Interview mit General a.D. Domroese: „Daher wird Russland nicht in die Ukraine einmarschieren““Es wäre begrüßenswert, wenn die russische Regierung britische Gelassenheit annähme“

Interview mit General a.D. Domroese: „Daher wird Russland nicht in die Ukraine einmarschieren““Es wäre begrüßenswert, wenn die russische Regierung britische Gelassenheit annähme“

Global Review hatte die Ehre mit General a. D. Domroese ein weiteres Interview über die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland zu führen, sowie eine Tour d´horizon durch die geopolitischen Krisengürtel der Welt zu unternehmen.

General Hans-Lothar Domröse ist ein ehemaliger General des Heeres der Bundeswehr. Er war Kommandeur des Alliierten Joint Force Command Brunssum (2012-2016). 2011 wurde General Domröse zum deutschen Militärvertreter MC / NATO und EU in Brüssel ernannt. Er übernahm das Kommando des Eurokorps in Straßburg (2009-2012). Während eines Einsatzes in Afghanistan im Jahr 2008 war er Stabschef des ISAF-Hauptquartiers. General Domröse erhielt während seiner Militärkarriere eine Vielzahl von Auszeichnungen und Ehrungen. Er ist Senior Berater in der Consultingfima Friedrich 30, zu der auch Ex-BND-Präsident Schindler gehört und im Globalen Netzwerk der Agora Strategy Group der Munich Security Conference:

Hans-Lothar Domröse.jpg

https://www.friedrich30.com/das-team

https://de.agora-strategy.com/global-network

Global Review: General Domroese, wie beurteilen Sie das Biden-Putintreffen und was könnte in den Arbeitsgruppen bestenfalls herauskommen? Putin möchte ja die Pariser Charta nicht mehr akzeptieren, Sicherheitsgarantien von der NATO, einen Platz als Großmacht in einermultipolaren Welt in Europa und weltweit und Einfusszonen? Wie wahrscheinlich ist es, dass man Zugeständnisse macht und Kompromisse?

Was wird verhandelbar sein, was nicht?

General a. D. Domroese: Zu Beginn „unserer zwanziger Jahre“ erleben wir einen gewaltigen Epochenwandel: nur drei Beispiele zeigen das. Wir sehen globale Machtverschiebungen zwischen China, Russland, den Vereinigten Staaten und Europa. Im Kern geht es um die Systemfrage: Demokratische oder Autoritäre Regierungsformen. Zusätzlich sind wir global von einer schrecklichen Pandemiebetroffen. Und drittens sind die Auswirkungen des Klimawandels unübersehbar.

Alles findet gleichzeitig statt, was die Regierenden weltweit unter enormenHandlungsdruck setzt. Wir brauchen Visionen, um das Beste zu erreichen unddas Schlimmste zu verhindern. Alles hängt mit Allem zusammen – Lösungengehen nur gemeinsam – keiner kann diese großen Herausforderungen alleinemeistern: Es geht mehr denn je um ehrgeizige Ziele und Übernahme von Verantwortung, Mut und Entscheidungslust, Kultur und Kompetenz.

Nun zu Ihrer eigentlichen Frage. „It’s all about perception“..Im Indo-Pazifik wird die Unabhängigkeit von Taiwan bedroht – in Europa geht es um Freiheit und Sicherheit, nicht nur um die Souveränität der Ukraine. Beide Gravitationszentren berühren die USA im Besonderen, weil Amerika eine Atlantische und einePazifische Nation ist und eine Weltmacht. – insofern ist es nur konsequent,dass Präsident Biden sich mit den anderen beiden Präsidenten persönlich austauscht. Das ist gut. So können Missverständnisse und / oder ein Waffengang vermieden werden.

Der UN-Sicherheitsrat ist dazu offensichtlich nicht mehr in der Lage, weil jedes P5-Mitglied in „eigener Sache“ ein Veto einlegt – und sich somit blockiert. Das zeigt: die alte Weltordnung ist am Ende – ein Zurück zu Yalta und Potsdam 1945,wie es Putins Vorschläge suggerieren, wird es nicht geben.Das alt-sowjetische Prinzip „Meins bleibt Meins – und über Deins verhandeln wir jetzt“ funktioniert nicht mehr! Sicherheit muss gemeinsam erarbeitet undgelebt werden. Allerdings sind Landesgrenzen, freie Bündniswahl von Nationen oder Souveränitätsrechte NICHT verhandelbar. Auch ein Mitspracherecht in der NATO kann Russland NICHT erwarten.

