Iran- Die verratene Revolution?

Iran- Die verratene Revolution?

Momentan erfährt man in deutschen Medien nicht sehr viel über den aktuellen Stand der Massenproteste im Iran. Zum einen aufgrund der zunehmenden Zensur des Ajatollahregimes. Die Teheran Times berichtet lieber über Bürgerkriegsszenarien in den USA infolge der Midterm Elections, Massenproteste im UK, Deutschland, über den Jahrestag der Erstürmung der amerikanischen Botschaft in Teheran , sowie die Revolutionsgarden auf der Titelseite Rache für die Ermordung ihres vormaligen Führers Solemeini fordern. Zum anderen scheinbar auch aufgrund abflauenden Interesses der deutschen Politiker und Öffentlichkeit, die bei aller Solidaritätsrhetorik sich scheinbar lieber gespannt abwartend zurückhalten wollen.Die heutige Jungle World beschreibt dies derfolgt und wertet dies quasi als Verrat an der Revolution durch den Appeasement-Westen:

„03.11.2022

Die Proteste in Deutschland gegen das iranische Regime

Grenzenloser Widerstand

In Deutschland machen sich manche schon Sorgen, was passiert, wenn das iranische Regime fallen sollte. Die Opposition sei unorganisiert und gespalten, heißt es oft, und es drohe noch Schlimmeres als unter dem Mullah-Regime. Damit wird diesem das Wort geredet.

Von Danval Casar

Seit nunmehr eineinhalb Monaten dauern im Iran die schweren Konfronta­tionen zwischen dem Regime und den Aufständischen an. Selbst aus dem Auswärtigen Amt, das bislang jede Krise der Islamischen Republik ausgesessen hat, heißt es inzwischen, dass »es kein ›Weiter so‹ geben« könne. Die Tage, als man dem islamofaschistischen Regime im Iran noch feierlich zutrug, »Stabilisierungsfaktor in der Region« zu werden (Sigmar Gabriel), scheinen also vorerst vorbei zu sein. Doch der seit den frühen 1980er Jahren ungebrochene Schwur auf den »kritischen Dialog« lebt in diesen Tagen weiter in den Mahnungen, dass mit dem Ende der Islamischen Republik eine noch viel trümmerreichere Katastrophe drohe.

In der FAZ prognostizierte Rainer Hermann »eine Achse gescheiterter oder scheiternder Staaten«, wenn das Regime fallen sollte. Er unterschlägt damit nicht nur die Verantwortung der Islamischen Republik an der syrischen Katastrophe. Vielmehr verhöhnt er mit solchem Geraune auch jene irakische Jugend, die seit Jahren unter Todesdrohung Widerstand gegen die khomeinistische Infiltration des Iraks, die tugendterroristischen Alltagszwänge und die Beuteökonomie der Shia-Milizen aufbringt. »Anders als 1979« kann Hermann weder im Iran noch in der Diaspora »eine organisierte Opposition« erkennen. Ihm bleibt somit schleierhaft, was auf die khomeinistische Despotie anderes folgen könnte als »eine Implosion« des Irans. Auch Charlotte Wiedemann kann in der Taz nirgends eine solche Opposition erkennen, »die in Teheran Verantwortung übernehmen könnte, wenn das jetzige System implodiert«. In ihr steige die Beklemmung auf, der Iran schreite »entweder einer Militärdiktatur oder einem Staatszerfall entgegen«.

Das Geraune von einer drohenden Militärdiktatur täuscht darüber, dass die »Armee der Wächter der Islamischen Revolution«, die Revolutionsgarde, längst das zentrale Racket in dieser islamofaschistischen Attrappe einer Republik ist. In den trockenen Provinzen des Irans, in Khuzestan etwa, ist sie als »Wassermafia« bekannt, anderswo ruft man sie verächtlich, wie in einem ­populären Revolutionsslogan, als »unseren Islamischen Staat«. Vor allem aber leugnet und verhöhnt ein solches Geraune die Anstrengungen, mit denen im Iran seit Jahren Widerstand gegen die Staatsbestie aufgebracht wird. Unter enormen Repressionen ist es den Regimefeinden wieder und wieder gelungen, sich zu assoziieren und unter denselben Slogans in verschiedenen Provinzen des Irans auf die Straße zu gehen und sich dem Regime tagelang frontal entgegenzustellen.

