Zukunft, Futurismus und Techno-Optimierung 2000

Zukunft, Futurismus und Techno-Optimierung 2000

Nachdruck der Studentenzeitung Streitblatt Juni 2000

Die Futuristen der 20er Jahre waren heftigste Befürworter des italienischen Faschismus. Die Maschine, die Technik, die Schnelligkeit, die Jugend, die Zukunft – so die Idee, die sich zuerst auf Bildern niederschlug. In den 80er Jahren äußerte REP-Chef Schönhuber:

»Nur wer die Maschine, Autos und Technik liebt, kann auch ein wahrhaft Deutscher sein«.

In der Geschichte treten immer wieder Strömungen auf, die entweder die Technik als BÖSE/ GUT, als Wurzel sog. »gesellschaftlicher Missstände« sehen oder aber als deren Lösung. Gemeinsam ist den Betrachtungen der Maschinenstürmer und der Futuristen. dass sie eine marxistische Analyse der Gesellschaft und Gesellschaftsveränderung ausblenden und die Technik per se als Ursache, Subjekt begreifen. Da in den 90ern der Futurismus nach »technokritischer« Ökobewegung der 70er und 80er Jahre wieder Urstände feiert, soll dieses Phänomen einmal untersucht werden.

Marx und Technik

Marx unterschied sich von anderen vor allem darin, dass er dialektischen Materialismus und historischen Materialismus zur Grundlage hatte. Er setzte die Entwicklung von Produktivkräften in Beziehung mit Produktionsverhältnissen und Gesellschaftsformationen, aber eben nicht gleich. Sein Forschungsgegenstand und Analyseobjekt war der Kapitalismus. Technik war für ihn daher nicht böse oder gut, sondern das Messer, das Instrument, ein MITTEL, das zu jeweiligen Zwecken einer jeweiligen Klassengesellschaft genutzt würde, diese zugleich auch ändere. Erforderte die Abschaffung der KAPITALISTISCHEN RAHMENBEDINGUNGEN, nicht etwa der Technik per se. Aufhebung der Arbeitsteilung und die klassenlose Gesellschaft wurden propagiert.. Mag man dieses Ziel auch für utopisch halten, als eine Art Religion ansehen, so ist doch die Analyse von Marx als bis heute nicht widerlegt.

So nahezu alle anderen bürgerlichen Philosophen, Ökonomen, Naturwissenschaftler, Analytiker, u.a. ließen die Marxsche Kapitalismuskritik schon nicht gelten, affirmierten das Gesellschaftssystem und kamen daher jeweils in eine moralische Wertung der Technik (bzw. der Ökonomie = BÖSES GELD/ RAFFENDER ZINS/ RAFFENDES KAPITAL etc).

D.h. sie sahen in der Technik das SUBJEKT alles GUTEN/BÖSEN, bzw., abstrahierten Kapitalismus hin zu INDUSTRIESTRUKTUREN-/ GESELLSCHAFTEN, TECHNOSTRUKUREN, der ORGANISATION (Galbraith) als Prinzip oder aber wie einige ANTROPLOGEN (Arnold Gehlen) die Technik als Organ- und Instinktersatz des MENSCHEN, das sein Wesen zugleich wiederspiegele und entfremde. In den 50, 60er Jahren, ja bis hinein in die 70er Jahre noch wurde Technik erst einmal als POSITIV gesehen. Im »Ost«- wie auch im »Westblock«: Friedliche Nutzung der Kraft des Atoms, aufkommende Telekommunikationsbranche, Weltraumfahrt- und Kolonialisierung (Werner von Braun galt da wieder als Pionier und der Sputnik als Bedrohung durch den Weltkommunismus, wie er auch als Schock wahrgenommen wurde), Unterwasserstädte, Perry Rhodan und Science Fiction, vor allem die sog. »Eierköpfe/Eggheads« (Wissenschaftler) beherrschten die Szene. Alles schien berechenbar und machbar- zumal mit Computern, über die heute jeder lachen würde. Fortschritt ohne Folgen.