Abrüstungsvorschläge und Rüstungskontrollinitiativen hingegen schon. Nehmen wir beispielsweise die landgestützten Nuklearwaffen, Hypersonic weapons, Weltraum- und Arktisaspekte, Stationierungsfragen beiderseits vonGrenzen, Manöverumfänge oder gegenseitigen Militär-Beobachter-Austauschetc. Hier sehe ich großes Verhandlungspotential. Damit kann eine win-win- Situation geschaffen werden. Dies erfordert allerdings von jeder Seite, überZugeständnisse nachzudenken. Geben und nehmen.

Wie auch immer die Gespräche ausgehen: Präsident Putin hat mit großemAufwand und gewaltiger Drohkulisse erreicht, dass der Westen „sich bewegt“.Punktsieg erste Runde.

Global Review: Wie beurteilen Sie die neue Außenpolitik derAmpelkoalition, auch in Bezug auf Russland und China? SindKoalitionspapier und bisherige Handlungen, auch in Hinsicht auf denUkrainekonflikt ausreichend? Kann Deutschland damit auch den „Strategischen Kompass“ der EU wesentlich beeinflussen?

General a. D. Domroese:  Deutschland hat und hatte schon immer ein besonderes Verhältnis zuRussland. Der Tiefpunkt war der Nazi-Überfall auf die Sowjetunion – der Bestewar die Deutsche Einheit. Seitdem hat sich das russische Regime von Glasnost entfernt und weist heute autoritäre Züge auf. Mit der Annexion der Krim in 2014haben wir einen neuen Tiefpunkt erreicht, den wir noch nicht überwundenhaben und der mit den anhaltenden Unruhen in der Ost-Ukraine und den militärischen Drohgebärden an der Grenze zusammenhängt. AuchMenschenrechtsverletzungen und Attentate auf Herrn Nawalny und Skripal u.a.sind für gut nachbarschaftliche Verhältnisse nicht förderlich.

In diese Situation hinein ist die Ampelkoalitionseit einem Monat gestellt – es istviel zu früh, außenpolitische Erfolge hieran messen zu wollen. Zunächstmüssen sich die drei Parteien als EINE Regierung finden und ihren Weggemeinsam und ohne Ambiguität festlegen. Am Ende zählen Taten – nichtWorte. „Sich Sorgen machen“ reicht auf keinem Falle…Bislang jedenfalls findeich, hat die Regierung hat noch nichts wirklich falsch gemacht, wenn ich das sagen darf. Ich bleibe ich optimistisch, dass Deutschland außenpolitisch „in der Spur bleibt“

Gleiches gilt für China. Das ist nicht nur ein gigantischer „Marktplatz“ ImZweifel wird sich Deutschland entscheiden müssen zwischen autoritären oderfreiheitlich-demokratischen Systemen. Für mich ist klar: es kann nurgemeinsam mit Amerika und unseren anderen demokratischen Freunden einenWeg geben, der von Menschenrechten, Unabhängigkeit der Gerichte, Presse-und Versammlungsfreiheit geprägt ist. Natürlich ist die Realität nicht schwarzoder weiß; nicht „entweder Kooperation oder Konkurrenz“. Sondern beide Wegemüssen möglich und verhältnismäßig sein.

Zielsetzung des Strategischen Kompass‘ der EU ist richtigerweise, Sicherheitund Freiheit Europas zu stärken und ihre Bürger zu schützen. Zielsetzung undAnalyse decken sich mit der der NATO/Neues Strategisches Konzept – daspasst. Das ist fast schon das Wichtigste. Während die Allianz in erster Linie denSchutz militärisch sicherstellen soll, will die EU die mehr zivil orientiertenAnsätze befördern. Also Cyber, Organised Crime, Grenzschutz undErtüchtigung von like-minded nations/Nachbarn. Das klingt für mich nach einer klugen Arbeitsteilung.

Ob die Europäer allerdings eine „schnelle Eingreiftruppe von 5.000 Soldaten“ braucht, weiß ich nicht. Zur Verteidigung in einer Krisenlage deutlich zu wenig und für „sonstige Missionen, wie Training undAusbildung“ muss sie nicht „schnell“ oder „sofort verfügbar“ sein. Doppelstrukturen sollte man sich wirklich zweimal überlegen – sie machen keinen Sinn, sind zu teuer und bringen keinen added value. Selbstverständlichwird Deutschland das WIE, also die Ausgestaltung, mit beeinflussen, aber ebennicht alleine bestimmen.

