Interview mit General a.D. Naumann zur Ukrainekrise und dem Aufruf „Raus aus der Eskalationsspirale!“ : „In einer solchen Lage kann ein unbedachter Funken  nicht mehr kontrollierbare Gefahr bedeuten“

Interview mit General a.D. Naumann zur Ukrainekrise und dem Aufruf „Raus aus der Eskalationsspirale!“ : „In einer solchen Lage kann ein unbedachter Funken  nicht mehr kontrollierbare Gefahr bedeuten“

Global Review hatte das Vergnügen mit General a. D. Klaus Naumann ein ausführliches Interview über den Aufruf ehemaliger deutscher Botschafter und Generäle „Raus aus der Eskalationsspirale.Für einen Neuanfang der Beziehung zu Russland“ zu führen den er auch unterzeichnete und in dem ein 2 jähriger Freeze in der Eskalation des Konfliktes zwischen NATO und Russland aufgerufen wird, die für Verhandlungen genutzt werden sollen.  

Klaus Dieter Naumann (*25. Mai 1939 in München) war von 1991 bis 1996 Generalinspekteur der Bundeswehr und hatte von 1996 bis zu seiner Pensionierung 1999 den Vorsitz des NATO-Militärausschusse. Vor allem hat General a. D. Naumann damals noch mit anderen NATO-Generälen eine sehr denkenswerte und wegweisend visonäre Schrift „Towards a Grand Strategy for an Uncertain World- Renewing Transatlantic Partnership“ verfasst, die jedoch nicht Realität wurde. Unter Trump wahrscheinlich noch weniger, aber unter Biden könnten da etliche Element wieder Bedeutung gewinnen, auch die von John Mc Cain damals propagierte „Alliance of Democracies“ als Kern einer neuen NATO.

Global Review: General Naumann. Sie habe den Aufruf ehemaliger deutscher Botschafter und Militärs und einigen Friedensforschungsinstituten unterschrieben „ Raus aus der Eskalationsspirale. Für einen Neuanfang der Beziehung zu Russland“. Teilen Sie die Analyse und die Schlussfolgerungen insgesamt in der Grundtendenz in den Schlussfolgerungen? Würden Sie eventuell Verbesserrungsvorschläge vorbringen oder war dies ein mahnender Appell dass die bisherige Russlandpolitik der NATO kein „Weiter so“ verträgt?

General a.D. Naumann: Bei einem derartigen Aufruf hat man immer noch Ergänzungs- und Änderungswünsche, aber statt einer Endlosspirale ist es dann besser etwas mit zu zeichnen, was man noch mittragen kann. Es geht auch nicht um eine Verurteilung bisheriger Politik, sondern um eine mahnende Aufforderung zu handeln bevor eine sehr angespannte Situation außer Kontrolle geraten kann.

Mir kam es darauf an, die Grundlagen noch einmal festzuhalten: Die Helsinki Schlussakte, die Charta von Paris und das Budapest Memorandum von 1994. Das ist nicht verhandelbar. Wenn Russland das nicht anerkennt, dann ist unser Aufruf gegenstandslos. Es geht also nicht um eine neue Ostpolitik und ganz gewiss nicht um Einflusszonen oder gar einseitige Vetorechte. Es geht um die Bekräftigung der vereinbarten Grundlagen. Darauf aufbauend kann man in gegenseitigem Respekt Verbesserungen für die gemeinsame Sicherheit in der gemeinsamen Sicherheitszone von Vancouver bis Wladiwostok suchen und kontrollierbar vereinbaren. 

Mit der Rückkehr zu den Grundlagen wird auch deutlich, dass der Friedensbrecher einzig und allein Russland ist. Russland war zu keinem Zeitpunkt nach dem Ende des Kalten Krieges von der NATO oder dem sogenannten Westen bedroht und ist es auch heute nicht. Russland hat dennoch vertrags- und völkerrechtswidrig in Georgien 2008 und in der Ukraine 2014 von Russland anerkannte Grenzen mit Gewalt verändert.