Die Erhebungen, denen bereits in den Vorjahren ein revolutionärer Charakter inhärent war, sind nicht an Unorganisiertheit gescheitert. Sie wurden gnadenlos niederkartätscht durch die militarisierte Repressionsmaschinerie, wie im November 2019, als Hunderte von Aufständischen ermordet wurden. In jenen Tagen kritisierte die ARD-Korrespondentin Karin Senz in der »Tagesschau« die Solidaritätsgrüße der US-amerikanischen Regierung, da diese zur Eskalation beitrügen. Vielmehr empfahl sie, die Regimefeinde mit ihren Mördern allein zu lassen, an sie zu denken und Anteil zu nehmen, aber schweigend auszuharren. Europa, so Senz, müsse sich vorrangig darauf konzentrieren, die als Vertragswerk niedergeschriebene Erpressung des Regimes, die Reduzierung der Urananreicherung gegen Business, zur Geltung zu bringen. Dafür bedürfe es »großer Diplomaten«.

Über klandestine, aber weitverzweigte Strukturen werden seit Jahren Proteste im Iran organisiert. Ruhollah Zam etwa begründete vom französischen Exil aus den Telegram-Kanal Amad News, der während der schweren Straßenkonfrontationen im Dezember 2017 und Januar 2018 zum Massenmedium im Iran wurde. Später wurde Zam bei einer Reise in den Irak von Regimeschergen überrumpelt, in den Iran verschleppt und dort hingerichtet.

Jüngst am 40. Todestag von Jina Amini haben Menschen in allen Provinzen des Irans die Repressionsmaschinerie mit Barrikaden und den Slogans »Frau, Leben, Freiheit« sowie »Tod dem Diktator« konfrontiert. Wer hier keine organisierte Front erkennen vermag, will sie nicht erkennen. Jene deutsche Iran-Expertise, die einen Staatszerfall anmahnt, hat augenscheinlich mehr Vertrauen in eine Despotie, die die Vernichtung Israels als ihren heiligsten Zweck beschwört, als in die Aufständischen, die dies nicht wollen. Ihre Slogans sind dabei konkreter als alle Worthülsen aus der deutschen Politik: »Das Regime sagt, Amerika ist unser Feind, aber es lügt, das Regime ist selbst unser Feind.« Sie rufen »Tod der Hizbollah« und weigern sich, über die Flagge Israels zu trampeln, die das Regime auf den Beton schmiert, um demonstrativ über die »zionistische Entität« zu triumphieren.

Das Regime verfolgt seine Feinde auch in Europa. Im Jahr 1989 wurde mit Abdul Rahman Ghassemlou der Vorsitzende der Demokratischen Partei Kurdistan-Iran, von Khomeini als »Partei des Teufels« denunziert, in Wien ermordet; 1992 in Berlin sein Nachfolger Sadegh Sharaf­kandi sowie die Parteigenossen Fattah Abdoli und Homayoun Ardalan.

Dem Organisator dieser sogenannten Mykonos-Morde, Kazem Darabi, unterstand zuvor jahrelang eine einschlägige Moschee in Berlin; unter den Augen deutscher Behörden konnte er ungestraft Exiliraner bedrohen. Die damalige Bundesregierung verfolgte lange eine Strategie des Schweigens, um die Kommandokette des Mordbefehls, die bei Ali Khamenei ihren Beginn nahm, zu verschleiern und das deutsche Iran-Business nicht zu gefährden. Während des Gerichtsprozesses sagten Zeugen auch aus, dass Darabi zu Unterredungen in das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) gekommen war.

