheitsgesetz, zwingen sämtliche inländische und ausländische Unternehmen ihre gesamten Daten der chinesischen Regierung zur Verfügung zu stellen, gleich, ob elektronisch oder auf Papier. Selbst Google wurde gezwungen, seine in China gewonnenen und eingesetzten Daten auf chinesischen Servern zu speichern. Nicht der Schutz von Daten ist das Ziel dieser Gesetze, sondern die komplette Kontrolle der Regierung darüber, also die Datenhoheit.

    Als Begründung dafür werden „nationale Interessen“ angeführt. Damit wird auch der Zugriff auf Daten legitimiert, die sich außerhalb Chinas befinden, sodass auch internationale Unternehmen gezwungen werden können, ihre nicht in China befindlichen Server chinesischen Kontrolleuren zu öffnen, wollen sie weiter Geschäfte mit China betreiben. Allerdings gehen die chinesischen Behörden dabei differenziert vor, denn kleinere oder mittlere Unternehmen sind leichter zur Offenlegung ihrer Daten zu zwingen als Großkonzerne, wobei deren Sicherheit eine trügerische ist, was aber deren Vorstände nicht berührt, denn diese besitzen nur Fünfjahresverträge.
  • Sämtliche sich in anderen Staaten über längere Zeit aufhaltende Chinesen unterliegen staatlicher Kontrolle und dienen der Informationsgewinnung: China unterhält ein ausgedehntes System der Überwachung von chinesischen Managern, Ingenieuren, Geschäftsleuten und anderen Personen im Ausland. Dazu dienen die Botschaften sowie die lokalen Residenten des Auslandsgeheimdienstes. Kein Mitglied der Kommunistischen Partei kann die Aufforderung ablehnen, regelmäßig über seine berufliche Tätigkeit, sein berufliches und persönliches Umfeld oder über Wettbewerbsunternehmen und auch insgesamt über das Land seines Aufenthaltes zu berichten. Wenn Nicht-KP-Mitglieder diese ablehnen, sind ihre Chancen gering, erneut ins Ausland gesendet zu werden.

    Jeder im Ausland studierende Student ist Mitglied einer lokal angesiedelten, aber zentral gelenkten chinesischen Studentenorganisation, die in zahlreichen Ländern eigene Büros unterhält. Wenn ihr Auslandsstudium vom chinesischen Staat bezahlt wird, ergeben sich ihre Verpflichtungen automatisch. Damit erhält China umfangreiche Informationen über soziale Bedingungen, technische Entwicklungen und politische Konstellationen. Wie der Geheimdienst diese auswertet, gewichtet, an die Führung der Partei weitergibt und wie diese dann auf der obersten Ebene verwendet werden, steht auf einem anderen Blatt.

National: Sozialismus mit chinesischen Eigenschaften

  • Die unternehmerische Freiheit zahlreicher Unternehmen wird drastisch eingeschränkt: Seit über einem Jahr erlässt die chinesische Regierung fast im Monatsrhythmus Beschränkungen gegenüber Großunternehmen, bis jetzt überwiegend bei IT-Konzernen. Unternehmen werden auf Anordnung der Regierung aufgespalten, Eigentümer geben ihren Einfluss und Teile ihres Vermögens auf, können China nicht mehr verlassen, der Staat wird Teilhaber beziehungsweise setzt neue Vorstände ein. Mit dem Hinweis, dass der Kampf gegen Monopole ein international originäres Anliegen sei, vertuscht die chinesische Regierung, dass es ihr um die Zurückholung der Macht über diese Monopole geht.

    Die größeren privaten Unternehmen werden gezwungen, sogenannte Parteizellen zu dulden, die unter direkter Kontrolle der übergeordneten Parteigremien stehen und die im Streitfall ein Vetorecht gegenüber unternehmerischen Entscheidungen haben. An dieser Kampagne wird für chinesische Privatunternehmer und gleichfalls für westliche Investoren deutlich, dass Eigentumsrechte und unternehmerische Freiheit in einem kommunistischen System keine systemimmanenten Eigenschaften sind, sondern nur auf Zeit geduldet werden. Sämtliche Vorstellungen oder Behauptungen deutscher Politiker und Unternehmer über die Unabhängigkeit chinesischer Unternehmen haben sich an dem bekannten Beispiel von Huawei von Anfang an als total illusionär erwiesen, in völligem Unterschied zu den Einschätzungen anderer Staaten.
     
  • China will seinen technologischen Rückstand (zum Beispiel Chip-Entwicklung) gegenüber westlichen Staaten durch eine traditionelle zentralstaatliche Planung aufholen: Dazu ist gar keine westliche Argumentation erforderlich. Im Oktober 2020, kurz vor dem weltweit größten Börsengang, lieferte diese der bekannteste chinesische Unternehmer, Jack Ma, Eigentümer von Alibaba, des chinesischen Amazon-Klons, indem er öffentlich und direkt die Bestrebungen der Regierung, die Unternehmen und Märkte immer weitergehend zu regulieren kritisierte. Markant sagte er: „Innovationen entstehen in erster Linie in Märkten, Innovationen entstehen an der Basis, Innovationen kommen von jungen Leuten“, und fügte hinzu: „Damit echte Innovationen passieren können, darf einem niemand den Weg vorgeben.“ Damit hatte er direkt Xi angegriffen, sein Schicksal war besiegelt.

