Kybernetische Wende, Akzelerationismus und digitaler Totalitarismus- ist eine demokratische, dezentrale Planwirtschaft und neues Gesellschaftssystem mit den IT- Technologien möglich?
Angesichts der immer zerstörerischen Anarchie zwischen Nationalstaaten und des Kapitalismus, angesichts des Gefühl der weltweiten und nationalen Unordnung, kommen wieder alte Diskussionen nach einer neuen multipolaren Weltordnung, die alles regeln könne auf und speziell im Falle der gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Unordnung ein Ruf nach neuer Ordnung mittels des Einsatz von Hitech und Digitalisierung. Alte Diskussionen kommen wieder auf: Ob man eine kybernetische Wende des Systems herbeibekommen könne, ob eine Planwirtschaft kommunistischen Stils eher an den damaligen fehlenden technologischen Vorrausetzungen scheiterte und diese nun dezentral, demokratisch mittels den neuen sozialen Medien und IT-Technologien eine dezentrale, demokratische Planwirtschaft herbeigenerieren könne oder als Dystopie als zentralcomputergesteuerter Neototalitarismus ala China und seinem sozialen Bonussystem oder wie Global Review ihn auch mal als grausiger Zukunft in der Ökofiction „ Ökocaust- The New Green World Order“ mit seinem fiktiven Sillicon Valley affinen Protagonisten Steve Green andachte:
Zumindestens gab es in der Jungle World einen wenngleich oberflächlichen und mehr nostalgischen Artikel zu Salvadors Versuche einer dezentralen, demokratischen, arbeiterrätemässigen kybernetischen Planwirtschaft, die es aber auch nicht vertiefte und scheinbar auch nicht vertiefen wollte:
„Wie Chile mit Hilfe der Kybernetik eine demokratische Planwirtschaft aufbauen wollte
Alle Macht den Menschen
Vor 50 Jahren stellte der britische Kybernetiker Stafford Beer dem sozialistischen Präsidenten Chiles, Salvador Allende, das Projekt Cybersyn vor. Es sollte zum Aufbau einer demokratischen Planwirtschaft beitragen.
Von
Álvaro Garreaud und Nils Brock
»Was Sie heute hören werden, ist revolutionär – nicht nur, weil es zum ersten Mal in der Welt angewandt wird – es ist revolutionär, weil wir uns bewusst darum bemühen, den Menschen jene Macht zu geben, die uns die Wissenschaft ermöglicht, und sie in die Lage zu versetzen, sie frei zu nutzen.« So beginnt ein Redemanuskript des britischen Kybernetikers Stafford Beer (1926–2002), mit dem er 1973 ein ambitioniertes Projekt einweihen wollte: Cybersyn. Auf Einladung der sozialistischen chilenischen Regierung unter dem 1970 gewählten Präsident Salvador Allende sollte Beer ab 1971 im Land eine Art Internet aufbauen, um die staatliche Produktion besser zu koordinieren – und das mit nur einem Zentralcomputer.
Von der zweijährigen Entwicklungs- und Testphase bekam die chilenische Bevölkerung nicht viel mit, und die Idee von Cybersyn (in Chile selbst Synco genannt) blieb weitgehend unverstanden. Die putschenden Militärs, die angeführt von General Augusto Pinochet am 11. September 1973 den Präsidentenpalast bombardierten, waren irritiert, als sie dort ein seltsames, futuristisch anmutendes Büro entdeckten, den Kommandoraum des Projekts. In den folgenden Jahren führte die Diktatur einen wahre Zerstörungsfeldzug, um alle Erinnerungen an die Regierung Allendes zu beseitigen. Damit geriet auch Cybersyn in Vergessenheit.
Nach und nach nahm in Chile unter der sozialistischen Regierung Salvador Allendes ein Kommunikationssystem Gestalt an, das in Echtzeit Informationen aus staatlichen Fabriken liefern sollte.
Seit den fünfziger Jahren wetteiferten die Sowjetunion und die USA auf dem Feld der Kybernetik. Die kybernetische Forschung zielte darauf, selbständige Regelungs- und Steuerungssysteme zu entwickeln. Dafür wurde Wissen aus Biologie, Informatik und Mechanik, aber auch aus den Geisteswissenschaften eingesetzt. Während die Forschung in den USA sich vor allem militärischen Fragen widmete, war sie in der Sowjetunion angehalten, die Herrschaft des Einparteienstaats effektiver zu gestalten.
Der sozialistischen Regierung Chiles ging es hingegen um die Verwirklichung einer technologische Utopie: Die Bevölkerung sollte als kollektives Subjekt befähigt werden, Entscheidungen zu treffen. Das war noch nie zuvor versucht worden und es gab nicht all zu viele Personen, an die die Regierung sich mit dieser Idee wenden konnte. Ganz oben auf ihrer Liste stand der Name Stafford Beer.
Beer hatte Ende der fünfziger Jahre die sogenannte Organisationskybernetik entwickelt. Diese stützt sich auf Ähnlichkeiten zwischen biologischen und sozialen Systemen und versucht, zentrale und dezentrale Entscheidungsprozesse in ein Gleichgewicht zu bringen. Seine Bücher »Cybernetics and Management« (1959) und »Decision and Control« (1966) hatten ihn zu einem gefragten Berater von Großunternehmen und britischen Politikern gemacht. Er fuhr mit Vorliebe Rolls-Royce und residierte in einem großen Haus in West Byfleet im Speckgürtel Londons.
Dort erreichte ihn Anfang 1971 ein Brief aus Chile. Der Absender war Fernando Flores, ein junger chilenischer Ingenieur. Allende hatte Flores mit 28 Jahren zum Generaldirektor der Corporación de Fomento de la Producción (Corfo) ernannt, einer Behörde zur Förderung der Industrieproduktion. Flores war mit Beers Werk bereits seit Mitte der sechziger Jahre vertraut. Die Organisationskybernetik schien ihm einen Ausweg aus dem Chaos zu weisen, das er bei der Corfo vorgefunden hatte: ein unorganisiertes und wenig produktives Konglomerat aus Bergwerken und Fabriken, teils von Arbeiterinnen und Arbeitern besetzt, teils noch von den bisherigen Managern kontrolliert.