In Hamburg protestieren Exiliraner seit Jahren gegen das IZH – von manch einem wurde ihnen deswegen eine »antimuslimische« Kampagne nachgesagt. Vor wenigen Jahren waren die Protestversammlungen noch von jenen Exiliranern geprägt, die vor 1979 geboren sind. Inzwischen sind es viele junge Menschen, die erst vor wenigen Jahren aus dem Iran geflüchtet sind. Einer von ihnen ist Saeid Karkhane, der in den vergangenen Wochen viele der Proteste in Hamburg mitorganisiert hat. Dem 28jährigen Karkhane zufolge war es einkalkuliert, dass dabei an manchen Tagen zu verschiedenen, teils parallelen Versammlungen aufgerufen wurde. Manche wollen vor das iranische Generalkonsulat, andere vor das IZH, Kark­hane und seine Freunde protestieren nahezu täglich in der Hamburger Innenstadt, wo die Zahl der Passanten sehr viel höher ist. Sie haben ausgemacht, dass Flaggen geduldet sind, Personenkult aber untersagt ist. Nur vereinzelt kam es bislang zu Handgemengen mit einigen Monarchisten, die entgegen der Absprache mit dem Porträt des 1979 aus dem Iran geflohenen Schahs provozierten. Die frühere Nationalflagge mit Löwe und Sonne wird übrigens nicht nur von Monarchisten als Nationalflagge Irans gesehen, auch viele Republikaner erkennen sie als solche an. Karkhane und seine Freunde haben die Nationalflagge abgewandelt, ohne Löwe und Sonne, dafür mit dem stilisierten Schriftzug »Frau, Leben, Freiheit«.

Auch Kurden sind bei den Protesten in Hamburg sehr präsent, viele von ihnen mit der Ala Rengîn, der Flagge Kurdistans. Der Slogan »Frau, Leben, Freiheit« ist ursprünglich kurdisch, »Jin, jiyan, azadî«. Die Konfrontationen mit dem Regime sind im kurdischen Landesteil am intensivsten. Die Demokratische Partei Kurdistan-Iran etwa spricht sich für ein autonomes Kurdistan innerhalb eines föderalen Irans aus.

Manche Konflikte unter den Exiliranern, so Karkhane, sind »eher persönliche« und ermüden ihn sehr: »Im Exil haben wir die Möglichkeit, getrennt zu sein, im Iran nicht.« Selbstverständlich gibt es verschiedene Meinungen über die Staatsform eines befreiten Irans. Einig sei man sich darin, dass alle ein säkulares Gemeinwesen sowie Gleichheit zwischen Frau und Mann wollen. Der zentrale Slogan »Frau, Leben, Freiheit«, so Karkhane, hat das Regime erschüttert und das eigene Bewusstsein geschärft.

Die deutsche Koketterie mit der Ungewissheit, was auf die khomeinistische Despotie folgen wird, wirkt auf Karkhane verstörend. Die Islamische Republik verfolgt seit 1979 die Ausweitung ihrer terroristischen Maschinerie. Der Fall des Regimes würde ein Freiheitsversprechen weit über die Grenzen des Irans hinaus sein. Ein Ende des Regimes könnte die libanesische und irakische Jugend in ihren Anstrengungen ­voranbringen, sich von der Tyrannei der dortigen Milizen zu befreien. Auch würde es die palästinensischen Parteien zwingen, sich für einen anderen Weg als den der militanten Raserei zu entscheiden.

Karkhane ist Anarchist, er hat noch im Iran begonnen, Albert Camus, George Orwell und Emma Goldman zu lesen, und interessiert sich für die Ideen der Demokratischen Föderation Nordsyrien. Doch beharrt er energisch auf den Unterschied zwischen bürgerlichen Staaten und den »kannibalistischen Regimes«, wie er die Islamische Republik und auch Russland nennt: »Wenn wir diesen Unterschied nicht anerkennen, werden unsere weiteren Bemühungen keinen Sinn mehr ergeben.« Der ideologische Eifer des Regimes, die Bevölkerung zu einer »einzigen Partei Allahs« (Khomeini) zu vermassen, sei gescheitert. Von der Kindheit an belehre es sie über den »großen und kleinen Satan« und dass das heiligste Ansinnen die Vernichtung ­Israels sei, »aber durch Parabolantennen und VPN sehen wir tagtäglich, dass die Menschen dort viel freier leben als wir«. Bei den noch Jüngeren habe sich inzwischen eine noch heftigere Verachtung für das tugendterroristische Regime aufgestaut als in seiner eigenen Generation.

