Nerds, Max Webers Arbeitsethik und New Work

Nerds, Max Webers Arbeitsethik und New Work

Als Lesetips empfohlen zwei Artikel aus der der Frankfurter Schule und deren Kritik an der Kulturindustrie verpflichteten  Jungle World. Der erste eine Rezension des Buches von Annekathrin Kohout: „Nerds. Eine Popkulturgeschichte“ und zum Begriff des Nerds, seines Bedeutungs- und Rollenwandels angesichts des Aufkommen der New Economy, digitalisierten Hochtechnologie- und IT- Welt bis hin zu einem sich angeblich kommenden Bedeutungsverlust, da heute jeder irgendwie ein Nerd sein will, der Begriff inflationär inzwischen in allen Bereichen benutzt wird:

„Aus dem Keller an die Konzernspitze

Annekathrin Kohout macht ­einen Streifzug durch die Geschichte des Nerds

Spießer und Streber, Konservativer und Karrierist: Annekathrin Kohout zeigt in ihrer Popkulturgeschichte den Wandel des Nerds von der Randfigur zum Idol. Und kündet seine baldiges Verschwinden an. (…)

Allmählich wurde der Nerd zu einer Art Vorbild, sich seinen Neigungen hinzugeben und sie erfolgreich zu vermarkten. Er verkörpert das kapitalistische Versprechen: Lebe deinen Spleen, es wird sich schon auszahlen.

Einst wurde der Nerd verlacht, heutzutage nennt sich jeder so, der einem Hobby nachgeht, beobachtet Kohout. Der Begriff umfasst weit mehr als den ungeselligen Computerfreak, Nerds gibt es nun in alle mög­lichen Bereichen, sogar selbsterklärte Sport-Nerds gibt es – was einst ausgeschlossen war. »Die Nerds übernehmen gerade die Weltherrschaft«, hieß es 1996 im Magazin Stern. Das war noch als Warnung vor unattraktiven Büromenschen und phantasielosen Zahlenspielern gemeint.

Es gibt kein deutschsprachiges Pendant zum Nerd, der irgendwo zwischen Sonderling, Brillenschlange, Fachidiot und Eierkopf anzusiedeln ist. Lange verkörperte er das Außenseitertum. Die abwertende Bezeichnung erfuhr allmählich eine Umdeutung ins Positive, ein Trend, der in den USA seinen Ausgang nahm und in den nuller Jahren in Deutschland ankam. Der Nerd-Boom war eine Nachwirkung der Dotcom-Blase, die, obgleich sie platzte, den Glauben an den Siegeszug digitaler Technik als Basis der Lebenswelt nachhaltig prägte. Die Piratenpartei erlebte ihre Hochphase und Serien wie »The Big Bang Theory« prägten das neue Image des IT-Experten, dem die Welt zu Füßen liegt. Aus dem beargwöhnten »Computer-Freak« wurde der bewunderte Nerd.

Der Nerd wurzelt in der Figur des square. Diese Bezeichnung für spießige, konventionelle, überangepasste Typen kam in den fünfziger Jahren auf. Die Beatniks benutzen den Begriff, um sich davon als experimentierfreudig und weltgewandt abzugrenzen, so wie der Nerd später als Gegenbild zu Frauenaufreißern und Muskelmännern diente. In zahlreichen Filmen taucht er als Antiheld und reiner Loser auf und lässt den eigentlichen Helden umso attraktiver erscheinen. Der Nerd erscheint als verrückter Professor oder als Genie, das aber an Sozialkontakten und ­allem Zwischenmenschlichen heillos scheitert.

In Highschool- und College-Filmen, aber auch in Fernsehserien wie »Happy Days« (1974–1984) kommt der Nerd dann zu sich selbst und auch namentlich häufiger vor. Hier wird er zur Gegenfigur zum erfolgreichen Sportler, was in unzähligen filmischen Varianten durchgespielt wird. In den späten Achtzigern vollzieht sich der Wandel, den Kohout nach einem Filmtitel »Die Rache des Nerds« nennt. Zwar bleibt er zunächst ein uncooler Jugendlicher und Zielscheibe für Demütigungen, wird aber nach Schule und Studium zum Überflieger. Als Programmierer, Hacker oder Entwickler bekommt er später das Geld, die Frauen und den Status, die ihm zuvor verweigert worden waren – so lautet die Moral der neuen Nerd-Inszenierung.“