Die sozialistische Regierung wollte, dass verstaatlichte Fabriken effizient arbeiten und dass die Herstellung unter anderem von Textilien, Gebrauchsgütern und Baustoffen kollektiv geplant wird. Nach und nach sollte ein Sozialer Wirtschaftsbereich (Área Social de la Economía, ASE) entstehen – eine, so die Hoffnung, der Privatwirtschaft überlegene Produktionsweise, die zudem der autonomen Initiative der Beschäftigten Raum gab. Wie in vielen anderen Bereichen auch wollte die Regierung anders vorgehen als die Sowjetunion. »Allende war sehr gegen das sowjetische Modell der Zentralisierung«, erinnert sich Raúl Espejo, Flores’ rechte Hand und der technische Leiter von Cybersyn.
Flores und Espejo wussten, dass Beer mit linken Ideen sympathisierte. Er war von dem Vorschlag fasziniert, sein Wissen für den Aufbau einer kollektiv verwalteten Wirtschaft einzusetzen. Flores’ Brief »war ein Orgasmus«, sagte er später. Als er in Chile eintraf, hatte die Regierung bereits die größten Bergbauunternehmen und 68 weitere private Unternehmen in den ASE überführt. Das schnelle Vorgehen schürte Ängste bei Privatunternehmen und spornte zugleich spontane Vergesellschaftungen von Fabriken an, auch gegen den Willen des »Genossen Präsidenten«.
Am 12. November 1971 kam es zu einem ersten Treffen zwischen Beer und Allende. Im Präsidentenpalast stellte Beer Cybersyn vor. Allende fasste seine Vorstellung von der Arbeitsweise des Systems Beer zufolge mit den Worten »dezentral, arbeiterbeteiligend und antibürokratisch« zusammen. Beer hatte ein fünfstufiges Modell mitgebracht, das auf dem menschlichen Nervensystem beruhte. Als er die oberste Stufe des Modells beschreiben und »Präsident« sagen wollte, unterbrach ihn Allende mit den Worten: »Ah, endlich, das Volk!« Beer nahm sich daraufhin vor, das Modell weiter zu dezentralisieren.
Allende stimmte dem Projekt zu, einschließlich der Bedingungen, die Beer gestellt hatte: ein Tageshonorar von 500 US-Dollar sowie eine ständige Versorgung mit Schokolade, schottischem Whisky, chilenischem Wein und Zigarren. Die Idee war, mittelfristig autonome Produktionsstätten in Arbeiterkontrolle zu organisieren. Ein elektronisches Netzwerk würde die Produktion zentral dokumentieren und der Regierung ermöglichen, wenn nötig steuernd einzugreifen.
1971 und 1972 arbeitete Beer intensiv mit einem Team in Chile, unterbrochen von Aufenthalten in England, wo britische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Software für Cybersyn schrieben. In Chile schlossen sich bald auch der deutsche Gestalter Gui Bonsiepe von der Hochschule für Gestaltung in Ulm und einige seiner ehemaligen Studierenden an, um die zentrale Schaltstelle des Systems, den Transaktionsraum, zu entwickeln.
Nach und nach nahm ein Kommunikationssystem Gestalt an, das landesweit und in Echtzeit Informationen aus staatlichen Fabriken liefern sollte – über den Fluss von Rohstoffen und Betriebsmitteln, aber auch über Streiks und Arbeitsprobleme. All diese Daten sollten im Transaktionsraum zusammenfließen. Von dort aus sollten in Abstimmung mit den Produktionsstätten Entscheidungen getroffen werden. Vor allem ein Problem schien jedoch unlösbar: Wie ein elektronisches Informationsnetz mit nur einem Computer aufbauen?
Cybersyn schien eine kühne Utopie zu bleiben – bis zu dem Tag, an dem in einem Lagerhaus in der Hauptstadt Santiago zufällig 500 Fernschreiber entdeckt wurden, gekauft und vergessen von der vorherigen Regierung. Damit war das zentrale Problem gelöst. Die Fernschreiber verbanden die Betriebe mit dem einzigen an das System angeschlossenen Computer in Santiago.
Seinen Nutzen stellte das Fernschreibernetzwerk im Oktober 1972 unter Beweis. Mit heimlicher Unterstützung der CIA hatten Transportunternehmer einen landesweiten Streik ausgerufen, um die Regierung zu stürzen. Mehr als 40 000 Lastwagen blieben stehen, die Lebensmittel- und Treibstoffvorräte drohten zu versiegen.
Beers Erfindung ermöglichte es, über das Netzwerk täglich Tausende Nachrichten zu senden. Lokale Versorgungskomitees erfuhren, wo Material oder Lebensmittel benötigt wurden, welche Straßen frei waren und wo es an Treibstoff mangelte. Die Kontrollräume blieben rund um die Uhr besetzt. In Santiago nahmen auch Regierungsmitglieder an den Nachtschichten teil. Der Streik verpuffte, der Sturz der Regierung war abgewendet – vorerst.
Der Erfolg des Netzwerks sorgte allerdings nicht nur für positive Nachrichten. Konservative britische Medien strickten aus Halbwissen eine Verschwörungstheorie über Cybersyn, mit Beer in der Hauptrolle: Er sei das Mastermind eines mächtigen, zentralistischen Projekts, mit dem die Kommunisten die Weltherrschaft übernehmen wollten. In Chile führte die politische Rechte ebenfalls Medienkampagnen gegen Allende, die Beer als Konstrukteur einer totalitären Welt im Stil von Georg Orwells Roman »1984« porträtierten.
Am Tag des MIlitärputschs befand Beer sich in London und warb um politische Unterstützung für die chilenische Regierung. Erst kurz vor seinem Rückflug nach Santiago, auf dem Weg zum Flughafen, las er in einer Zeitung: »Allende ermordet«. Espejo und weiteren Kollegen gelang die Flucht, auch dank der Hilfe Beers.“
https://jungle.world/artikel/2021/45/alle-macht-den-menschen
KybernetischeWirtschaft- die Alternative zu Kommunismus und Kapitalismus. Oder scheitert es wieder wegen des Anreizssystems und der fehlenden unsichtbaren Hand? Bleibt alles unbeantwortet und nicht diskutiert, entfachte auch keine weitere Debatte. Die Antworten scheinen scheinbar klar zu sein und nicht von weiterem Interesse.