https://jungle.world/artikel/2022/44/grenzenloser-widerstand

Vom Tenor her stimmt der Artikel, aber wie immer erfolgt mal wieder keine Kurzanalyse der wichtigsten Parteien und Gruppen der iranischen Opposition, um die Frage der Organisiertheit zu beantworten oder das Argument dafür zu machen. Zwar kann man nicht alle vermeintlichen klandestinen Kanäle offenbaren, aber die wichtigsten offiziellen Vertreter benennen, deren Mitgliederzahl, deren politische Positionen und auch die Frage, inwieweit es nun zu einem organisierten massenhaften Überspringen des vermeintlichen Revolutionsfunken zur Arbeiterklasse und den Bazarhändler und Gewerbetreibenden der Mittelschicht gekommen ist oder nicht, da dies entscheidend sein wird.

Was die Rolle der Arbeiterklasse angeht, scheint man in den USA, zumindestens in der Foreign Policy nicht sonderlich optimistisch:

“Why Won’t the Workers of Iran Unite?

Unlike in 1979, much of the Iranian working class is precariously employed—and they have more to lose than their chains by joining the protests.

By Esfandyar Batmanghelidj, the founder of the Bourse & Bazaar Foundation, and Zep Kalb, a doctoral candidate at the University of California, Los Angeles.”

Stattdessen als Kronzeuge bei der Jungle World ein Anarchist , viel Minderheiten- und Kurdenerwähnung samt etwas Rojavaromantik Nordsyriens und das war es. Quod est demonstrandum? Nicht einmal was über den Nationalen Widerstandsrats Irans, Volksmuddjahedin und andere wichtige Gruppen.

Die iranische Oppositionsbewegung behauptet, dass dies nicht nur Massenproteste mit zumal reformistischen Forderungen wie früher seien, sondern eine, Revolution unmittelbar bevorstehe und man durchaus organisiert sei. Aber nicht nur notorische(deutsche) Iranversteher, sondern selbst die israelische Jerusalem Post bezweifelt das und glaubt erst an eine Revolution das nächste Mal- nach dem Tode Khameinis. Als Hauptgründe werden die Unorganisiertheit der Bewegung und die Hoffnung der Biden-USA auf einen Irandeal gesehen, wie auch die unbeantwortete Frage, wie man ein Massaker und eine chinesische Niederschlagung seitens der Revolutionsgarden verhindert. Die US-amerikanische Foreign Policy weist ja in ihrem neuesten Beitrag gerade darauf hin, dass die Revolutionsgarden nicht einfach aufgeben werden und dass dies zentrale Frage sein werde, sollte die Massenbewegung einen tipping point und Organisiertheit erreichen. Bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten der Bewegung ist man ambivalent:

„Wandel im Iran? Experte überzeugt: Revolutionsgarden werden niemals aufgeben

(…)

Die IRGC ist eine mächtige militärische Kraft und das Fundament der inneren Ordnung in der Islamischen Republik. Sie überwacht die Sicherheit des Regimes und ist neben dem Obersten Führer, Ayatollah Ali Khamenei, die einflussreichste Stimme bei den strategischen Entscheidungen des Landes. Diese Rolle hat sie zum wichtigsten Mechanismus für das Unterdrückungssystem im Land gemacht. Bei früheren politischen Unruhen wie den Studentenprotesten 1999 und den Massendemonstrationen nach den Präsidentschaftswahlen 2009 gingen die IRGC und ihre Freiwilligenmiliz, die Basij, mit brutaler Gewalt, Verhaftungen und Folter gegen die Demonstranten vor.