Es war eine Zeit rapiden Wachstums. Technik war die Lösung aller Probleme.

Im »pluralistischen Westen« stellten sich aber schon erste Bedenken ein: Als die Nixonadministration 1969 die Regierung antrat, wurden alle verfügbaren Daten über Nordvietnam und die USA in die Pentagoncomputer eingegeben: Bevölkerung, Bruttonationalprodukt, verarbeitende Kapazitäten, Anzahl von Panzern, Schiffen und Flugzeugen, geographische Verteilungen, Truppenbewegungen, etc. Danach wurde der Computer gefragt: »Wann werden wir gewinnen?« Die Antwort: »Sie haben 1964 gewonnen!«. (Vgl. Alexander Siedschlag »NATO Meets the Post-strategic Condition«, LIT Verlag, Münster 1998, S.9). Gemäß dem Laplaceschen Dämon, der nur den Ort und den Impuls von jedem Teilchen des Universums kennen muss, um alles in die Vergangenheit zurück und alles in die Zukunft präzise vorherzusagen und zu wissen. Hier wurde ein Technikvertrauen sichtbar, dass später dann zu seinem anderen Extrem unter Capras Neuem Denken und der sog. Postmoderne umschwenken sollte, d.h. idealistisch- kosmologisch nur noch einen großen Weltgeist (»Neues Denken«) kennen und keine Kausalitäten mehr kennen wollte.

Der verlorene Vietnamkrieg der USA und der 1973 einsetzende Ölpreisschock führten hier in eine Art Kulturpessimismus bezüglich der Technik. Die »Grenzen des Wachstums«, »Planet der Affen«, der »Omegaman« und andere rassistisch-apokalyptische Erzeugnisse sind Zeugnis dieser Ära der technisch-futuristischen Desillusionierung. Zugleich wurde auch die »Lean Production« in Japan hoffähig, die erst seit den 80ern auch in den USA und Westeuropa wahrgenommen wurde, als die hochqualitative Billigauto- und Elektronikwelle aus Japan sich über deren Märkte ergoss und das sog. »Ende des Fordismus«, den »Postfordismus« und die »Postmoderne« zugleich einläuten sollte.

Mittels Nutzung von sogenanntem »Human Capital«, KAIZEN, d.h. ständige Verbesserung nicht so sehr durch Großinnovation und -technologie, sondern durch Einbeziehung und »Mitverantwortung« der Mitarbeiter, Abbauen von Hierarchien, strukturierter Teamarbeit/ Workshops (Freisetzen und Verbinden kreativer Potentiale), d.h. Managementmethoden wurden weniger Rohstoffe, weniger Platz, weniger Zeit zur Erzeugung desselben Produkts benötigt. Das »Lean Management« sollte sich denn auch weltweit als Standard durchsetzen und die 90er Jahre prägen, vor allem die Qualifikations- und Psychoprofile auch westlicher Personalabteilungen: Schlank, flexibel, mobil, kreativ, ausdauernd (Power, cool und krass halt). Kein Zufall, dass jeder Manager und Politiker betont, es gelte »abzuspecken«, sich »fit« zu machen, Scharping, Stoiber, Fischer radeln und joggen, Geißler und Haider bergsteigen und Möllemann nicht bungeejumpt, sondern fallschirmt, was das Zeug hält – UND die Insassen einer jeden Nation sich gebärden, als sei die Welt ein großes Fitnesscenter – was die Kürzungen und Zwangsmaßnahmen in Gesundheits- Renten- und Sozialbereich ja auch nahe legen. Zumal »Persönlichkeit« über alle Maßen gefragt wird und BIG BROTHER eine Art multimediales Vorstellungsgespräch und die Internalisierung all dieser Standards darstellt. TECHNO bedeutet letztendlich Tanzen im schneller gewordenen Maschinentakt unterlegt mit den Tönen der elektronischen Industrie (Trance) und eingebunden in Laserkegel. Techno steht ebenso für die Beschleunigung des Maschinentaktes in den Betrieben, höheren Verschleiß, bzw. bei anderen Sektoren, d.h. bei immer mehr Dienstleistungsjobs, zumal Büroarbeit, die eben nicht bewegt sind. »Abtanzen«, eine Art Fitnesstanz, stimuliert zumal teils durch Ecstasy, damit das Human Capital seelisch vom Alltagsfrust gereinigt und körperlich gestählt und krass vollfit sich wieder zur allmorgendlichen Ausbeutung einfindet und individuell Konkurrenz vollbringt. Umso freudiger treffen sich dann alle individualisierten Einzelkämpfer zur Love Parade oder zum Union Move kollektiv und massenhaft. Keiner und jeder fällt auf. Die Love Parade analog zu BIG BROTHER.

