Nach dem Aufruf „Raus aus der Eskalationsspirale“ offener Brandbrief von 73 Osteuropaexperten „Schluss mit dem deutschen Sonderweg!“

Nach dem Aufruf „Raus aus der Eskalationsspirale“ offener Brandbrief von 73 Osteuropaexperten „Schluss mit dem deutschen Sonderweg!“

Die neue deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock wird nun nach ihrem Lawrowbesuch in Moskau seitens des Focus und eines Brandbriefes von 73 Osteuropa-Experten, der in voller Länge in der ZEIT abgedruckt ist, kritisiert, der der Ampelkoalition Nachgiebigkeit und zuviel Dialogbereitschaft im Geiste Brandtscher Entspannungspolitik vorwirft. Baerbock sei bei ihrem Auftrtitt nicht ihrem Credo Dialog und Stärke gefolgt.  Angesagt sei Dialog und Druck ala Helmut Schmidts NATO-Doppelbeschlusses (das Erdgasröhrengeschäft der Schmidtära wird hingegen nicht erwähnt). Nach dem Aufruf der ehemaligen deutschen Botschafter und Generäle „Raus aus der Eskalationsspirale! Für einen Neuanfang der Beziehung zu Russland“ mit Prof .Varwick und General Naumann, der jedoch in den Mainstreamzeitungen FAZ, SZ, ZEIT, Welt, BILD, Focus nicht erwähnt, gar abgedruckt oder zitiert wurde,  den bisher ergebnislosen Gesprächen Russlands mit NATO, OSZE und Biden, wobei letzterer ja noch kritisiert wurde, dass er vermeintlich eine „kleine Invasion“ Russlands in die Ukraine  eventuell dulden würde, folgt nun die Gegenbewegung in Form eines offenen Brandbriefes von 73 Osteuropa-Experten und einiger Politiker. Initiator ist der Ukraine-Experte Andreas Umland, Analyst am Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien. Unterzeichnet haben unter anderem Volker Beck (Grüne), Ruprecht Polenz (CDU) und der Osteuropahistoriker Karl Schlögel.

Dem Vorgehen des Kremls schaue Deutschland „als größte europäische Wirtschaftsmacht seit nunmehr drei Jahrzehnten zwar kritisch, aber weitgehend tatenlos zu“, kritisieren sie in einem offenen Brief. Der Bundesrepublik komme als Schlüsselland der EU, der Nato und der westlichen Wertegemeinschaft dabei eine besondere Verantwortung zu. Das gelte „sowohl mit Blick auf die Eindämmung und Sanktionierung Russlands als auch in Bezug auf die Unterstützung der von Moskau zerstückelten und bedrängten Staaten“. Beklagt wird ein „deutscher Sonderweg“.

Die EU-Wirtschaftssanktionen nach der Annexion der Krim seien jedoch „milde und keine hinreichende Antwort auf den zunehmend aggressiven Kurs des Kremls“ gewesen und Deutschland habe viele Fehler gemacht. Insbesondere die deutsch-russischen Ostsee-Pipelines hätten sich „im Nachhinein als Wegbereiter für Russlands Invasion der Ukraine zwei Jahre darauf“ (Nord Stream 1) erwiesen und würden „die verbliebene ökonomische Hebelkraft der Ukraine gegenüber Russland vollständig … beseitigen“ (Nord Stream 2). Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner kommen zu dem Schluss: „Der Angriff Putins auf die Ukraine im Jahr 2014 erscheint im Lichte der vorausgehenden 20-jährigen Passivität deutscher Politik gegenüber russischem Neoimperialismus als geradezu logische Konsequenz.“ Weitere „lediglich verbale oder symbolische Reaktionen Berlins auf russische revisionistische Abenteuer“ würden in diesen Tagen „den Kreml nur zu weiteren Eskapaden verleiten“.