Global Review: Inwieweit ist ihr Appell eine Folge möglicher falsche wertebasierter regime change politik die zwar 1989 erfolgreich war aber spätestens seit Bush jr. Im Greater Middle East und dem arabischen Frühling obsolet wurde du ähnliches nun auch in Sachen Russlandpolitik der NATO zu befürchten ist? Enthält ihr Aufruf auch Selbstkritik an der westlichen Seite obgleich er ja auch die Verfehlungen der östlichen Seite benennt?

General a.D. Naumann: Ich denke nicht, dass der Westen eine Politik des Regime Change gegenüber Russland verfolgt oder verfolgt hat. Das Russland bedauerlicherweise nach hoffnungsvollen Anfängen in den neunziger Jahren sich von der Demokratie abgewandt und zunehmend zu einer Autokratie wurde, dass es ein Land ist, in dem die bewundernswerte Leidensfähigkeit der Russen von einem korrupten Regime ausgenutzt wird, dürfte weitgehend unbestritten sein. Putins Ansatz, sich durch eine von ihm kontrollierte Pufferzone vor Russland vor den Gedanken von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu schützen und so von Russland fern zu halten , dürfte langfristig nicht erfolgversprechend sein.

Unser westliches System freier rechtsstaatlicher Demokratien ist einfach anziehend. Sofern es uns im Westen gelingt, die gerade in der Pandemie deutlich gewordenen Mängel unserer demokratischen Ordnung zu beseitigen und weiterhin für unsere Menschen Frieden Freiheit und Wohlstand zu wahren, dann ist unser System so unwiderstehlich, dass es allein durch seine Existenz für Autokratien zur Gefahr wird. Zugegeben, wir haben dafür bei uns noch einiges zu verbessern. Im übrigen sollten wir gelernt haben: Regime Change muss immer von innen erfolgen und sollte nicht durch Aktionen von außen angestoßen werden.

Global Review: Ihre ehemaligen und jetzigen Kameraden sind etwas überrascht dass Sie so offen und laut einen Aufruf unterstützen. Zum einen befürchten sie dass ein solcher Aufruf wie damals in der Friedensbewegung der 80er Jahre seitens der Sowjetunion propagandistisch genutzt wurde nun Putins Propaganda nützen könnte. Wobei die damalige Gruppe Generäle für Frieden mit General Gert Bastian da doch wesentliche Unterschiede zu Ihnen aufweisen dürfte .In Russland wird jedenfalls der Aufruf auch von Putinberater Dr. Rahr gehypt der ähnliche Positionen einer Realpolitik zwischen beiden Blöken befürwortet. Ein weiterer Kritikpunkt ist dass „stille Diplomatie“ zielführender sei und die Unterstützer nicht „auf Augenhöhe „seien. Aber waren die deutschen Generäle in der Vergangenheit nicht zu leise angesichts Irakkrieg Libyenkrieg Afghanistankrieg oder nun eben Ukrainekrieg und haben stillschweigend alles akzeptiert was aus den USA kam?Was sagen sie ihren ehemaligen und jetzigen Kameraden?

General a.D. Naumann: Ich habe den Aufruf keineswegs laut unterstützt. Im Gegensatz zu so manchem, der an keiner Fernsehkamera vorbei laufen kann, habe ich mich zu keinem Zeitpunkt in die Medien gedrängt. Natürlich wird ein solcher Aufruf auch immer wieder von denen genutzt werden, die glauben daraus in ihrem Sinn Kapital schlagen zu können. Dieses Risiko könnte man nur vermeiden, wenn man schweigt. Dazu erscheint mir die Situation aber gegenwärtig zu gefährlich, weil auf der einen Seite eine russische Regierung steht, die offensichtlich vor Rechtsbruch nicht zurückschreckt und von einem Präsidenten geführt wird,der militärische Gewalt mit hoher Risikobereitschaft zu nutzen bereit ist, und der allein entscheiden kann. Auf der anderen Seite stehen eine Ukraine, die keineswegs als im Inneren stabil anzusehen ist und ein leider noch immer auf einstimmige Beschlüsse angewiesener Westen, der die in einer Krise so entscheidende Geschlossenheit vermissen lässt. In einer solchen Lage kann ein unbedachter Funken  nicht mehr kontrollierbare Gefahr bedeuten. Deshalb habe ich mich dem Aufruf nach Einbringen deutlicher Veränderungen angeschlossen.

