Was ist die Lehre vom Hindukusch, wo Deutschland zuletzt verteidigt wurde?

Was ist die Lehre vom Hindukusch, wo Deutschland zuletzt verteidigt wurde?

Wir empfehlen einen Text vom ehemaligen deutschen Botschafter in Afghanistan, Dr. Hans- Ulrich Seidt, den wir aus urheberrechtlichen Gründen nicht nachdrucken dürfen:


„Irrwege am Hindukusch: Ursachen und Folgen des
westlichen Scheiterns in Afghanistan (2001–2021)

Hans-Ulrich Seidt
Eingegangen: 7. Dezember 2021 / Angenommen: 3. März 2022
© The Author(s), under exclusive licence to Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von
Springer Nature 2022

A N A L Y S E
https://doi.org/10.1007/s12399-022-00889-6


„Zusammenfassung Am 15. August 2021 marschierten die Taliban in Kabul ein.
Mit ihrer Machtübernahme war die von den USA geführte, westliche Intervention
am Hindukusch gescheitert. Politische Fehlentscheidungen, die Unterschätzung stra-
tegischer Faktoren und verdeckt wirkende Dritte hatten die Interventen auf Irrwege
geführt. Der Reputationsverlust der USA und der NATO ist unübersehbar. Die un-
mittelbaren Folgen des Scheiterns treffen die Europäische Union.“

Während sehr akribisch die politischen Fehlentscheidungen des Westens, das Hereinspielen vieler Regional- oder Großmächte, wie auch die islamistische Szene bestens analysiert wird, so ist doch die Konsequenz im Ausblick eher, dass man sich vom Werteliberalsimus ín der Außenpolitik und zu utopischem Idelaismus verabschieden sollte, zwar fast unhinterfragbar richtig, aber nicht differenziert genug.

Da wir den Artikel nicht reposten dürfen, hier unsere ersten Kommentierungen und die Diskussion mit Dr. Seidt:

„Wir fanden sehr gut dass da sogenannt politische „Fehlentscheidungen“wie die Axis of Evil zentral ausgemacht wurde, die weit über das War on Terrorprojekt rausging ,das ja schon Scholl Latour wiederum selbst als fragwürdig ansah. Für uns ist die Hauptursache, dass man keine asymmetrischen oder Guerillakrieg gewinnen kann. Nennen Sie mir bitte Gegenbeispiele? Außer dem Maumauaufstand und den Briten in Malaysia fällt mir dazu nichts ein. Welcher Guerilla- oder asymetrische Krieg wurde denn je gewonnen, zumal selbst Kissinger angesichts seiner Vietcong- und Vietnamerfahrung  dazu sagt: „Eine Guerilla muss nur nicht verlieren, aber auch nicht gewinnen, aber ihre Zeit aussitzen“. Hinzu kommt ,dass man zwar Brunnen bohrte und hier und da Mal eine Straße außerhalb Kabuls baute, vor allem aber wegen militärischen Gründen, aber nichts wie eine Neue Seidenstraße wie die Chinesen hatte und man  jetzt auch bei Biden’s B3W und der EU-Global Gateway eine strategische Konzeption wichtig ist für die Zukunft.

Der „ Ausblick“ und die Quintessenz des Artikels: Der Afghanistaneinsatz ist gescheitert durch den Werteliberalismus des Westens, der an dieses Land unrealistische, gar utopische Ziele formulierte. Das ist auch unhinterfragt richtig, aber nicht differenziert genug. Zweierlei: Es gibt ja zwei Sorten von Kritikern des Afghanistaneinsatzes und der Petersburger Konferenz. Die einen meinen, die Petersburger Konferenz habe nicht genug demokratische Werte verfolgt , da Sie nur die einzelne politische Führer,  Loya Dhirga der Stammesfürsten ,die Warlords und dubiose Figuren als Hauptstütze hatte  und keine Sorte westliche Parteien zuliess und  diese hätte lieber Minirocktragende Oberschichtenkabulerinnen der 70er Jahre der Daudära und des eigenen Hippietralis der 68er als Messlatte für das doch auch ohne Taliban mehr verschleierte oder gar Burkatragende Afghanistan rangelegt  und jetzt die über „nur“ Demokratie, Rechtsstaat, Frauenrechte jetzt dazukommende LGBT*IQ-Messlatte , die jetzt feministische Aussenpolitik und Queerszene auch noch als neue Masstäbe hinzufügen wollen.  Ja, sehr nobel und wir wollen das auch von der gutgemeinten Motivation nicht verdammen, aber ist es nicht eine überzogene und unrealistische Erwartung? Die andere Position ist, dass man zuviel werteliberale Massstäbe anlegte. Da hat Dr. Seidt völlig recht. Stellen wir uns mal vor die US Army wäre im Mittelalter in Deutschland einmarschiert zwischen Katholiken, Müntzer und Luther und dem feudalistischen Fleckenteppich der Fürsten samt der involvierte ausländischen Kräfte- -wäre da eine funktionierende rechtsstaatliche Demokratie wie die BRD als Adenauer  rausgekommen, der ja auch die Altnazis bändigen musste? Wir reden ja auch immer über verschiedene Gesellschaften und dass Agrargesellschaften  und dass diese und ja selbst schon osteuropäische Gesellschaften  euphemistisch in Ex- Putin- und Gazpromberater Sascha Rahrschen Sinne eher „wertekonservativ“ sind, wird bei den unterschiedlichen Entwicklungs-und Bedürfnispyramiden zwischen Gesellschaftssystemen da gelinde übersehen. Das war auch der Fehler der Petersberger Konferenz und des Loveparade-Deutschlands, den Dr. Seidt völlig richtig heraustellt .Umgekehrt hätte eine sogenannt rein realpolitische, den Status Quo hinnehmende Politik ebenso ein Erstarken des Islamismus bedeutet. Aber wie auch immer, es fehlte auch an der Überzeugung der ökonomischen win-winsituation mittels eines damals noch nicht vorhandenen Biden- B3W oder EU- Global Gateways in Afghanistan, kurz, dass man ganz graduelle gesellschaftliche und politische  Reformen gepaart mit ökonomischer Verbesserung außerhalb Kabuls und punktuellen und symbolischen Brunnenbohrens und der einen oder anderen Mädchenschule und Straße für Militär  planvoll und strategisch in Szene hatte setzen können.