Als eine postkapitalistische Variante einer solche kybernetsichen Wende, die die Digitalisierung für eine neue Form der demokratischen Planwirtschaft, die top- bottom und bottom- up- Ebenen zusammen bringt und sich auf das damalige kybernetische Experiment Salvador Allendes in Chile Cybersync beruft , war des damalige Manifest des Akzelerationsimus zu verstehen.
Die neuen und modernen Ideologen sitzen heute jedoch im Silicon Valley und im Umfeld jener esoterischen Bewegung und streben den neuen Übermenschen an, wie bei Ray Kurzweil oder in Yuval Hararis Homo Deus beschrieben oder von jenen neuen Übermenschen, Superhelden- und Supermanncomics von Marvel und DC propagiert, wie sie Hollywood nun international als Blockbuster produziert. Eher Nietzscheanische futuristische Sciencefictionesoteriik.
Futuristen sehen auch da auch angesichts der Coronakrise eine neue technologische und gesellschaftliche Zeitenwende—neuerdings eine „kybernetische Wende“, so in Telepolis. Der Industriekapitalismus/das Industriezeitalter sei dadurch bestimmt worden, dass die Arbeitskraft als Ware durch Trennung von den Produktionsmitteln hergestellt worden sei, nun sei die „kybernetische Wende“, dass die Arbeitskraft und der menschliche Körper selbst kommodifiziert werde, die zudem eine neue lange Welle des Kapitalismus eine „Kontradieffwelle“ auslösen werde:
„Corona-Krise: Anschub für eine kybernetische Wende
20. Mai 2020 Hannes Hofbauer und Andrea Komlosy
Großer Zyklenwechsel: ein kybernetisches Zeitalter
Die fast weltweit gesetzten Maßnahmen gegen die Verbreitung von Covid-19 beschleunigen einen Prozess, der schon seit Jahrzehnten im Gange ist. Es geht um nicht weniger als um die Wende vom Industriezeitalter in ein kybernetisches Zeitalter. In ihm sind Technologien vorherrschend, die maximale Anpassungsfähigkeit, Selbststeuerung, Kontrollierbarkeit, Miniaturisierung sowie individuellen und situativen Ressourcen- und Energieeinsatz gewährleisten.
Die Unkalkulierbarkeit des Faktors Mensch, der seine physische Verletzlichkeit gegenüber dem Virus gerade offenbart, wird durch den Ausbau von Künstlicher Intelligenz kompensiert. Die russische Risikoforschergruppe um Leonid und Anton Grinin sowie Andrej Korotajev arbeiten bereits seit längerem an Prognosemethoden, um auf der Basis historischer Veränderungen Schlussfolgerungen für Zukunftsszenarien zu entwickeln.1 Eine solche historische Veränderung bahnt sich gerade ihren Weg.
Grinin und Korotajev sprechen vom MBNRIC-Komplex (Medizin, Bio, Nano, Robo, Info, Cognitiv), der nicht nur neue Produkte (z.B. künstliche Körperteile, Pharmazeutika, Impfstoffe, Steuerungs- und Überwachungsgeräte) hervorbringen wird, sondern auch eine neue Nachfrage nach Optimierung (Gesundheit, Fitness, Schönheitsästhetik, genetische Modellierung) und personalisierter, maßgeschneideter Lebensbegleitung. Der Optimierungsgedanke stellt das ideale Einfallstor für Kontroll-, Sicherheits- und Überwachungstechnologien dar. Die Corona-Krise bietet dafür unter dem Deckmantel der medizinischen Notwendigkeit einen hervorragenden Einstieg. Das Testset und die Tracking-App stehen stellvertretend für ein durch die Angst vor dem Virus erzeugtes Bedürfnis.
Norbert Elias und Michel Foucault haben aufgezeigt, dass die Akzeptanz von Sozialdisziplinierung und Überwachungsgesellschaft nicht unbedingt eines staatlichen Zwangs bedarf, sondern sich mit dem Zivilisationsversprechen in die Körper und Psyche der einzelnen Menschen einschleichen kann. Als massenpsychologisches Phänomen haben Theodor Adorno und Max Horkheimer die Anpassungsbereitschaft der Menschen an autoritäre Vorgaben am Beispiel des Faschismus erforscht.
Auf diesen Grundlagen erhalten die in den vergangenen Monaten gesetzten Verordnungen und mehr noch das, was an Post-Corona-Kulturtechniken als „neue Normalität“ auch nach der Testphase beibehalten wird, ihren Sinn. Sie trainieren den Menschen, damit er im Umgang mit den selbstregulierenden und optimierenden kybernetischen Systemen der Zukunft seine Rolle bestmöglich erfüllen kann. Durch Corona hat sich die Gelegenheit ergeben, diesen Übergang zu beschleunigen, das Virus-Management nimmt die Zukunft vorweg.
Historischer Rückblick
Zyklisch auftretende Krisen haben in der Geschichte stets neue Leitsektoren hervorgebracht. Die dezentrale Produktion des textilen Verlagssystems machte mit der Erfindung der Spinnmaschine um 1780 dem Fabriksystem Platz. Aus der Depression des Vormärz 1848 führte die Eisenbahn ab den 1860er Jahren in den Aufschwung der „ersten Gründerzeit“. Nach dem Börsenkrach 1873 war es die Elektro-, Nahrungsmittel- und chemische Industrie, die das nächste Konjunkturhoch einleitete.
Die beiden Weltkriege brachten mit der Rüstungsindustrie einen militärisch-industriellen Komplex hervor. Im Wiederaufbau der 1950er Jahre wurden das Automobil und die Haushaltstechnik zu neuen Leitsektoren. Nach dem Boom begann ab den 1970er Jahren die Suche nach kostensparenden Innovationen: Organisatorisch verhalf die Verlagerung der Produktionsstätten in den globalen Süden der industriellen Massenproduktion zu einer neuen Blüte; technologisch revolutionierte die IT-Branche die Abläufe in der Produktion sowie in dem immer wichtiger werdenden Dienstleistungssektor.
Auf dem Weg aus der globalen Wirtschaftskrise 2007/08 zeichnen sich Robotik und Künstliche Intelligenz als Instrumente zur Krisenüberwindung ab. Eine umfassende Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche und die Einführung selbst-regulierender Systeme erfordern auf der einen Seite immer weniger menschliches Zutun und machen auf der anderen Seite den Menschen in seiner biologischen Existenz und in seinem Verhalten selbst zum Gegenstand einer Kommodifizierung.