Global Review: Bezüglich Chinas gibt es ja unterschiedlicheEinschätzungen. Ein Lager meint, dass China zwar „Partner, Wettbewerber und systemischer Konkurrent“ sei, aber im wesentichen friedlich aufsteigenwerde und auch Taiwan nicht militärisch zurückholen wolle, andere seheneinen kommenden militärischen sinoamerikanischen Konflikt, auch um

Taiwan kommen,2025, 2027 oder 2035 entweder weil China bis dahin den USA militärisch und ökonomisch überlegen sein werde oder aber weil es befürchtet, dass es sein power peak 2030 erreicht und nun noch ein historisches window of opportunity nützen wolle. Welcher Sichtweise neigen Sie zu und was würden Sie einer neuen Regierung raten? Wie könnte manden Konflikt deeskalieren?

General a. D. Domroese:  Wie auch immer man China einschätzt, wir haben eine gewisse Ambiguitätmit der sog. EIN-CHINA-POLITIK gewählt, die der Westen ja grundsätzlichunterstützt. Zu TAIWAN unterhalten wir daher keine diplomatischen Beziehungen. Es ist ein bisschen so, wie im geteilten Deutschland mit der Hallstein-Doktrin, die im Kern von einer Anerkennung der DDR abriet.. Es wird also unser diplomatisches Geschick erfordern, einerseits die Festland-Chinesen anzuerkennen, aber gleichzeitig die Taiwanesen in ihrem

Freiheits- und Souveränitätsbestreben zu stärken ohne dass es als „Einmischung in Innere Angelegenheiten“ verstanden wird. Im Falle von Hongkong hat der Westen eine eher blasse Figur abgegeben.

Im Falle einer chinesischen militärisch-gewaltsamen Intervention müssten wir „ohne Wenn und Aber“ auf der Seite Taiwans Stellung beziehen.Gemeinsam mit anderen demokratischen Nationen. Auch um unsere Glaubwürdigkeit außenpolitisch zu unterstreichen. Indien, Japan, Korea, Indonesien, Vietnam, Australien mit Amerika und Europa stehen bereit, die

demokratischen Werte zu verteidigen. Daran darf es keinen Zweifel geben. Da die chinesische Regierung dieses Szenario kennt und weil sie einkalkulieren muss, dass es eine blutige Schlacht mit unbekanntem Ausgang geben würde, neige ich zu der Annahme, dass China KEINEN Krieg entfesselt.

Da Taiwan China weder angreifen, noch besetzen oder bezwingen kann, ist Gelassenheit zu empfehlen. „Kurs halten“, hätte wohl Dietrich Genscher empfohlen. Und damit könnte ich gut leben Möge das bessere System politisch „gewinnen“ oder zwei Chinas mit unterschiedlichen

Regierungsformen entstehen. Langfristig allerdings sollte man Taiwan die diplomatische Anerkennung nicht verwehren.

Global Review: Wie beurteilen Sie die neueste Initiative Chinas in der UNO,eine internationale Regulierung der militärischen Künstlichen Intelligenz zuerreichen? Ist das machbar und inwieweit könnte dies ein Einstieg in andereRüstungskontrollverhandlungen , etwa im Cyberspace oder Weltraum oderatomaren Bereich sein?

General a.D. Domroese:  Ich halte das für dringend geboten. Wir haben ja ähnliche Beispiele inkomplexen Situationen gefunden: in der Nukleartechnologie, bei ABC-Entwicklungen und in der Medizin, um nur 3 Felder zu benennen. Im Kerngeht es darum, nicht alles Machbare auch tatsächlich zu machen.Selbstbeschränkung. Wir wollen keine künstlichen Menschen / Klone; wirwollen Wasser nicht vergiften und wir wollen keine Atomwaffenvagabundieren lassen, daher haben wir einen Atomwaffensperrvertraggeschlossen. Die Nationen haben in der UN Regeln getroffen, die all diesemoralisch gebotenen Verhaltensweisen sicherstellen. Mit KI / AI sollte esähnlich gehen.

Inwieweit man KI-Regelungen mit anderen Kontrollmechanismen verbinden kann, weiß ich nicht. Ich rate jedoch davon ab, einzelne Fach-Themen zu überfrachten, weil dann eine Einigung auf gemeinsame Ziele immer schwieriger wird. Schritt für Schritt oder Weniger ist Mehr, denke ich.

Global Review: Sorgenkind der NATO bliebt weiterhin die Erdogan-Türkei.Diese mischt neben EU-Flüchtlingsabkommen als Regionalmacht in Syrien,Irak, Libyen, Sudan, Sahel, nun im Kaukasus und Zentralasien mit, imSchwarzen Meer,zudem liefert sie der Ukraine Drohnen wie zuvorAserbeidschan, will nun eine türkische Seidenstrassse durch ArmenienRichtung Zentralasien bauen, mischt bei den Gasvorkommen im Mittelmeerund um Griechenland mit. Momentan hält sich Erdogan etwas zurück, zumaldie türkische Wirtschaft den Bach runtergeht, aber wie sollte Deutschlandund der Westen und die NATO mit der Türkei umgehen? Inwieweit sindneoosmanische Reichsideen, Schaukelpolitik zwischen China, Russland undNATO weiter hinnehmbar?