    Ein westlicher Beobachter kommentierte, dass Unternehmen wie „Alibaba“ erst zu „nationalen Champions“ verherrlicht werden, um dann quasi über Nacht in Ungnade zu fallen, das heißt auch vorher existierten ihre Gewinne nur von Gnaden der Parteiführung. Sämtliche individuellen Eigentumsrechte fallen in der Macht von Xi zusammen. Die Führung der Kommunistischen Partei setzt sogenannte Regulierer ein, die nur ihr unterstehen, nicht jedoch einer staatlichen Bürokratie. Dabei unterscheidet Xi zwischen sogenannten konsumtiven Konzernen (Dienstleistungssektor) und produktiven Konzernen (beispielsweise in der Produktion von Chips). In letzteren versucht der Staat mit Hilfe umfangreicher Investitionen den Rückstand zum Westen aufzuholen.

    Per se ist dies in einer weltweiten Wettbewerbssituation zuerst einmal völlig legitim. Da diese Ziele jedoch weitgehend mit staatlichen Krediten finanziert werden, setzen sie zuerst diesen internationalen Wettbewerb außer Kraft, um sodann andere Staaten von China abhängig zu machen, also kein Wettbewerb zwischen privaten Unternehmen, sondern einer zwischen einem kommunistischen Staat und privaten westlichen Unternehmen.
     
  • China will im neuen Fünfjahresplan seine Abhängigkeit in der Wirtschaftsentwicklung vom Export durch Stärkung der Binnennachfrage verringern: Der Anteil des chinesischen privaten Konsums an der gesamten Wirtschaftsleitung beträgt circa 38 Prozent, in der EU über 60 und in den USA über 70. Damit hängt das chinesische Wirtschaftswachstum überproportional vom Außenhandel ab. Alle Anstrengungen der Regierung, dies zu verringern, haben bisher keinen signifikanten Erfolg gezeigt, aber trotzdem das private Kreditvolumen bei den staatlichen Banken ansteigen lassen.

    Ginge die internationale Nachfrage nach chinesischen Produkten zurück, müsste, um dieses staatlich gesetzte Ziel zu erreichen, die inländische Verschuldung weiter ansteigen. Die Verschuldung aller Wirtschaftsbereiche soll bei über 300 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung liegen. Obwohl dazu keine nachprüfbaren Detailinformationen vorliegen, gehen westliche Analysen davon aus, dass insbesondere Staatsunternehmen, aber auch private, bereits eine – an westlichen Maßstäben gemessene – Überschuldung erreicht haben. Diese fängt der Staat aus innenpolitischen Gründen (zum Beispiel „Evergrande“) zwar ab, kann damit jedoch nicht die Produktivität dieser Unternehmen steigern und wird zudem auch in die Inflationsfalle geraten.
     
  • Über die Relevanz und Aussagekraft chinesischer Statistiken gibt es in westlichen Staaten unterschiedliche Bewertungen: Generell sind in einer Diktatur die Entstehung von Statistiken international nicht überprüfbar. Wenn also Vorsicht angebracht ist, heißt dies nicht, dass jede statische Zahl von vornherein falsch ist, schließlich ist das Wirtschaftswachstum Chinas unübersehbar, und schließlich ist dieses auch zurückgegangen, aber dies schließt generell Manipulationen nicht aus, wie es sich beispielsweise häufig in der Sozialstatistik an widersprüchlichen Zahlen beweisen lässt. Einige westliche Beobachter zweifeln an der 4-prozentigen Arbeitslosenrate und gehen eher von 10 bis 14 Prozent aus, ebenso könnte das Wirtschaftswachstum permanent um etwa 2 Prozent zu hoch ausgewiesen worden sein. Indirekt gesteht auch Xi dies ein, wenn er öffentlich einen Unterschied zwischen „fiktivem Wachstum“ und „echtem Wachstum“ betont. Die überwiegend positiven westlichen Einschätzungen werden damit zwar generell nicht aufgehoben, aber zu relativieren sein.
     
  • Die chinesische Regierung strebt konsequent eine Kontrolle des internationalen Informationsflusses nach China an: Nach den Zeiten von Mao will die Kommunistische Partei erneut die absolute Deutungshoheit über sämtliche innenpolitische Zustände und außenpolitische Ereignisse gegenüber der chinesischen Bevölkerung erlangen. Konnten bisher über Hongkong Zeitungen mit objektiver Berichterstattung über China und internationalen Geschehnissen wenigstens bis zu den Eliten in den großen Städte gelangen, ist dies seit der Beendigung der Autonomie Hongkongs (ohne internationale Gegenwehr!) nicht mehr möglich. Inzwischen hat China circa 311.000 Domains blockiert und manipuliert mit extra dafür entwickelten Softwareprogrammen internationale Webseiten, so dass antikommunistische und chinakritische Inhalte nicht mehr sichtbar sind. Dazu schaltet sie mit einer speziell dafür entwickelten Software auch die Möglichkeiten aus, diese Blockierung mit international gebräuchlichen Programmen (zum Beispiel VPN) zu umgehen.
     