https://jungle.world/artikel/2022/36/aus-dem-keller-die-konzernspitze

Zum zweiten über den sich wandelnde Arbeitsethos, früher hätte man gesagt: Wertewandel,  der bei einer modernen, urbanen, neuen Mittelschicht den alten puritanischen, protestantischen und preußischen oder konfuzianischen Arbeitsethos Max Weberscher Religionssoziologie ablöst und frühere linke Arbeitskritik verinnerlicht und annimmt. Zudem dieses Phänomen auch bei Jugendlichen arbeitswütig angenommener konfuzianisch-asiatischer Gesellschaften auftaucht. Work-life- balance, quiet quiiting als neue Schlagwörter. Die auch als Produkt des Wandels zur Dienstleistungsgesellschaft und dann eben New Economy und einhergehender New Work, wobei die Demographie und der Fachkräftemangel und die dadurch bessere Verhandlungsposition zwischen Arbeitenden und Kapital leider in dem Artikel etwas kurzkommt, wie auch die ideologische Prägung durch den Neoliberalismus, wobei der Autor konstantiert, dass der alte Arbeitsethos noch weiterhin auch in der von Wagenknecht kritisierten „Lifestylelinken“ und „Bionadebourgeosie“ existiert , vielleicht unter sich anderen Umständen auch wieder mehr dominant werden könnte und man sich die Frage stellt, ob „gemütliches Schlafen in Homeoffice“ wirklich so existiert, Zumal das unter autoritären Diktaturen auch wieder anders aussehen kann und bei deren Arbeitslagern, Gulags oder Konzentrationslagern die Devise gilt „Arbeit macht frei“und mehr militärischer und offen repressiver Kasernenhofdrill und preußische Disziplin. Ebenfalls bleibt der Begriff der New Economy und der New Work etwas unscharf, wie auch bei den Nerds. Oft hieß es, bei Leuten aus der IT- Branche, dass das Leute sind, „die was mit Computern machen“. Es ist aber ein Unterschied, ob man Programmierer oder Algorithmendesigner ist, Startupunternehmer, von denen die meisten ja scheitern aber andere eben aus ihrer Garage den Aufstieg ala Bill Gates schaffen, als kleine Handwerker Computer reparieren oder Volkshochschulkurse geben, Datenverarbeiter, büromässiger und sacharbeitender Dateneingeber, vielleicht auch in Homeoffice, zumal eben oft auch in „frei“beruflichen und prekären Verhältnissen, Mitarbeiter einer Computerfirma, der sich die Mieten nicht leisten kann und daher in einem Van wohnt oder im Auto übernachtet, digitaler Nomade, einer der zahlreichen Appentwickler oder Videospiel- und Virtual Realityentwickler–eine ganze Bandbreite und neue Hierarchie und Schichten- und Klassenstruktur, wobei es ja nun auch die ersten Versuche gibt, das Silicon Valley gewerkschaftlich zu organisieren- aber der Mythos vom Tellerwäscher zum Milionär wirkt halt- heute eben vom Nerd zum Milliardär, da einige wenige es schaffen und viele glauben, wenn man eine Garage anmiete, werde man auch ein Bill Gates oder wenn man „was“ mit sozialen Medien macht ein Zuckerberg oder millioneschwerer Influencer oder You Tuber wird wie zuvor eben bei den Bloggern. Zumal es dann auch noch Millionenheere von Coachen, Motivatitionstrainern und Selsbtoptimierern gibt, die diese New Work- Ideologie kräftig katalysieren und meinen Teil der Erfolgsstory zu sein.

Die sogenannte New Economy hat die Kritik am alten Arbeitsethos längst integriert

Das Elend der Arbeitskritik

Die sogenannte neue Mittelschicht hat die Kritik am Arbeitsethos längst in ihren flexiblen und prekären Lebensentwurf integriert. Arbeitskritik auf der Höhe der Zeit müsste auch die New-Work-Ideologie angreifen.

Disko Von  Stephan Maßdorf

Die derzeitige Debatte über Arbeitskritik zeigt auf beklemmende Weise die Unfähigkeit der radikalen Linken, gesellschaftliche Veränderungen zur Kenntnis zu nehmen. Statt die berechtigte Arbeitskritik vergangener Jahrzehnte unreflektiert aufzuwärmen, müsste man diese in Beziehung zum derzeitigen Stand der gesellschaftlichen Verhältnisse setzen. Ganz so, als hätte sich seit den sechziger Jahren ­beziehungsweise gar seit dem 19. Jahrhundert nichts verändert, wird in der Disko-Reihe der Jungle World munter Marx zitiert, dem Antisemitismus im Arbeitsbegriff der Zwanziger nachgegangen oder werden die Situationisten und Jugendrebellionen der fünfziger und sechziger Jahre herangezogen, ohne einen kritischen Gedanken auf die Gegenwart zu verwenden.