General Bastians Vorgehen in den achtziger Jahren hielt ich damals für falsch und noch heute für einen Irrweg. Die Geschichte hat im übrigen denen, die wie ich damals den Doppelbeschluss unterstützten, Recht gegeben. 

Stille Diplomatie wäre möglich, wenn man direkten Kontakt zu den heute Regierenden oder wenigstens zu den größten Oppositionspartei hätte. Den habe ich nicht. Hat man solchen Zugang nicht, dann ist Stille Diplomatie eine ziemlich hohle Phrase mit der man nichts tun verdeckt. Dass wir, die Unterzeichner des Aufrufs nicht auf Augenhöhe sind, war uns allen bewusst, aber die Alternative wäre eben Schweigen gewesen. Ob das der Verantwortung freier Bürger für das Abwenden erkennbarer Gefahren entspricht, wage ich zu bezweifeln

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Den pauschalen Vorwurf, deutsche Generale oder Admirale hätten alles was aus den USA kam unterstützt, weise ich als völlig unbegründet zurück. Ich nehme für mich in Anspruch, seit meiner Zeit als Stabsabteilungsleiter Militärpolitik bis hin zu meiner Pensionierung immer wieder im aktiven Dienst auch gegenüber den ohne Zweifel mächtigen USA Einspruch deutlich gemacht zu haben und damit auch Änderung erreicht zu haben. Außerdem, Militärs können Politik nur beraten, das aber ist Sache der Aktiven nicht der Ehemaligen.

Ich nehme für mich ferner in Anspruch in meiner aktiven Zeit immer wieder auf Risiken Gefahren und Fehlentwicklungen, auch öffentlich,  aber unter Beachtung des Primats der Politik, aufmerksam gemacht zu haben. Dabei war ich oft allein und hätte mir so manches Mal gewünscht, dass die, die intern immer die Lautesten waren, aber vor „Fürstenthronen“ blitzschnell einknickten, auch einmal gesprochen hätten. Ich bin dieser Linie auch nach meiner Pensionierung treu geblieben. Ich habe mich zu Fragen der Entwicklung der Bundeswehr öffentlich nicht geäußert, vielleicht war das ein Fehler, wohl aber gelegentlich, allerdings  stets  auf Nachfrage, zu Entwicklungen im Bündnis. Ich habe das nicht zuletzt deshalb getan, weil ich glaube erkannt zu haben, was wir in den neunziger Jahren falsch gemacht haben und weil ich in die internationale Kommission berufen wurde, die als Konsequenz der Entwicklungen der 90erJahre das Konzept der responsibility to protect erfunden hat. Das wurde von Deutschland lebhaft begrüßt, aber sofort vergessen als es im Falle Libyen erstmals Grundlage einer Resolution der Vereinten Nationen war. 

Global Review: Momentan gibt es zwei wesentliche Narrative zur Ukrainekrise : Zum einen von Russland, Russia Today und Putin- und Gazpromberater Dr. Rahr, die meinen, dass die russische Truppenkonzentration an der ukrainischen Grenze die Ukrainer davor abschrecken soll,eine Winteroffensive gegen den Donbass zu machen, zumal die ukrainische Armee an die 100 000 Solödaten zum Donbass hin massiert habe,  und die NATO davon, ihre Infrastruktur weiter östlich zu verlegen oder solche Strukturen aufzubauen. Die Ukrainer würden sich nach den türkischen Drohnenlieferungen ,den Drohnensiegen der Aserbaidschaner über Armenien selbst überschätzen und zudem sie pleite sind,die Flucht nach vorne antreten und den Westen da reinziehen wollen, zumal die USA jetzt auch Stingerraketen in Aussicht gestellt haben und die Ukrainer ermuntern, eine desaströsen Aktion wie damals Saakaschwili in Georgien zu initiieren, zumal letzterer gerade von der Ukraine nach Georgien zurückgekehrt ist, um eine weitere antirussische Front zu eröffnen, wenngleich er noch aus dem Gefängnis die Massen in Georgien aufhetzt.