  • Die chinesische Regierung nutzt die moderne IT und KI, um die Bevölkerung weitgehend zu überwachen: Eine zentrale Rolle nehmen dafür die auch international bekannten QR-Codes ein. In China dienen sie nicht nur für den Nachweis von Anti-Covid-Impfungen, sondern sind inzwischen auch ein beliebtes Instrument zum Bezahlen bei Einkäufen oder für Außer-Haus-Essen und anderes geworden. Zugleich liefern sie der Regierung jedoch umfangreich Informationen über das soziale Verhalten der Chinesen. Sie dienen einem „Sozialkreditsystem“ mit Bonuspunkten, also quasi die Grundlage für „Belohnung oder Bestrafung“. Werden diese Codes weiter ausgebaut und umfassend eingesetzt, sind sie ein Überwachungssystem, gleich, ob zentral oder regional.
     
  • Reisen von Chinesen in andere Länder und die Einreise westlicher Staatsbürger nach China werden zunehmend eingeschränkt: Offiziell werden derartige Restriktionen mit der Corona-Pandemie begründet, die konkrete Vorgehensweise dabei weist jedoch auf einen politischen Hintergrund hin. China will sich beziehungsweise seine Bevölkerung in weiten Teilen abkapseln, wenngleich nicht in allen, aber beginnend mit weiten Teilen. Bereits in den zurückliegenden Jahren ist die Zahl der Ausländer in den Metropolen deutlich zurückgegangen. An den internationalen Schulen lernen nur noch halb so viele Schüler wie einst. Die Ausstellung von Reisepässen ist im ersten Halbjahr 2021 gegenüber 2019 auf 2 Prozent zurückgegangen. Das ist keine in allen Segmenten gleichermaßen durchgehende Politik, aber ihre allgemeine Ausrichtung.
     
  • China kehrt zur Abkapslung von westlicher Kultur zurück: In den chinesischen Medien wird die Verbreitung „historisch nihilistischer“ Inhalte verboten, sowie eine Kampagne gegen „Irrwege“ in der Kultur geführt. Darunter fallen sämtliche Auffassungen, die der Kommunistischen Partei nicht genehm sind. Die KP hat dafür eine Meldestelle eingerichtet. Der private Englischunterricht wird restriktiv eingeschränkt beziehungsweise völlig verboten, mit der Begründung, kulturelle Verbindungen zum „imperialistischen Westen“ zu unterbinden. Bei sämtlichen außerhalb Chinas auftretenden Problemen wird in den chinesischen Medien der „Westen“ als Schuldiger dargestellt. Bei eigenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten wird argumentiert, dass der Westen Chinas weiteren Aufstieg verhindern wolle. Ausführlich werden wieder marxistische Thesen propagiert. Der Personenkult um Xi ist inzwischen Standard. Westliche Journalisten sehen darin bereits den Beginn einer neuen Kulturrevolution. Ein in Europa tätiger pro-chinesischer Wissenschaftler lehnt das westliche Gesellschaftssystem ab und fordert, dass Lösungen für politische und wirtschaftliche Reformen ausschließlich nur innerhalb des „gegenwärtigen politischen, wirtschaftlichen, sozialen oder rechtlichen Systems Chinas“ gefunden werden können, in Reinsprech: innerhalb der kommunistischen Diktatur.
     
  • Die kommunistische Partei hat unter Xi in der Bevölkerung Rückhalt gewonnen: Eine breite Mehrheit der Chinesen unterstützen Xi und damit die Kommunistische Partei, sowohl in der Zurückdrängung der privaten Großkonzerne und des enormen privaten Reichtums ihrer Besitzer, als auch in der Ablehnung westlicher Werte durch die Hinwendung zu vorgeblich chinesisch-nationalen Werten. Dezidiert gehören dazu auch die aggressiven internationalen Machtansprüche von Xi, denn diese werden nur als Ausgleich für die mit dem ersten Opiumkrieg vor fast 200 Jahren beginnende ausländische Unterjochung Chinas angesehen . Nur eine sehr kleine Gruppe unter den intellektuellen Eliten, und auch diese nur in den größeren Städten, stimmen den westlichen Vorstellungen von Gewaltenteilung und Meinungsfreiheit zu. Demgegenüber lehnen fast alle Chinesen diese Vorstellungen ab und finden sich innerhalb einer kommunistischen Diktatur wohlaufgehoben. Überwiegend empfinden Chinesen westliche Demokratien als chaotisch und unverständlich. In ihrem Lebensverständnis haben sich individuelle Interessen den kollektivistischen Interessen unterzuordnen. Das Dilemma westlicher Erklärungsmuster zu China besteht darin, nicht erklären zu können, warum die Mehrheit der chinesischen Bevölkerung nicht dasjenige politische Verständnis aufweist, das sie im westlichen Verständnis haben sollte.