Die oben skizzierten Konjunkturzyklen, die auch als „lange Wellen der Konjunktur“ nach ihrem Erfinder Kondratieff genannt werden, sind auf höherer Ebene in zwei weitere zyklische Veränderungen eingebettet. Beim Hegemonialzyklus erleben wir den Niedergang der USA und den Aufstieg von Ländern des globalen Südens, die sich aus der Rolle als verlängerte Werkbank befreien können. Mit China entsteht ein Anwärter auf hegemoniale Nachfolge. Die zweite Veränderung betrifft die Ablöse des industriellen durch das kybernetische Prinzip der Produktion, die viel langfristigere Prozesse des Wandels in der Evolutionsgeschichte des Menschen betrifft.
Seit dem Jäger- und Sammlerinnen-Dasein sah die Menschheit zwei große Revolutionen: die neolithische Revolution, die mit der Sesshaftwerdung Landwirtschaft und Handwerk hervorbrachte, und die industrielle Revolution, die mit arbeitsorganisatorischer Spezialisierung und Mechanisierung dem Fabrikprinzip zum Durchbruch verhalf. Mit der Computerisierung kündigte sich bereits in den 1950er Jahren das kybernetische Prinzip an, das einen neuen Aggregatzustand des Menschseins darstellt.
Geschäftsfeld Mensch
Im industriellen Zeitalter wurde die Arbeitskraft des Menschen zur Ware. Dafür bedurfte es der Trennung des Menschen von seinen Produktionsmitteln. Erzeugt wurde also nicht mehr für den eigenen Bedarf oder den lokalen Markt, auf dem selbst Hergestelltes verkauft wurde, sondern für ein Kapital, das Arbeit kommodifizierte, verwertete. Der Kauf von Arbeitskraft am Arbeitsmarkt durch einen Unternehmer setzt also die Entfremdung des Einzelnen von seiner Arbeit voraus und nimmt ihm bzw. ihr die Kontrolle über das Arbeitsprodukt. In der Klassengesellschaft verfestigt sich dieses Verhältnis.
Im kybernetischen Zeitalter wird der Mensch selbst mit seiner Körperlichkeit kommodifiziert, verwertbar gemacht. Der aktuelle Diskurs über den Kampf gegen Covid-19 veranschaulicht diesen Prozess. Im Zuge der sogenannten Hygienemaßnahmen soll das sich selbst ständig regenerierende Immunsystem des Menschen durch käufliche pharmazeutische Produkte ersetzt werden. Desinfektion und Sterilität gelten als vordringliche Maßnahmen, um das Virus auszumerzen. Nebenher wird dann von Virologen und Politikern betont, dass Covid-19 nicht mehr verschwinden wird. Den scheinbaren Widerspruch soll ein Impfstoff auflösen. Dieser wird dann anstelle einer vom Körper selbst erfolgten Immunisierung als Ware vermarktet. Dass diese Selbstimmunisierung im Falle von Covid-19 bei kranken und alten Menschen schwer bis nicht möglich ist, stellt ein gewichtiges Problem dar. Warum sich allerdings bei jungen und gesunden Menschen ihr eigenes Immunsystem nicht entfalten können soll, mag der Unvernunft, dem Übereifer oder aber ökonomischen Interessen geschuldet sein.“
Der Faktor Arbeit,der immer noch im Zentrum steht samt Diktat der Profitmaximierung und tendeziellem Fall der Profitrate und Dagegenlenken als Dynamik des ganzen Kapitalismus,auch als Grundlage des Staatshaushaltes, Kredits, der Staats-und Geldmacht, wird zwar nicht abgestritten, aber auch nicht als bleibender Kern des Ganzen erwähnt..Es geht um die Formenänderung der Gesellschaft, dem Übergang vom Frühkapitalismus zum Manchesterkapitalismus, Fordistischen Kapitalismus ,Dienstleitungskapitalismus und nun eben wegen Internet ,KI ,Bio- und Nanotechnologien und Lifescience zum vielleicht posthumanen kybernetischen Kapitalismus. Noch zugegebenermassen spekulativ ,denn ob sich die Lebenszeit wirklich so verlängern lässt oder der menschliche Körper, bzw. die Arbeitskraft ein Cyborg mit Implantaten und Biochips upgegradetes Superhirn wird, klingt noch sehr nach Science Fiction. Für Produktion, Reproduktion, Familienform, Gesellschaftsform ist es halt schon ein Unterschied, ob die Arbeitskraft 70 oder eben 150 Jahre alt wird und über welche Fähigkeiten sie verfügt. Der traditionelle Marxismusbegriff von Arbeit/Kapital als DEM Hauptwiderspruch, der alles andere als zu negierende und unwichtige Nebenwidersprüche und Kulturscheiss auffasst muss vielleicht modifiziert werden.
Ebenso ist das auch eine politische Frage bezüglich der staatlichen Kontrolle,die eben durch die neuen Technologien durchaus das Potential eines totalitären Überwachungsstaats hat ,dem es nicht nur um die Überwachung und Optimierung der Atbeitskraft, sondern der Menschen in allen Lebensbereichen und äusserungen geht. .Kai Strittmatter schildert das am euphemistisch genannten sozialen Bonussystems in China in seinem Buch „Die Neuerfindung der Diktatur“ recht plastisch.
Aber kybernetische Ideologien und die Kybernetik gibt es schon lange, spätestens seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Schon Rudi Dutschke diskutierte mit osteuropäischen linken Oppostionellen 1968 über die Möglichkeit einer neuen Planwirtschaft angesichts der neuen Computertechnologien. Während Dutschke da sehr euphorisch war, lehnten die linken Dissidenten dies ab, da sie nur eine Zuspitzung der ohnehin schon nicht funktionierenden Planwirtschaft des Comecons sowie einer Perfektionierung des Überwachungsstaates befürchteten. Unter dem sozialistischen Präsidenten von Chile, Salvador Allende wurde noch vor Aufkommen des Internets ein Kybernetikberater eingestellt, der ein Computernetzwerk Cybersync ersann, das die staatliche Planung der größten 400 nationalisierten Betriebe in einem volkswirtschaftlichen Plan, zumal unter Arbeiterbeteiligung versuchte. Die neue Denkschule der 2010er, die Akkzelerationisten berufen sich in ihrem Manifest für den Akzelerationismus auf dieses chilenische kybernetische Cybersync- Experiment, dessen Zentralcomputer nach dem Militärputsch unter neoliberaler Agenda Pinochets und der Chicagaoboys von Milton Friedmann als „kommunistische Teufelsmaschine“ angesehen und zerstört wurde. Hier erlebt eine alte Idee einer neuen Planwirtschaft, die KI, Big Data und Computernetzwerke mit kybernetischen Algorithmen neu auferstehen lassen will. Die Akkzelerationisten kritiserten den Neoliberalismus, aber zugleich die alte Planwirtschaft, glaubten auch nicht an den allesglücklichmachenden IBM-Zentralcomputer ala HAL in Stanley Kubricks Space Odysee 2001, sondern erzählten von Plattformen, die man miteinander vernetzen solle, um eine Interaktion zwischen oben und unten vertikal und ebenso zwischen den volkswirtschaftlichen Bereichen horizontal zu erreichen, Nachfrage und Angebot, Bedürfnisse und Planungen zwischen allem in Einklang bringen könnte.
