Neubewertung des deutschen Imperialismus in Sachen Türkei: Ein Ebru am Bosporus?

Neubewertung des deutschen Imperialismus in Sachen Türkei: Ein Ebru am Bosporus?

Nachdruck aus der Studentenzeitschrift Streitblatt Januar 2001

Wer ist das Ebru im NATO-Container?

Galt die Türkei bisher als nicht  zu Europa gehörig, vor allem unter der Kohlregierung, so gibt es einige Bewegung  unter der rot-grünen Bewegung, die der Türkei eine unter anderem eine EU-Mitgliedschaft in Aussicht stellten. Mit der EU ist die Türkei über eine Zollunion verbunden, Mitglied der WEU, zumal NATO-Mitglied. Von Seiten der CDU/CSU wird die Inaussichtstellung einer EU-Mitgliedschaft als illusionsfördernd und als Fehler eingeschätzt, auch Altbundeskanzler Helmut Schmidt kritisierte diese Versprechung seiner Enkel, zumal man sich das »das Kurdenproblem nach Europa reinholt« (SZ). Ebenso bringe eine zu hohe Zahl an EU- Mitgliedern, zumal noch der Türkei, die Gefahr, dass Europa zu einer Freihandelszone vieler Staaten verkomme, die an den Rändern ausfranse. Mag im Falle der Konservativen noch das ideologische Motiv eines christlichen Abendlandes, eines Heiliges Römisches Reich Deutscher Nationen hereinspielen oder das christlich-europäische Erbes von Demokratie und Humanismus mit historischen Reminiszenzen (Türken vor Wien/ Islam) hier und da eine Rolle spielen, so doch keine realpolitische.Und ein deutscher Schweigervater Kohl ändert da auch nichts an den politischen Beziehungen der deutschen Konservativen in Sachen EU- Mitgliedschaft der Türkei , nicht mal im Sinne Habsburger Heiratspolitik.

Die deutsch-türkischen Beziehungen – ein historischer Exkurs

Im Umgang europäischer Staaten mit dem Osmanischen Reich und später der Türkei spielten derartige Unterschiede kaum eine Rolle, wenn dann als taktische Berufungstitel für machtpolitische Interessen. Schon Frankreichs Kardinal Richelieu sah keine religiösen oder gar andersweitige Differenzen, als er mit dem Osmanischen Reich die Türken gegen deutsche Kleinstaaten und die Habsburger hetzte. Vor und während des Ersten Weltkrieges war das Osmanische Reich Verbündeter gegen Großbritannien, welche wiederum die Armenier und in Form von Laurence von Arabien die Araber gegen Deutschlands Verbündeten aufhetzten. Die Baghdad-Bahn und die deutsche Militärhilfe samt Beratern waren sichtbarster Ausdruck dieser Interessenallianz. Zwar lagen auch Optionen für eine Zerschlagung des osmanischen Reichs in den Schubladen deutscher Planer, doch die sich herausbildende Bagdad-Bahn-Politik ließ diese nicht zum Zuge kommen (für eine derartige Option gilt heute Heinrich Lummer mit seinen PKK-Kontakten als potentieller Kontaktmann). Über Berlin, Wien, Belgrad, Sofia und das Osmanische Reich wollte Deutschland in den Nahen Osten, Kaukasus und darüber hinaus nach Indien vordringen.US-Präsident Wilson sah denn auch den deutschen Generalstab bei osmanischen Provokationen gegen anglosächsische Interessen in dieser Sphäre am Werken.

Auch der Versuch des Osmanischen Reichs, Großbritannien den Suezkanal abzuschneiden stand in diesem Zusammenhang. Großbritannien reagierte mit der Schürung arabischer Aufstände hiergegen, da aber der Panarabismus erstarkte zugleich mit der Balfourerklärung, welche die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina vorsah als Hilfstruppe gegen mögliche arabische Übermütigkeit. Der Ausgang des Ersten Weltkrieges ließ das osmanische und das Habsburger Reich zerfallen, unter den Jungtürken um Kemal Attatürk entstand die Türkei mit einem laizistischen Programm, das die Trennung zwischen Staat und Kirche vorsah, wie auch eine proeuropäische. bzw. westliche Orientierung.