Die im ersten Teil beschriebene chinesische Politik ist in weiten Teilen nicht konsistent. Auch die Wirtschaftspolitik und die Außenpolitik eines jeden westlichen Landes kann nicht konsistent sein, dies jedoch mit einem wesentlichen Unterschied. In westlichen Demokratien bedingen unterschiedliche Interessengruppen auch unterschiedliche, teilweise sogar direkt gegensätzliche Politiken. In der Diktatur von Xi ergeben sich die Inkonsistenten aus seinem Hegemonialmachtanspruch.

Keine westliche Wirtschaftspolitik kann in sich konsistent sein, weil ihre Ziele (Wirtschaftswachstum, Preisestabilität, hohe Beschäftigung, außenwirtschaftliches Gleichgewicht) in einer Wettbewerbswirtschaft einander ausschließen. Da die Basis des vier Jahrzehnte anhaltenden chinesischen Wachstums ebenfalls der kapitalistische Wettbewerb war, ergeben sich daraus ähnliche wirtschaftspolitische Gegensätze, die jedoch – im Unterschied zu den entwickelten westlichen Volkswirtschaften – durch Besonderheiten des chinesischen Binnenmarktes über längere Zeit sich nur geringfügig auswirkten.

Wie vor allem durch hohe preisgünstige Arbeitskräftereserven (Herauslösung aus der Landwirtschaft durch die Steigerung von deren Produktivität), hohe westliche Investitionen, hoher Anteil des Außenhandels, hohe Exportüberschüsse, hohe chinesische Auslandsinvestitionen, sowie zugleich Währungsverzerrungen, Wettbewerbsverzerrungen (zum Beispiel durch geringe Umweltauflagen) und anderes mehr. Allerdings verbanden sich damit auch interne negative Entwicklungen, wie beispielsweise die Entstehung von Monopolen mit allen aus westlichen Ländern bekannten Nachteilen. Diese Bedingungen, die positiven wie auch die negativen, verändern sich gerade gravierend. 

Der Wirtschaftsaufschwung brachte auch eine Differenzierung in der Bevölkerung mit sich. Über viele Jahre hinweg bestand diese vereinfacht aus: Stadt versus Land; höhere Partei-, Militär- und Wirtschaftskader versus Masse der Bevölkerung; sowie darüber hinaus gesondert die Interessen des kleinen unmittelbaren Führungszirkels der Kommunistischen Partei. Jetzt sind hinzugekommen: reiche Privatunternehmer versus Kleinunternehmer; breite gutausgebildete Mittelschicht versus einfache Mitarbeiter; wohlhabende Bauern versus einfache Landarbeiter; in westlichen Staaten ausgebildete Intellektuelle versus chinesische Intellektuelle ohne Auslandserfahrungen.

Die Führung der kommunistischen Partei hat durchaus die sich daraus für ihre absolute politische Macht ergebenden Gefahren erfasst. Sie ist jedoch unfähig, die damit zusammenhängenden politischen und wirtschaftlichen Inkonsistenten zu erfassen (durchaus vergleichbar mit der Reaktion westlicher Eliten auf ihre eigenen Inkonsistenzen).

Exemplarische Fragen

  • Wie kann es der chinesischen Regierung möglich sein, ihre Grenzvorstellungen gegen Vietnam, Indien, Japan, Malaysia, Indonesien, Philippinen und andere durchzusetzen? China könnte Japan und Indien selbst einzeln nicht unterwerfen, aber es könnte auch ein Bündnis dieser beiden Staaten zusammen mit anderen potentiellen Gegnern nicht verhindern, gleichfalls nicht deren Unterstützung aus Europa, Asien und Südamerika.
     
  • Wie lange kann China seine Politik der Nadelstiche gegen Taiwan aufrechterhalten? Würden gravierende wirtschaftliche Probleme aufbrechen, könnte China, wie zuvor auch andere Diktaturen, zu militärischen Lösungen greifen, die allerdings ihrerseits unabsehbare Folgen haben würden. Würde China militärisch Taiwan angreifen, würden die USA eingreifen müssen, oder sämtliche Verbündete in Asien verlieren und dem chinesischen Machtanspruch nichts mehr entgegenzusetzen haben. Die Verteidigung der Freiheit Taiwans ist einer der wenigen sine qua non der amerikanischen Politik, nicht nur nach Außen, auch nach Innen für das amerikanische Selbstverständnis. Ein Angriff auf Taiwan würde der Auslöser einer weltweiten politischen und ökonomischen Krise sein. Ob die chinesische Führung sich dessen bewusst ist, darf nach den Erfahrungen mit früheren kommunistischen Diktatoren bezweifelt werden.
     
  • Wie will die chinesische Regierung mit ihren wirtschaftlichen Inkonsistenzen umgehen? China weist immer noch eine hohe Arbeitslosigkeit auf, vor allem auf dem Land. Einfache Arbeitsplätze, wie in den Jahren des hohen Wirtschaftswachstums, können zukünftig nicht mehr massenhaft geschaffen werden. Die Qualifizierung von Arbeitslosen erfordert in einer hochtechnisierten Wirtschaft zunehmend höhere Investitionen und stößt teilweise an natürliche Grenzen. Zugleich ist die Geburtenrate negativ, die Bevölkerung Chinas stagniert, aber der Anteil der aus dem Wirtschaftsleben austretenden Bevölkerung wächst rasant. Damit steigen die Aufwendungen für die Altersversorgung. Das Wirtschaftswachstum wird tendenziell zurückgehen, dies könnte zukünftig jedoch durch das Anwachsen des Binnenkonsums begrenzt werden, aber dafür sind enorme Anschubfinanzierungen erforderlich, jedoch lässt sich die Kreditfinanzierung nicht ohne Inflation unbegrenzt ausdehnen.
     