Der Akkzelerationismus hat sich inzwischen in eine linke und eine rechte Strömung gespalten, wobei letzterer auch schon China als Vorbild hat und mit dem Trumpismus flirtet.
„Wenn also Kritik am Kapitalismus am Ende dem Kapitalismus dient, muss anders darüber nachgedacht werden. Das versucht zumindest eine Gruppe von Philosoph*innen, die dafür den „Akzelerationismus“ erdacht haben. Akzeleration heißt Beschleunigung. Zum ersten Mal erscheint der Begriff wahrscheinlich 1967. Roger Zelazny veröffentlicht damals seinen Science-Fiction-Roman Lord of the Light, in dem eine Gruppe von Revolutionär*innen die Gesellschaft mit Hilfe von Technik auf eine neue Stufe heben will. Sie heißen Accelerationists, also Akzelerationisten. Wann der Begriff seinen Weg in die akademische Welt gefunden hat, bleibt unklar. Gearbeitet wurde mit dem Konzept bereits in den 1990er Jahren. Womöglich wurde es 2007 auf einer Konferenz des Londoner Goldsmith-Colleges eingeführt.
2013 veröffentlichten Nick Srnicek und Alex William ihr „Manifest für eine akzelerationistische Politik“. Im gleichen Jahr erschien im Merve-Verlag Akzeleration, ein Sammelband des Literaturwissenschaftlers Armen Avanessian. Wichtig ist dabei vor allem eines: Es gibt kein Zurück mehr. Es nutzt also nichts zu versuchen, dem System durch Aussteigen zu entkommen oder die Uhr irgendwie wieder zurück zu drehen. Vielmehr muss man auf den unaufhaltsam rasenden Zug aufspringen. Technische Errungenschaften und Beschleunigung sollen begrüßt werden, um sie dann – und dabei bleiben die Denker*innen meistens doch eher vage – für emanzipatorische Zwecke zu vereinnahmen.
Drei Punkte kritisiert der Akzelerationismus dabei besonders an unterschiedlichen linken Strömungen: „Offenheit, Horizontalität und Inklusion“ stehen laut Srnicek und Williams akzelerationistischer Politik im Wege, die vielmehr „Geheimhaltung, Vertikalität und Exklusion“ benötige. Außerdem lehnt die Philosophie „Authentizitätsnostalgie“ und „folkloristischen Lokalismus“ ab.
Ein weiterer Autor zum Thema, Nick Land, kritisiert dann noch „transzendentalen Miserabilismus“ und meint damit Kritik an jeder neuen technischen oder philosophischen Entwicklung des Kapitalismus. Eine kritische Haltung gegenüber dieser Art von Fortschritt, die Land vor allem mit der Frankfurter Schule in Verbindung bringt, sei kontraproduktiv, weil sie das eigentliche Problem, den Kapitalismus selbst, am Ende nur am Leben erhalte. Sinnvoller sei es, so Land, sich der Zukunft zu widmen. Für den Akzelerationismus ist es ohnehin nicht möglich, außerhalb des Systems zu stehen, deswegen muss man Teil davon werden und sich selbst an der permanenten Beschleunigung beteiligen.
In der Wissenschaft dominiert heute ein eher linker Akzelerationismus. Aber Nick Land hat mit dazu beigetragen, dass die Denkrichtung auch in rechtsextremen Kreisen genutzt wird. Land war einer der Mitgründer*innen der Cybernetic Culture Research Unit (CCRU) an der University of Warwick in Großbritannien in den 1990er Jahren, einem lockeren Zusammenschluss von Wissenschaftler*innen aus unterschiedlichen Disziplinen. Am CCRU wurde unter anderem eine frühe Spielart des Akzelerationismus entwickelt, indem „unterschiedliche Theorien miteinander verbunden wurden: unter anderem Futurismus, Techno-Science, Philosophie, Mystizismus, Numerologie, komplexe Theorie und Science Fiction“, wie der Autor Graham Harman beschreibt. Es ist wenig überraschend, dass die Texte, die aus dieser Arbeit entstanden, eher esoterisch und schwer zugänglich geraten sind. Zeitgenoss*innen von Nick Land berichten von Beiträgen auf Konferenzen, die daraus bestanden, dass Land sich auf dem Boden wand und in ein Mikrofon stöhnte, während einer seiner Kollegen das Ganze mit einem Jungle-Soundtrack unterlegte.
Lange hielt sich das CCRU nicht an der Warwicker Universität. 1998 löste sich das Institut von der Universität – Land blieb aber Professor – und zog in das Anwesen des britischen Satanisten Aleister Crowley. Der Journalist Andy Beckett beschreibt im Guardian, wie die Gruppe okkulte Symbole an die Wände der Zimmer malte. In seinem Buch Fanged Noumena beschreibt Nick Land sein „Werkzeug“ auf dem Weg zur philosophischen Erleuchtung: „Die heilige Substanz Amphetamin … nach vielleicht einem Jahr des fanatischen Missbrauchs war ich, nach den üblicherweise angelegten Standards, vollkommen wahnsinnig.“
Der Journalist Zach Beauchamp beschreibt, wie sich etwa um 2010 herum die Bewegung aufspaltet. Die linke Philosophie entwickelt sich weiter und denkt darüber nach, wie Technologie genutzt werden kann, um eine postkapitalistische Zukunft aufzubauen. Davon spaltet sich aber eine rechte Denkrichtung ab, dazu gehört auch Nick Land. Er lebt mittlerweile in China und macht aus seiner Bewunderung für die technokratische Diktatur keinen Hehl. Zusammen mit dem rechtsextremen Informatiker Curtis Yarvin – er publiziert unter dem Pseudonym Mencius Moldbug – entwickelte Land den Akzelerationismus in Richtung „neoreaction“ – also Neoreaktion – weiter, abgekürzt NRx.