Bei den Protesten zwischen Ende 2018 bis ins Jahr 2020 hat die IRGC diese Rolle erneut übernommen, aber ihre Taktik eskalierte an einigen Orten zu einer vollständig militarisierten Reaktion, bei der sie scharfe Waffen und gepanzerte Fahrzeuge einsetzte, um Demonstranten in einem viel größeren Ausmaß zu töten als bei früheren Niederschlagungen. Allein in der südwestlichen Stadt Mahshahr tötete die IRGC im November 2019 innerhalb von vier Tagen schätzungsweise 180 meist junge Demonstranten, wobei viele der Opfer von mit automatischen Gewehren bewaffneten Truppen wahllos beschossen wurden, als sie in einem nahe gelegenen Sumpfgebiet Zuflucht suchten. Ähnliche Operationen fanden im ganzen Land statt, um zu verhindern, dass sich die weit verbreitete Protestbewegung zu einer regelrechten Rebellion ausweitet.

Die tödliche Effizienz dieser Taktiken war beabsichtigt und eine direkte Reaktion auf die Bedrohung, die die Proteste für das Regime darstellten. Im Gegensatz zu den Demonstrationen in den Jahren 1999 und 2009, die sich für Reformen einsetzten, waren die Proteste seit 2018, einschließlich der laufenden, eindeutig gegen das Regime gerichtet. Die Demonstranten verwenden Slogans und führen Aktionen durch, mit denen sie die Islamische Revolution und all das, wofür sie steht, offen ablehnen. Mit Aktionen wie dem Abnehmen von Kopftüchern, Menschenmengen, die „Tod dem Diktator“ skandieren, und dem Abfackeln von Plakaten mit dem Bild von Qassem Suleimani (dem verstorbenen Feldkommandeur der Iranischen Revolutionsgarde, der die Unterstützungskräfte des Regimes für ausländische Terrorgruppen anführte) feuern die Demonstranten regelrechte Pfeile direkt auf die zentrale Identität der Islamischen Republik ab.

Proteste in Iran: Revolutionsgarde identifiziert sich komplett mit Ideologie des Islamischen Regimes

Dieser Angriff ist gleichzusetzen mit einem Angriff auf die IRGC, denn die Revolutionsgarden identifizieren sich auf das engste mit der Ideologie des islamischen Regimes. Das Militär von 1979 war vor allem ein nationales Militär, das dem Iran als souveränem Land mehr verpflichtet war als der Krone. Die Islamische Republik hat eine ganz andere Art von Sicherheitsarchitektur kultiviert. An der Spitze steht die IRGC, die, wie der Name „Revolutionsgarde“ schon sagt, zum Schutz der Islamischen Revolution und nicht des Irans gegründet wurde. Für die IRGC ist die Revolution gleichbedeutend mit dem theokratischen System des Irans, an dessen Spitze der Oberste Führer steht. Darüber hinaus gibt es ein Netzwerk ausländischer militanter Gruppen, die sich mit dem Obersten Führer verbündet haben, die so genannte „Widerstandsfront“, mit der der Iran seinen politischen Einfluss auf den gesamten Nahen Osten ausdehnt. Auch wenn die IRGC zuweilen versucht hat, ihren Auslandseinsätzen den Anstrich von Patriotismus zu geben, ist die Organisation nicht um der nationalen Interessen Irans willen in regionale Konflikte verwickelt, sondern vielmehr, um die islamische Revolution zu verbreiten und ihre besondere Art von politischer Ideologie zu exportieren.

Die Loyalität der IRGC ist weder an den Iran noch an geografische Grenzen gebunden. Die politische Einheit, der sie dient, ist länderunabhängig und wird vor allem durch den Sitz des obersten Führers definiert. Aus diesem Grund betrachtet die IRGC die aktuellen Proteste und die vorangegangenen Proteste der letzten Jahre, die eindeutig antitheokratische Forderungen zum Ausdruck brachten, als weitaus gefährlicher als frühere Unruhen. Indem sie das islamische System in Frage stellen, fordern die Demonstranten die Daseinsberechtigung der IRGC heraus. Die IRGC kann nicht unter einer Regierungsform existieren, die nicht mehr durch die Islamische Revolution definiert ist. Wenn die derzeitige Ordnung aufgehoben wird, wird es für die IRGC keinen Platz mehr geben. Wie bei den anderen iranischen Streitkräften werden auch die obersten Befehlshaber der IRGC vom Obersten Führer auf der Grundlage ihrer Loyalität zu ihm handverlesen. Sie und die anderen führenden Militär- und Polizeikommandeure verdanken dem Obersten Führer ihren Platz in der Gesellschaft und alles, was sie durch die grassierende Korruption des Regimes gewonnen haben. Sollte der Oberste Führer fallen, werden alle mit ihm zu Fall gebracht.