  • Wie wird die wieder zunehmende zentrale Staatsplanung (14. Fünfjahresplan 2021-2025) die private Innovationsbereitschaft aufrechterhalten können? Die Wirtschaftspolitik von Xi ist komprimiert im neuen Fünfjahresplan enthalten. Sie setzt weitgehend auf die staatliche Förderung von vier Branchen: Halbleiter, Elektroautos, Luftfahrt und Telekommunikation. Staatliche Anschubfinanzierungen und Subventionen sind in jeder Volkswirtschaft wichtige Instrumente, aber sie garantieren keinen Erfolg. Stehen dem weitreichende Regulierungen und Einschränkungen unternehmerischer Freiheit gegenüber, werden Innovationen und Wachstum fraglich. Eine Steigerung der Produktivität würde die internationale Wettbewerbsfähigkeit Chinas verbessern und höhere Staatseinnahmen ermöglichen, aber ohne private Innovationen wäre dies alles nicht zu erreichen , immerhin gehen 60 Prozent des Wirtschaftswachstums und 90 Prozent der neuen Arbeitsplätze auf die Privatwirtschaft zurück.

Fazit und Schlussfolgerungen

  1. Es ist generell falsch von „der“ oder von “einer“ chinesischen Führung zu sprechen. Es gibt nur einen Chinesen, der entscheidet, und dieser heißt Xi Jinping. Xi nimmt dieselbe diktatorische Position ein, die einst Stalin, Breschnew oder Mao einnahmen. Er ist ein kommunistischer Diktator, dessen gesamtes Denken und Handeln nur von einem Gedanken bestimmt wird: „Wie kann ich an der Macht bleiben, was kann meine Macht gefährden?“ Damit ist er ein von Angst getriebener Politiker, was ihn für den Westen so unverständlich macht.
     
  2. Dieser nationale Machtanspruch zwingt ihn zu einer inkonsistenten Politik. Einerseits muss er China nach außen abschirmen, um seine in sich geschlossene kommunistisch-nationalistische Ideologie nicht durch geistige Einflüsse von außen zu gefährden. Andererseits ist der Überlegenheitsanspruch der chinesischen Kultur und des chinesischen Wirtschaftssystems gegenüber der westlichen Kultur und des westlichen Wirtschaftssystems nur durch außenpolitische Machtansprüche aufrechtzuerhalten. Darin besteht der radikale Unterschied zur Isolierung Chinas im früheren Kaiserreich, was sich selbst genügend war, hingegen Xi sein Reich nur in enger ökonomischer Verzahnung mit der Außenwelt aufrechterhalten kann. Xi ist dazu verdammt, sich international auszudehnen, wirtschaftlich und hegemonial.
     
  3. Die USA erkennen deutlich die sich aus den politischen Veränderungen Chinas ergebenden Gefahren. Sie wollen militärische Auseinandersetzungen vorbeugen, was nichts anderes heißt, dass sie diese nicht ausschließen.

Diplomatie endet an Machtinteressen

Eine Analyse der deutschen Situation müsste nicht allein das Verhältnis zu China erfassen, sondern auch das zu den Staaten der EU sowie auch das zu den USA. China ist der größte Handelspartner Deutschlands und zugleich der EU. Dies war stets das vorherrschende Argument hinter der zurückhaltenden China-Politik von CDU und SPD. Dafür erhielt und erhält sie Beifall aus weiten Teilen der deutschen Wirtschaft. Allerdings wird dabei unberücksichtigt gelassen, dass auch China für den Außenhandel der USA an erster Stelle steht, trotzdem haben die USA ihre Außenpolitik und ihre Außenhandelspolitik gegenüber China in wesentlichen Bereichen verändert.

Für China sind die USA der erste Handelspartner (abgesehen von Hongkong), Deutschland kommt nach Japan, Südkorea und Taiwan erst an fünfter Stelle. Zweifellos ist der China-Handel für Deutschland vorteilhaft, deutsche Arbeitsplätze hängen davon ab und der deutsche Export von chinesischen Zulieferern; jedoch auch für China, denn China exportiert mehr Güter nach Deutschland als umgekehrt, indessen diese weitaus umfangreicher gegenüber den USA.

Allerdings wird dabei verkannt, dass Deutschland über die Hälfte seines Außenhandels mit den 26 anderen EU-Staaten abwickelt, mit fast dem zehnfachen Volumen gegenüber China. Für einige deutsche Konzerne mag die sich aus einer verschlechternden Beziehung zu China ergebende Gefahr erheblich sein, aber es ist die Aufgabe der Konzernlenker, die sich aus allen Geschäften ergebenden Volatilitäten zu erkennen und zu berücksichtigen, und bei China gehört dazu eben auch der absolutistische Staatseinfluss. Es gibt in China keinen Rechtsanspruch auf die Sicherheit deutscher Investitionen. Diplomatie endet an Machtinteressen.