Zentrales Argument ist dabei, dass sich die Demokratie überlebt habe. In mehreren Essays, die 2013 unter dem Titel The Dark Enlightenment (dt. Die dunkle Aufklärung) in einem Band veröffentlicht wurden, fordert Land die „gov-corp“, eine Art kapitalistische Monarchie, in der CEOs absolute Macht haben und Entscheidungen anhand „rationaler“ wirtschaftlicher Interessen fällen. Dem stehen Bemühungen um Gleichwertigkeit und damit eben auch der Einsatz gegen Rassismus, Antisemitismus oder für Feminismus im Wege. Land bezeichnet sie als „decelerator“, die den akzelerationistisch rasenden Zug nur verlangsamen.
Lands Philosophie hat sich zwar eigentlich nicht weit verbreitet, findet aber einflussreiche Abnehmer*innen. So soll unter anderem Steve Bannon, der ehemalige Trump-Berater, neoreaktionäre Texte gelesen haben. Peter Thiel, der deutsch-amerikanische Tech-Milliardär und Paypal-Mitgründer, ist nicht nur ein Unterstützer von Donald Trump, sondern investierte auch in die Firma von Lands Kollegen Yarvin. Mit der Ideologie dahinter wird er vermutlich keine Probleme haben. Schon 2009 bezeichnete Thiel Freiheit und Demokratie als unvereinbar.“
China nun ist mit seinem euphemistisch genannten sozialen Bonussystem der kybernetische Vorreiter, der alle Lebensbereiche der Staatsbürger erfasst und honoriert oder sanktioniert, und damit einen Selbstoptimierungswillen bei seinen Untertanen internalisieren will, ist ein anderes Beispiel einer möglichen kybernetischen Wende. Die nächste Stufe dürfte dann die völlige Vernetzung von Gesundheitsdaten und Lebensführung über die reine Rolle als Arbeitskraft hinaus, sondern in allen sozialen Funktionen, Denken und Interaktionen sein. Ebenso wird nun überlegt, das soziale Bonussystem auch auf die Wirtschaft und die Unternehmen auszuweiten, um eine indikative kybernetische Gesamtregulierung anstatt planwirtschaftlicher fester Planvorgaben für jeden Bereich zu haben, wie dies früher war und unter Deng Xiaoping abgeschafft wurde. Ideologen der kybernetischen Wendezeit verkünden, dass sie mittels kybernetischer Wende Gesundheitsoptimierung, eine harmonische Gesellschaft, eine krisenlose und ewig propseriernde Wirtschaft und einen neuen Menschen schaffen könnten.Und Ray Kurzweils Posthumanität will auch noch den menschlichen Körper mit den Computernetzwerken biologisch vernetzen und optimieren, mittels Implantanten und Genetik einen Cyborg und eine Mensch-Computer-Maschine schaffen, die zudem wie der Homus Deus seine Lebenszeit wesentlich verlängert und wie im Homo Deus von Yuval Harari den Tod besiegt und das ewige glückliche Leben erzielt.
Interessnt auch wie der vermeintliche Chefdigatiliserungsideloge Sascha Lobo nun die Causa Elon Musk anhand des Kaufes von Twitter sieht. Gar nicht so sehr gesellschaftlich, sondern eher als eine Frage von mehr Staat oder Markt, mehr Neoliberalismus oder Sozialsimsu, mehr Industriepolitik oder freier Kraft der Märkte und elitären Individuen.
„Elon Musks geplanter Twitter-Kauf Kommt jetzt bloß nicht mit diesem Airbus-Quatsch
Eine Kolumne von Sascha Lobo
Elon Musk will Twitter kaufen, für 44 Milliarden Dollar – ein Unterfangen voller Risiken. Wer jetzt lautstark die Verstaatlichung des Dienstes fordert, sitzt einem großen Missverständnis auf.
27.04.2022, 15.51 Uhr
Am 29. Mai 1969 unterzeichneten der deutsche Wirtschaftsminister und der französische Verkehrsminister einen Vertrag , der als Erfolgsgeschichte der europäischen Industrie gelten muss. Leider hat er aber auch eine unangenehme Spätwirkung auf die digitale Gegenwart, und zwar bis heute. Am 29. Mai 1969 wurde Airbus gegründet, und damit das größte und leider kaum ausrottbare Missverständnis europäischer Digitalpolitik.
mit aktuellen Debattenthemen.
Soeben versucht Elon Musk, Twitter zu kaufen
. Die Betonung muss seriöserweise auf »versucht« liegen, denn die Wahrscheinlichkeit für den erfolgreichen und vor allem nachhaltigen Kauf ist groß, aber nicht garantiert.
Der vielleicht größte Fallstrick darunter: Musk ist zwar der reichste Mann der Welt, aber 44 Milliarden Dollar sind auch für ihn viel Geld. Musks Reichtum ist ein weitgehend unternehmerischer, besteht also vor allem aus Aktien. Die benutzt er in dem komplexen Finanzierungskonstrukt für den Twitter-Kauf als Sicherheit für einen hohen Bankkredit. Die (hier etwas vereinfacht dargestellte) Gefahr für Musk dabei: Wenn die Tesla-Aktien zu stark fallen sollten, dann müsste Musk aberwitzig viel Geld nachschießen. Das er dann nicht mehr hätte, weil sein Vermögen eben hauptsächlich aus Tesla-Aktien besteht.
Unterwegs als fahrender Flugzeughändler
Airbus ist zwar Industrie, aber ein durch und durch politisches Projekt. Schon der Grund für die Entstehung ist politisch: Europa wollte nicht mehr so abhängig sein vom damals übermächtigen Flugzeughersteller Boeing. Vor allem Frankreich und Deutschland trieben das Projekt voran. Es wird am Ende aus mehreren Gründen zum Erfolg, nicht zuletzt wegen der Qualität der Flugzeuge.