Im Zweiten Weltkrieg versuchte das 3. Reich wieder die Türkei für sich zu gewinnen, doch diese verblieb lieber in Neutralität. Versuchen von Nazideutschland alternativ im Iran  Fuß zu fassen, wie auch Bestrebungen des Irans  sich als Transitland für die Allierten zu versperren, kamen diese u.a. mittels einen Putsch gegen den damaligen Schah entgegen. Da die Türkei nicht die Rolle übernehmen konnte, den Suezkanal zu sperren, wie auch die Kontiolle über das Mittelmeer zu erringen, übernahm Italien dies – wenngleich auch nicht sehr erfolgreich. Daher wurde das Afrikakorps unter Rommel aufgestellt, welches bis vor Alexandria vordrang. Großbritannien mobilisierte hierauf Truppen aus dem asiatischen Raum und warf Nazideutschland zurück. Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Türkei NATO-Mitglied, auch beim CENTO-Pakt, galt fortan als Bollwerk gegen die Sowjetunion, wie auch als Speerspitze in Richtung Nahost und stellte nach Frontstaat Deutschland die zweitgrößte Landarmee  der NATO in Europa dar. Nach der iranischen Revolution und dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan wuchs ihre Bedeutung zumal und der Militärputsch 1980 sollte da internen Schwierigkeiten gleich mal präventiv vorbeugen, wie er auch im Umfeld des 1. Golfkrieges von Seiten Iraks zum 20 – Jahresjubiläum der OPEC stattfand. Während der Irak den Iran schwächen sollte,  sollten NATO und Frontstaat Türkei die Sowjetunion vor Intervention abhalten. Es war das erste Mal, das in einem Nahostkrieg nicht mehr Israel gegen arabische Staaten kämpfte, sondern erstmals zwei muslimische Staaten sich in großem Ausmaß offen abschlachteten. Der Irak und die Türkei wurden gegen aufständische Kurden von der BRD von GSG 9- Beratern (Stern) über Lieferungen von Waffen bis hin zu Giftgas unterstützt. Als sich das Kriegsglück des Iraks neigte, setzte dieser Giftgas ein, wie auch schließlich die USA mit Kriegsschiffen zu seinen Gunsten intervenierten und provokativ ein iranisches Zivilflugzeug abschossen. Auf eine direkte Konfrontation wollte es der Iran nicht ankommen lassen und willigte schließlich in den UNO-Friedensplan ein. War der Iran nun geschwächt, so wurde der hochgerüstete Irak nun übermütig. Da er aus seiner Perzeption den Krieg für den Westen, wie auch für Saudiarabien, Kuweit geführt hatte, erhoffte sich Saddam Hussein nun eine Friedensdividende. Zum einen Erlass, bzw. Nachlass der immensen Schulden, die er bei seinen Kriegsförderen Kuweit und Saudiarabien hatte. Doch diese bestanden auf zahlung, schlimmer noch. Geradezu provokativ trat Kuweit  auf der OPEC-Konferenz für eine Senkung der Erdölpreise ein, wie es auch die Rumailiölfelder anbohrte, die unterirdisch auch irakisches Öl anzapften. Von Seiten der USA ergingen an den Irak angesichts seiner Drohungen durchwegs positive Signale: Dies sei ein innerarabischer Konflikt; wie auch die US-Botschafterin im Irak, Glasbie sich nicht ablehnend äußerte. So ermuntert, marschierte Hussein in Kuweit ein. ( Kennedys Ex-Pressesprecher Pierre Salinger ging so gar soweit, dies als bewusst gestellte Falle von Seiten der USA darzustellen, wobei er auch Dokumente zitiert, in denen von bewussten Grenzprovokationen gegen den Irak gesprochen wird, die diesen zum Krieg ermutigen sollen – vgl. SPIEGEL). Die Aufforderung sich zurückzuziehen, ignorierte Hussein, worauf der 2. Golfkrieg ausbrach. Die Türkei diente den USA als eine Basis für ihre Luftschläge. Deutschland intervenierte hierbei nicht direkt, da es noch Rücksicht auf die sowjetischen Truppen in der DDR nehmen, wie auch noch vorerst auf das Grundgesetz nehmen musste. Die Entsendung einiger Alphajets in die Türkei waren nebst Waffenlieferungen aus den Beständen der NVA zur Kurdenbekämpfung die wesentlichen Beiträge.