FUTURISMUS JETZT — ALS REAKTION DER REAKTION AUF 68

Um den heutigen Vormarsch des Futurismus und der technikfreundlichen Heilslehre zu verstehen, sollte man sich aber die ebenso geartete moralisch-taktische Technikfreundlichkeit der damaligen dogmatischen Linken (pro- Moskau/Peking/Albanien) und Technikfeindlichkeit der Neuen Linken betrachten. Gepaart damit war eine abstrakte Ablehnung von KONSUM als entweder GUT oder BÖSE. Denn die unmarxistischen Ansätze und das damit verursachte Scheitern dieser Sorte von Linken diskreditierten zugleich den verbleibenden Rest einer marxistischen Linken. Nicht umsonst gebären sich Reaktionäre a la Scharping, Merz, Merkel, Stoiber als Zukunft der Jugend und des Standortes Deutschland und hetzen so gerne gegen die »ALTLINKEN 68« (die in der Lindenstraße nur noch als abschreckendes Beispiel eines alkoholisierten Ex-Maoisten und Penners auftauchen – Motto: So wird es dir gehen, wenn du links bist! / Soll heißen: Sei lieber wie Boris Becker, Steffi Graf, Günther Jauch, Sabrina Setlur,21 Jump Street, Love Parade, Will Smith, Puff Daddy, Buffy & Dämonen, Britney Spears, Beverley Hill 90285, Melrose Place, Tic Tac Toe oder irgendwie ein sonst gearteter Untertan a la BIG BROTHER – dann bist du und vor allem bleibst du DRIN!). Und diese Botschaft kommt an, zumal inzwischen etablierte Linke sich nicht von IHREM SCHWACHSINN distanzieren, sondern allgemein vom MARXISMUS schlechthin, den sie niemals vertreten haben. Das wird dann in eine Art Generationenkonflikt umgedeutet, die jene »Altlinken« dann wieder jung und modern erscheinen lassen soll – durch Diffamierung und Denunziation mittels einer aufgemachten Generations-Volksgemeinschaft und so unmarxistisch, wie sie selbst immer schon waren, an Kritik an ausgesuchten Marxisten, die sie niemals waren und dies heute auch damit offen gestehen. Motto: Wir waren ja auch mal jung, und nach dieser Denunziation sind wir es wieder. Im selben Moment mokieren sie sich dann aber wieder über eine angeblich KONSUMGEILE GENERASTION X, 1989,1997,1999, 2000 oder was sonst an unreflektiertem Moralgeseier gefällt.

Linke und marxistisch sich bezeichnende Menschen setzten Technik jeweils geschmäcklerisch mal mit PRODUKTIVKRÄFTEN, dann mal mit PRODUKTIONSVERHÄLTNISSEN und/oder in Kombination gleich , worauf Formeln additiver Art aufkamen wie »SOZIALISMUS = ELEKTRIFIZIERUNG + SOWJETMACHT« oder Slogans, wonach »Revolutionen Lokomotiven der Weltgeschichte« darstellten auf der Schiene zum Kommunismus, oder moderner: jeder Sputnik eine » Glocke der Weltgeschichte« sei.