Die andere Lesweise und westliche ist, dass Putin die Schwäche der Ukraine und die Coronabedingte Paralyse Europas ausnutzen will, um die NATO-Kohärenz auszutesten und in der Ostukraine Fakten zu schaffen. Zudem die Jamestown Foundation in einer Analyse der ukrainischen Armee und der US-Militarreformprogramme für die Ukraine einen völlig desaströsen Zustand sieht und das ukrainische Militär als Gurkentruppe einstuft. Die USA, die NATO, EU und Deutschland befürchten nun einen Invasion Russlands und haben klar gemacht, dass für diesen Fall,wirtschaftliche und politische Sanktionen, wenngleich keine militärische Unterstützung in Sinne eines NATObeistandsverfplichtung für die Ukraine die Antwort wären , die Russland teuer zu stehen käme. Was Hakten Sie von den jeweiligen Versionen?

General a. D. Naumann: Ich bin nur auf Zeitungsinformationen angewiesen und habe keinen Zugang zu nachrichtendienstlichen Erkenntnissen, ich kann auch den Zustand der ukrainischen Streitkräfte nur nach Medienberichten einschätzen. Die derzeitigen Truppenkonzentrationen geben Russland sicher eine Reihe von taktisch-operativen Optionen, wohl kaum aber eine Chance, gegen eine im Inneren stabile Ukraine als Ganzes mit Aussicht auf schnellen Erfolg bei beherrschbaren Verlusten vorzugehen. Auch die oft genannten 175.000 Soldaten Ende Januar 2022 dürften für einen Krieg gegen die Ukraine insgesamt nicht ausreichen, weil die ukrainische Armee sicherlich deutlich kampfstärker ist als sie das noch während des Beginns der russischen Aggression im Donbass 2014 gewesen ist. Die Behauptung, die NATO wolle weitere Infrastruktur vorschieben, ist an den Haaren herbei gezogen. Derartige Pläne existieren nicht und im übrigen weiß Putin genau, dass Einstimmigkeit in Bündnis für solche Schritte nicht zu erreichen ist.

Sicher scheint mir, dass Putin jede Chance nutzen würde, bei für ihn vertretbarem Risiko den Zusammenhalt von NATO und Europäischer Union zu schwächen. Ob er sich im Klaren ist, dass Russland zwar militärisch durchaus Beeindruckendes in den vergangenen Jahren erreicht hat, insgesamt aber dennoch in einer Position strategischer Schwäche ist, weil es zunehmende demographische Probleme hat und wirtschaftlich außer Export von Rohstoffen und Waffen nichts zu bieten hat, kann ich nicht beurteilen.

Global Review: Vertreter einer Neuen Ostpolitik, wie etwa der Initiator des Aufrufs, Prof. Varwick sehen die russische Politik als Reaktion auf falsches westliches Verhalten und Siegermentalität und Hybris des gewonnenen Kalten Kriegs- vermeintlich völkerrechtswidriger Jugoslawienkrieg, Raketenabwehrschirm, geplante EU- und NATO- Osterweiterung um die Ukraine, Georgien und Weißrussland, Geringschätzung Russlands als absteigende  „Regionalmacht“. Als Lösung wird eine Finnlandisierung der Ukraine als neutralem Staat vorgeschlagen und Russland Weissrussland und die Ukraine als Pufferstaaten, sowie ein Verzicht auf eine NATO-Osterweiterung und vertragliche Sicherheitsgarantien die auch Putin fordert, genannt. Gegner einer solchen Neuen Ostpolitik sind der Ansicht, dass Putin aggressive Absichten habe, nicht mehr an klassischem Nationalstaat glaube, sondern von einem Großrussischem Reich träume, das um Teile der Ukraine und Weissrusslands sowie der russischsprachigen eile des Baltikums erweitert werden soll , wie dies Putin unlängst in einer Rede über die Ukraine zum Ausdruck brachte, die nun seitens Verteidigungsminister Schoigu zur Pflichtlektüre für das russische Militär gemacht wurde. Desweiteren gehe es Putin darum, die EU und NATO mittels der Unterstützung rechtsradikaler Parteien, Desinformationskampagnen, die die westlichen Gesellschaften spalten nachhaltig zu schwächen, wenn nicht gar auseinanderzubrechen, weswegen er sich nicht mit einer Finnlandisierung als Endziel saturieren lassen, ja man ihn durch eine Neue Ostpolitik nur stärke. Welcher Analyse stimmen Sie mehr zu und was wären die Konsequenzen daraus?