Die USA nutzten den Golfkrieg, um die »Neue Weltordnung« mit Führungsmacht USA auszurufen, das »wiedervereinigte Deutschland« als unfähig darzustellen, wie gleichzeitig ein Engagement zu fordern. Sukkzessive hat bekanntlicherweise auch die BRD alle Beschränkungen diesbezüglich abgeworfen. Zumal es mit der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens die Initiative in Sachen »Mittelmeerpolitik« ergriff ohne Konsultation der europäischen Verbündeten und der USA. Mit dem Asienkonzept der Bundesregierung, das schließlich auch von der EU übernommen wurde setzte sich Deutschland ein weiteres Signal bezüglich deutscher Weltpolitik. Kein anderer Staatsmann besuchte die VR China so oft wie Kohl, was auch Frankreichs Chirac bewog, da schnell nachzuziehen. Während Russland, Frankreich und die VR China bezüglich des Iraks die wichtigsten Partner Hussein in den 90er Jahren wurden, baute die BRD im Nahen Osten vor allem ihre Beziehungen zu der Türkei, wie aber auch dem Iran aus. Der »kritische Dialog« unter Kinkel wurde auch von der neuen Regierung fortgesetzt und stieß auf scharfe Kritik von Seiten der USA, Großbritanniens und Israels. Doch gestalteten sich die Beziehungen der BRD mit der Türkei und dem Iran nicht als störungsfrei. Zumindestens aber werden diese beiden Länder als wichtigste Partner in diesem Gebiet für die deutschen Interessen gesehen und möchte man sich auch keine Option von vorneherein verbauen. Das US-Strategie der doppelten Isolation Iraks UND Irans werden von deutscher Seite als mittel.- und längerfristig als unhaltbar, wie auch schädlich betrachtet und nur ganz bedingt und taktisch auf unterster Stufe unterstützt, um die USA nicht zu offen zu verärgern und sich Sanktionen gegenüber Exporten auf den US-Marktes einzuhandeln. Anders aber als beim letzten Golfkrieg fanden sich nur noch die USA und Großbritannien bereit, den Irak zu bombardieren. Die Besuche Chatamis in Frankreich, Großbritannien und Deutschland – gepaart mit AIRBUSaufträgen gegen die US-Konkurrenz – durchlöchern die Sanktionen der USA weiter, zumal ja andere Staaten wie die Frankreich, Italien, aber auch die VR China und Russland diese weiter unterlaufen, die USA diesbezüglich zunehmend isoliert dastehen lassen.

Die deutsch-türkischen Beziehungen nach dem Ende des Kalten Krieges

Unter der Kohlregierung wurde weiterhin die Türkei als wichtiger NATOpartner behandelt, auch und vor allem in deutschem Interesse. Gelegentliche Verstimmungen in Sachen Menschenrechten kamen zumeist vor allem im Zusammenhang bezüglich Ambitionen der Türkei bezüglich einer EU-Mitgliedschaft auf. Während in den 80er Jahren unter Özal die Türkei zur Demokratie, wenngleich  unter Aufsicht des nationalen Sicherheitsrates, d.h. der Militärs wieder zugelassen wurde, zeichnete sich diese vor allem durch eine neoliberale Politik und außenpolitisch durch ein verstärkte Betonung eines Panturkismus aus, der jedoch mehr verbal blieb, wenngleich sich in den 90er Jahren hierdurch bestärkt Tschetschenen und andere Turkvölker um den Kaukasus bis hin in Mittel- und Zentralasien hierdurch ermutigt fühlten. Jelzin drohte der türkischen Regierung in den 90ern mehrfach recht wütend, dass diese es nicht übertreiben solle, da sonst der »Bündnisfall« eintreten könnte. Auch mit Hinblick auf die Diskussionen um eine NATO-Osterweiterung besserte sich in der Folge die Stimmungslage der russischen Regierung nicht.