Ganz vorn steht aber eine simple Tatsache: Die Zielgruppe beim Flugzeugkauf ist nicht besonders groß. Eigentlich kommen weltweit höchstens ein paar Hundert Personen infrage, und die sind sehr empfänglich für politische Argumente. Zur Anfangszeit von Airbus fuhr der Aufsichtsratsvorsitzende Franz Josef Strauß praktisch als fahrender Flugzeughändler durch die Welt.
Elon Musk bezeichnet sich als »free speech absolutist« (etwa: Redefreiheitsradikaler), aber hat wenig Probleme mit der öffentlichen Einschüchterung und Beleidigung von Leuten, die eine ihm unangenehme Meinung formulieren. Oder mit furiosen Attacken auf Journalisten. Er hält »Wokeness« (hieß früher »Political Correctness«) mehr oder weniger für den Untergang des Westens. Er glaubt, dass es ein gutes Zeichen für seine kommende Twitter-Politik wäre, wenn die jeweils Rechtesten und die Linksten zehn Prozent gleich unglücklich wären . Das alles deutet auf eine simplizistische und nicht besonders sachkundige Einstellung zu den heutigen Problemen einer Social-Media-Plattform hin. Vieles wirkt wie eine Schlagwortsammlung von Facebook aus dem Jahr 2010, also Ansätze, die unter Social-Media-Fachleuten als längst gescheitert gelten.
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Man könnte denken, dass Airbus nichts mit der europäischen Digitalbranche zu tun hat, aber das ist leider falsch. So hanebüchen die Verbindung ist, so stark ist sie auch, und zwar als politisches Vorbild. Denn in den Nullerjahren wurde in Europa klar, dass man europäische Digitalkonzerne brauchte. Man besann sich auf das Erfolgsrezept europäischer Zusammenarbeit: Airbus! Und begann mit diesem Gedanken im Kopf digitale Unternehmen bauen zu wollen.
Dabei sollte zum Beispiel die Übersuchmaschine Google durch eine europäische Variante ersetzt werden. Sie hieß Quaero , wurde von Gerhard Schröder (SPD) mit auf den Weg gebracht, kostete mit dem Partnerprojekt Theseus über 400 Millionen Euro und kam bis zu ihrem Ende 2013 nie wirklich voran.
Google ist Marktführer, nicht DuckDuckGo
Mit Airbus im Hinterkopf wurde der Gedanke in viel zu viele Köpfe gepflanzt, man könne Digitalkonzerne staatlich auf den Weg bringen oder gar betreiben. Aber anders als Airbus haben Digitalkonzerne wie Google, Facebook oder Twitter Millionen Kunden, die sich immer wieder aufs Neue für die Produkte entscheiden und sich einen gequirlten Quark um politische Hintergründe kümmern. Sogar der angebliche Marktvorteil Datenschutz ist ihnen weitgehend egal, sonst wäre DuckDuckGo Marktführer. Aber Google hat seit Jahren über 95 Prozent Suchmarktanteil in Deutschland.
Die Sorge ist berechtigt, dass Twitter künftig allein von einem einzelnen Mann kontrolliert wird. Aber als Reaktion wird – natürlich auf Twitter – regelmäßig die Verstaatlichung des Dienstes oder ein öffentlich-rechtliches Gegenmodell gefordert. Das ist grotesker Airbus-Quatsch. Dann würde das nächste Quaero entstehen, weil digitale Plattformen nicht Hunderte Airbus-Kunden, sondern inzwischen Milliarden normale Menschen überzeugen müssen, und zwar jeden Tag aufs Neue. Deshalb unterschätzt man dabei, wie teuer und aufwendig es ist, eine Plattform ständig weiterentwickeln zu müssen.
Dass Twitter jetzt verkauft wird, liegt auch daran, dass das nicht gelang. Die ständige, extrem kostenaufwendige Weiterentwicklung wird von den Nutzer*innen erwartet, ohne dass sie es selbst so formulieren. Sonst gehen sie wie bei MySpace oder StudiVZ
Elon Musks inhaltlicher Plan für Twitter scheint bisher vor allem daraus zu bestehen, die Plattform zu einem »Marktplatz der Ideen«, zu einem von ihm empfundenen Leuchtturm der Redefreiheit zu machen. Seine Interpretation davon ist natürlich von seiner politischen Haltung beeinflusst, und die lässt am ehesten als libertär bezeichnen. Das ist nicht per se verwerflich, auch wenn in der amerikanischen Definition eine Portion Anarchismus oder Anarcho-Kapitalismus dazukommt. Leider hat sich gezeigt, dass libertäre Regeln bei sozialen Medien ein Einfallstor für rechtsextreme Inhalte und auch propagandistische Fake News darstellen können.
Die »Twitter verstaatlichen!«-Rufe offenbaren auch ein merkwürdig unreflektiertes Vertrauen in den Staat. Gerade von Leuten, die sonst zwischen Polizeigewalt, Regierungskorruption und Politikversagen kaum ein gutes Haar an irgendeinem staatlichen Handeln lassen.
Zu den wichtigsten politischen Digitalprojekten der letzten 15 Jahre gehörten grob geschätzt 235 erfolglose Einführungsversuche der Vorratsdatenspeicherung, das verbockte Leistungsschutzrecht, die ebenso verbockte EU-Urheberrechtserneuerung ohne beziehungsweise dann doch mit Upload-Filtern sowie die noch immer fehlende menschenwürdige Digitalinfrastruktur in Deutschland. Und in solche Hände möchte man ein Instrument wie Twitter legen? Auch weil die richtige Moderation von Inhalten für soziale Medien entscheidend ist – und extrem teuer. Allein für die Sichtung problematischer Inhalte braucht es Zehntausende Angestellte. Deshalb ist ein Social Network, das nicht Milliarden umsetzt, zum Scheitern verurteilt.
Twitter wird untergehen, wenn es sich nicht weiterentwickelt
Die bisherige Performance von Twitter ist aus digitalökonomischer Sicht eine Katastrophe. Ökosysteme rund um den Dienst wurden mal gefördert und mal verhindert. Twitter hat seit der Gründung mehr als 60 Start-ups aufgekauft, von Vine über Posterous bis Periscope. Mit der eventuellen Ausnahme des Twitter-Clients TweetDeck hat kein einziges nachhaltige, sichtbare, nichtschrottige Spuren hinterlassen.