General. A.D. Naumann: Ich gehöre nicht zu denen, die dem Westen grundsätzlich Fehlverhalten nach dem Ende des kalten Krieges vorwerfen. Ich habe mich vor Jahren dazu in einem Beitrag unter der Überschrift: „Der Westen hat nicht Alles falsch gemacht“ in der Süddeutschen Zeitung geäußert. Ich kann aus eigenem Erleben und aus der Mitwirkung an der ersten NATO Russlands Vereinbarung 1997/ 98 sagen, dass wir mit der ehrlichen Absicht eine dauerhafte, auf gegenseitigem Respekt beruhende Zusammenarbeit mit Russland zu finden, viel Hoffnung für einen europäischen Neuanfang verbunden haben. Javier Solana, mein damaliger Chef, hat damals russische Mitwirkung in der Gestaltung europäische Sicherheit durchgesetzt. Als Russland dann in der Kosovo Krise Mitwirkung beim Schutz der Menschenrechte verweigerte erlebten wir einen Rückschlag,

Sicher hat es nach dem Jahr 2000 den einen oder anderen Fehler auch auf Seiten des Westens gegeben, doch darf darüber nicht vergessen werden, dass es Russland war, das alle Vereinbarungen gebrochen hat und das ab 2008 Gewalt angewandt hat, um in Europa Grenzen zu verschieben. Handlungen wie die Russlands, also die Stationierung von Iksander Raketen im Oblast Kaliningrad, die nun wirklich eine Gefahr für die NATO Staaten darstellen, obwohl seitens der NATO nichts vergleichbares in den neuen Bündnisländern erfolgte. Das Beispiel belegt, wer eskaliert und wer bedroht, gewiss nicht die NATO. Die russischen Übungen mit großen Truppenkörpern ohne Ankündigung und Zulassung von Beobachtern oder die verstärkte Tätigkeit nuklearfähiger Streitkräfte in Richtung NATO erwähne ich nur, sie fanden keinerlei Entsprechung auf Seiten der NATO.

 Wenn Präsident Putin nun einen Verzicht auf jegliche NATO-Osterweiterung und völkerrechtliche Garantien dazu fordert fordert, dann stellt er alles infrage, was in Europa nach dem Ende des kalten Krieges vertraglich vereinbart wurde. Russland würde damit Helsinki und die Charta von Paris ebenso aufkündigen, wie es durch die rechtswidrige Annexion der Krim das Budapester Abkommen zerrissen hat. Derartige Forderungen sind in meinen Augen einfach nicht verhandelbar und das muss man Russland in aller Deutlichkeit sagen. Russland hat und darf kein Veto Recht erhalten, es darf nicht mitbestimmen, welcher Staat welchem Bündnis angehören darf. Selbst die Stationierung von Waffen im Bündnisgebiet bleibt alleinige Entscheidung des jeweiligen Bündnisses. Begrenzungen und Transparenz kann man vertraglich auf der Grundlage von Gegenseitigkeit und Überprüfbarkeit vereinbaren.

Ich kenne im Westen niemanden, der vor hat Russland zu bedrohen oder gar einen Krieg gegen Russland anzufangen. Sollte Russland seinerseits auf von ihm dominierten Einflusszonen oder vorgelagerten Pufferzonen bestehen, dann tut Russland den Schritt zu erneuter Konfrontation. Die wäre dann von Russland zu verantworten und sie dürfte angesichts der geo- strategischen, wirtschaftlichen, demographischen und gesellschaftlichen Bedingungen wohl kaum zu Gunsten Russlands ausgehen. Putin wäre gut beraten, wenn er noch einmal studierte, woran die untergegangene Sowjetunion gescheitert ist. Ich habe den Eindruck, er ist dabei die Fehler der 70er und 80 er Jahre zu wiederholen.  Damit gibt er dem Westen die Gewissheit, dass Russland so erneut scheitern wird, sofern der Westen geschlossen und entschlossen bleibt. Das russische Volk, das nicht zuletzt seiner Herrscher wegen so viel zu ertragen hatte, hat das nicht verdient. 