Nach Özals Tod 1993 , wurde Demirel Präsident und mit Tansu Ciller erstmalig eine Frau Ministerpräsidentin der Türkei. Diese setzte den neoliberalen Kurs Özals fort , forcierte die Privatisierungen und setzte sich für stärkere Beziehungen mit der EU ein. Im Jugoslawienkonflikt setzte sich die Türkei für Bosnien ein. Die Koalitionsregierung unter Ciller hielt nicht lange und 1995 fanden Neuwahlen statt. Das Erstarken der fundamentalistischen Wohlfahrtspartei und die Hereinnahme von Erbakan als Ministerpräsident in die Regierung, wurde in den NATO-Staaten mit Besorgnis wahrgenommen. Sie betonte mehr die Kooperation mit anderen arabischen Ländern, u.a. dem Iran und Lybien. Die Verträge mit diesen Staaten waren zwar schon Bestandteil Cillers Politik . Infolge wurde eine sogenannte G8-Gruppe arabischer Staaten gegründet, die sich um mehr Kooperation bemühte.  Doch sahen die USA außenpolitisch, wie auch die türkischen Generäle innenpolitisch hierdurch eine Unterminierung ihrer Position – zumal sich letztere ja auch als Garanten des Attatürkschen Laizismus sehen, d.h. einer modernen und westorientierten Türkei. Auf Druck wurde Erbakan aus der Regierung entfernt. Ciller traf der Skandal um einen zeitlich passenden Autounfall, in dem ein türkischer Mafiosi, ein Vertreter ihrer Partei ums Leben kamen. Ob nun zufällig oder nachgeholfen – der Autocrash diskreditierte Ciller zumindestens. Von deutscher Seite wurde die Figur Erbakan zwar nicht unbedingt begrüßt, doch wesentlich gelassener gesehen. Udo Steinbach, Berater und Orientexperte der Kohlregierung äußerte, die BRD könne auch mit einer islamistischen Türkei auskommen. Man solle sich hier nicht zu eindeutig festlegen, da sich die orientalischen Staaten noch in einem »Identitätsfindungsprozeß« befänden, dessen Ergebnis noch nicht feststünde. Zumal habe ja jener Erbakan auch auf deutschen Hochschulen studiert, wie er auch bei einer deutschen »Maschinenbaufirma« tätig gewesen sei, ähnlich wie auch schon führende algerische Islamisten der FIS (laut BND-Kritiker Schmidt-Eenbohm unterstützte der BND die FIS um nach deren 75% Wahlsieg deutsche Interessen zu sichern, nahm nach französischen Protesten und dem Putsch der algerischen Militärs aber schnell wieder davon Abstand). Man solle sich da also nicht unnötig Optionen verbauen und verscherzen.

Auf Druck des Militärs wurde die Koalitionsregierung mit Erbakan als Ministerpräsidenten beendigt, die Wohlfahrtspartei 1998 gebannt und Erbakan Politverbot für vorerst 5 Jahre auferlegt. Die Wohlfahrtspartei reorganisierte sich in Form der Tugendpartei.

Der Konservative Yilmaz mit seiner Mutterlandspartei wurde zum neuen Ministerpräsident ernannt, seine Hoffnungen auf den Konservativen Kohl mehr in Sachen einer EU-Mitgliedschaft der Türkei zu erreichen hingegen nicht erfüllt, was in recht scharfen Tönen in den deutsch-türkischen Beziehungen sorgte. Nachdem Yilmaz rapide an Vertrauen verlor, beauftragte Staatspräsident Demirel schließlich den Sozialdemokraten Ecevit mit der Regierungsbildung, der zugleich neuer Ministerpräsident wurde. Dieser kündigte mehr Engagement in Sachen Menschenrechten an, um eine EU-Mitgliedschaft zu fördern –stieß aber weiterhin auf Ablehnung von Seiten der CDU/CSU/FDP-Regierung, wie auch in Anfängen von Seiten der SPD-/ Grünenregierung.

