Westliche Kundschafter des Friedens inflagranti verhaftet: NATO-Spionage in der Ex-SU zwischen Osterweiterung, demokratischer Wühlarbeit und Militärspionage

Westliche Kundschafter des Friedens inflagranti verhaftet: NATO-Spionage in der Ex-SU zwischen Osterweiterung, demokratischer Wühlarbeit und Militärspionage

Nachdruck aus der Studentenzeitschrift Streitblatt Nr. 13 Januar 2001

Wenn russische, weißrussische oder ähnliche »Oligarchensysteme« westliche Menschen unter Spionageverdacht festnehmen oder gar anklagen, so werden diese Akte erst einmal als »Willkür«, »Mangel an Rechtsstaatlichkeit«, «Verletzung des Menschenrechts«, »Provokation« und ähnliches westlicherseits verbucht. Zugestanden wird, dass es natürlich  prinzipiell Geheimdienste als Instrumente der Außenpolitik gibt, ja auch konkrete Spione, nur in diesen Fällen dann mal wieder nicht. Erst wenn die Tarnung als Geschäftsmann, Tourist, Künstler, Reporter oder was sonst noch als Legende dient auffliegt, wird immer noch hartnäckig versucht zu leugnen, um sich im ungünstigsten Falle der Nachweisbarkeit dann aber doch wieder auf die Legitimation des Prinzipiellen zu berufen. »Ohne Auftrag«, »eigenwillige Handlungen«, »unauthorisierte kommerzielle Aktivitäten«, u.ä. sind da noch weitere Leugnungsartikel auf der Optionenskala, denn derart feindliche Akte können ja beizeiten zu kurzzeitigen zwischenstaatlichen Verstimmungen führen, ja unter gewissen Umständen auch zu diplomatischen Krisen auswachsen. Dies ist bei den vorweihnachtlichen Spionageaffären um Russland und Weißrußland nicht geschehen, doch illustrieren derartige Fälle die Aktivitäten und Zwecke der »offenen Gesellschaftssysteme« der NATO recht gut.

Russland: Der Fall Kursk, Edmund Pope und die Humanität der NATO

Dass Russland ein Obervolta mit Atomwaffen sei, wird genüsslich und siegesbetont von NATO-Epigonen desöfteren vermeldet. Kriegen ökonomisch und demokratisch einfach so nix auf die Reihe, diese slawischen Neger auch! Nur bei der Miltärtechnik geniesen die Russen da immer noch einiges an Hochachtung , da sie in diesem Bereich noch über Schätze verfügen, die sich zuweilen noch als Exportschlager auf Waffenmessen sehen lassen können und auch der Westen  gerne in Besitz hätte – Urheberrechte und geistiges Eigentum da mal hin oder her. Paradebeispiel hierfür ist der sogenannte »Shkval-Torpedo«, welcher mittels Kaviationstechnik mit mindestens 360 Stundenkilometern eine etwa viermal höhere Unterwassergeschwindigkeit als die derzeit besten Torpedos der Nato erreicht. Lange Zeit als Phantasiegeschöpf belächelt, als sowjetische »Karpfenteich-V2«, vermerkte das britische »International Defense Review 1995« jedoch, dass die Gerüchte doch stimmen könnten, zumal Moskau sich bei der Waffenmesse Idex 95 mit einem Prototypen vorstellte. Als dann 1998 vierzig dieser Torpedos an die VR China geliefert wurden und Russland auf der Idex 99 eine Exportversion ausstellte, war klar, dass der( in dieser Technologie rückständige) Westen umgehend Zugriff auf dieses Schatzkästchen haben wollte. Doch blieb dies verschlossen.

Vor diesem Hintergrund erscheint auch die westliche Empörung um das untergegangene russische U-Boot Kursk nun in neuem Lichte:

»Inzwischen sind alle diesel- und atombetriebenen russischen U-Boote mit »Shkval«-Torpedos ausgerüstet. »Kursk« soll mit 28 solcher Torpedos ausgerüstet gewesen sein.