General a.D. Domroese:  Die NATO ist ein Bündnis von 30 souveränen Staaten, die sich politisch undmilitärisch einig sind, die Freiheit ihrer Bürger zu verteidigen. Jeder bringt ein,was er einbringen kann. Je nach Blickrichtung ist mal der eine, mal der andereein „SORGENKIND“. Deutschland beispielsweise tut sich bei bewaffneten Einsätzen

oder dem „2%-Ziel“ schwerer, als andere. Wiederum andere bei Rüstungsexporten oder Weltraum- bzw. Cyberoperationen. Es gäbe viele Beispiele. Insofern würde ich keine Nation besonders herausstellen wollen. Wohl aber betonen, dass geo-politisch jede Nation etwas Spezifisches in die Gemeinschaft einbringt.

Die Türkei im äußersten Südosten unseres Allianzgebietes grenzt an Russland, Zentralasien und das Kriegsgebiet Syrien an. Damit ist es besonders gefordert. Militärisch, politisch, sozial und humanitär. Wer noch schützt Millionen Flüchtlinge, versorgt sie medizinisch und schulisch, ernährt sie und hält Spannungen mit der eigenen Bevölkerung so lange aus? Keine andere NATO-Nation.

Was die türkischen Ambitionen anbelangt scheint die derzeitige Regierung vom Osmanischen Reich zu träumen – vergleichbar mit russischen Vorstellungen hegemonialer Machtausübung.

Das wird sich regeln, wie der Gas-Streit mit dem NATO-Nachbarn Griechenland oder der Einflussnahme in Libyen. In keinem demokratischen Land regiert ein Präsident auf Lebenszeit. Auch wird die Türkei prüfen müssen, ob und wie weit sie sich russischen Luftabwehr-Schutz unterordnen will oder ob sie nicht doch besser in dem atlantischen Luftabwehrsystem NATINAD aufgehoben ist. Beides geht nun mal nicht. Schließlich wird wirtschaftliche Kooperation nur mit dem Westen dauerhaft Aufschwung

bescheren können. In Afghansitan haben unsere türkischen Brüder jedenfalls vorzüglich überzeugt – als „Gläubige“ waren sie natürliche Helfer, Vermittler und Schlichter in schwierigen Situationen. Ich kann nur Gutes aus Kabul berichten.

Global Review: Wie beurteilen Sie die Entwicklung in Nordafrika und demGürtel von Nigeria entlang der Sahelzone bis Somalia? Welche Mächtesehen Sie als Hauptkonflikttreiber, inwieweit ist der Islamismus eine Gefahrund wie sollte der Westen reagieren?

General a. D. Domroese:  Nigeria ist in wenigen Jahren bevölkerungsreicher als die USA – kann seinenBürgern aber viel weniger Chancen auf ein gerechtes Leben einräumen:

fehlende Bildung und Ausbildung, Arbeit und Rechtstaatlichkeit sind die Hauptursachen für Korruption in ganz Afrika. Das zieht sich wie ein böses Krebsgeschwür durch den Kontinent. Mehr als 2 Mrd Menschen leben in Kürze dort; etwa 50 Staaten, von denen zirka 1/3 „gefallen“, 1/3 „fallend“ und nur 1/3 „stabil“ sind. Diese Situation schreit nach Hilfe: den Menschen

konkrete Perspektiven auf ein besseres Leben zu geben, halte ich für unsere besondere Verpflichtung.

Damit wird Konflikten nachhaltig der Nährboden entzogen. Gelingt uns das nicht, sehe ich den Kollaps der Sahelzone. Nehmen wir beispielsweise MALI, wo Putschisten regieren oder den SUDAN oder Libyen, das nach dem Gaddafi-Sturz 2011 zum „gateway to hell“ mutiert ist. Mit negativen Auswirkungen auf die Nachbarstaaten und Europa. Migrationsforderungen werden so befördert. Papst Franziskus hat völlig Recht, wenn er geißelt, dass das Mittelmeer zur schändlichen Todesfalle wird. EUROPA, wir sind gefordert, das zu ändern.

Ich sehe die islamische Religion nicht als das Problem. Klar, IS, Al Qaida, Boko Haram u.a. sind eine riesige Gefahr – aber eher das Ergebnis/die Folge von Ungerechtigkeit, Korruption und Misswirtschaft, denn als Ursache. Wir sollten gute Regierungsformen (good governance) breit unterstützen , um den radikalen Kräften den Boden zu entziehen. Eine Herkulesaufgabe!