Der offene Brief im Wortlaut (alle Unterzeichner am Ende):

Massive, bedrohliche Truppenkonzentrationen an der Ost- und Südgrenze der Ukraine, verschärfte antiwestliche, vor Lügen nicht zurückschreckende Propagandaattacken sowie offenkundig unannehmbare Forderungen an die Nato und ihre Mitgliedstaaten: Russland stellt in den vergangenen Wochen die seit Ende des Kalten Krieges in Europa geltende Sicherheitsordnung von Grund auf infrage. In seiner internationalen Selbstdarstellung präsentiert sich Russland als bedrohter Staat, der dringend „Sicherheitsgarantien“ des Westens benötige. Der Kreml betreibt eine gezielte Bedeutungsverschiebung von Sicherheitszusagen. Die Notwendigkeit solcher Garantien wird seit der Verhandlung des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages 1968 bezüglich des Schutzes atomwaffenfreier und nicht atomwaffenstarrender Staaten diskutiert.

In Russland lagern heute mehr Nuklearsprengköpfe als in den drei Nato-Kernwaffenstaaten USA, Großbritannien und Frankreich zusammen. Moskau unterhält eine breite Palette von Trägersystemen für seine Tausenden Atomwaffen – von Interkontinentalraketen über Langstreckenbomber bis zu Atom-U-Booten. Es verfügt über eine der drei mächtigsten konventionellen Armeen der Welt sowie über ein Vetorecht im UN-Sicherheitsrat. Die Russische Föderation ist damit einer der militärisch sichersten Staaten der Welt.

Der Kreml setzt reguläre und irreguläre Truppen sowie das russische nukleare Drohpotenzial zur Führung verschiedener Kriege und zur dauerhaften Okkupation von Territorien ehemaliger Sowjetrepubliken ein. Nicht nur in Ost-, sondern auch Westeuropa sowie auf anderen Kontinenten demonstriert der Kreml unverfroren einen Anspruch auf Sonderrechte zur Durchsetzung seiner Interessen auf dem Hoheitsgebiet souveräner Staaten. Unter Umgehung internationaler Regeln, Verträge und Organisationen jagt Moskau seine Feinde rund um die Welt. Der Kreml versucht politische Prozesse, Rechtsstaatlichkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt anderer Länder unter anderem mit Hetzkampagnen und Hackerattacken zu unterwandern. Letzteres geschieht teilweise geheim, jedoch mit dem offensichtlichen Ziel, demokratische Willensbildung in pluralistischen Staaten zu behindern oder zu diskreditieren. Insbesondere soll die politische und territoriale Integrität sich demokratisierender postsowjetischer Transformationsstaaten unterwandert werden.    

Wegbereiter für Russlands Invasion

Diesem Treiben schaut Deutschland als größte europäische Wirtschaftsmacht seit nunmehr drei Jahrzehnten zwar kritisch, aber weitgehend tatenlos zu. In der Republik Moldau begann Moskaus Revision bereits 1992 unmittelbar nach dem Zusammenbruch der UdSSR mit einem massiven Eingriff der 14. Russländischen Armee. Ihre Reste stehen, trotz wiederholter Abzugsforderungen demokratisch gewählter moldauischer Regierungen und entsprechender Zusagen des Kremls, bis heute offiziell in Transnistrien. Weder auf diese noch auf die folgenden zahlreichen revanchistischen Abenteuer Russlands im postsowjetischen Raum sowie darüber hinaus reagierte die Bundesrepublik angemessen.

Mehr noch: Berlin hat mit seiner Außen- sowie Außenwirtschaftspolitik zur politischen und ökonomischen Schwächung osteuropäischer Nicht-Nuklearwaffenstaaten und zur geoökonomischen Stärkung einer zunehmend expansiven Atomsupermacht beigetragen. Deutschland verhinderte 2008 maßgeblich den Beitritt von Georgien und der Ukraine zur Nato. 2019 betrieb die Bundesregierung hingegen die Wiederzulassung der russischen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung des Europarats, obwohl Moskau keine der Bedingungen für diesen hochsymbolischen Akt erfüllt hatte und hat.