Global Review: In der Globalisierungseuphorie der 90er Jahre und Fukuyamas endzeitlich- missionarischer Erlösungsschrift „Das Ende der Geschichte“ dachte man sowohl russischer wie auch deutscherseits über eine NATOmitgliedschaft Russlands nach, eine Sicherheitsgemeinschaft von Vancouver bis Wladiwostok, über eine euraische Wirtschaftsgemeinschaft von Lissabon bis Wladiwostok. Unter der SPD/ Grünenregierung dann über eine eurasische Wirtschaftsgemeinschaft, die Aufnahme Russlands in die G7, was auch als G8 passierte und auch über eine Aufnahme Chinas, die eine G 9 schaffen sollte, während eine UNO-Reform, die Deutschland, Südafrika, Indien und Brasilien in den ständigen UNO-Sicherheitsrat bringen sollte angedacht wurde. Dazu Putins Rede auf deutsch im deutschen Bundestag. Aber wahrscheinlich ist, dass eine militärisch gleich starke Atommacht Russland zumal mit einem eurasischen Verbund in der NATO und in der G9 und der UNO nicht im Interesse der USA waren. Auch hätte sich bei einer EU-Mitgliedschaft Russlands alles mächtepolitisch verschoben. Umgekehrt meinte Scholl Latour ,dass die USA mit der Aufnahme Osteuropas wie mit GB ein trojanisches proamerikanisches Pferd in der EU installieren wollten, wie es dann Rumsfeld mit dem Alten und dem Neuen Europa ausdrückte. Zumal rRiedmann von der US- Denkfabrik Stratfor wie Putinberater Rahr auch meinen, dass die USA mittels der Osteuropäer einen strategischen Gürtel zwischen Russland und Westeuropa, Deutschland und Frankreich legen wollten, um jegliche eurasischen Fraternisierungen zu verhindern.Also auf dieser Basis war eine westlich- russosche Kopperation oder gar Integration scheinbar  völlig unrealistisch .Welche Formen einer westlich-russischen Zusaenarbeit bleiben dann noch?

General a.D. Naumann: Das in den neunziger Jahren bestimmende Denken habe ich bereits in Beantwortung einer früheren Frage ausgedrückt. Gedankengebäude wie Ihre Frage sie ausdrückt habe ich in keiner Phase meiner aktiven Dienstzeit jemals zu Ohren bekommen. Ich bin unverändert der Ansicht, dass das Konstrukt der Charta von Paris noch immer die beste Lösung im Verhältnis zu Russland darstellt, die beste Lösung für beide Seiten. 

Global Review: Letztendlich bleibt auch die Frage, ob eine Neue Ostpolitik, die die Ukraine als neutralen Staat, der weder zu Russland noch zur EU oder NATO gehört, vielleicht Brückenstaat zwischen EU und Eurasischer Union denkbar wäre oder ob beide Seiten weiterhin an ihren Expansionsbestrebungen festhalten und die Lage schon zu weit gediehen ist für noch irgendeinen Kompromiss, ja Russland sich vielleicht die Ostukraine für ihre Eurasische Union einverleiben will, zumal auch der russische Aussenminister Lawrow meint, dass Konflikte wie die Ukraine, Syrien oder Libyen erst gelöst werden könnten, wenn die USA und der Westen einer neuen internationalen Sicherheits- und multipolaren Weltordnung zustimmten und dies akzeptierten. Will sagen: Keine Neue Ostpolitik und Lösung von Regionalkonflikten, keine Regionallösungen, sondern nur eine internationale Lösung durch eine neue Weltordnung, in der Russland als Großmacht innerhalb einer multipolaren Welt akzeptiert wird und in deren Rahmen dann die Regionalkonflikte gelöst werden. Sind regionale Ansätze überhaupt zieführend oder als mögliche vertrauensbildende Msnahmen für eine dann internationale Lösung und neuer Weltordnung?

General a.D. Naumann: Die von Ihnen aufgeworfenen Fragen müssten Gegenstand der zweijährigen Konferenz sein die unser Aufruf das denkbare Möglichkeit vorschlägt. Es wäre vermessen und schlicht Spekulation, nun lange vor einer solchen Konferenz deren denkbare Ergebnisse vorwegzunehmen, allerdings muss schon vor Konferenzbeginn klar sein: Das Recht eines jeden Staates, also auch der Ukraine, frei zu entscheiden, ob und welchem Bündnis er sich anschliesst bleibt unverändert erhalten.