Global Review:  Der Iran hat nun einen Hardlinerpräsidenten Raisi gewählt,die Positionen bei den Atomverhandlungen mit dem Iran sind verhärtet undweit auseinander, Israel hat nun bei den USA Auftankflugzeuge bestellt, umauch einen Militärschlag gegen den Iran selbst ausführen zu können? Wieglauben Sie, dass sich die Situation um den Iran entwickeln wird?

General a.D. Domroese:  In der Tat stehen wir im Mittleren Osten vor einer immens großen undkomplexen Aufgabe mit ungewissem Ausgang. EINE Facette des Konflikts istdie Iranische Forderung auf Einhegung Israels nach der UN-Zwei Staaten-Lösung, die weder Israel anerkennt, noch die Weltgemeinschaft durchsetzenwill und kann. Es scheint ein unüberbrückbarer Konflikt, der dazu führt, dassIsrael aus Selbstbehauptungsgründen angeblich den Iran „80 Jahrezurückbomben“ will, sollte er Nuklearwaffen besitzen. Damit wäre derKonflikt für die jetzige Generation erledigt, behaupten einige.Der Westen kann den Iran aber nicht mit noch weiteren Sanktionen zumEinlenken bringen – ausgereizt. Es müssen also Anreize angeboten werden,die so attraktiv sind, dass der Iran auf „die Bombe“ verzichtet. Eile istgeboten!

Da „wir“ die UN-Resolution nicht durchsetzen können, bleibt nur noch die scheinbar paradoxe Option, dem Iran glaubhaft und verlässlich Schutz zu garantieren, um einen Waffengang zu verhindern. Andernfalls wird der Iran diese A-waffen eines Tages besitzen. Eine Zwickmühle, die nur durch die P5 gelöst werden kann. Israel muss sich bewegen – beide müssen sich bewegen!

Global Review:

Zentral für den Iran ist ja auch der Irak. Nach dem Abzug der USA erhofft sich der Iran dort eine stärkere Stellung. Proiranische Milizen haben nun sogar einen Drohnenanschlag auf den irakischen Ministerpräsidenten unternommen, was im Irak für allgemeine Empörung sorgte. Der Islamist und Wahlsieger Muktadar El-Sadr forderte nun die Entwaffnung und Auflösung der proiranischen Milizen. Wie sehen Sie die weitere politische Entwicklung im schiitischen Halbmond von Irak- Syrien-Libanon und wie sollte der Westen agieren?

General a. D. Domroese:  Dies ist die ZWEITE Konfliktlinie: IRAN vs. IRAK oder auch Sunniten vs.Schiiten. Seit dem ersten Golfkrieg (1980-88) herrscht Waffenstillstand –aber kein Frieden. Der zweite Golfkrieg (Überfall auf Kuweit) endete mit dervölligen Zerschlagung der irakischen Armee, der Tötung Saddam Husseinsund dem Zerfall des Iraks. Die Bemühungen der US-geführten Koalition,Stabilität und Demokratie dort zu etablieren scheiterten kläglich, was denAbzug der internationalen Kampftruppen – und den weiteren Verfall derStrukturen – beschleunigte.

Der Irak ist instabil, geschwächt und nicht wirklich demokratisch. (Der einzige demokratische Staat in MENA ist Israel) Es stünde den „alten Koalitionären“ gut an, aufzubauen, was sie zerstört haben. Deutschland beteiligt sich bereits mit einer Ausbildungsmission.

Iran, so wie ich das sehe, nutzt jede Gelegenheit, im skizzierten Halbmond Unruhe, Chaos und Instabilität zu fördern. Auch im Yemen, Saudi Arabien und sonstwo. Beirut, die Hauptstadt des Libanon, galt viele Jahre als das „Paris des Ostens“ – das wieder zu erreichen bleibt ein fernes Ziel unserer Nah-Mittelost-Politik.

Machen wir uns keine Illusionen: Deutschland wird das nicht schaffen. Mit „Israel als Staatsräson“ aufgrund unserer Geschichte sind wir „Partei“ und fallen somit als „erste Adresse“ für eine Konfliktlösung aus. Europa muss und kann handeln – zusammen mit den USA.

Global Review: Assad scheint ja nun wieder mit Russlands und Irans Hilfein Syrien fest im Sattel zu sitzen. Viele arabische Staaten versuchen nun,Syrien in die Arabische Liga wiederaufzunehmen. Die USA, Ägypten undIsrael bauen eine sogenannte Arabische Pipeline von Ägypten nach Libanon,aber über Syrien. Zudem werden nun Aufbauhilfen verhandelt, jedoch sinddie Bedingungen für ihre Gewährung noch nicht geklärt. Welche Rolle sollten die USAund die EU darin einnehmen?