Es ist daher nicht zu erwarten, dass die Revolutionsgarde den Demonstranten nachgibt oder sich sogar auf ihre Seite stellt. Die Loyalität der IRGC gilt der Islamischen Republik, und sie wird sich allen Gegnern dieses Systems entgegenstellen, koste es, was es wolle, auch wenn das iranische Volk darunter leidet. Sollte es für notwendig erachtet werden und sollte der Oberste Führer es verlangen, wird die IRGC nicht zögern, ihren Truppen zu befehlen, so viel Gewalt wie nötig anzuwenden, um die von den Demonstrationen ausgehende Bedrohung zu beseitigen. In Teilen des Irans, vor allem in Sanandaj, der Heimatstadt von Mahsa Amini finden bereits heftige militärische Gegenproteste statt, die wahrscheinlich noch zunehmen werden, je länger die Proteste andauern.

Trotz dieser Bereitschaft und Entschlossenheit der IRGC stellen die aktuellen Proteste allerdings eine bisher nie dagewesene Herausforderung für das Regime dar. Obwohl sich Frauen und Männer aus dem ganzen Land und aus allen Gesellschaftsschichten im Widerstand gegen die herrschende Ordnung vereint haben, werden die Proteste vor allem von jungen Frauen angefeuert, deren revolutionärster Akt darin bestand, einfach ihr Haar freizulegen. Die iranischen Sicherheitskräfte haben bereits zahlreiche weibliche Demonstranten geschlagen und getötet, um die Menschen zu zwingen, in ihre Häuser zurückzukehren, aber es hat nicht funktioniert. Das Ausmaß an Gewalt, das notwendig ist, um diese Welle furchtloser Jugendlicher einzudämmen, wird wahrscheinlich größer sein, als das Regime derzeit riskieren will.

Iran-Proteste: Um zu gewinnen, muss das Regime einen Krieg gegen junge Frauen und Mädchen führen

Für das Regime stehen vor allem zwei Dinge auf dem Spiel, und zwar sowohl auf innen- als auch auf außenpolitischer Seite. An der internationalen Front muss sich die iranische Führung Gedanken über die Wirkung und die möglichen Folgen der Zerschlagung einer Volksbewegung machen, die sich für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzt. Die größere Sorge ist jedoch die Verschärfung der Krise im eigenen Land. Je mehr Menschen von den Streitkräften des Regimes getötet werden, desto mehr verhärtet sich die Stimmung gegen das Regime, und desto mehr radikalisiert sich die junge Generation. Je mehr Gewalt von Soldaten mit niedrigem Rang gegen ihre Mitbürger verlangt wird, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Entschlossenheit dieser Soldaten ins Wanken gerät. Zwar hat die Führungsspitze der iranischen Sicherheitskräfte von dem derzeitigen System profitiert, nicht aber die einfachen Soldaten. Ihr Risikokalkül unterscheidet sich völlig von dem ihrer Befehlshaber, und ihre Loyalität gegenüber dem System ist umso anfälliger und wird umso eher auf die Probe gestellt, je mehr von ihnen verlangt wird, im Namen des obersten Führers zu morden und zu verstümmeln.