Man kommt sich bei all diesen wohlgemeinten Kriegen von Vietnam bis Irak bis Afghanistan, auch der Russen immer wieder an den Roman „The Ugly American“ erinnert, in dem ein amerikanischer Botschafter geschildert wird, der sich nur mit den Eliten des Landes umgibt, in der Botschaftsbar mit ausgesuchten Journalisten herumsitzt, wie diese heute allgemein embedded werden und diese mit Nachrichten füttert, keine Landes- oder gar Sprachkenntnisse hat, mit der Bevölkerung einen Kontakt unterhält und seine neuesten Lageberichte nach Washington zurückmeldet, während ein eifriger Entwicklungshelfer, der über alle Qualitäten über die der US- Botschafter nicht verfügt, die Lage in Vietnam richtig beurteilt, aber nicht gehört wird. Dieses Buch führte bei Kennedy zu einem Umdenken, der nicht wie Johnson Hunderttausende US- Truppen nach Vietnam senden wollte, sondern die Green Berets und das Peace Corps gründete. Aber genutzt hat es auch nicht viel. Nachdem er weggepustet war, zeigte sich dann der Ugly American, wie der Ugly German und Ugly Russian in all diesen Ländern. Und auch die Sowjets oder Putin könnte nun einmal ein Buch wie „The Ugly Russian“ lesen, wenn es denn herausgegeben würde, da sie nichts daraus gelernt haben. Soweit zur Lernfähigkeit des Imperialismus. “

Dr. Seidt meinte darauf:

„Nun zu Ihrer Frage: Wie gewinne ich einen Krieg gegen eine Guerilla- oder besser: eine Partisanenbewegung? Sicher nicht so, wie vom Westen oder der SU in AFG versucht. Bestes Mittel dürfte sein, „den Teufel mit Belzebub auszutreiben“. Also selbst eine Guerilla zu lancieren, die noch radikaler agiert.

Die von Ihnen genannten, meistens von Briten aufgeführten Beispiele einer erfolgreichen Partisanenbekämpfung, nämlich Mau Mau und Malaysia, sind m.E. nicht zutreffend.

Zu Mau Mau: Ich war in Kenya von 1989 bis 1991 auf Posten und habe mich damals mit der Mau Mau Geschichte befasst. Es handelte sich um einen regional beschränkten Aufstand der Kikuyu gegen die weißen Siedler im kenianischen Hochland. Eine merkwürdige Verbindung von antikolonialistischer Bewegung und magischer Religiosität. Am Ende mussten die Briten Kenya in die Unabhängigkeit entlassen, nachdem sie einen Deal mit den einflussreichsten Kikuyu-Politikern um Joma Kenyatta gemacht hatten, die den größten Teil des britischen Farmlandes übernahmen, einige reiche Siedler im Lande akzeptierten und die Masse der armen Kikuyus wieder unter ihre Kontrolle brachte. Militärisch war der Mau Mau Aufstand nicht besiegt, sondern politisch beendet worden.

Malaysia war ein Sonderfall, weil als Halbinsel im Anti.Guerillakampf systematisch zu durchkämmen und gegen interessierte Dritte abzuschotten. Hinzu kam, dass die kommunistische Guerilla vor allem von Chinesen getragen und geführt wurde, die ein Fremdkörper in der malayischen, muslimischen Bevölkerung waren. Die kleinen Sultane der Malayen kollaborierten mit den Briten und erledigten mit ihren Gefolgsleuten die von Chinesen geführten Kommunisten.