Global Review: Selbst wenn man die Lage in der Ukraine und Weissrussland deeskalieren kann, braut sich doch schon die nächste Krise auf dem Balkan zusammen. Russlands versuchter Putsch in Montenegro, die Grenzkonflikte zwischen Serbien und dem Kosovo, die russische Unterstützung für den Aufbau einer serbischen Armee in der Repubik Srskpa in Bosnien-Herzegowina sind doch nur einige Warnzeichen. Worin sehen Sie eine mögliche Lösung? Bedarf es nicht eines umfassenderen Ansatzes?

General a.D. Naumann: Ihr Sorgen teile ich uneingeschränkt. Ich denke, trotz aller Schwächen ist das Konstrukt von Dayton noch immer eine Grundlage. Manches ist in dieser aufwändigen Lösung Bosnien-Herzegowina durchaus erreicht worden. Die Spaltungsbewegungen der Republica Srspka sind kein Ansatz, der Stabilität im Süd Osten des EU Gebiets bewirken wird. Zu hinterfragen ist sicherlich, wer den Serbenführer Dodik ermutigt hat, die Einheit Bosnien-Herzegowinas infrage zu stellen. Ganz ohne Ermüdung durch Putin bei seinem kürzlichen Besuch Russlands dürfte er dieses gewagte Spiel wohl nicht begonnen haben. Zu Lösungen sollten Sie allerdings besser den Außenkommissar der EU und den Hohen Vertreter Christian Schmidt befragen. Klar muss allerdings auch sein, untätiges Zuwarten seitens der Europäischen Union ist keine Lösung, sondern bedeutet Gefahr für die Stabilität im Südosten Europas.

Global  Review: Inwieweit sehen Sie Biden als Trendwechsel, der mittels Summit of Democracies, neuer amerikanischer Infrastrukturprograme inländisch und global und zusammen mit dem Global Gateway der EU, der globalen Mindeststeuer einen Keynesianischen und multilateralen Wechsel herbeiführen zum alten Neoliberalismus der Reagonomics herbeiführen kann? Kann der Westen wieder zusammenwachsen oder wird er durch die Wiederwahl Trumps  oder eines anderen rechtsradikalen Republikaners nicht wieder vor die Existenzfrage gestellt?

Global Review: Wenn es eine Deeskalation zwischen NATO und Russland geben sollte, haben Sie ähnliche Ideen für eine mögliche Deeskalation zwischen China und den USA? Oder werden China und Russland nicht zusammen gegen den erodierenden Westen vorgehen, um ihre eigene Position innerhalb einer dann multipolaren Welt selbst zu definieren? Und wie beurteilen sie die russisch-chinesische Zusammenarbeit, auch die militärische? Besteht überhaupt die Option Russland an Europa zu binden und auf Distanz zu China zu bringen? Und könnte sich Russland im Falle eines sinoamerikanischen Konflikts oder Kriegs etwa um Taiwan nicht ermutigt fühlen, auch Abenteuer gegen Europa zu unternehmen, da die USA schlecht 2 kriege zur gleichen Zeit führen können?

General a.D. Naumann: Diese beiden Fragen gehen weit über das Thema Russland hinaus. Es sind Fragen, die die Politiker beantworten müssen, denn sie haben die Verantwortung für die Zukunft ihrer Länder, nicht Beobachter von der Seitenauslinie wie ich.

Wir stehen ohne Zweifel am Beginn einer ungemein schwierigen Phase der Weiterentwicklung unserer Welt. Die Konflikte in Europa lassen sich nicht von denen in Asien trennen und deswegen muss Europa auch in seinem „Strategischen Kompass“ eine globale Sicht annehmen und sich als globaler Akteur verstehen. Mir scheint eins sicher zu sein: Den Herausforderungen der Zukunft wird Europa nur gewachsen sein, wenn es gemeinsam mit den Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada Lösungen in der Auseinandersetzung um eine künftige Weltordnung findet. 

In diesem Zusammenhang freue ich mich, dass Präsident Biden mit seiner Aussage „America is back“ sich zu einer globalen Verantwortung der USA und zu ihrer Führungsrolle im Westen bekannt hat.