General a.D. Domroese:  SYRIEN blutet seit 2011- das ist eine menschliche Tragödie! StaatspräsidentAssad hat den „Arabischen Frühling“ niedergekämpft. Mehr als 100.000Tote, Millionen Vertriebene, Zerstörung und unendliches Leid sind zubeklagen. Wir Europäer wollten dort nicht eingreifen, weil wir es militärischnicht konnten. Die Amerikaner hätten es gekonnt – wollten es aber nicht.So hatte Russland relativ leichtes Spiel, das Assad-Regime politisch UND

militärisch zu stützen. Der Iran spielt hier eine wichtige, aber eher untergeordnete Rolle.

Sollte Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen werden, wäre das ein großer politischer Erfolg Assads – und Russlands. Möglich gemacht hätte es auch die Türkei, die offensichtlich bereit ist, das letzte „Widerstandsnest“ in Idlib aufzugeben. Welchen Preis es dafür erhofft oder bekommt, wird man sehen.

Kurz: die Arabische Liga hatte schon immer eine wechselhafte Geschichte mit etlichen Zick-Zack-Wendungen und wechselnden politischen Standards. Im Kern anti-jüdisch, nicht demokratisch und daher vom Westen distanziert wahrgenommen. Dennoch wäre es begrüßenswert, wenn es gelänge, quasi aus eigener Kraft, Frieden zu schließen, das Blutvergießen und die Vertreibung endlich zu stoppen. Das Ziel heißt: Wiederaufbau und Rückkehr der Geflüchteten sobald sie fortan „geschützt“ sind.

Stellen wir uns einmal vor – if I had a dream – was es bedeutete, wenn die Arabische Liga eine starke, friedliche, demokratische Gemeinschaft von rund 350 Millionen Menschen wäre? Der Krisen-Bogen am süd-östlichen Mittelmeer von Marokko über Ägypten bis zur Türkei wäre stabil und böte seinen Menschen gutes Leben, solide Bildung und Ausbildung, Rechtssicherheit und Menschenwürde – ein großartiger Partner für Europa und Afrika. Ein Stabilitätsfaktor größter Wichtigkeit – das sollten wir mit einer mutigen Vision/Strategie fest ins Auge fassen und unterstützen.

Der Westen und die reichen Öl-Staaten sind finanziell und wirtschaftlich in der Lage, ein Aufbauprogramm auf die Beine zu stellen und den Menschen eine konkrete Perspektive auf ein menschenwürdiges Leben zu geben. Win- Win. Da „wir“ den Krieg schon nicht verhindert haben, sollten wir uns jetzt nicht verschließen, den notleidenden Menschen zu helfen. Vielleicht kommt dann so über die Jahre auch eine gute Regierung in Damaskus und in den

anderen Hauptstädten der Arabischen Liga in’s Amt…

Global Review: Wiehat sich nun die Lagedem desaströsen Abzug derNATO in Afghanistan entwickelt? Momentan ist es ja eher still in denMedien..China und Russland versuchen mit den Taliban neue Verbündete,auch für die Seidenstrasse zu gewinnen machen dies aber von derenkonkrete Verhalten abhängig. Welche Rolle bleibt dem Westen inAfghanistan? Inwieweit glauben Sie, dass sich die Lage stabilisiert oder eherauch in Hinblick auf Pakistan, Zentralasien und die russischen Südrepublikendestablilisiert?

General a.D. Domroese:  Der schmähliche Abzug der NATO-geführten Koalition aus Afghanistan istnicht das Ende der Geschichte. Zum Glück, bei aller Tragik. Wir hätten esbesser machen müssen – klar. Die eigentlichen Verlierer sind dieafghanischen Bürger, vor allem Mädchen und Frauen.Der Westen hat sofort gehandelt und mit einer UN-Resolution „Recht aufAusreise“, „Rechte von Frauen, Kindern, Minderheiten“ und „Keine Gewaltgegen US/Alliierte“ weitere finanzielle, kulturelle und wirtschaftliche Hilfeangeboten, um das Leid der Menschen aufzufangen.

Aber ich denke, dass wir die neue islamische Regierung nur „mit angezogener Handbremse“ unterstützen werden. Ein Unrechtsregime kannnicht erwarten, dass wir alles gut finden und dulden. Gewisse Minimalstandards sind zu verlangen. Wir müssen allerdings nolens/volens mit den Regierungen sprechen, die im Amt sind.