Die neuesten »Shkval«-Torpedos sollen eine Geschwindigkeit von bis zu fünfhundert Stundenkilometer erreichen. Bei der Erprobung der neuesten »Shvkal« soll die »Kursk« nach Auffassung amerikanischer und britischer Marinefachleute untergegangen sein. Das würde erklären, warum russische Militärs in den ersten Tagen alles unternahmen, um westliche Bergungsteams von der Unglücksstelle fernzuhalten. Ein von der »Shkval« aus wenigen Meilen Entfernung angegriffenes Nato-U-Boot wäre zerstört, noch ehe die Aufklärungssysteme den Angriff gemeldet hätten. Deshalb ist es weiterhin ein vorrangiges Bestreben aller Nato-Staaten, die Geheimnisse der in der Welt einzigartigen »Shkval« (..) zu lüften«. (FAZ v. 8. Dezember 2000).

Galt doch der »Fall Kursk« von BILD bis SZ als Beweis exemplarischer Unmenschlichkeit von russischem Militär, des »oligarchen Systems« und des neuen Mannes Putin (»eiskalt«, »zynisch«). Dieser kaltblütige Menschenschlag verhindere aus Machtzynismus und mangelnder Humanität  den Zugang für westliche Menschlichkeits-Hightech zur Rettung der Matrosen aus einem militärtechnischen »Schrottkübel«  .

Da aus diesen »verstrahlten Rostlauben« und» schwimmenden Särgen« bestenfalls noch Menschen zu bergen seien , sei das westliche Interesse( wie schon bei den »Balkankriegen«) ein rein humanitäres. The West, the best mal wieder in Menschlichkeit hier – — die russische Führung als Hort slawischer Despotie und Unmenschlichkeit mal wieder dort. Unterbundene Militärspionage? »Wir« doch nicht!

(Westliche Bergungsversuche  russischer Atom-U-Boote hat schon eine lange Tradition. Nachzulesen z.B. in:  »Die Operation Jennifer«, Fischer-Verlag. Oder andeutungsweise in: »Auf der Suche nach Atlantis« (dtv). Schon 1967 wunderte sich da  ein maritimer US-Forscher, der mit einer vom US-Marineministerium gesponserten Crew im Mittelmeer Atlantis entdecken wollte, dass seine Mannschaft da ungefragt plötzlich ganz anderweitige Aktivitäten in Sachen trojanischer Pferde entwickelte).

Klappte es nicht zu Wasser, so versuchte man es zu Lande. Scheinbar ebenso wenig mit Erfolg. Die Verhaftung des Amerikaners Edmund Pope, der Blaupausen des Russentorpedos kaufen wollte, erregte kurzzeitig Protest. Ein ehrbarer Geschäftsmann mit Privatinitiative, halt ein wenig überaktiv- diese erste Version wurde schon bald revidiert angesichts des Lebenslauf des Businessman und ergänzt um ein nicht ganz unwesentliches Detail: »ein pensionierter Mitarbeiter des amerikanischen Marinegeheimdienstes« (FAZ v. 8.12.2000). Aber halt pensioniert. (»Das Tonband zerstört sich in 5 Minuten …« oder wie heißt es sonst bei »Kobra, übernehmen sie« oder ähnlichen Filmmachwerken).

Wohl Business as usual und beide Seiten wollten den Fall auch nicht weiter aufbauschen.

Doch wäre es zu kurz gegriffen, den Fall Kursk lediglich unter dem Aspekt der Militärspionage zu sehen. Denn hier geht es auch um einen Testfall in Sachen, wieviel an Eingriffen westlicherseits sich Russland in seine Souveränität (auch wenn als Hilfsangebot und humanitärer Einsatz betitelt) gefallen lässt. In diesem speziellen Fall: Ein Testballon auch in Sachen Russlandpolitik der NATO, z.B. in der Ostsee. Hier ist einige Bewegung zu verzeichnen, wobei auch der deutsche Imperialismus bei der »Ostsee-Kooperation« sehr aktiv ist. Schweden will seine Neutralität aufgeben und auch in Finnland gibt es angesichts NATO-Osterweiterung nun Überlegungen über deren Implikationen. So titelte die FAZ:

»Wieviel Rücksicht, wie viel Wagnis?“Der Westen, Europa und die Politik Russlands an der Ostsee-