Genau hier könnte Elon Musk durchaus Positives bewirken, denn Twitter wird untergehen, wenn es sich nicht weiterentwickelt. Das Medianalter erwachsener amerikanischer Twitter-Nutzer lag 2019 bei 40 Jahren, Twitter ist für die Mehrheit der TikTok-Generation kaum noch interessant. Für einen kommenden wirtschaftlichen Erfolg muss Twitter aber drei große, teilweise antagonistische Eigenschaften ausbalancieren, verbessern und in die 2020er-Jahre überführen:
- Twitter als harter und direkter Politik- und Debattenschauplatz in Echtzeit,
- Twitter als hassanfälliger Seismograf jedes Internetgeschehens,
- Twitter als Nachrichtendienst, der die ungeheure Relevanz in Geld übersetzt.
So redefreiheitsradikal klingt das gar nicht
Aber die gesellschaftliche Herausforderung könnte die noch größere sein. Denn Redefreiheit zu ermöglichen und Hass zu verhindern, das ist eine Herkulesaufgabe, an der bisher fast alle gescheitert sind. Vielleicht kann Elon Musk das hinbekommen. Insbesondere die Ankündigung, Twitter transparenter und teilweise Open Source werden zu lassen, könnte dabei helfen.
In einem Interview sagt Musk : »Twitter ist an die Gesetze der Länder gebunden, in denen es operiert. Natürlich gibt es ein paar Begrenzungen der Redefreiheit in den USA. Und natürlich wird sich Twitter an diese Regeln halten müssen.« So überragend redefreiheitsradikal hört sich das gar nicht mehr an.
Woraus sich die vielleicht interessanteste Frage rund um Twitter und Musk ergibt – die mit der finanzwirtschaftlichen Verquickung von Tesla und Twitter einhergeht. Der zweitreichste Mann der Welt, Jeff Bezos, merkt wiederum auf Twitter dazu an: »Hat die chinesische Regierung soeben einen Hebel über [Twitter] bekommen?«
China ist nicht nur der zweitwichtigste Verkaufsmarkt für Tesla, chinesische Batteriehersteller sind für die Elektroautos auch bei der Produktion unverzichtbar. 2009 hatte China Twitter verboten, wenig später wurde der chinesische Kurznachrichtendienst Sina Weibo auf den Weg gebracht. Aber China drängt auch mithilfe seiner Marktmacht immer stärker darauf, die weltweite Medienlandschaft zu beeinflussen. Hollywoodfilme werden bereits weltweit geändert, um den Ansprüchen der chinesischen KP zu genügen.
Im Zweifel könnte Elon Musk vor der Wahl stehen, entweder seinen Anspruch auf radikale Redefreiheit zu beschränken. Oder empfindliche Strafen gegen Tesla aus China aushalten zu müssen , weil China uneinverstanden ist mit den auf Twitter verbreiteten Informationen zu Uiguren oder Hongkong. Was wiederum dem Börsenkurs stark schaden könnte. Wodurch das Twitter-Kaufkonstrukt Musk um die Ohren fliegen könnte.
Freiheit bleibt verzwickt.
Jedenfalls steht gar nicht mehr so im Zentrum, was die ganzen Hitechtechnologien bewirken sollen, welchen gesellschaftlichen Nutzen sie haben, ob eine andere Gesellschaft durch sie möglich ist, sondern eher nun ob Elon Musk als angeblicher philantrophischer Innovator besser ist als Industriepolitik ala de erfolgreichen Airbus oder der gescheiterten Idnustriepolitik der Schröder-/Fischerregierung in Sachen deutsches oder euroäisches Facebook und Silicon Valley. . Ein solcher Vertreter ist Sascha Lobo, der nur die Industriepolitik abwatschen will, als neolibertärer scheinbar dem Elon Musks dieser Welt mehr traut als deren Regulation oder staatlichen Zielorientierung. Aber Lobo diskutiert gar nicht die wesentlichen gesellschaftlichen Fragen, ob es eine dezentrale, demokratische kybernetische Marktwirtschaft geben könnte, wie sich dies einige Piraten und auch Akkzelerationsiten vorstellen, wenngleich er natürlich auch nicht einen chinesischen Digitaltotalitarismus fördern will, aber dies mittels seiner relativ unkritischen Haltung gegenüber IT-Technologie und solche Milliardären wie Elon Musk dann doch tendenziell wieder tut. Es geht da mal wieder um mehr Fragen wie mehr oder weniger Industriepolitik, geniales Erfinderindividuum , das nicht durch ein angebliches Zwangskollektiv des Staates eingegrenzt werden darf, um kreative Irokesenlogik voranzubringen und die Welt wie schon zuvor einen besseren Platz werden zu lassen. Auch kommt kein Wort über eine mögliche Zerschlagung dieser IT-Konzerne wie dies in den USA damals auch mit Rockefellers Standard Oil geschah und nun auch wieder von etlichen linken demokratischen Politkern gefordert wird. Zumal Elon Musk nun auch Twitter kaufen will, ach arabische Investoren rein nimmt- von Dubai, Katar und Saudiarabien und man sich dann die Meinungsvielfalt vorstellen kann, insofern er diese nicht auch noch mittel der Wiederfreigabe der Twitterkanäle für Trump versteht. Sascha Lobos Kommentar ist aber auch ein Indiz, wie schmalspurig und eng die ganze deutsche Diskussion über die neuen IT-Technologien abläuft. Von solch gesellschaftlichen Diskussionen der Akzelerationisten, des Cybersyncexperiments Allendes, der Frage, ob eine demokratische oder dezentrale Planwirtschaft mittels neuer Technologie möglich wäre oder dies eine Illusion ist, da die Planwirtschaft nicht an Technologie, sondern an der fehlenden unsichtbare Hand des Marktes und fehlenden materiellen Anreizen gescheitert ist, ist dies von jeglicher Grundsatzdebatte lichtjahremässig entfernt.Und scheinbar interessiert die mögliche gesellschaftliche Nutzung dieser Technogien für ein anderes Gesellschaftssystem keinen mehr. So fortschrittlich und diskursiv ist man im pluralistischen Deutschland und dem Westen.Derweil füllen die autoritären Staaten dies mittels eines Gegenmodells des digitalen Kybernnetiktotalitarismus, weswegen auch die Vertreter des abgespaltenen rechten Akkzelerationismus heute in Peking residieren und sich mit Trump- und Elon Musk- Förderer Stephan Thiel zusammentun.