Russland und China haben andere Interessen, als sich vorrangig um das „Bürgerwohl“ zu kümmern. Ihre Prioritäten liegen auf Eindämmung„islamistischen Einflusses“ an der AFG-Grenze. Präsident Putin hat den „Stan-Republiken“ sofort militärischen Schutz angeboten und entsprechend gehandelt. Er will –verständlicherweise – verhindern, dass Waffen, Drogen und Terroristen den russischen Einflussbereich unterwandern.

China will vorrangig afghanische Bodenschätze bergen. Man könnte sagen: ausbeuten. So, wie es das überall tut. Die Eynak-Copper-Mine in der Nähe von Kabul ist ein Beispiel: die Chinesen kommen mit ihren „Arbeiterbrigaden“ inklusive Schutzkräften und machen alles alleine. Das ist keine Wirtschaftsförderung oder „Hilfe zur Selbsthilfe“. Kaum afghanische Gewinne. Das Gegenteil! Einzig und nicht unerheblich ist jedoch die politisch- diplomatische Anerkennung Kabuls, was den Talibs hilft. Pakistan profitiert vom chinesischen Einfluss. Und davon, dass die Talibs nunmehr zurück sind – und nicht mehr im eigenen Land in Peshawar oder sonstwo.

Kurz: Der Westen könnte alleiniger „Schutzpatron“ für menschenwürdiges Leben in Afghanistan bleiben. Ich sehe moralisch keine Alternative, als „Gute Miene zum bösen Spiel“ zu machen. Wir sind es den Menschen schuldig, die wir zwanzig Jahre geschützt haben.  Und die uns vertraut haben.

Global Review:Nach Belarus kam es jetzt auch zu Massenprotesten infolge von

Misswirtschaft und steigenden Gaspreisen in Kasachstan.Es geht inzwischen nicht mehr nur um wirtschaftliche Forderungen,sondern es wird auch ein Regime Change

gefordert.Einige Kommentatoren befürchten nun nicht nur eine russische Invasion in

der Ostukraine,sondern auch in das russischsprachige Nordkasachstan.Wäre dies nichtein imperial overstretch und inwieweit hat dies Auswirkungen für Russlands Politik im Near abroad,Zentralasien und auch für die SCO, die von China und Russland dominiert wird?

General a.D.Domroese:  Vordergründig scheint die Verdoppelung des (Auto-)Gaspreises Auslöser fürdie Proteste und blutigen Gewaltausbrüche zu sein. Dahinter steckt aber eine30 jährige verkrustete Clanstruktur seit der Unabhängigkeit Kasachstans in1990. Im Kern beherrschen drei mächtige Cliquen mit und ohne Regierungsverantwortung das Land, die Wirtschaft und dominieren das gesamtegesellschaftliche Leben, so wie ich das sehe. Die enormen Gewinne aus der Öl-und Gaswirtschaft werden nicht an die Bürger/Arbeitnehmer weitergegeben,was zu sozialen Spannungen, insbesondere in den Wirtschaftszentren führt –und mit der überraschenden und völlig überzogenen Preiserhöhung „das Fasszum Überlaufen“ gebracht haben.

Hinter dieser brutalen Auseinandersetzung steht der Machtkampf zwischendem amtierenden Präsidenten und seinem Vorgänger, Namensgeber der Hauptstadt. Viele Tote, so höre ich, gehören der Security des Alt-Präsidentenan – von ihm hört und sieht man nichts. Er wird entmachtet sein.Das nunmehr bekannte (russische) Narrativ ist das Übliche: ausländischeTerroristen greifen unschuldige Bürger an, gefährden die Staatsgewalt und den„Inneren Frieden“; Ausrufung des Notstandes, Einsatz des Militärs und„Bündnisfall CSTO“, d.h. Russland als lead nation wird gebeten, zu helfen. Mansagt, beide Präsidenten verstünden sich hervorragend. Es folgen Bilder vomEintreffen russischer Fallschirmjäger in beeindruckend schneller Verlegung,Checkpoints zur Sicherung des Regierungsviertels und brennende Autos undGebäude, die vom Terroristen verursacht wurden. Alles fein dargestellt –Medien/Internet abgeschaltet. Jüngste Erfahrungen aus Belarus und derUkraine zeigen: es muss schnell gehen und man muss die Bilder beherrschen.

Lessons learned – Respekt (mit Blick auf mil-takt. Handwerk), wäre es nichttragisch, blutig und verbrecherisch. In diesem Zusammenhang verweise ich aufdie „Afghanistan-Konferenz“ in Moskau, in der Präsident Putin den „Stan-Republiken“ Schutz zugesagt hatte.

So what?