Wo anders kann man Russlandpolitik besser studieren als in Finnland? Außenpolitische Debatten sind dort Debatten über die Rußland-Strategie. Die jüngste Auflage lieferten die provozierenden Erinnerungen Alpo Rusis, des außenpolitischen Beraters Martti Ahtisaaris, der bis vor wenigen Monaten Präsident des Landes war ( – und: EU-Unterhändler im Kosovokrieg, die streitblatt-Red.). Rusi beschuldigt darin die Traditionalisten der finnischen Politik, den Atlantikern bei dem versuch den sicheren Hafen des Westens anzusteuern, das Leben schwer zu machen. Ahtisaari, der Atlantiker, hatte mit der Linie seines Vorgängers, des Traditionalisten Koivisto, gebrochen, unter allen Umständen Rücksicht auf Russland zu nehmen und eine Westbindung nur unter Vorbehalten zuzulassen. Beide Lager führen den kampf nicht erst seit gestern (…) neuerdings ist daraus eine europäische Angelegenheit geworden, und das nicht nur, weil Finnland EU-Mitglied ist. Rusis Anklagen lesen sich wie eine Parabel auf das Dilemma Europas im Umgang mit der Großmacht im Osten: Wieviel Rücksicht, wie viel Selbstbewusstsein, wie viel Wagnis darf es sein? Die Suche nach einer Antwort weicht meistens der Frage aus und landet in der EU bei der Parole, Russland zu umarmen oder, wie es in der Sprache der Diplomaten heißt: einzubinden. Allerdings stellt man fest, dass auch bei innigster Umarmung unterschiedliche Interessen nicht verschwinden wollen (…) gegenseitiges Misstrauen ist das Ergebnis Die Westeuropäer suchen die Schuld für ihren verletzten Idealismus bei Russland, Russland wirft der EU Heuchelei vor, und die Osteuropäer trauen beiden Seiten nicht. Das war auch bei einer Begegnung von Politikern, Diplomaten und Wissenschaftlern aus Finnland, dem Baltikum und aus Russland in Helsinki zu spüren, die vom Außenpolitischen Institut Finnlands, vom Institut für Europäische Politik sowie von der Konrad-Adenauer-Stiftung eingeladen worden waren, die Partnerschaft des Westens mit Russland unter die Lupe zu nehmen. Zwei Welten redeten miteinander, deren kleinster gemeinsamer Nenner das Fazit eines russischen Diplomaten war: »Noch ist nichts verloren«.« (FAZ v. 8.12.2000)

Tja, soviel wie erwünscht ließ sich da Russland noch nicht gefallen.

Russland c/o Weißrußland –  Slawische Kooperation contra NATO- Spionage im Dienste demokratischer Wühlarbeit

Dass der weißrussische Präsident Lukaschenko für westliche Belange ein Despot ist und eine gescheite Demokratisierung mal gebrauchen könnte, das ist für die Wertegemeinschaft der NATO-Staaten eine klare Sache. Nachdem nun Milosevic abgeräumt ist mit freundlicher militärischer und ziviler westlicher Unterstützung, läuft die Sanduhr Lukaschenkos nun erst recht. Militärisch einzugreifen verbietet sich jedoch – das würde Russland gewiss nicht mehr hinnehmen, zumal ja da auch noch eine »Slawen-Allianz« eingegangen wurde. Zumal Lukascheko zwar ein Despot ist, sich die Menschenrechtsverletzungen aber im Vergleich zu »Balkanien« und »Absurdistan« (Scholl-Latour) in Grenzen halten. Während da die OSZE-Mission in Minsk von deutscher Seite von Ex-BND-Chef Wieck betreut wird, die Opposition  ihre Logistikunterstützung aus Polen erhält , dort auch Hinterlandsfilialen unterhält, sowie von Radio Liberty/Radio Free Europa aus Prag sekundiert wird, ist nun eine weitere Zentrale in Sachen »Systemtransformation« ins Blickfeld gerückt: Das Marshall-Centre der NATO in Garmisch-Partenkirchen. Ein Professor dieser Institution wurde nun aus einer Vorlesung in Moskau vom russischen Geheimdienst herausgeholt und den weißrussischen Behörden überstellt – so gut funktioniert die »slawische« Geheimdienstzusammenarbeit. Nun soll er wegen Spionagevorwurfs vor Gericht gestellt werden. Anfängliche und obligatorische Dementis des Marshal-Centres sind inzwischen recht kleinlaut geworden. Während sich die Familie des Inhaftierten  »naturgemäß« für ihren Ernährer einsetzt, nichts von einer Agententätigkeit des Familienoberhaupts gewusst haben will, wurde von Seiten der NATO-Institution eingeräumt, dass der Herr Professor möglicherweise doch als Spion gearbeitet habe. Vorwürfe in Richtung »Freiheit der Wissenschaft« oder der »Meinung« wurden  nicht einmal versuchsweise angetestet.