Zwischen Drohung und Umarmung

Es ist eine banale Aussage: Die 27 EU-Staaten haben gegenüber China gemeinsame und divergierende Interessen, zudem verändern sich diese auch mit dem Wechsel einzelner Regierungen, auch deutscher. In letzter Zeit hat Deutschland mit seiner schieren Wirtschaftsmacht immer öfters eigene Interessen gegenüber EU-Staaten durchgesetzt. Vor allem in der Migrationspolitik hat es ganz Osteuropa gegen sich aufgebracht. Es ist deshalb verständlich, dass etliche Staaten sich mit der chinesischen Karte revanchieren wollen. Einige Staaten zieht China auf seine Seite (Griechenland, Italien), andere, kleinere (Litauen), die sich widersetzen, bestraft es. Auf beides reagiert weder Deutschland noch die EU-Kommission.

Spätestens seit Obamas Syrienpolitik weiß Deutschland, dass auf amerikanische „rote Linien“ kein Verlass ist. Trump hat diese Einsicht noch vielfach verstärkt, und Biden hat dies mit Kabul und dem U-Boot-Abkommen mit Australien aufrechterhalten. Die USA sind für Deutschland unzuverlässiger und damit unkalkulierbarer geworden, jedoch teilweise auch aus eigener Schuld. Häufig zog es die frühere Bundesregierung vor, zwischen ihren Verbündeten zu taktieren, als sich intern mit den USA abzustimmen. Die Einsicht, dass Deutschlands Sicherheit militärisch vollständig von den USA abhängt, ist in weiten Teilen der Eliten nur noch eine Formalie, und wird deshalb von Teilen der deutschen Politik (der Fraktionsvorsitzende der SPD ist bekennender Pazifist) als irrelevant angesehen. Das hat auch auf die Einstellung der Bevölkerung abgefärbt. Wenn ein Atomkrieg per se ausgeschlossen wird, kann sich Deutschland munter zwischen den Welten bewegen und wird damit selber unzuverlässig und unkalkulierbar.

Die chinesische Innenpolitik wird nicht weniger repressiv werden, ihre Wirtschaftspolitik wird nicht marktwirtschaftlicher werden und ebenso nicht investitionsfreudiger für westliche Unternehmen. Die chinesische Außenpolitik wird generell nicht weniger aggressiv werden, aber China wird sich bemühen, Keile zwischen die USA und deren Verbündeten zu treiben, Keile zwischen die einzelnen EU-Staaten, Keile zwischen die USA und Südamerika sowie Afrika und Keile zwischen die asiatischen Staaten. Siebzig Jahre lang haben die USA genau dies ihnen vorgemacht, China hat sich als lernfähig erwiesen und wechselt geschickt zwischen Drohung und Umarmung.

Die deutsche Beziehung zu China weist eine schier unübersehbare Fülle von Einflussfaktoren auf. Existiert dafür ein Navigationssystem? Gibt es dafür einen Navigator?

Fridays For Future statt Freiheit

Der langjährige militärpolitische Berater Merkels, Erich Vad, vertritt die Auffassung, dass auf Grund der nuklearen Zweitschlagsfähigkeit Chinas (über Atom-Unterseeboote) ein direkter Krieg zwischen den USA und China ausgeschlossen werden könne. Dieser sei keine „rationale Option des Systemwettbewerbs“. Nach wie vor würde die Existenz von Atomwaffen den Frieden zwischen den Großmächten garantieren. Das war stets das Mantra während des Kalten Krieges, und da die Geschichte dieses Mantra bestätigt habe, würde es auch zukünftig gelten. Diese Überlegung ist gleich aus zwei Gründen extrem falsch und könnte sich fatal für Deutschland auswirken.

Zuerst stand dieses Patt zweimal vor seinem Zusammenbruch. In der sogenannten Raketenkrise von 1962 wollte die russische Militärführung einen Atomkrieg wagen. Nur der Zufall „Chruschtschow“ verhinderte dies. 1983 signalisierten die zentralen sowjetischen Computer den Beginn eines US-Raketenangriffs. Nur die Besonnenheit des verantwortlichen russischen Offiziers, eines einfachen Offiziers, verhinderte die nukleare Katastrophe.

Als zweites schließt Vad Zufälle aus, er bewegt sich in einem linearen Denken, seine historische Linearität trifft nicht zu und wird auch zukünftig nicht eintreffen. Aber: Erhebliche Teile der deutschen Politik stimmen ihm zu. Die Merkel-Jahre sind für sie bequem gewesen, und zukünftige Gefahren werden sie in ihrem Alter persönlich nicht mehr treffen, wenigstens meinen sie dies.

Zudem: Große Teile der deutschen Jugend demonstrieren für die weltweite Rettung des Klimas, nicht jedoch für weltweite Freiheit. Die chinesische Regierung nimmt es interessiert zur Kenntnis, hat sie doch einen neuen Verbündeten.