Der Historische Materialismus von Marx wurde verstanden als eine automatisch-deterministische Fortschrittstheorie vom zwangsläufigen Übergang von einem angenommenen Urkommunismus (über Sklavenhaltergesellschaft -Feudalismus – -Kapitalismus- Sozialismus) hin zu Kommunismus. Umgekehrt wurden und werden von Seiten linker Spinner als Analogon dazu Zusammenbruchstheorien verbraten: So würde der Kapitalismus quasiautomatisch aufgrund der ungleichen Entwicklung zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen in ein parasitäres Endstadium, in die letzte Stufe, die Endkrise, die Krisis treten (Lenin 1916 / Gromyko 1976/ Robert Kurz 2000).

Andere standen im ebenso abstrakt-falschen Umkehrschluss mehr auf Lange Wellen des Kapitalismus (Kontradieff, Mandel – wie auch der bürgerliche Schumpeter).

Den 68er ML-Gruppen hatten zum Vorbild Revolutionen, die 1917/1949 stattfanden, in Ländern, die keine sonderliche Produktivkraftentwicklung hatten, z.B. in Russland und China. Als sich aber z.B. in Russland zeigte, dass die Revolution die mangelnde Produktivkraftentwicklung nicht voluntaristisch ersetzen könne, die Weltrevolution, ja auch nur die deutsche Revolution ausblieb, wurde dann umgekehrt Produktivkraftentwicklung in einem Land mit Sozialismus und Revolution gleichgesetzt.

In China wurden mangelnde Technik und Produktivkräfte zuerst versucht über sog. Massenlinien zu kompensieren, d.h. über einen »Großen Sprung nach vorne«, der aber nach hinten losging – samt Millionen von Hungertoten: Die sog. »Schöpfungskraft der Massen/Bauern« sollte voluntaristisch und mittels Hinterhofstahlöfen ersetzen, was faktisch nicht vorhanden, noch erreichbar war – was bekanntlich auch zum Fiasko wurde. Wo ein Wille, da noch keinesfalls unbedingt ein Weg. Dann folgte die sogenannte »Große Proletarische Kulturrevolution« (die mit Revolution, wie auch mit Kultur so ziemlich wenig am Hut hatte, aber dafür mehr in den Gehirnwindungen unter westlichen Maoistenmützen). Nachdem auch dies ein voller Griff ins Jauchefass war, folgte Reform & Öffnung und seit 1992 sozialistische Marktwirtschaft, in der heute noch traditionalistische Linke (z.B. bei der PDS) was marxistisches sehen wollen. Produktionssteigerungen und Verbesserungen für die Bevölkerung hätte man als solche einfach mal vermerken können. Aber irgendwelche Slogans aus Publikationen des Fremdsprachenverlags Peking und Zitate aus roten Mao-Bibeln für Realität zu halten, wie auch die VR China als Revolutionsmodell oder groß Verteidigendwertes für die Welt zu proklamieren, war da doppelt daneben. Die glorreiche Folge solch dogmatisch-dämlicher Verblendung:

Zumindestens waren damit die wesentlichen linken Bezüge, die mit Marx assoziiert wurden, gründlich diskreditiert. Zwar wurde Technik auch in Bezug auf Kapitalismus gesetzt, aber nur insofern, dass es da angeblich eben jene genannten »BESSEREN« Gesellschaftssysteme östlich gebe und deren Technik daher fortschrittlich und GUT sei (Sowjetische/Chinesische Atomkraft ist sicher!!! UND gut, weil keine Ausbeutung!!!).

Während im »Osten« da also GUTE TECHNIK gesehen wurde, so im »Westen« lauter staatsmonopolkapitalistische Atommafias, Pillenmafias, Militärisch-Industrielle Komplexe,

Rüstungslobbys, Waffenschieber, D.H. lauter schauerlich anmutende Moralkonstrukte, die soziologisch aus Ökonomie und Technik zusammenkriminalisiert wurden und für alle Übel dieser Welt verantwortlich seien. Mit dieser Sorte Dichotomie war es dann spätestens mit Tschernobyl vorbei und brach die Heuchelei nun hilflos auseinander. Die Argumentation TECHNIK OST= GUT, WEIL OST = GUT UND TECHNIK WEST= BÖS, WEIL WEST=BÖS brach in sich zusammen.