(Ein Professor als Spion – das sollte nicht verwundern: Schon im Falle des Professor Adler an der LMU wurde in der SZ publik, dass der gute Mann für den BND gearbeitet hatte. Das gerade aufgelöste Ost-Institut, wie auch das Südost-Europa-Institut zu München galten ja nicht nur als Hans-Seidl-Stiftung-/ CSU- sondern auch als BND-nah).

Auffälligerweise lobte Lukaschenkow nun Deutschland für seine »korrekte Handhabung« des Falls. Will wohl heißen, dass der weißrussische Präsident momentan auch kein Interesse hat, die Sache hochzuschaukeln und sich möglicherweise auch fest im Sattel wähnt. Möglicherweise hat auch BND-Präs. a.D. und zu Minsk Hans-Georg Wieck mittels OSZE-Büro da vermittelnd interveniert.  Zumindestens kann ein/e Studi daraus lernen, dass auch einige der Herr oder Frauen Professor da Nebenverdienstmöglichkeiten nachgehen, die sich der Vulgärgeschmack nur als »Mission Impossible« zu Gemüte führt. Aber die meisten dürften das ja auch noch als ganz spannend und toll befinden.

VR China – Die Tiananmen-Papers – Zubringer im Innersten oder Spionage?

Im Januar 2001 wird in westlichen Medien lanciert, dass internste Diskussionen der Führungsspitze des Politbüros der VR China, wie auch der Militärkommission aus dem Jahre 1989  in Form sogenannter »Tiananmen-Papers« vorlägen, die als echt befunden worden seien. Nun ist die Tatsache, dass es in der chinesischen Führung da zwei Linien und heftige Konflikte gab, keinerlei etwas Neues. Darüber wurde schon 1989 berichtet, zumal auch angebliche Geheimreden veröffentlicht (z.B. Geheimrede Yang Shangkuns in Rowohlt- oder Fischerverlagspublikationen oder wie immer in Hongkongs »gutinformierter Presse«).

Von daher ist der Inhalt dieser Papiere gar nicht das Wesentliche. Die Detailiertheit der Ausführungen, wie auch der Verweis, dass diese aus dem Innersten stammten, soll wohl eher ein Wink sein, dass in höchsten Etagen da Zubringer sind, wie auch die jetzige Führung da nicht unbeobachtet sein könne, nicht mehr so intern sei, wie auch da möglicherweise verschiedene Fraktionen sich da für anstehende Machtkämpfe für die Nachfolge der abtretenden Führungsgeneration im Jahre 2002  schon mal vorbereiten.

Die Absetzung des Chefs des chinesischen Militärgeheimdienstes wird da auch schon in exilchinesischen Demokratieblättern als richtungsweisend dargestellt.  Einiges scheint im Gange: Sondersitzungen nach dem Sturz Milosevic, wie auch die Kontaktaufnahme zur deutschen SPD seitens der KP China, institutionelle Änderungsvorschläge von Seiten des 2002 zurücktretenden Staatspräsidenten und Generalsekretärs der KP China (sowie Mitglied der Militärkommission) Jiang Zemins und nun die sogenannten Tiananmen-Papers. Ob diese nun lanciert wurden, um damit besser Opponenten als Spione labeln zu können, oder aber um Paranoia in der KPChina auszulösen oder aber wirklich Zubringer in dem Innersten der macht haben — aufwühlende Wirkung hat die Offenlegung dieser Spionageaktivität auf jeden Fall im Reich der Mitte.

(Ankündigung: Im Streitblatt 14 mehr und detailierter über die VR China)

Richard Ohnesorg

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