Die kürzlichen Auseinandersetzungen über die „Konfuziusinstitute“ an deutschen Universitäten haben zweierlei deutlich gemacht: Teile der deutschen Eliten hatten auch nach dem Zusammenbruch der DDR die Systemzusammenhänge eines kommunistischen Staates immer noch nicht erkannt, oder wollten sie innerhalb ihres linken Weltbildes auch nicht. Nach 70 Jahren fast ununterbrochenen Wirtschaftsaufschwunges sind die deutschen Eliten bequem, selbstgefällig und verteidigungsunfähig geworden.    

Zufälle in der Politik

Generell hat eine vorausschauende Politik mit zwei Arten von Zufällen umzugehen: vorhersehbaren und unvorhersehbaren.

Die Finanzkrise 2008, die Migrationskrise von 2015, der Brexit, die gegenwärtige Energiekrise – alle zeichneten sich vorher ab, alle wurden als Möglichkeiten in Medien diskutiert. Ihr Zeitpunkt und etliche ihrer Umstände waren zwar zufällig, aber mit einem geringen Grad, denn keine war unumgänglich und deshalb auch nicht unabwendbar, es waren vorhersehbare Zufälle. Ein möglicher Angriff Chinas auf Taiwan, desgleichen ein israelischer Präventivschlag auf den Iran sind ebenfalls vorhersehbar, aber mit einer weitaus geringeren Wahrscheinlichkeit als die ersteren, deshalb bleiben sie als Möglichkeiten im politischen Fokus.

Eine weltweite Inflation mag aus heutiger Kenntnis unwahrscheinlich sein, aber wenn die Politik sie völlig ausschließen würde, unterläge sie einem linearen Denken. Der deutsche Spitzendiplomat Heusgen meint, dass die Volkswirtschaften Chinas und der USA viel zu vernetzt wären, um China als „systematischen Rivalen“ zu behandeln. Diese Auffassung ist ein typisches Beispiel für das lineare Denken in der Diplomatie. Es schließt kategorisch abrupte Wendungen durch Zufälle aus. Christoph Heusgen, Merkels langjähriger außenpolitischer Berater, meint dazu:

„Unter Xi Jinping ist China zu einem totalitären Staat geworden, in dem alles auf den Präsidenten und auf die Kommunistische Partei ausgerichtet ist. Daran wird sich absehbar nichts ändern. Wir müssen mit China im Gespräch und auch im Geschäft bleiben, aber wir müssen dabei unsere Prinzipien klar vertreten und verhindern, dass künftig die Welt nach chinesischen Regeln läuft.“

Besser kann ein deutscher Diplomat das weitverbreitete deutsche Unverständnis gegenüber China nicht formulieren. War China vor Xi kein totalitärer Staat? Gab es vor Xi andere als nur die eine Kommunistische Partei? Ja, es gab zwei sich befehdende Gruppen innerhalb dieser Partei, aber nur um die alleinige Macht, die Xi dann errungen hat.

Welcher deutsche oder amerikanische Politiker fordert, das Gespräch mit China aufzugeben? Wer fordert sämtliche Wirtschaftsbeziehungen zu China abzubrechen? Ein hoher deutscher Diplomat baut Pappkameraden auf und argumentiert gegen Phantome.

Wo sind für Deutschland die „roten Linien“?

Welche Prinzipien hat Deutschland gegenüber China bisher klar vertreten, wie hat es diese vertreten und wie hat China darauf reagiert? Hat Deutschland den Verkauf des Hafens von Piräus verhindert? Hat Deutschland Taiwan militärische Unterstützung zugesagt? Hat Deutschland mehr als nur symbolische Signale an China gesandt? Hat Deutschland Australien und Litauen seine Unterstützung zugesichert? Hat Deutschland die Verteidigungsbereitschaft der USA konkret unterstützt? Wenn es solche Prinzipien überhaupt gibt, dann stehen sie nur auf dem Papier und sind so schwammig formuliert, dass China dafür kein Gespräch benötigt.

Und letztlich die alles entscheidende Frage: Wie will Deutschland verhindern, dass die Welt nach chinesischen Regeln läuft und konkret nach welchen Regeln? Beeinflusst China nicht bereits zahlreiche Staaten? Hat China nicht in etlichen internationalen Organisationen bereits seine Regeln durchgesetzt? Wo sind für Deutschland die „roten Linien“? Verfügt Deutschland über einen „Plan B“, wenn China seine Aggressivität weiter konkret vorantreibt? Die deutschen Eliten haben noch nicht erfasst, dass sich die Koordinaten der gegenwärtigen Weltordnung gravierend verschieben. Der Rückblick auf die zurückliegenden 20 Jahre ist ein Wärmelampe für ihre Seelen. Die Erinnerung ist für sie ein Seelenwärmer. Sie leben in der Vergangenheit und sie leben ohne Volk.

Dazu eine einfache Überlegung:

Was würde passieren, wenn ein chinesischer Bomber durch einen technischen Defekt oder menschlichen Fehler direkt auf Taiwan zusteuert, dann abstürzen, oder auch abgeschossen würde? Würden die anderen chinesischen Kampfflugzeuge dies als Signal eines Angriffs auf sie verstehen und ihrerseits angreifen?