Diese völlig unmarxistische Analyse der ML68er traf sich aber in Sachen Moral/Idealismus/Voluntarismus mit der ebenso geprägten Antipode: der damaligen Neuen Linken und den Alternativen.

ANTIAUTORITÄRE NEUE LINKE und die APOLITISCHEN ALTERNATIVEN.

Diese wiederum hatten zwar zum Motto »weder Ost noch West«, ergingen sich aber dann nur in »Antiautorität«, »Spontaneität« und selbsteitler »Individualität«, die erst einmal bei sich anfangen wolle und »erweitertes Bewusstsein« mittels Sex & Drugs & Rock&Roll als revolutionierendes Subjekt benannte (Langhans: »Was kümmert mich Vietnam, solange ich Orgasmusschwierigkeiten habe«). Was irgendwie klein, dezentral, spontan, selbstbestimmt, bewusstseinserweiternd, Nische im patriarchalen Technoschweinesystem und der bösen großen Welt gedeutet wurde, war von daher GUT. Marx war hier manchmal Stichwortgeber, aber las man doch lieber seinen Rudi Dutschke, Ernst Bloch, Lucas, Adorno & Horkheimer, Bakunin, Proudhon, T. Leary, Satre, schmauchte Hanf oder schmiss einen Trip, organisierte sich dann in der Anti-AKW-Bewegung, Ökobewegung für Frieden, Liebe – überall und nirgendwo zugleich. Motto: ja nicht organisiert, hatte man doch verständlicherweise die alten ML-Gruppen mit ihrem demokratischen Zentralismus satt. Technik war per se nun im Kontrast das BÖSE. Landkommune, Ökobauerhof, Selbstgehäkeltes und Ghandispinnrad, WG für Urbane und andere Großstadtindianer. D.h. die sog. Neue Linke war das Abziehbild der sog. Alten Linken – nur mit anderem Vorzeichen. Bald entstanden neben Frankfurter Pflasterstränden schon bald Ökoprojekte, eine Ökobank, eine Grüne Partei, die dann den lange zuvor angedrohten »Langen Marsch durch die Institutionen« realisierte. Aus Taxifahrern wurden Turnschuhumweltminister und nun Außenminister, aus ex-maoistischen Pfarrerstöchtern Vizepräsidentinnen eines Bonner und Berliner Bundestags. Die vormalige Geleitmusi des autonomen Volkstümlertums wurden im wahrsten Sinne Tote Hosen und singen heute vor allem nur noch gegen FC Bayern. Während Campino nun mit seiner wiederentdeckten Spiritualität in allen TV-Talkshows haussiert, sind Nena und Nina Hagen Mütter geworden, besuchen Esoterikmessen. Nina Hagen sucht nun – nach feministischen Anwandlungen- den »Großen Kontrollator«, das heißt einen echten Kerl, der sie mal bändigt. Vorerst aber gestaltet die UFO-sehende Mutter von Cosma Shiva Hagen die Begleitmusik für die EXPO 2000 – zusammen mit Kraftwerk ( »Ich bin dein Mikroprozessor, ich diene und beherrsche dich«).

D.h. angesichts DIESER SORTE von LINKS ist nun die Verachtung breiter Teile der jüngeren Generation auch zu verstehen. Denn es wäre ja eher irrational, wenn die vielzitierte Generation X, 1989, 1995, 1999, 2000 (und was auch immer der jeweilige Zeitgeist- und Trendforscher Gerken und andere Gurkentruppen an KW-Zielgruppenheadhuntern aussoziologisieren zu gedenken) die oben zitierte Linke gemessen an ihren Ansprüchen noch ernst nehmen würde.