Das ist natürlich alles sehr holzschnittartig beschrieben, dürfte aber insgesamt die Lage zutreffend zusammenfassen: Ohne wirksame lokale Unterstützung kein Erfolg gegen eine Guerilla, die von der Landbevölkerung getragen wird. Die vielbeschworene afghanische Zivilgesellschaft, eine vergleichsweise sehr kleine Zahl westlich geprägter Stadtbewohner, war keine Unterstützung sondern manchmal sogar eine Belastung im Kampf gegen die radikal-islamischen Kräfte der Taliban.“

Unsere Antwort: „Wir dürfen Sie dann aber auch nochmals erinnern ,dass wir Ihnen gegenüber genau das vorgeschlagen habe, nämlich „den Satan mit dem Beelzebub“ ,in Form eines afghanischen Müntzers auszutreiben, was Sie damals ablehnten und mehr italienischorientierte Polizeiformationen vorschlugen. Heute gibt es da die nächste Spektrumsverschiebung, da die Müntzerfraktion jetzt der Islamische Staat im Gegensatz zur Taliban einnimmt. Aber es geht es jetzt nicht um Rechthaberei. Man darf gespannt sein, wie die Chinesen mit ihrer Neuen Seidenstraße und die Russen mit den Taliban zurechtkommen wollen, nachdem sich der Westen rausgezogen hat. Die Chinesen und Russen haben zwar keinen Werteliberalismus, die Russen ökonomisch nichts, was sie anbieten könnten, die Chinesen ihre Neue Seidenstrasse, in die sich die Taliban einordnen sollen.We wish our successors good luck and a happy time.

Wir empfehlen auch, dass man sich aus militärischen Engagement in Agrargesellschaften zurückhält, wie Dr. Seidt richtig meint, keine zu werteliberalen Ziele da verfolgt und auch eine strategisches, konzeptionelle und ökonomisches Neue Seidenstrassenprogramm haben sollte, das heart and mind und den Geldbeutel nicht nur der korrupten Stadtelite gewinnt, sowie politisch nur graduelle Reformen anregen. Aber selbst dann kann man scheitern und momentan gilt die Aufmerksamkeit ja mehr dem Ukrainekrieg, Russland und China, aber man sollte den islamischen und afrikanischen Gürtel darüber hinaus nicht vergessen, wenngleich seine militärischen Kräfte darin nicht versenken. Aber jetzt haben wir es weniger mit Guerilakämpfen zu tun, sondern mit Großmachtskonflikten, bzw. die Russen, die scheinbar nichts aus Afghanistan gelernt haben, wie dies DR. Seidt meinte, nun mit der asymetrischen und Guerillakriegsführung in Mariupol und der Ukraine konfrontiert sind. Der deutsche Hindukusch und Afghanistan 2.0 spielt sich heute in der Ukraine ab, aber die Ukrainer sind die Mudjahedin und Taliban.

.Zudem soll man neuerdings nicht mehr den polnischstämmigen US-Präsdentenberater und US-Geostrategen Brzezinski zitieren, der damals den Ukrainekrieg vorwegnahm, nachdem er die Sowjetkommunisten in die „afghanische Falle“ lockte und dessen Sohn Mark US-Botschafter in Polen wurde, während sein anderer Sohn Ian für US-Think Tanks die stratgeische NATO- Vorschläge gegenüber Russland und China entwickelt. Zusammen mit „Fuck the EU“- Victoria Nuland und den Kagans ein eingestammtes Team des US-Imperialismus. Aber hier noch O-Ton Brzezinski und wie er die Ukraine als „Dreh- und Angelpunkt der amerikanischen Vorherrschaft“ sah:

„Eurasien ist somit das Schachbrett, auf dem sich in Zukunft der Kampf um die globale Vorherrschaft abspielen wird (…) Nichtsdestoweniger werden die Russen schließlich begreifen müssen, dass Russlands nationale Selbstfindung kein Akt der Kapitulation, sondern der Befreiung ist (…) Trotz seiner Proteste wird sich Russland damit abfinden, dass die NATO-Erweiterung 1999 mehrere mitteleuropäische Länder einschließt (…) Im Gegensatz dazu wird es Russland unvergleichlich schwerer fallen, sich mit einem NATO- Beitritt der Ukraine abzufinden“

Denn:

„Man kann gar nicht genug betonen, dass Russland ohne die Ukraine aufhört, ein Imperium zu sein, mit einer ihm untergeordneten und schließlich unterworfenen Ukraine aber automatisch ein Imperium wird.“ (Brzezinski, NZZ, 29.10.99)

Jedenfalls scheint es interessant, dass Brzezinski die Sowjetuinion in“die afghanische Falle“ und perspektvisch danach in die „ukrainische Falle“ lockte, um sie von ihrem Imperiumsdenken zu kurieren und dem US Empire da volle Geltung zu verschaffen. Aber Brzezinski sah da wie die Polen Putins Reaktion besser vorraus als der Rest- Westen, ja nutzte dies auch. Jedenfalls bleibt abzuwarten, ob die Ukraine Afghanistan 2.0 wird, da die ukrainische Armee und ihre Befehlshaber doch grosse Städte und auch eine konventionelle Armee haben, die neben der Guerillaarmee operiert.Zudem die CIA befürchtet, dass Putin Atomwaffen gegen die Kiewer Zentrale einsetzen und den ukrainischen Widerstand quasi enthaupten könnte. Aber unklar, ob er das machen wird und ob das dann auch schon das Ende wäre.

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