„Respektvoller Dialog auf Augenhöhe“

In der Geschichte haben Zufälle Katastrophen verhindert und herbeigeführt, zumeist über die Fähigkeit von Menschen, entscheiden oder nicht entscheiden zu können. Die deutsche Diplomatie schließt den Zufallsfaktor Mensch aus, obgleich ihr Außenminister das direkte Beispiel eines solchen Zufallfaktors war.

Saigon 1975 und Kabul 2021 waren vorhersehbar. Für Teheran 1979 und 9/11 gab es zwar Anzeichen, die, ernst genommen die Katastrophe verhindert hätten, aber die konkreten Umstände dafür waren nicht vorhersehbar, es sei denn, die USA hätten Spione unter den „Revolutionswächtern“ und in der „Al Kaida“ gehabt.

Unter deutschen Wissenschaftler ist eine entgegengesetzte Auffassung weit verbreitet. So fordert ein ehemaliger Professor an der Freien Universität Berlin, Deutschland solle einen „respektvollen Dialog auf Augenhöhe“ mit China eingehen. Er sagt dabei jedoch nicht, für welche politische Forderungen der chinesischen Regierung er Respekt einfordert und mit welcher politischen, wirtschaftlichen und militärischen Macht diese Augenhöhe verbunden sein sollte.

China ist gegenwärtig – und wird es für längere Zeit auch sein – die zentrale Bedrohung der freien Welt. Diese Bedrohung ist auch in Deutschland bekannt, aber haben wir sie auch erkannt?

Zum Abschluss ein Zitat von Marc Aurel aus „Selbstbetrachtungen, Zehntes Buch“, Nr. 37:

„Bei allem, was von anderen geschieht, versuche herauszubringen, welchen Zweck sie verfolgen. Aber fange damit bei dir selbst an, erforsche zuerst immer dich selbst!““

Kommentar Global Review:Eine vorzügliche Analyse der VR China und ihrer geopolitischen Stellung, wenngleich mehr geoökonomisch.  Das verbreitete lineare Denken wird berechtigterweise kritisiert,ein Plan B gefordert,eine lange Frageliste bezüglich möglicher Handlungsoptionen und Reaktionen aufgestellt,aber über die Konsequenzen und was man nun konkret für eine Chinapolitik betreiben solle gibt der Artikel keine kohärente Antwort.Der Autor bleibt also hinter seinen Ankündigungen etwas zurück.

Der deutsche Chinaexperte Professor Van Ess benannte noch 2 fundamentale Denkfehler des Artikels:

„Ein langer Artikel. Teilweise hat der Autor recht. Aber es gibt auch ein paar Schwachstellen. Dass er bezweifelt, dass die chinesische Führung weiß, was ein Angriff auf Taiwan politisch und wirtschaftlich weltweit bedeuten würde, ist eindeutig falsch. Das ist einer der typischen Schlüsse, die in Deutschland aufgrund der Erfahrung mit dem UdSSR und DDR-Sozialismus gezogen werden. Die waren aber trotz gleichen politischen Systems eben doch etwas ganz anderes als die VR China heute. Die chinesische Führung (und auch hier liegt er falsch: Es geht nicht nur um Xi Jinping) ist sich der Tragweite eines solchen Angriffs vollauf bewusst. Das Gefährliche ist, dass Corona für beide Seiten dazu dient, zu sehen, wie gut man ohne einander auskommen kann. Die USA haben mit dieser Politik übrigens angefangen – vielleicht teilweise auch berechtigt, aber mit viel zu viel aggressivem Tamtam. Ich habe in Gesprächen mit Parteileuten an Universitäten in China genau gesehen, was das für einen Schock ausgelöst hat. Dann kam Hongkong dazu. Wenn China heute zu dem Schluss kommt, dass es aus dem Beben, den ein Angriff auf Taiwan auslösen würde, am Ende als Sieger herauskäme, dann tätigt es ihn. Dagegen hilft kein deutscher Panzerkreuzer. Man müsste die Chinesen durch Diplomatie davon abhalten. Und diese ist im Moment eindeutig in der Defensive, weil der Westen ein manichäisches Weltbild pflegt und die Dämonisierung der anderen Seite immer weiter treibt, zum Teil auch aus Frustration, weil man mit den Gesprächen bisher nicht erreicht hat, die Chinesen von „unseren Werten“ zu überzeugen. Ich war gestern mal wieder in einer China-Runde auf unterer Ministerienebene, wo dieses Schlagwort, das man dringend mal mit Inhalt jenseits von Wissenschaftsfreiheit füllen müsste, ständig fiel. Ohne einen Anlass, der den Grund für einen Krieg gibt, wird  China diesen Angriff aber meiner Meinung nach nicht tätigen.

Auch falsch: Der deutsche wirtschaftliche Austausch mit China ist etwas völlig anderes als der der USA mit China. Die USA sind von China beim Import in weiten Teilen abhängig, was Trump zu reduzieren versuchte (verständlicherweise, aber mit den falschen Mitteln). Biden versucht das weiter, bisher aber wie in allen Politikbereichen mit wenig Erfolg. Umgekehrt liefern die USA nur vergleichsweise wenig nach China, sie sind als Absatzmarkt also für die USA viel weniger wichtig als für Deutschland. Und das ist der entscheidende Punkt, den man begreifen muss.“

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