Für die ohnedies fragilen ukrainisch-russischen Beziehungen war die Inbetriebnahme der energiewirtschaftlich überflüssigen ersten Nord-Stream-Gaspipeline 2011 bis 2012 ein Desaster. Sie erscheint im Nachhinein als Wegbereiter für Russlands Invasion der Ukraine zwei Jahre darauf. Ein großer Teil der vorhandenen Gastransportkapazitäten zwischen Sibirien und der EU wurde im Jahr 2021 nicht genutzt. Dennoch schickt sich die Bundesrepublik jetzt an, mit der Eröffnung der Nord-Stream-2-Pipeline die verbliebene ökonomische Hebelkraft der Ukraine gegenüber Russland vollständig zu beseitigen.

Ostpolitischer Ablasshandel

Die EU-Wirtschaftssanktionen gegenüber Moskau seit 2014 waren milde und keine hinreichende Antwort auf den zunehmend aggressiven Kurs des Kremls. Die deutsche Entwicklungs-, Kultur- und Bildungszusammenarbeit mit der Ukraine, Georgien oder Moldau erzeugte vor dem Hintergrund fortgesetzter deutsch-russischer Sonderbeziehungen den Eindruck eines ostpolitischen Ablasshandels. Sie verringert nicht die Bedeutung schwerwiegender Fehlentscheidungen der deutschen Russlandpolitik, wie die Einladung Putins in den Bundestag 2001 oder die Modernisierungspartnerschaft ab 2008. Diese und ähnliche deutsche Schritte suggerierten vor dem Hintergrund damals wie heute unerwünschter russischer Truppen in Moldau und Georgien Moskauer Sonderrechte im postsowjetischen Raum.

Der Angriff Putins auf die Ukraine im Jahr 2014 erscheint im Lichte der vorausgehenden 20-jährigen Passivität deutscher Politik gegenüber russischem Neoimperialismus als geradezu logische Konsequenz. Die populäre Formel von der „Annäherung durch Verflechtung“ hat eine tragikomische Bedeutung erlangt. Es ist zu einer geografischen Annäherung des russischen Herrschaftsbereichs an die Grenzen der EU gekommen.

Der Kreml stellt nunmehr auch die politische Souveränität von Ländern wie Schweden und Finnland infrage. Er fordert ein Verbot einer eventuellen künftigen Nato-Mitgliedschaft nicht nur für postsowjetische, sondern auch skandinavische Staaten. Der Kreml schreckt ganz Europa mit „militärtechnischen“ Reaktionen, sollte die Nato nicht – so Putin – „sofort“ auf die weitgehenden russischen Forderungen nach Revision der europäischen Sicherheitsordnung eingehen. Russland droht mit kriegerischer Eskalation, sollte es keine „Sicherheitsgarantien“ – sprich: eine Befugnis des Kremls zur Aussetzung des Völkerrechts in Europa – erhalten.

Deutschland muss Sonderweg verlassen

Vor dem Hintergrund solcher Verwerfungen sollte Deutschland schließlich seinen – nicht nur in Mittelosteuropa so wahrgenommenen – ostpolitischen Sonderweg verlassen. Die Verbrechen Nazideutschlands auf dem Territorium des heutigen Russlands 1941 bis 1944 sind nicht zur Rechtfertigung bundesdeutscher Zurückhaltung bei der Reaktion auf den Revanchismus und Völkerrechtsnihilismus des Kremls geeignet. Insbesondere nicht, wenn es – wie im Fall der Ukraine – um eine russische Invasion in das völkerrechtlich anerkannte Territorium einer anderen Opfernation einstigen deutschen Expansionsstrebens geht. Die fortgesetzte demonstrative Verletzung auch von Moskau offiziell akzeptierter UNO-, OSZE- und Europarat-Grundprinzipien in Ost- und nun auch Nordeuropa darf nicht hingenommen werden.