Die Islamische Republik hat keine Skrupel, ihr eigenes Volk zu töten, wie ihre lange Geschichte der Unterdrückung beweist. Aber wenn der Feind die eigene Tochter, Nichte, Schwester oder Cousine ist, kann sich niemand der Realität der Situation entziehen. Um zu gewinnen, muss das Regime einen Krieg gegen junge Frauen und Mädchen im Teenageralter führen. Das ist ein Krieg, der sich kaum gewinnen lässt. Und das Regime weiß das wahrscheinlich auch. (Ajshon Ostovar)

Afshon Ostovar ist außerordentlicher Professor für nationale Sicherheitsfragen an der Naval Postgraduate School und Autor von Vanguard of the Imam: Religion, Politics, and Iran’s Revolutionary Guards. Twitter: @AOstovar

Dieser Artikel war zuerst am 18. Oktober 2022 in englischer Sprache im Magazin „ForeignPolicy.com“ erschienen

https://www.fr.de/politik/iran-proteste-mahsa-amini-revolution-frauen-kopftuch-regime-sicherheitskraefte-revolutionsgarde-zr-91889510.html

Biden hat zwar jetzt eine vollmundige Erklärung zur Befreiung des Irans von sich gegeben, aber die USA und die G7 halten sich von wirklich einschneidenden wirtschaftlichen und politischen Sanktionen gegenüber dem Iran weiterhin zurück, die der tipping point sein könnten. Stattdessen mehr symbolisch ein paar eingefrorene Konten und Europashoppingverbote für Moralpolizisten und die beabsichtigte Entfernung des Irans aus dem UN-Frauenrechtsrat, was Khameinis wenig beeindrucken wird. Eine Bewaffnung der Opposition über den Molotowcocktailbau scheint auch nicht vorgesehen.

Richtig ist es herauszustellen, dass der Iran ein Instabilitatsfaktor ist, der die Bürgerkriege im Irak, Libanon, Syrien und Yemen ordentlich anheizt und mitverursacht.Es ist sowieso interessant, dass man amerikanischerseits und deutscherseits eher Saudiarabien als Störfaktor betrachtet denn Iran (nicht nur Gabriel im übrigen, der ja auch den Katarvetsteher gibt).Auf den ersten Blick logisch erscheint es auch,dass bei einem Wegfall des iranischen Regimes sich die Kräfteverhältnisse auch im Libanon, Irak, Yemen und Syrien verändern würde, wie auch die Frage einer Atommacht Iran vom Tisch sein könnte. .Umgekehrt ist das aber auch keine Garantie gegen einen Staatenzerfall, da es dann zu einer Art Showdown mit ungewissem Ausgang ,vielleicht langem Bürgerkrieg und Flüchtlingswellen kommen könnte und sich der schon zu Irakkriegzeiten erhoffte Leuchtturm der Demokratie wie schon einmal beschworen eher zum Quell neuer Finsternis entwickeln könnte und nicht nur den Nahen Osten weiter destabilisieren, könnte sondern auch mittels Flüchtlingswellen und Energiepreisen den ohnehin schon wackeligen Westen und Europa. Zudem es außer dem Iran auch andere Islamisten im Nahen Osten gibt, die von Saudiarabien ,Erdogan und Katar unterstützt werden, wenngleich nicht im Iran Nach dem Neoconbefreiungskrieg Irak 2003 und dessen desaströsen Folgen, scheint man zumindestens in Deutschland, ja auch teils in den USA da kein Risiko eingehen zu wollen und in der Islamischen Republik eher den geringeren Instabilitsfaktor sehen will oder sieht. Zudem neuerdings auch China als Option für den Iran offensteht, siehe auch Neumitgliedschaft in der SCO. Dennoch bliebt der jetzigen revolutionären Massenbewegung nur noch die Flucht nach vorne und die ungewisse Hoffnung auf westliche Unterstützung. Wie der ehemalige US- Verteidigungsminister Donald Rumsfeld einmal sagte: „There are known knowns, unknowns knowns, known unknowns and unknown unknowns“. Den Luxus theoretischer akademischer Analysen hinter dem Schreibtisch haben die iranischen Revolutionäre jedenfalls nicht, sondern nur die Hoffnung, dass jede Massenbewegung und Revolution ja auch eine exponentiale Massen- und Eigendynamikdynamik hat, die Kräfteverhältnisse zur einen oder anderen Seite schnell verändern kann.

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