Interview mit General (a.D.) Domroese zum Pelosibesuch: „Kriegstreibend würde ich das nicht nennen“

Interview mit General (a.D.) Domroese zum Pelosibesuch: „Kriegstreibend würde ich das nicht nennen“

Global Review hatte die Ehre mit General a. D. Domroese ein weiteres Interview über die Beziehungen zwischen den USA und China nach dem Pelosibesuch zu führen.

General Hans-Lothar Domröse ist ein ehemaliger General des Heeres der Bundeswehr. Er war Kommandeur des Alliierten Joint Force Command Brunssum (2012-2016). 2011 wurde General Domröse zum deutschen Militärvertreter MC / NATO und EU in Brüssel ernannt. Er übernahm das Kommando des Eurokorps in Straßburg (2009-2012). Während eines Einsatzes in Afghanistan im Jahr 2008 war er Stabschef des ISAF-Hauptquartiers. General Domröse erhielt während seiner Militärkarriere eine Vielzahl von Auszeichnungen und Ehrungen. Er ist Senior Berater in der Consultingfima Friedrich 30, zu der auch Ex-BND-Präsident Schindler gehört und im Globalen Netzwerk der Agora Strategy Group der Munich Security Conference.

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Global Review: General Domroese, anstatt wie geplant am Sonntag, zu enden, gehen Chinas Militärmanöver weiter. Kommt da noch was oder will die KP China nur verdeutlichen, dass solche Aktionen wie der Pelosibesuch nicht billig und ohne Preis zu haben sind, zumal sie auch noch die Gespräche über Klimawandel und andere Themen , wie auch zwischen den Indopazfikmilitärs aussetzte. vorläufig aussetzte.. Umgekehrt hat Taiwan sich darüber beschwert, dass China bei den Manövern die Invasion Taiwans geübt habe. Die Global Times sprich sogar davon, dass auf dem 20. Parteitag statt des Antisezzionismusgesetz ein Taiwangesetz folgen solle, das als Zeithorizont die Vereinigung mit Taiwan innerhalb 5 Jahren vorsehe. Bisher hatte sich die KP China den Zeitraum flexibel gehalten, um sich nicht selbst unter künstlichen Druck zu setzen. Welche Auswirkungen hat der Pelosibesuch? Ist das ein „gamechanger“- die GT behauptet, dass die 3 Kommuniques, die maritime Mittellinie zwischen Taiwan und China und der bisherige Status Quo nun nicht mehr gelten würden-  und die strategische Ambiguität der USA bezüglich Taiwan grundlegend ändert? Sind solche Besuche empfehlenswert oder nicht nicht kriegsfördernd?

General Domroese: In der Tat hat der Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses  für gewisse Unruhe gesorgt – kriegstreibend würde ich das nicht nennen. Bei aller militärischen Machtdemonstration  ist doch erkennbar: einen Krieg will keiner. Dennoch ist diese Situation brandgefährlich, weil sich letztlich zwei Nuklearmächte direkt gegenüberstehen und keiner ein Abrutschen in einen Weltkrieg ausschließen kann, wenn es zum Waffengang käme.

 Dieser Besuch in fordernden Zeiten (Russlands Krieg in der Ukraine – Parteitag der KP Chinas bevorstehend – globaler  Klimawandel & Nahrungsmittelknappheit) hat einmal mehr deutlich gemacht, dass es um Freiheit,  Menschenrechte und Selbstbestimmung geht – kurz: es geht um Freedom of  choice. Und damit um geopolitische Macht- und Einflussfragen.  Russland ist derzeit die größte physische Bedrohung unserer (europäischen) Sicherheit. China dagegen  ist die größte wirtschaftliche  Bedrohung. Die autokratischen Führer Chinas und Russland lassen ihre Bevölkerung nicht frei entscheiden, wie sie leben wollen. Zwang, Einschüchterung und Gewalt kennzeichnen ihre Regierungsform. Und für das genaue Gegenteil, nämlich freie Wahl, Menschenrechte, Unabhängigkeit der Justiz und Pressefreiheit, steht Nancy Pelosi – stehen unsere demokratischen Nationen. In Hong Kong, in Xinjiang und in Tibet werden diese Werte schmerzlich missachtet – in Taiwan soll das nicht passieren. Die chinesische Seite reagiert reflexartig und nervös mit militärischer Machtdemonstration – anstatt den Besuch einfach zu ignorieren oder herunterzuspielen.

Aber auch westliche Ambiguität, d.h. die EIN-CHINA-POLITIK, stößt in der massiven Unterstützung Taiwans an ihre Grenzen und sollte überdacht werden, um Klarheit und  Vertrauen zu schaffen und ein friedliches Miteinander zu fördern. Nehmen wir als Beispiel die sog HALLSTEIN-Doktrin des jungen Deutschlands; sie besagte, dass die Bundesrepublik es als „unfreundlichen Akt“ betrachte, wenn Drittstaaten diplomatischen Beziehungen zur  DDR aufnahmen. Diese Doktrin wurde aufgegeben, um DEU nicht in eine selbstgemachte Isolation zu führen (weil viele Staaten die DDR anerkannten). Gleichwohl hat die Bundesrepublik die DDR niemals diplomatisch anerkannt. Realpolitik würde man das heute nennen. China sollte den  Ansatz der Regierung Brandt prüfen; es würde zu großem Respekt verhelfen und die latente Kriegsgefahr eliminieren. Eine WIN-WIN Situation ! Mit Taiwan und China können wir dann pragmatisch umgehen – langfristig brauchen wir Botschaften auch  in Taipeh.