Die Russlandpolitik der Bundesrepublik muss grundlegend korrigiert werden. Weitere lediglich verbale oder symbolische Reaktionen Berlins auf russische revisionistische Abenteuer werden, wie schon in der Vergangenheit, den Kreml nur zu weiteren Eskapaden verleiten. Deutschland kommt als Schlüsselland der EU, der Nato und der westlichen Wertegemeinschaft eine besondere Verantwortung zu.

Im Interesse internationaler Sicherheit, europäischer Integration und gemeinsamer Normen muss Berlin die Kluft zwischen seiner öffentlichen Rhetorik und realen Praxis in Osteuropa endlich schließen. Dies sollte sich in einer Reihe paralleler und konkreter Maßnahmen politischer, rechtlicher, diplomatischer, zivilgesellschaftlicher, technischer und ökonomischer Natur ausdrücken. Deutschland ist ein großer Handels-, Forschungs- und Investitionspartner sowohl Russlands als auch der EU-Ostpartnerschaftsstaaten sowie eine Führungsmacht der Union. Es hat mehr, ja in bestimmten Bereichen weit mehr Möglichkeiten sich einzubringen als die meisten anderen westlichen Länder. Dies gilt sowohl mit Blick auf die Eindämmung und Sanktionierung Russlands als auch in Bezug auf die Unterstützung der von Moskau zerstückelten und bedrängten Staaten. Berlin muss seinen guten Worten weit mehr und effektivere Taten als bislang folgen lassen.

Unterzeichner:

  • Dr. Hannes Adomeit, Senior Fellow am Institut für Sicherheitspolitik, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
  • Dr. Vera Ammer, Mitglied des Vorstandes von Memorial International sowie der Initiative Demokratische Ukraine, Euskirchen
  • Prof. Dr. Oesten Baller, Rechtswissenschaftler, Vorsitzender der German-Ukrainian School of Governance e. V., Berlin
  • Volker Beck, MdB 1994-2017, Lehrbeauftragter am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien, Ruhr-Universität Bochum
  • Dr. Carl Bethke, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Ost- und Südosteuropäische Geschichte, Universität Leipzig
  • Prof. Dr. Florian Bieber, Leiter des Zentrums für Südosteuropastudien, Karl-Franzens-Universität Graz
  • Prof. Dr. Katrin Boeckh, wissenschaftliche Angestellte am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung, Regensburg
  • Dr. Falk Bomsdorf, Rechtswissenschaftler, Leiter des Moskauer Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung 1993-2009, München
  • Prof. Dr. Karsten Brüggemann, Inhaber der Professur für Estnische und Allgemeine Geschichte, Universität Tallinn, Estland
  • Dr. Martin Dietze, Publizist und Erster Vorsitzender des Deutsch-Ukrainischen Kulturvereins e. V., Hamburg
  • Dr. Jörg Forbrig, Direktor für Mittel- und Osteuropa beim German Marshall Fund of the United States, Berlin
  • Prof. Dr. Annette Freyberg-Inan, Leiterin des Lehrstuhls für die Theorie Internationaler Beziehungen, Universität Amsterdam
  • PD Dr. Angelos Giannakopoulos, DAAD-Langzeitdozent für Deutschland- und Europastudien an der Kiewer Mohyla-Akademie, Ukraine
  • Dr. Anke Giesen, Slawistin, Mitglied der Vorstände von Memorial International sowie Memorial Deutschland e. V., Berlin
  • Witold Gnauck, Historiker, Geschäftsführer der Deutsch-Polnischen Wissenschaftsstiftung, Frankfurt (Oder)
  • Dr. Gustav C. Gressel, Senior Policy Fellow am Wider Europe Programme, European Council on Foreign Relations, Berlin
  • Irene Hahn-Fuhr, Politikwissenschaftlerin, Mitglied der Geschäftsführung des Zentrums Liberale Moderne, Berlin
  • Ralph Hälbig, Kulturwissenschaftler, freier Journalist bei ARTE & MDR sowie Betreiber der Webseite „Georgia & South Caucasus“, Leipzig
  • Prof. em. Dr. Aage Ansgar Hansen-Löve, bis 2013 Leiter des Lehrstuhls für Slawische Philologie, Ludwig-Maximilians-Universität München
  • Rebecca Harms, MdEP 2004-2019, ehemalige Vorsitzende der EU-Delegation in der Parlamentarischen Versammlung EURO-NEST, Wendland
  • Pastor Ralf Haska, Auslandspfarrer der Evangelischen Kirche Deutschlands in Kiew 2009-2015, Marktleuthen
  • Prof. Dr. Guido Hausmann, Leiter des Bereichs Geschichte, Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung, Regensburg
  • Jakob Hauter, Politologe, Doktorand an der School of Slavonic and East European Studies, University College London
  • Dr. Richard Herzinger, freier Publizist, Buchautor und Betreiber der Webseite „hold these truths“, Berlin
  • Dr. Maren Hofius, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Sozialwissenschaften, Universität Hamburg
  • Dr. Mieste Hotopp-Riecke, Direktor des Instituts für Caucasica-, Tatarica- und Turkestan-Studien, Magdeburg
  • Prof. Dr. Hubertus F. Jahn, Inhaber der Professur für die Geschichte Russlands und des Kaukasus, University of Cambridge, England
  • Prof. Dr. Kerstin Susanne Jobst, Universitätsprofessorin für Osteuropäische Geschichte, Universität Wien
  • Dr. Markus Kaiser, Sozialwissenschaftler, Präsident der Deutsch-Kasachischen Universität Almaty 2015-2018, Konstanz
  • Prof. Dr. Christian Kaunert, Leiter des Jean-Monnet-Lehrstuhls für Internationale Sicherheitspolitik, Dublin City University, Irland
  • Dr. Sarah Kirchberger, Abteilungsleiterin am Institut für Sicherheitspolitik, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
  • Nikolai Klimeniouk, Journalist und Leiter des Programms Initiative Quorum des Europäischen Austausch gGmbH, Berlin
  • Gerald Knaus, Karl-Carstens-Preisträger der Bundesakademie für Sicherheitspolitik und Vorsitzender der Europäischen Stabilitätsinitiative, Berlin
  • Dr. Gerd Koenen, Historiker, Publizist und Buchautor u.a. von „Der Russland-Komplex: Die Deutschen und der Osten 1900-1945“, Frankfurt (Main)
  • Peter Koller, Geschäftsführer der Bahnagentur Schöneberg und Buchautor u.a. von „Ukraine: Handbuch für individuelles Entdecken“, Berlin
  • Prof. Dr. Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
  • Cornelius Ochmann, Politikwissenschaftler, Geschäftsführer der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit, Warschau/Berlin