Die Neubewertung der Türkei seit 1999

Die USA übten schon länger Druck auf die EU und die BRD aus, die Türkei als Mitglied aufzunehmen. Die Neubewertung in Sachen Türkei von Seiten der EU und der BRD hat jedoch nur sekundär mit dem amerikanischen Druck zu tun, sondern ist schon eigene imperialistischen Interessen zurückzuführen. Zudem bedeutet eine Aufnahme der Türkei auf die Aspirantenliste noch lange keine EU-Mitgliedschaft, sondern nur die Inaussichtstellung dieser. Um überhaupt in greifbare Nähe einer solchen zu kommen, muss sie ja erst einmal eine ganze Latte von Bedingungen erfüllen, die zudem auch noch von der EU veränderbar und dehnbar sind. Von daher bleibt zu betrachten, was denn nun die Neubewertung zugrunde liegt.

Wirtschaftlich hat die EU schon über die Zollunion mit der Türkei Profit gezogen. Ebenso unterwirft sich die Türkei recht folgsam den IWF-Programmen und privatisiert schon über 20 Jahre sukkzessive. Ein Zugewinn für die EU wäre ein Mitglied Türkei nicht. Ebenso reichen schon die bisherige Abhängigkeiten, was ja auch immer wieder gerne betont wird.

Arbeitsimmigranten aus der Türkei braucht es nicht und falls wäre dies auch ohne EU-Mitgliedschaft zu bewerkstelligen. Ob Opposition oder Regierung – ein wirtschaftlicher Vorteil wird hier nicht gesehen im Falle einer EU-Mitgliedschaft der Türkei, eher schon ein Problemfall.

Außenpolitisch sind die Feindseeligkeit der Türkei und Griechenlands, vor allem auch bezüglich Cyperns ein weiteres Problem. Die Ankündigung den griechischen Teil Cyperns in die EU zu nehmen, wurde von türkischer Seite recht ärgerlich aufgenommen. Eine Inhoffnungsstellung einer EU-Mitgliedschaft kann hier vielleicht etwas Mäßigung bringen, aber birgt ebenso die Gefahr sich dieses Problem  in die EU zu holen.

Selbst für den Fall, dass die Türkei sich in Sachen Menschenrechten und Kurden »bessern« sollte – wäre dies allein kein hinreichender Grund für eine Mitgliedschaft. Die wirtschaft-lichen Vorraussetzungen, wie es so schön heißt stünden da immer noch dagegen.

Von daher liegt das Motiv der Neubewertung woanders:

Die Türkei hat ihre geopolitische Rolle in den 90ern immens ausgebaut und weiß  damit auch ganz selbstbewusst zu werben:

»Die Türkei ist eine Macht im östlichen Mittelmeer, in der Schwarzmeer-Region und auf dem Balkan. Sie wird zum Energie-Umschlagplatz, von dem aus die Gas- und Ölreichtümer des kaspischen Beckens und das Kaukasus auf dem Weltmarkt befördert werden.« (Ministerpräsident Ecevit)