DIE GEISTIG MORALISCHE WENDE VON KOHL BIS SCHRÖDER: »WENDE IN DIE ZUKUNFT« (LOTHAR SPÄTH) – DAS MANIFEST DES FUTURISTISCHEN KONSERVATISMUS ALS PROGRAMM DER NEUEN MITTE

Angesichts gescheiterter linker Bemühungen oder was dafür gehalten wurde, kam die Rechte wieder auf. Zumal in den 80ern in den USA schon die sogenannten Neuen Industrien entstanden, wie auch in Japan gefördert wurden, hatte die angeblich technikfeindliche, klassenkämpferische Sozialpartnerschaft des Modells Deutschland da einen vermeintlichen Nachholbedarf. Dieser sollte nun unter der christlich-sozialen Koalition stufenweise beseitigt werden, zumal die »deutsche Thatcher« Strauß (Stoiber-Vorvorgänger) seine erhoffte Reagan-Linie teutonisch nicht realisieren konnte, da sich aufgrund seiner Kandidatur eine breite »Stoppt-Strauß«-Front bildete. D.h. er wurde nicht gewählt. Ergo wurde die WENDE anders eingeleitet: Die FDP wechselte von der SPD zur Union, um Kohl als Salamitaktiker hochzubringen. Zu stark war noch die Linke, doch am behäbigen Kohl, dem der »Druck der Strasse« nicht nachgab, wie etwa eine SPD, sollte auch diese ausgesessen werden. Die Integration der Linken begann. Schon bald beherrschte der Realoflügel die Grünen. Vom ökologisch-sozialen Umbau der Industriegesellschaft war die Rede. Dies fand wohlgemerkt schon VOR dem Zusammenbruch der SU statt.

In diesen Zeitraum fällt auch das Buch von Lothar Späth (CDU): »Wende in die Zukunft – Die Bundesrepublik auf dem Weg in die Informationsgesellschaft« (1985). Hier wurde programmatisch ein Manifest eines konservativen Konservatismus gelegt, der heute nationaler Konsens der Neuen Mitte der Modernisierer ist. Was heute »Laptop und Lederhose« genannt wird, sich in SPD-/ Grünen-/FDP und Unionsprogrammen nahezu unisono liest oder in Form der EXPO 2000 als deutsches Schaufenster der Welt präsentiert wird, wurde hier vorformuliert: TECHNIK IST GUT, WENN MIT KONSERVATIVEN WERTEN = ZUKUNFT. Dabei hatten vor allem Geißler, Späth, Biedenkopf, Weizsäcker, Schmidthuber, Rüttgers auf eine Forcierung in dieser Richtung gedrungen, was sich aber nur bedingt unter Kohl entfaltete.

Die darin skizzierte Gewinnung der Jugend für die Technik, individuelle Eigeninitiative und die Zukunft wurde nur lahm vorangetrieben. In den 90er Jahren und nun im 21. Jahrhundert zumal wird sie nun vor allem von Seiten der SPD-/Grünen-Koalition der Modernisierung vorangetrieben. Wenngleich die Grünen der SPD da immer noch ein nörglerisches Restrisiko sind bezüglich Technik (Transrapid, Atomkraft), so soll doch die EXPO 2000 hier »Mensch-Natur-Technik« im Sinne des Kapitals wieder vereinigen. Inzwischen läuft die FUTURISMUS-OFFENSIVE auf allen Ebenen und allerorten: SPACE NIGHTs im Bayerischen Rundfunk, Philosophen entdecken die »Zukunftsindustrien«, sei es nun Sloterdijik mit seiner Elmauer Rede, sei es Nida-Rümelin bei COMICFESTIVALS über »Übermenschen« und 2000 »Science Fiction«, sei es die ZDF-»Nachtrunde«, die Philosophen zusammen mit Naturwissenschaftlern diskutieren lässt, sei es, dass nun Evolutionsbiologen und andere Philosophen verkünden: DER MENSCH ist WERK seiner GENE und GEFÜHLE. Sei es, dass deutsche Naturwissenschaftler sich mehr mit der katholischen Kirche zusammenrotten und GEO-Sonderausgaben zu Naturwissenschaften und fernöstliche Religionen (Dürr und der Dalai Lama) gedruckt werden. Nun wäre nichts zu kritisieren, dass sich Philosophen auch mit Naturwissenschaften auseinandersetzen und umgekehrt. Sie könnten ja auch mal Marx lesen, was sie aber nicht tun. Daher nimmt diese Sorte Interdisziplinartat inzwischen auch jene quasireligiöse Züge an, die den Markt, die Sterne, die Zukunft, die Technik als schlechthin GUTES anbetet und alles andere als SCHLECHT. Von Homo oeconomicus, homo technicus, homo futurus, Posthumanität, Erlösung des materiellen im Virtuellen und von »Übermenschen« wird inzwischen gefaselt. Astrologen à la Noe und Motivationstrainer& Unternehmer à la Lejeune treten zusammen auf und bestätigen einander in TV München- da verwundert es auch nicht, wenn sich höchstrangige Manager und Politiker mit Ex-Hippies auf dem Wirtschaftsgipfel von Davos 1996 zusammengesellen und Heilsversprechungen verkünden wie folgende Rede:

»Regierungen der industriellen Welt, Ihr trägen Giganten aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, der neuen Heimat des Geistes. Im Namen der Zukunft fordere ich euch, die ihr der Vergangenheit angehört, auf, uns nicht zu belästigen. Ihr seid nicht willkommen unter uns. Ihr habt keine Regierungsgewalt, wo wir uns versammeln (…) ich wende mich an euch mit keiner geringeren Autorität als der, mit der die Freiheit selbst zu sprechen pflegt. Ich erkläre den globalen sozialen Raum, den wir bauen, als naturgegeben unabhängig von dem tyrannischen Regiment, das ihr über uns zu errichten versucht. Ihr habt kein moralisches Recht, uns zu regieren, noch besitzt ihr irgendwelche Methoden zur Durchsetzung, die zu fürchten wir wahren Grund haben (…)

Der Cyberspace liegt nicht innerhalb eurer Grenzen. Glaubt nicht, dass ihr ihn schaffen könnt, als ob es sich um ein öffentliches Bauvorhaben handelte. Er ist die Tätigkeit der Natur selbst und er wächst durch unsere kollektiven Handlungen (…)

Der Cyberspace besteht aus Transaktionen, Beziehungen und dem Denken selbst, die sich wie eine stehende Welle im Gewebe unserer Kommunikationen anordnen. Unsere Welt ist zugleich überall und nirgends, doch ist sie nicht dort, wo Körper leben.

Eure Rechtsbegriffe von Eigentum, Ausdruck, Identität, Bewegung und Kontext sind auf uns nicht anzuwenden. Sie gründen in der Materie, doch hier gibt es keine Materie«

So verkündet von John Perry Barlow vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos am 8. Februar 1996. das Weltwirtschaftsforum ist ein jährliches Treffen von Vertretern multinationaler Konzerne, Politiker, Journalisten, u.a. Es stellt sich eine berechtigte Frage: Was hat ein Ex-Hippie mit der Neuen Rechten zu schaffen?

»Ihrem Ton nach könnten die obigen Sätze aus einer Erweckungspredigt stammen, doch tatsächlich richteten sie sich an eine Versammlung von Wirtschaftsführern und Politikern. Ihr Autor John Perry Barlow steht mit seiner Biographie für die Kontinuität zweier kalifornischer Bewegungen, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam zu haben scheinen: der Hippies der 70er Jahre und der Cyber- Enthusiasten der 90er. Barlow, der damals Songs für Greatful Dead schrieb und heute als einer der Gurus des Cyberspace gilt, steht damit nicht allein:

Auch Kevin Kelly, einst Herausgeber des Alternativszenenblatts »CoEvolution Quarterly« (bzw. »Whole Earth Review«) und heute Chefredakteur von »Wired«, einer Art »Vogue« für die Cyberschickeria, steht dafür und LSD- Apostel Timothy Leary stand auch dafür. Doch unter den Cyberenthusiasten finden sich auch George Keyworth, der als Protege Edward Tellers Wissenschaftsberater Reagans wurde, und George Gilder, Multiaufsichtsrat und Vordenker der republikanischen Rechten. Was ist das für eine Koalition von Althippies und neurechten und vor allem: Was ist das für ein Ding, der Cyberspace, dessen Ankunft ihre Mitglieder unisono verkünden?«