  • Prof. em. Dr. Otto Luchterhandt, ehemaliger Inhaber der Professur für Öffentliches Recht und Ostrecht, Universität Hamburg
  • Prof. Dr. Carlo Masala, Inhaber der Professur für Internationale Politik, Universität der Bundeswehr München
  • Markus Meckel, DDR-Außenminister 1990, MdB 1999-2009 und deutscher Ratsvorsitzender der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit, Berlin
  • Johanna Möhring, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Henry-Kissinger-Professur für Sicherheits- und Strategieforschung, Universität Bonn
  • Prof. Dr. Michael Moser, Inhaber des Lehrstuhls für Slavische Sprachwissenschaft und Textphilologie, Universität Wien
  • Andrej Novak, Politologe, Mitgründer der Allianz für ein freiheitlich-demokratisches Russland sowie von Russia Uncensored Deutsch, Nürnberg
  • Barbara von Ow-Freytag, Politikwissenschaftlerin, Mitglied des Vorstands des Prague Civil Society Centre
  • Dr. Susanne Pocai, Historikerin, Buchautorin und Mitarbeiterin der Lebenswissenschaftlichen Fakultät, Humboldt-Universität zu Berlin
  • Ruprecht Polenz, MdB 1994-2013, seit 2013 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e. V., Münster
  • Dr. Detlev Preuße, Politologe, Buchautor und ehemaliger Leiter der Ausländerförderung der Begabtenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung, Hamburg
  • Manfred Quiring, Buchautor und ehemaliger Russlandkorrespondent der „Berliner Zeitung“, „Die Welt“ und „Zürcher Sonntagszeitung“, Hohen Neuendorf
  • Waleria Radziejowska-Hahn, Germanistin, Mitglied im Beirat sowie vormals Geschäftsführerin des Lew Kopelew Forums e. V., Köln
  • Prof. Dr. Oliver Reisner, Inhaber der Professur für Europa- und Kaukasusstudien, Staatliche Ilia-Universität Tiflis, Georgien
  • Dr. Felix Riefer, Politologe, Buchautor und Mitglied im Beirat des Lew Kopelew Forums e. V., Bonn
  • Christina Riek, Übersetzerin, Projektkoordinatorin und Mitglied des Vorstandes von Memorial Deutschland e. V., Berlin
  • Prof. Dr. Stefan Rohdewald, Leiter des Lehrstuhls für Ost- und Südosteuropäische Geschichte, Universität Leipzig
  • Dr. Grzegorz Rossoliński-Liebe, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften, Freie Universität Berlin
  • Sebastian Schäffer, Politologe, Buchautor und Geschäftsführer des Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa, Wien
  • Stefanie Schiffer, Geschäftsführerin des Europäischen Austausch gGmbH und Vorsitzende der Europäischen Plattform für Demokratische Wahlen, Berlin
  • Prof. Dr. Frank Schimmelfennig, Leiter des Lehrstuhls für Europäische Politik, Eidgenössische Technische Hochschule, Zürich
  • Prof. em. Dr. Karl Schlögel, bis 2013 Inhaber der Professur für Osteuropäische Geschichte, Europa Universität Viadrina, Frankfurt (Oder)
  • Winfried Schneider-Deters, Volkswirt, Buchautor und Leiter der Kiewer Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung 1995-2000, Heidelberg
  • Werner Schulz, MdB 1990-2005, MdEP 2009-2014, ehemals Vizevorsitzender des Parlamentarischen Kooperationsausschuss EU-Russland, Kuhz
  • Prof. em. Dr. Gerhard Simon, ehemals Professor an der Abteilung für Osteuropäische Geschichte, Universität zu Köln
  • Dr. Susanne Spahn, Osteuropa-Historikerin, Publizistin und assoziierte Forscherin des Vilnius Institute of Policy Analysis, Berlin
  • PD Dr. Kai Struve, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
  • Dr. Ernst-Jörg von Studnitz, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in der Russischen Föderation 1995-2002, Königswinter
  • Sergej Sumlenny, Politologe, Buchautor und Leiter des Kiewer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung 2015-2021, Berlin
  • Prof. Dr. Maximilian Terhalle, Oberstleutnant d. R., Gastprofessor an der London School of Economics and Political Science
  • Prof. em. Dr. Stefan Troebst, bis 2021 Inhaber der Professur für Kulturgeschichte des östlichen Europa, Universität Leipzig
  • Dr. Frank Umbach, Forschungsleiter am Europäischen Cluster für Klima-, Energie- und Ressourcensicherheit, Universität Bonn
  • Dr. Andreas Umland (Initiator, ViSdP), Analyst am Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien, Utrikespolitiska institutet
  • Dr. Elisabeth Weber, Literatur- und Theaterwissenschaftlerin, Mitglied im Beirat des Lew Kopelew Forums e. V., Köln
  • Dr. Anna Veronika Wendland, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung, Marburg
  • Prof. Dr. Alexander Woell, Leiter des Lehrstuhls für Kultur und Literatur Mittel- und Osteuropas, Universität Potsdam
  • Dr. Susann Worschech, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Europa-Studien, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder)