Weiterhin NATO-Mitglied liefert sie wie gehabt Eingriffsmöglichkeiten in Nahost, Kaukasus und gegenüber Russland, doch ist sie hier auch in eigener Sache recht autonom unterwegs ( so pfiff die NATO die Türkei schon einmal im Konflikt zwischen Armenien und Aserbeidschan bei dem Versuch einer Intervention zurück, die sie in Konfrontation mit Russland hätte bringen können). Über das GAP-Staudammprojekt, das vor allem mittels europäischer Finanzierung  durch den Bau von 22 Dämmen und 19 Kraftwerken an den Flüssen Euphrat und Tigris sowie deren Nebenflüssen Südostanatolien wirtschaftlich »entwickeln« soll. Hierzu wurden Hunderttausende »umgesiedelt«, d.h. in die Slums der Großstädte vertrieben oder dürfen sich nun als billige Tagelöhner auf den Baumwollfeldern der Großgrundbesitzer oder rar entstehenden Industrien verdingen. Außenpolitisch kontrolliert die Türkei mittels des GAP-Projektes die Oberläufe der Flüsse, die für Syrien und Irak lebenswichtig sind, wodurch sei ein geeignetes Druckmittel haben. Syrien unterstützte daher auch die PKK. Die Türkei ist  mit Israel eine Militärkooperation eingegangen, welche Syrien und den Irak so in die Zange nimmt. Aufgrund einer Kriegsdrohung an Syrien distanzierte sich Syrien von der PKK und wies Öcalan aus, der infolge vom türkischen Geheimdienst aus Kenia entführt und vor ein türkisches Gericht gestellt wurde.

Mit der Gründung der G8-Gruppe hat die Türkei mit anderen arabischen Staaten die Kooperation vertieft, wie sie auch mit dem Schwarzmeer-Kooperationsrat federführendes Mitglied eines weiteren regionalen Gremiums ist.

»Die Türkei spielt eine führende Rolle bei der Aufstellung der BSEC (Black Sea Economic Cooperation). Die Idee hinter diesem regionalen Kooperationsschema ist es, eine große Gemeinschaft von Schwarzmeerküstenstaaten und anderen interessierten Balkanländern und kaukasischen Nationen durch wirtschaftliche Joint Ventures und zunehmenden Handel ins Leben zu rufen.« (Türkische Botschaft Berlin).

Insofern auch eine ideale Ergänzung ,bzw. Verlängerung des Stabilitätspakts auf dem Balkan.

Den Bedeutungswandel zeigt sich aber auch in zwei Stellungsnahmen des damaligen und nun ehemaligen Staatssekretärs im Verteidigungsministeriums Rühl. Noch 1992 erklärte er:

»Die mittel der türkei reichen in keinem Fall aus, das ehemals sowjetische Zentralasien auch nur partiell zu organisieren… Zentralasien ist kein raum für türkische expansion und imperiale Spätbauten, wohl aber für eine konzertierte europäische Aktion mit einer türkischen Beteiligung.« (Europa-Archiv 11/1992).

Keine 8 Jahre später ist neuerdings vom selben Rühl zu vernehmen:

»Die strategische Allianz zwischen Israel und der Türkei bestimmt die Sicherheitsbedingungen in der Region. Die Türkei reguliert den Zufluss von Wasser über den Yarmuk aus Syrien in den Jordan und nach Mesopotanien. Es kann also weder eine europäische `Nahostpolitik´oder ´Mittelmeerpolitik´mit arabischen Ländern, geschweige denn eine ´Schwarzmeerpolitik´und insgesamt eine umfassendeÓrientpolitik´der EU ohne, aber noch weniger gegen die Türkei geben« (NZZ v. 13.6.2000).

Ebenso sieht dies auch Schröder:

»Wir können nicht einerseits die strategische Bedeutung der Türkei für Europa immer wieder hervorstreichen, ihr innerhalb der NATO große Lasten aufbürden, sie als wichtigte Regionalmacht hofieren und sie auf europäische Standards verpflichten, wenn wir nicht andererseits auch bereit sind, ihr eine klare europäische Perspektive zu geben, die über eine reine Zollunion hinausgeht.« (Regierungserklärung vom 16.Dezember 1999).

Zum einen ist die Rolle der Türkei gewachsen, zum anderen auch die Macht der EU, die allgemein selbstbewusster gegenüber den USA auftreten und  hier mit den USA um diese Regionalmacht konkurrieren. Dementsprechend ist der Preis heiß, der da zu entrichten ist.