(Rainer Fischbach »Der Mythos des 21. Jahrhunderts – Vom Krieg der Sterne zum Cyberspace in: Blätter für deutsche und internationale Politik 6/ 1998; S. 677)

Ja, wahrscheinlich ist der Cyberspace das jetzige Analog für die ehemaligen anarcho-libertär-antiautoritären Rebellen, was für sie zuvor Sex&Drugs&Rock&Roll darstellte- das revolutionäre Subjekt. Und da sich die Hoffnungen in die Technikfeindlichkeit nicht erfüllten, wird es jetzt halt mittels Technikfreundlichkeit versucht und alles in die neuen Industrien projiziert. Timothy Leary wollte mittels LSD zum Kern des Eigentlichen durchdringen, zur letztendlichen Selbsterkenntnis und umfassenden Welterkenntnis zugleich, die er in dem Innersten der Zellen gespeichert sah. Sozusagen tief hinab ins Bewusstsein bis auf die Bewusstseinsmonade schlechthin, des Pudels Kern, der wohl in der DNA über darüber hinunter, d.h. hinaus angesiedelt sei. So entnimmt man es seinen Schriften und den Weissagungen seiner damaligen Jünger. Die Überwindung des Materiellen, die reine Geistigkeit und Verschmelzung in einem erweiterten Bewusstsein – von daher sieht er halt in Netzwerken Zellwerke und der PC ersetzt das LSD. Ähnliches gilt für die Beatniks, William S. Burroughs und alle Psychodeliker, die meinten mittels Drogen, Musik, Liebe/Sex & LIFESTYLE könne man die Welt grundlegend ändern, alle Menschen zu Brüdern und Schwestern, zu einem Weltgeist vereinigen, zu einem Plasma kosmischer Energie, zum Orgon oder was da noch so alles zusammenfabuliert wurde. Analog sieht es auch das neue Denken Capras oder jetzt Neomarxist à la Robert Kurz mit der Endkrise wegen künstlicher Intelligenz und SEINEM Götzen Arbeit, den im wesentlichen nur er anbetet und sich eine Jüngerschar Fetischgläubiger sucht. Was das für eine Koalition ist?

Ja, genauso eine Koalition wie zwischen Birgit Breuel, Nina Hagen und Kraftwerk auf der EXPO 2000 – damit halt auch JUGEND FORSCHT. Oder wie ein Robert Kurz beim DGB. Mäzen und Überbaudesigner vereint. Die sogenannte NEUE MITTE halt, die verkündet, die Welt werde verändert durch MTV, VIVA, MUSIK, BIG BROTHER, CYBERSPACE, VIRTUELLE WELTEN; EMOTION, SUPERHELDEN IN COMICS; ÜBERMENSCHEN; GENEN, ÜBERMENSCHEN & TECHNIK. Kein Wunder, dass Heidegger, Nietzsche. Schoppenhauer sich mit postmoderner POSTHUMANITÄT und ihren Propagandisten samt deren Mäzenen die Händchen geben. Heißen sie nun Hoechst Foundation, Bertelsmannstiftung, Triangle Conference, CAP, SCHEME, SZ, ZEIT, FAZ, Christiane Burtscheidt, Sloterdijik.

»Und wie die Bourgeois pfiffen, so sangen die Professoren« (Engels).

Nach der TECHNIKFEINDLICHKEIT nun TECHNIKFREUNDLICHKEIT als Wert und Subjekt, das ZUKUNFT SCHAFFT. Das Pendel leerer Abstraktion ist nun wieder zu seinem dualistischen Gegenpol umgeschwungen. FUTURISMUS IST WIEDER IN!!! (ro)

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