Global Review: Umgekehrt empfiehlt die Global Times der US-Regierung eine Reflektionspause ,um ihre Beziehungen mit China grundlegend zu überdenken und zu korrigieren und bei der Taiwanfrage deutlichere Positionen einzunehmen. Desweiteren verweist sie auf deutliche Kritik am Pelosibesuch als „rücksichtslos“-von der New York Times, ehemaligen US-Botschaftern in China und den Staatschef Neuseelands. Der Ball sei jetzt im Raum der USA. Glauben Sie, dass es nach dem Pelosibesuch zu einer Reorientierung der US-amerikanischen Chinapolitik geben wird? Und falls, in welche Richtung? Zumal ja auch Trump damit liebäugelt, wieder zu kandidieren.

General Domroese: Dieser demonstrative Besuch von Frau Pelosi hilft im Kern keiner Seite – weder die US-Administration, noch die chinesische Regierung haben ihn gewollt. Das zeigt: beide Regierungen wissen um die diametral entgegengesetzten strategischen Ziele und wollen „Aufsehen“ vermeiden. Es wird darauf ankommen, Kooperation zu fördern und ein „friedliches Miteinander“ zu organisieren. Wie ich bereits oben aufgezeigt habe, sehe ich den Ball eher im chinesischen Feld. Klar ist, dass eine politische „Unabhängigkeit“ Taiwans nur mit einer engen wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit China  möglich ist. Eine Art „neutrales Österreich“ könnte ich mir vorstellen – ob das amerikanischen und chinesischen Vorstellungen entspräche, bliebe abzuwarten.

Global Review: RAND hat schon 2016 eine Studie herausgegeben „ War with China- Thinking through the Unthinkable”, die einen langen Krieg mit China vorsieht, aber der Ansicht ist, dass die USA diesen 2025 leichter gewinnen könnten als etwa 2035, auch wenn dies sehr verlustreich für beide Seiten wäre. Der US- Stratege TX Hammes plädiert für eine Offshore Controll- eine Seeblockade Chinas, um es zum Einlenken zu zwingen, scheint aber die Auswirkungen für die Weltwirtschaft nicht sonderlich einzubeziehen Falls es doch zu einem sinoamerikanischen Krieg kommen sollte, wie würde dieser wahrscheinlich ablaufen? Könnte man diesen begrenzt, regional und unterhalb der Schwelle eines Atomkriegs führen oder würde dieser eher die Form eines Weltkriegs annehmen?

General Domroese: Ich bin der festen Überzeugung, dass beide Regierungen um die „teuflische Dimension“ eines Nuklearwaffenschlages wissen – und daher nicht zum äußersten Mittel greifen. Damit bleibt ein konventioneller Waffengang grundsätzlich denkbar,  der allerdings kein „walk in the park“ wäre; zu gewaltig wären die Verluste, zu groß Leid und Elend, zu groß der wirtschaftliche Schaden, zu unermesslich die infrastrukturellen Zerstörungen. Wir sehen das tagtäglich im russischen Krieg in der Ukraine.

Zu Zeiten Bill Clintons  reichte es bei Spannungen, wenn die Amerikaner zwei bis drei Flugzeugträgergruppen im südchinesischen Meer stationierten, um China zum Einlenken zu bewegen. Diese maritime und insgesamt militärische Überlegenheit der USA ist heute deutlich geschrumpft – und könnte 2035 in Unterlegenheit enden. Aber auch dann wäre eine Invasion in Taiwan kein Spaziergang. Hoher Blutzoll, hohe materiellen Verluste und vor allem viele „unintended effects“ wären die Folge:

Zunächst die „Moral- oder Sinn-Frage“ bzw. die Frage des „Bruderkrieges“: Chinesen schießen auf Chinesen. Warum ? …weil  die Taiwaner FREI sein wollen? Das riesige Festland-Volk wird doch gar nicht bedroht – nur die Machthaber fühlen sich bedroht. Sie empfinden den Ruf nach Freiheit als einen Umsturzversuch. Ich bin mir nicht sicher, wie dass eine chinesische Regierung erklären kann und will! Ein Krieg würde zu deutlichen  Einbrüchen auf wirtschaftlichem Sektor führen, obendrein zu spürbaren Verlusten in der Gefolgschaft mit der KP. Arbeitslosigkeit, Flucht und Vertreibung, Demonstrationen großen Ausmaßes, politische Isolation und Reputationsverslust als Weltmacht kann sich China heute und Morgen nicht leisten. Schließlich würde eine Invasion auf Taiwan die Nachbarländer Süd-Korea, Vietnam, Japan, Indien und Australien mit UK und Frankreich auf den Plan rufen. Und so weiter.