34 in Deutschland lebende Kulturschaffende aus der Ukraine und Russland hatten damals im März 2014 schon einen Offenen Brief an Präsident Putin geschrieben, unter anderem die Schriftsteller Katja Petrovskaja und Wladimir Kaminer. Sie fordern, den Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine zurückzunehmen. Dokumentiert sei der offene Brief russischer Kulturschaffender in Deutschland angesichts der damaligen Krimannektion 2014, der an Aktualität nichts verloren hat:

Offener Brief der in Deutschland lebenden Landsleute, russischsprachigen Kulturschaffenden und Vertreter der Zivilgesellschaft mit dem Aufruf, eine militärische Eskalation in der Ukraine zu verhindern.

Sehr geehrterWladimir Wladimirowitsch Putin!


Schon seit einigen Monaten beobachten wir mit stockendem Herzen die Entwicklung der politischen Krise in der Ukraine. Nach einer langen Konfrontation zwischen Demonstranten und Regierung auf dem Maidan geriet die Situation außer Kontrolle und endete in Blutvergießen. Zu den Opfern gehören Dutzende Protestierende wie auch Polizisten. Erst dank der Bemühungen der Weltgemeinschaft gelang es am 21. Februar 2014, die blutige Gewalt zu stoppen und einen Waffenstillstand zu bewirken, der bis jetzt andauert. Viktor Janukowitsch begab sich aus Angst vor Strafverfolgung auf die Flucht und fand provisorische Zuflucht in Russland. Um die politische Krise zu lösen, schrieb die Werchowna Rada der Ukraine vorgezogene Wahlen aus, die am 25. Mai 2014 stattfinden sollen. Es ist zudem kein Geheimnis, dass sich die ukrainische Wirtschaft am Rande eines Bankrotts befindet.
In dieser äußerst schwierigen Lage wurde von vielen Seiten Hilfe von Russland für den brüderlichen, aber souveränen ukrainischen Staat erwartet. Diese Hilfe hätte, davon sind wir zutiefst überzeugt, auch geleistet werden können: mit den versprochenen Krediten, mit humanitärer Hilfe oder im Rahmen von Expertenkonsultationen für einen Abbau der politischen Konfrontation und zur Unterstützung der Wirtschaft.

Nach dem Referendum zum Status der Halbinsel verschärft sich die Lage auf der Krim. Wladimir Putin, der sich als Schutzpatron der ukrainischen Russen begreift, stationiert Soldaten auf der Halbinsel. Die militärische Aggression schürt Ängste in Kiew und wird vom Westen scharf verurteilt. Kommt es zu einem Krieg? Eine Chronologie in Bildern.

Wir waren schockiert über die Entsendung von Spezialeinheiten des russischen Militärs

Wir waren jedoch schockiert, als anstelle der humanitären Hilfe Spezialeinheiten des russischen Militärs in die Ukraine entsandt wurden, statt Experten radikal eingestellte Politiker mit Wladimir Schirinowski an der Spitze, der für seine rechtsextremen Positionen und chauvinistischen Äußerungen berüchtigt ist. Anschließend haben Sie eine Abstimmung über den Einsatz russischer Truppen in der souveränen Ukraine im Föderationsrat initiiert. Durch die Aufhebung des versprochenen Kredits und des Gaspreisnachlasses bringt Russland die ukrainische Wirtschaft erneut in starke Bedrängnis. Wir sind zutiefst überrascht, dass sich ein modernes Russland, das im 20. Jahrhundert mehrere ausländische Interventionen und Kriege erlebt hat, im Jahr 2014 wieder auf einen bewaffneten Konflikt einlässt.

Wofür sollen die russischen Soldaten in einem fremden Land sterben?