Ich denke NICHT, dass Russland „overstretcht“ ist. Militärisch zumindest nicht.Ein-, zwei Brigaden in Kasachstan würde die „Westfront“ an der Ukraine NICHTschwächen. Auch könnte Russland noch weitere Truppen zu Übungen nachBelarus schicken – mit dem Signal: verrechnet Euch nicht!,Politisch bringt ein ruhiges Kasachstan, ein friedliches Belarus und einenervöse Ukraine Präsident Putin den größten Erfolg. Innenpolitisch für diebevorstehenden eigenen Wahlen. Außenpolitisch für die beginnendenVerhandlungen mit den USA/der NATO in Genf ab Mitte Januar 2022. Und der OSZE in Wien.

Daher glaube ich NICHT, dass Russland in die Ukraine einmarschiert –mögliche Verluste, schmerzliche Sanktionen, eigene Wahlen könnten den unbeabsichtigten Effekt haben, nach einer „Niederlage“ zu schmecken– zumal bei einem Waffengang keine schnelle Lösung in Sicht wäre. Im Gegenteil.Obendrein müsste auch er innere Unruhe und landesweite Proteste befürchten. Wozu ?

Die russische Regierung kennt die NATO-Aufnahmeregularien: sie wissen,dass eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine nicht auf der Tagesordnung steht, solange keine „Ruhe“ herrscht. Er wird KEIN Mitspracherecht in der Allianz bekommen – klar. Braucht er auch gar nicht…

Global Review:

Wenn Sei einen Jahresausblick 2022 geben würden, was glauben Sie werden die wesentlichen Konflikte und Ereignisse sein und was wünschen Sie sich für das neue Jahr?

General a.D. Domroese:  Great Question würden meine amerikanischen Freunde sagen…

Na ja, Frieden in Freiheit und ein menschenwürdiges Leben in möglichst vielen Ländern wäre schon ein gutes Gefühl – versuchen wir es! Wir leben in einem Epochenwandel, der mit Mut und Vision in sicheren Bahnen verlaufen muss und kann. Die tektonischen Machtverschiebungen zwischen Europa, Russland, China und den Vereinigten Staaten von Amerika gleichen einen Erdbeben – den Ausbruch von Großen Kriegen müssen wir unter allen Umständen verhindern. Dazu müssen wir ab und zu durch die „Brille des Anderen“ schauen. An der Naht der „Hegemonie-Grenzen“ oder „Einflusszonen“ wird es zwangsläufig zu „Unruhen“ kommen – eben weil es dort sehr komplex und verzahnt ist. Und unterschiedliche Interessen herrschen. Diesen globalen und disruptiven Prozess zu moderieren, zu kanalisieren und zu beeinflussen wird unsere ganze Kraft kosten. Ich fürchte unruhige Zeiten, wenn uns das nicht gelingt.

Zu allererst im Nahen Osten. Das iranische Nuklearstreben muss unterbunden werden – sonst sehe ich noch für dieses Jahrzehnt blutige Schlachten. Lose-Lose-Situationen! Das kann keiner wollen.

Dann sehe ich die „alte Garde“ in und um Russland, die verzweifelt versucht, das alte sowjetische Imperium wieder zu beleben. Dabei Menschen- und Freiheitsrechte unterdrückt, dass es zu einer Implosion kommen kann à la Kiew/Orangene Revolution. Und weil diese Herrscher das nicht zulassen wollen, besteht die reale Gefahr, dass sie außenpolitisch„Dampf ablassen“, wie auf der Krim. Der gesamte Gürtel um Russland ist in Unruhe – von Minsk, über Kiew und Nur-Sultan bis Wladiwostok. Es wäre begrüßenswert, wenn die russische Regierung britische Gelassenheit annähme: unsere Freunde glauben, sie seien mächtig und big mit dem Commenwealth, sind in Wirklichkeit aber ganz normal. Das machtsie so liebenswert!

Schließlich hoffe ich auf chinesische Vernunft und Zurückhaltung. Das System Xi Jinping sollte seine große Intelligenz auf die Förderung des Wohlstandes der eigenen riesigen Bevölkerung legen und auf freien, fairen Welthandel. Mit seinem RCEP hat er das weltgrößte Freihandelsabkommen seit wenigen Tagen in Gang gesetzt. Respekt! In nur 50 Jahren vomEntwicklungsland zur Weltmacht aufzusteigen ist doch etwas, auf das man stolz sein kann. Es muss ja nicht immer noch mehr sein.

Klima- und Pandemiefragen haben wir heute nicht behandelt – sie sind natürlich von ausgesprochener Dringlichkeit. In diesem Sinne wünsche ich ihren Lesern ein gutes, gesundes Jahr! Stay safe!

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