Doch niemand sollte sich Illusionen hingeben: Die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft, die Trump verstärkt hat, hält unverändert an und das ist sicher die vorrangige Baustelle für Präsident Biden. Ob es ihm gelingen wird, den Westen wieder zu einen und gemeinsam mit Europa ein strategisches Konzept zu entwickeln wie die Idee des Westens der systematischen Herausforderung durch China und möglicherweise im Beiboot auch durch Russland begegnen kann, ist gegenwärtig noch offen. In meinen Augen wird die innere Entwicklung in den USA wie in Europa dabei entscheidend sein. Nur wenn die USA sich der globalen Verantwortung Stellen und nur wenn Europa geschlossen spricht und handelt wird der Westen sich behaupten können. Das hängt nicht zuletzt auch von Deutschland ab, das sich nach seinem Regierungswechsel erst noch neu positionieren muss.

Global Review: Welche Aussenpolitik wird die mehr auf Neue Ostpolitik geeichte SPD unter Scholz, unter mehr konfrontativer Russlands- und Chinapolitik ala Grünen und FDP gehen? Die Zeiten , dass die SPD wie bei Schröder die Mehrheit hatte und Joschka Fischer nur 5% sind ja damit vorbei. Es wird also nicht das alte Koch/ Kellnerbeziehung sein, die Schröder, der Russland und Chinapolitik an sich riss, für sich reklamierte, zumal Schröder ein ausgesprochener Eurasier war, während Fischer ein Transatlantiker.Was erwarten Sie sich für eine neue Aussenpolitik der Ampel, auch in Bezug auf Ihren Aufruf? 

General a.D. Naumann: Die neue Bundesregierung steht vor einer gewaltigen Herausforderung,  weil sie im Inneren mit der Pandemie und gleichzeitig mit den jahrelang versäumten Veränderungen die Anpassung an die Herausforderungen, die mit den Stichworten Stichworten Digitalisierung und Klimawandel nur schlagwortartig umrissen sind, bewältigen muss und gleichzeitig in einer Lage voller außenpolitischen Turbulenzen, gekennzeichnet durch die Stichworte Russland, Iran/Naher Osten und China, das Ruder übernehmen muss.

Die Koalitionsvereinbarung lässt mich hoffen, auch wenn die Regierungserklärung des neuen Bundeskanzlers durchaus klarer hätte ausfallen können. Ich hoffe, dass unter neuer Führung Deutschland zu einer gestaltenden Rolle zurück findet, bereit ist Verantwortung zu übernehmen, auch wenn das Risiko bedeutet, weil nur so die Freiheit Deutschlands geschützt werden kann.

Ich hoffe ferner, dass die in schweren Krisen das Amt übernehmende Regierung den Deutschen klarer als bisher sagt wie gefährlich die Welt ist, in der wir leben obwohl die Mehrheit diese Gefahren zu verdrängen und doch teilweise glaubt, man könne sich weiterhin bequem wegducken.

Ich hoffe auch, dass man fehlerhaften Ballast der Vergangenheit abwirft, wie es beispielsweise der Satz ist, der hier in jeder Krise in Deutschland als erstes gesagt wurde:Es gibt keine militärischen Lösungen. Er ist grundfalsch und für jeden Autokraten, der zur Gewalt bereit ist, die Ermutigung sie auch anzuwenden.

Ich habe in der Kosovo Krise erlebt, dass es diese deutsche Haltung war, die Milosevic die Sicherheit gab, weiter nach eigenem Gutdünken zu handeln, weil damit die Geschlossenheit der NATO ausgeschlossen war und damit sein Risiko gering. 

Ich hoffe man begreift nun, dass man in Krisen alle Mittel der Politik auf dem Tisch lassen muss, weil das noch immer der sicherste Weg ist, eine friedliche Lösung zu finden

Global Review: Wie beurteilen sie das Biden-Putintreffen? Was ist danach zu erwarten und wie sollte es weitergehen?

General a. D. Naumann: Es ist gut dass die beiden miteinander gesprochen haben, auch wenn es weniger gut ist, dass Europa in diesem Dialog nur eine nachgeordnete Rolle spielte. Wie es weitergehen wird kann man noch nicht beurteilen, denn über die Ergebnisse der Fachgespräche kann man derzeit nur spekulieren.  Deswegen kann ich dazu kein Urteil abgeben.

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