Kurz: ich halte eine militärische Lösung der Taiwan-Frage für nicht möglich. Bis 2049, dem 100 jährigen Jubiläum des „Neuen China“ muss und kann sich eine friedliche Lösung finden lassen.

Global Review: Inmitten des Ukrainekriegs und der Taiwankrise, hat US-Präsident Joe Biden Russland und China Abrüstungsgespräche angeboten. Ist das nicht der ungünstigste Zeitpunkt. Zudem China schon erklärt hat, dass es sich nicht von den USA und Russland in seinen Rüstungsanstrengungen beschränken lassen will. Desweiterenn berichten US- Medien vom Bau von 120 Atomraketensilos in Xinjiang und 100 im Nordosten Chinas und vermuten, dass China seine ICBMzahl stark erhöhen könnte. China behauptet, bei den Silos handele es sich um Grundsockel für Windräder. Die CSBA-Studie §Rethinking Armageddon“ erwähnt das Szenarion einer Erhöhung der Zahl der chineischen Interkontinentalraketen, sieht dies als destabilisierend . Wie würde eine Aufrüstung Chinas mit ICBMs das strategische Gleichgewicht und die nukleare Abschreckung beeinflussen? Ist es überhaupt wichtig, ob China 20, 200 oder 1000 Atomraketen hat?

General Domroese: Viele Hasen sind des Igels Tod – heißt es. Insofern sind große Potentiale wichtig. Politisch und militärisch. Aber es gibt Grenzen, d.h. mehr bringt nicht mehr. Wir Militärs sprechen gern vom „operativen Minimum“, d.h. man berechnet in „war gamings“ eine bestimmte Anzahl verschiedener Systeme zur Ausübung der Nationalen Sicherheit, addiert zur errechneten Zahl X noch eine gewisse Reserve für außergewöhnliche Ereignisse und hat dann „seine Zahl“. Ich halte beispielsweise die rund 6.600 Sprengköpfe der Russen für viel zu hoch – Die Russen sehen das vermutlich anders. Aus meiner Sicht könnte man also abrüsten, ohne tatsächliche Einbrüche bei der eigenen Sicherheit zu befürchten. Man bekommt also gleiche Sicherheit und muss weniger investieren. Eine Win-Win-Situation. Insofern ist die Biden Initiative richtig – manchmal kann man sich den Zeitpunkt nicht aussuchen…

China wollte seine Potentiale niemals in die sog START-Gespräche einbringen – und zum jetzigen Zeitpunkt erst recht nicht. Sie haben nach dem Pelosi-Besuch m.E. sogar die drängenden Verhandlungen zum Climate-Change ausgesetzt. Zu Ihrer Frage: ob China 100 oder 1000 nukleare Sprengköpfe hat, ist militärisch relativ unwichtig. Bedeutsamer ist allerdings die „Allianz zwischen China und Russland“ – im Kern geht es doch um die Frage des politischen Systems: Demokratie oder Autokratie. Wir stehen inmitten globaler Machtverschiebungen – und da wird es schwierig, über Abrüstung zu verhandeln, wenn man noch nicht endgültig erkennt, wohin die Reise geht.

Global Review: Im Herbst beginnt der 20. Parteitag der KP China, bei der Xi Jinping eine dritte Amtszeit erhalten soll. Dies sei aber umstritten, zumal wegen der Ukrainepolitik XIs, der Zero- Covidstrategie mit ihren totalen Lockdowns mit Auswirkungen auf Wirtschaft und Lieferketten und der Blamage beim Pelosibesuch Xi innerparteilich unter Kritik geraten scheint. Was erwarten Sie von dem 20. Parteitag? Wird es zu einer Kurskorrektur, vielleicht auch mehr Distanz zu Russland und einem Taiwangesetz kommen oder sich nach dem Pelosibesuch sogar noch engere Beziehungen zwischen China und Russland ergeben?

General Domroese: Ich erwarte keine  politischen Veränderungen, die auf „Tauwetter“ in den frostigen Beziehungen zu den USA hindeuten. Auf der Grundlage einer stabilen Allianz mit Russland – hier wird es keine laute Kritik an der „Spezialoperation“ in der Ukraine  geben – wird Präsident XI innenpolitisch Wohlstand und wirtschaftliche Stärke versprechen, um die Gefolgschaft zu sichern. Und mit Blick auf COVID wird er die Überlegenheit des „Chinesischen Weges“  gegenüber dem Westen herausstellen.

 Außenpolitisch wird er die Vereinigten Staaten als DIE Herausforderung bewerten, weil sie die Einheit Chinas bedrohen. Und so wird er schließlich verkünden, bis wann er Taiwan „zurück- holen“  will.  Klug wäre eine Vision bis zum 100jährigen Jubiläum der Staatsgründung durch Mao. Den 20. Parteitag sehe ich also relativ gelassen – Präsident Xi wird seine Macht stärken und im Kern mit unveränderter Härte „nach innen“ regieren. Charmant und konziliant nach außen, um wirtschaftliche Erfolge – und damit Gefolgschaft –  langfristig zu sichern.

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