Die ökonomischen und politischen Bedingungen, unter denen die damaligen Arbeitsideale tatsächlich einmal die bestehenden Verhältnisse stützten und entsprechend kritisiert wurden, existieren in dieser Form nicht mehr. Die Situationisten und jugendlichen Rebellen etwa hatten es noch mit den Arbeitsverhältnissen der industriellen Wohlstandsgesellschaft der fünfziger bis achtziger Jahre zu tun. Die heut­zutage dominante Arbeitsform ist eine völlig andere. Waren in Deutschland 1970 noch 50 Prozent der arbeitenden Bevölkerung im Industriesektor tätig, sank dieser Anteil kontinuierlich auf heute 27 Prozent, der Anteil der in der Landwirtschaft Tätigen von zwölf auf ein Prozent. Der Anteil der im Dienstleistungssektor Beschäftigten dagegen stieg von knapp über 40 Prozent (1970) auf über 70 Prozent heute. In den USA sind es derzeit sogar über 80 Prozent.(…)

Aus der Entfremdungskritik der Alternativbewegungen ist der Imperativ geworden, in der Arbeit aufzugehen, sie als sinnstiftende Selbstverwirklichung zu begreifen.

Angesichts all dessen ist von den alten Arbeitsidealen, auf die sich die l­inke Arbeitskritik negativ bezieht, nicht viel übriggeblieben. Sie droht, wie schon der vom jugendkulturellen Aufbegehren der Sechziger und Siebziger übriggebliebene Gestus von Abenteuer und Experiment, zur Begleitmusik für den Sprung von der Dienstleistungsgesellschaft in die New Economy zu werden, mit der sich jene neue Mittelklasse identifiziert und die sich in den Par­teien der Regierungskoalition wiederfindet.

Zugegeben, ganz verschwunden ist das alte Arbeitsethos nicht, verbliebene Industriearbeitern und auch neuen prekären Dienstleistungsangestellten ist es noch anzutreffen. Bei jenen also, die wissen, dass sie von der Arbeitseinstellung der Gutverdienenden oder der mit ihrer Selbstprekarisierung zufriedenen Hobby-zum-Beruf-Macher und Homeoffice-Enthusiasten mit flexibler Arbeitszeit wenig zu erwarten haben und die sich gerade deshalb in die Vorstellung der ehrlichen und produktiven Arbeit flüchten. Worin einer der Gründe besteht, warum die AfD und der Wagenknecht-Flügel der Linkspartei dort Anklang finden.

Umgekehrt ist bei den neuen Aufsteigern aus dem Hass auf die Monotonie und Langeweile, die Industriearbeit und auch einfache Dienstleistungen nach wie vor mit sich bringen, längst die soziale Verachtung der Industriearbeiter und einfachen Dienstleister geworden. In der neuen Mittelklasse wird die Kritik am traditionellen Arbeitsethos genutzt, um wahlweise die Prekarität der befristeten Halbtagsstelle als Preis für die Selbstverwirk­lichung in der Arbeit zu verkaufen oder bei den finanziell Aufgestiegenen beherzt und mit Verweis auf die eigenen Kreativität und Flexibilität zu legitimieren, warum man ein größeres Stück vom Kuchen abbekommen sollte.

So verkommt die Arbeitskritik zur individualistischen Begründung, sich aus der Drecksarbeit herauszuhalten, das schöne Leben eben nicht für alle zu fordern, sondern nur für sich selbst zu behaupten. Eine vernünftige Position wäre hier, die Verbindungen zwischen politischer Ökonomie und Ideologie wieder aufzuzeigen und die gesellschaftliche Totalität damit kenntlich zu machen, statt sich im Kulturkampf zwischen altem und neuen Arbeitsbegriff als Vertreter des Letzteren zu positionieren. Eine linksradikale Gesellschaftskritik hat sich in einer solchen Situation weder auf die eine noch die andere Seite zu schlagen, sondern den Gesamtzusammenhang zu denunzieren, in dem traditionelles Arbeitsethos und new work-Einstellung zwei Seiten derselben Medaille sind.“

https://jungle.world/artikel/2022/36/das-elend-der-arbeitskritik

Kommentare sind geschlossen.