Der Preis ist heiß – Gepoker bis zur Bündnisfrage

Die EU möchte die Türkei wennmöglich ohne EU-Mitgliedschaft anbinden – möglichst billig also. Die USA umgekehrt setzen da dezent hohe Forderungen gegenüber der EU im Sinne der Türkei in Zirkulation, um sich so als eigentlicher Bündnispartner der Türkei zu profilieren und auch für die EU den Preis einer Nutzung der Türkei da in die Höhe zu treiben. Z.B.

Auf der OSZE-Konferenz in Istanbul haben die USA  Ölpipelineprojekte von Aserbeidschan in die Türkei mit beiden Staaten abgeschlossen und gleichzeitig dabei eine EU-Mitgliedschaft und Waffenlieferungen für die Türkei eingefordert.

Zur militärischen Absicherung steht nun eine »Modernisierung« der türkischen Armee an, die deren Schlagkraft immens erhöhen soll. Die Aufforderung von Seiten der USA, wie auch der Türkei an die deutsche Regierung Leopard und andere Waffen zu liefern, wie auch in Richtung einer EU-Mitgliedschaft, sollen hier Unterstützung und Loyalität einfordern.

Die EU möchte zwar die Türkei alternativ anbinden, doch zum einen die Zugeständnisse dafür niedrig halten, zugleich momentan auch Russland nicht erzürnen. Denn Waffenlie-ferungen an die Türkei bergen die Gefahr über Lizenzverträge ganz Zentralasien und umliegende andere Staaten der Region, was schon Russland diesbezüglich erzürnte.

Zunehmend fordert die Türkei nun auch einen Sitz in der  aufzustellenden EU-Armee.

Für den Fall, dass ihr dieser verweigert würde, blockierte sie schon einmal bei der ersten gemeinsamen Sitzung von EU- und NATO-Vertretern ihre Zustimmung bezüglich der Gewährung von NATO-Logistik für zukünftige Einsätze der EU-Armee. Außenminister Fischer nun wiederum bringt die Blockade der Türkei als Drohung und Sachzwang gegenüber den USA und der NATO. Sollte die Türkei weiter blockieren und eine Mitgliedschaft in der EU-Truppe weiterhin hartnäckig fordern, so müsse die EU eigenständige Strukturen ohne die NATO aufbauen. Es sei nun an den USA die durch sie in ihren Begehrlichkeiten angespornte Türkei nun wieder zu zügeln. Sollte sich die Türkei weiterhin wie ein Ebru im NATO-Container aufführen, sei hier mehr in Gefahr. Denn liegt der Preis so hoch, könnte eine EU-Lösung außerhalb der NATO auch nicht viel teurer kommen, ja geradezu ein Katalysator einer unabhängigen EU-Armee werden. Inwieweit die offene Drohung Fischers an die USA die Konkurrenz um die Türkei könne sich zur Bündnisfrage ausweiten, sich für den deutschen Imperialismus und die EU auszahlt, bleibt abzuwarten. Jedoch zeigt die Drohung allein schon, das SPD-Grünen-Deutschland hier äußerst selbstbewusst auftritt, zumal ja auch ein deutscher General einer derartigen EU-Truppe vorsitzt und im Vorfeld vom EU-Gipfel in Nizza – trotz französischer Proteste- durchgesetzt wurde. Und Fischer signalisierte  im Zusammenhang mit der amerikanischen Raketeninitiative schon im vorletzten Jahr eine atomare Option für Deutschland gegenüber dem Big Brother überm Teich:

»Er sagte, Deutschlands Verpflichtung, nicht-nuklear zu bleiben, basierte immer auf unserem Vertrauen, dass die USA unsere Interessen schützen würden, das die USA als die führende Nuklearmacht, eine Sorte von Ordnung garantieren würden (…) Ein drive der USA, eine eigene Raketenabwehr aufzubauen, sagte er, würde dieses Vertrauen erschüttern, sofern er Städte in Europa einem größeren Risiko aussetzen würde als jene in Amerika.« (Fischer in: International Herald Tribune vom 8.11.1999).

So hört sich deutsche Bescheidenheit im Normalitätsfall an. (ro)

Streitblatt Januar 2001

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