Viele von uns können nach wie vor nicht glauben, dass Sie, Wladimir Wladimirowitsch, bereit sind, einen Befehl zu erteilen, nach dessen Inkrafttreten russische Soldaten gezwungen sind, aus ihren Panzern, mit Granatwerfern und Maschinengewehren auf ukrainische Soldaten zu schießen. Sie täuschten die Öffentlichkeit, als sie am 4. März bei einer Pressekonferenz behaupteten, dass Regierungsgebäude, Militärstützpunkte und ein Teil der Straßen auf der Krim nicht durch russische Soldaten gesperrt wurden, sondern durch lokale Einheiten der „Selbstverteidigung“, die russische Uniformen trugen. Ferner sagten Sie, dass russische und ukrainische Soldaten „Freunde“ und „Waffenbrüder“ seien. Als jedoch ukrainische Soldaten zeitgleich das Territorium des Flughafens Belbek betreten wollten, versperrten ihnen russische Militärangehörige mit Warnschüssen und Drohungen, „auf die Beine zu schießen“, den Weg. In dieser äußerst angespannten Situation kann jede Minute ein tödlicher Schusswechsel beginnen. Es darf nicht vergessen werden, dass tausende Ukrainer auf dem Maidan sich den bewaffneten Spezialeinheiten entschieden entgegenstellten und nun auch bereit sind, ihr Leben im Kampf für ihre Familien, für ihre Häuser und für ihre Heimat gegen die russischen Truppen einzusetzen. Wofür sollen aber die russischen Soldaten in einem fremden Land sterben?

Wladimir Wladimirowitsch, ein russisches Sprichwort besagt: Liebe duldet keinen Zwang. Die Ukraine kann nicht mit Hilfe von Panzern nach Eurasien geführt werden. Die Militärintervention Russlands auf dem Territorium der souveränen Ukraine wird für die ganze Region fatale Folgen haben: Sie wird zur Isolation Russlands in der Welt und zur ewigen Entzweiung der beiden slawischen Brudervölker in Osteuropa führen! Wir dürfen einen Brudermord nicht zulassen und rufen Sie deshalb auf, den Befehl über den Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine zurückzunehmen, die Besetzung aller Gebäude und die Blockade aller ukrainischen Militäreinrichtungen und Flughäfen auf der Krim aufzuheben und unverzüglich den Dialog mit der provisorischen Regierung der Ukraine über eine Stabilisierung der Lage zu beginnen.

Berlin, den 7. März 2014

Mischa Badasyan. Perfomance-Künstler, Berlin
Rimma Bobritskaja, Konzertpianistin, Frankfurt am Main
Denis Chomtschenko, Gastronom, „La Tox“, Berlin
Alexander Delphinov, Dichter, Berlin
Marat Dickermann, Kammermusiker, Frankfurt am Main
Mischa Gabowitsch, Historiker und Soziologe, Einstein Forum, Potsdam
Alexander Formozov, Historiker und Ethnologe, Berlin
Wladimir Genin, Komponist, München
Sevil Huseynova, Ethnologin, Berlin
Nikita Jolkver, Journalist, Berlin
Wladimir Kaminer, Schriftsteller und DJ, Berlin
Julia Kassina, Schriftstellerin, Berlin
Wanja Kilber, Künstler, Hamburg
Alexey Kozlov, Menschenrechtler, Berlin
Ilja Kukuj, Slawist, LMU, München
Andrej Kurkow, Schriftsteller, Kiew
Sergey Lagodinsky, Rechtsanwalt und Publizist, Berlin
Sergey Medvedev, Politologe, Berlin
Sergej Newski, Komponist, Berlin
Katja Petrovskaja, Schriftstellerin, Berlin
Grigorij Pevzner, Physiotherapeut, Marburg
Polina Pevzner, IT-Spezialistin, Marburg
Wladimir Rannev, Musiker, Köln
Sergey Rumyansev, Soziologe, Berlin
Michail Ryklin, Philosoph, Berlin
Boris Schapiro, Physiker und Dichter, Berlin
Ulrich Schreiber, Direktor Internationales Literaturfestival Berlin
Anna Shibarova, Slawistin und Übersetzerin, LMU, München
Alexander Stoupel, Wissenschaftler, Frankfurt am Main
Vladimir Stoupel, Konzertpianist und Dirigent, Berlin
Dmitri Stratievski, Politologe und Historiker, Berlin
Julia Strauß, Künstlerin, Berlin
Dina Ugorskaja, Konzertpianistin, München
Dmitri Wrubel, Maler, Berlin

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